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VwGH vom 24.02.2011, 2010/10/0232

VwGH vom 24.02.2011, 2010/10/0232

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr, Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der Bringungsgenossenschaft "H" vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2/1, gegen den Bescheid der Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck vom , Zl. II-BGV-00650e/2008, betreffend Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist in einer Angelegenheit einer naturschutzrechtlichen Bewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Stadt Innsbruck hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom hat die Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck (die belangte Behörde) der Beschwerdeführerin die naturschutzrechtliche Bewilligung für die Errichtung eines bestimmt genannten Forstweges erteilt.

Die dagegen gerichtete Berufung des Landesumweltanwaltes von Tirol wurde mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom als verspätet zurückgewiesen.

Zur Begründung dieses Bescheides führte die Landesregierung im Wesentlichen aus, dass der Bewilligungsbescheid am dem Landesumweltanwalt zugestellt worden sei. Dieser habe mit E-Mail vom eine Berufung an die offizielle E-Mail-Adresse der belangten Behörde abgesendet. Diese Sendung habe auf Grund eines großen Anhanges eine Datenmenge von mehr als 10 Megabyte (MB) aufgewiesen. Die belangte Behörde habe Richtlinien für den eingehenden E-Mail-Verkehr im Internet kundgemacht. Darin heiße es zum Punkt "E-Mail Größenbeschränkung":

"E-Mails, welche inklusive Anhang eine Größe von 10 MB überschreiten, werden nicht angenommen."

Da die Berufung samt Anhang diese Beschränkung überschritten habe, sei sie vom Server der belangten Behörde nicht an den vorgesehenen Empfänger weitergeleitet, sondern in einen "Quarantänebereich" verschoben worden, wo sie nach einem Monat automatisch gelöscht worden sei. Von der Nicht-Weiterleitung einer Sendung an die zuständige Stelle werde im Normalfall der Empfänger durch eine automatisch generierte E-Mail-Nachricht verständigt. Ob eine solche Verständigung auch im vorliegenden Fall erfolgt sei, könne nicht festgestellt werden.

Am habe der Landesumweltanwalt die Berufung mit einem auf deutlich unter 10 MB komprimierten Anhang neuerlich übermittelt. Dazu habe er vorgebracht, dass die ursprünglich eingebrachte Berufung auf Grund des Umstandes, dass sie die von der Behörde bekannt gegebene Größenbeschränkung überschritten habe, mit einem Mangel behaftet gewesen sei. Dieser Mangel sei sofort nach seinem Bekanntwerden durch die neuerliche Einbringung der Berufung am behoben worden, ohne einen diesbezüglichen Mängelbehebungsauftrag abzuwarten.

Entgegen diesem Vorbringen des Landesumweltanwaltes könne eine den ordnungsgemäß kundgemachten Richtlinien der belangten Behörde über technische Voraussetzungen für einzubringende E-Mail-Sendungen widersprechende Berufung nicht als eingebracht angesehen werden. Die Berufung sei daher erstmals am 19. April und somit verspätet eingebracht worden. Würde man schon auf Grund der Speicherung der Sendung am Server der Behörde erster Instanz in einem speziellen Quarantänebereich davon ausgehen, dass die Berufung eingelangt sei, so würde die Bestimmung des § 13 Abs. 2 AVG unterlaufen, wonach technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs bei ordnungsgemäßer Bekanntmachung im Internet wirksam seien.

Dieser Bescheid wurde dem Landesumweltanwalt am zugestellt.

Mit Bescheid vom hat die Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck dem Landesumweltanwalt auf Grund dessen Antrages vom die Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Frist zur Einbringung einer Berufung gegen den naturschutzrechtlichen Bewilligungsbescheid vom bewilligt (Spruchpunkt I.) und diesem Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 6 AVG die aufschiebende Wirkung zuerkannt (Spruchpunkt II.).

Dazu führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Landesumweltanwalt den Wiedereinsetzungsantrag wie folgt begründet habe:

Die Berufung vom sei nachweislich am Server der belangten Behörde eingelangt, jedoch wegen des zu großen Anhanges nicht an die zuständige Abteilung weitergeleitet worden. Sofort nach Bekanntwerden dieses Umstandes sei die Berufung (am ) neuerlich mit komprimiertem Anhang übersendet worden. Auf Grund dieser Vorgangsweise sei der Landesumweltanwalt der Meinung gewesen, dass das Rechtsmittel als rechtzeitig eingebracht angesehen werden könne. Der - sonst immer zuverlässigen - Mitarbeiterin des Sekretariats des Landesumweltanwaltes sei die von der belangten Behörde bekannt gegebene Beschränkung des elektronischen Verkehrs auf 10 MB nicht bekannt gewesen. Der "eigentlich zur Fristversäumnis führende Geschehensablauf" sei die nachweisliche Nichtzustellung einer automatischen Mitteilung über die nicht erfolgte Weiterleitung der Sendung. Wäre eine solche Mitteilung - wie sonst üblich - automatisch durchgeführt worden, so hätte die Mitarbeiterin des Landesumweltanwaltes darauf noch rechtzeitig reagieren können. Um solchen Missgeschicken vorzubeugen, würden Berufungen des Landesumweltanwaltes regelmäßig spätestens am vorletzten Tag der Frist eingebracht werden. Die Versendung der Berufung mit einem zu großen Anhang sei ein Missgeschick, das trotz aller - im Einzelnen dargestellter - Vorsichtsmaßnahmen passiert sei. Den Landesumweltanwalt treffe nur ein minderer Grad des Versehens.

Zum Antrag, dem Wiedereinsetzungsantrag aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, habe der Landesumweltanwalt im Wesentlichen ausgeführt, dass bei einer Verwirklichung der beantragten Wegeanlage für den Erholungsraum rund um Innsbruck einzigartige Natur- und Kulturgüter unwiederbringlich verloren gehen würden.

Der Landesumweltanwalt habe - so die belangte Behörde weiter -

durchaus glaubhaft dargestellt, durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert worden zu sein. Das Büro des Landesumweltanwaltes entspreche den Anforderungen an eine sorgfältige Organisation, dies sei insbesondere daraus ersichtlich, dass nach einer internen Anweisung Rechtsmittel spätestens einen Tag vor Ablauf der Frist eingebracht würden. Dafür spreche nicht zuletzt auch der Umstand, dass in den letzten drei Jahren über 30 Berufungen per E-Mail problemlos eingebracht worden seien.

Der Landesumweltanwalt habe nach Absendung der Berufung vom aus dem Sendebericht nicht ersehen können, dass die Berufung vom Server der Behörde nicht weitergeleitet worden sei. Eine Verständigung von der Verschiebung der Sendung in den Quarantänebereich sei nicht erfolgt. Es könne nicht verlangt werden, bei versendeten E-Mails zusätzlich beim Empfänger nachzufragen, ob die Sendung dort auch eingelangt sei. Dem Landesumweltanwalt sei daher nur ein minderer Grad des Versehens anzulasten.

Da der die Berufung zurückweisende Bescheid dem Landesumweltanwalt am zugestellt worden sei, sei der am eingebrachte Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig.

Zur Frage der Zuerkennung von aufschiebender Wirkung an den Wiedereinsetzungsantrag sei eine Abwägung der Interessen des Antragstellers mit jenen der übrigen Parteien sowie der öffentlichen Interessen durchzuführen. Diesbezüglich schließe sich die belangte Behörde der Argumentation des Landesumweltanwaltes an, wonach die Errichtung des Weges eine nicht mehr rückgängig zu machende Beeinträchtigung von Interessen des Naturschutzes darstellen würde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Nach § 71 Abs. 2 AVG muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt werden.

Es obliegt der Partei, die Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrages zu behaupten und glaubhaft zu machen. Bereits der Wiedereinsetzungsantrag muss alle für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit maßgeblichen Angaben enthalten (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 71 Rz 111 referierte Rechtsprechung). Handelt es sich bei dem "Ereignis", das ursächlich für die Versäumung der Frist war, um einen Irrtum der Partei, so beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, in dem die Partei den Irrtum erkennt bzw. bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen müsste (vgl. Hengstschläger/Leeb, aaO, Rz 101).

In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem als Wiedereinsetzungsgrund der Sache nach ein Irrtum über die (wirksame) Einbringung der Berufung geltend gemacht wird, beginnt somit die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag zu laufen, sobald die Partei erkennt oder bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen musste, dass ihre Berufung nicht wirksam eingebracht worden war. Der Wiedereinsetzungsantrag des Landesumweltanwaltes enthält keine Angaben, die ausdrücklich zur Darlegung der Rechtzeitigkeit bestimmt sind; es wird jedoch darauf hingewiesen, dass "… sofort nach Bekanntwerden der Nichtweiterleitung (auf Grund des zu großen Anhanges) des Servers der Stadt Innsbruck an die eigentlichen Adressaten die E-Mail erneut … gesendet wurde". Nach der Aktenlage erfolgte die dort erwähnte "neuerliche" Absendung des E-Mails am . Somit folgt aus dem soeben wiedergegebenen Antragsvorbringen, dass dem Landesumweltanwalt spätestens am bekannt war, dass sein die Berufung enthaltendes E-Mail nicht "weitergeleitet" worden war. Es lagen dem Landesumweltanwalt - der nicht behauptet hat, dass er seiner Verpflichtung zur Kontrolle, ob die Behörde im Sinne des § 13 Abs. 2 AVG organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs bekannt gemacht hatte und ob die Berufung tatsächlich und richtig bei der Behörde eingelangt ist (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb, aaO, Rz 66 referierte hg. Rechtsprechung), insbesondere durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen, nachgekommen wäre - somit bereits an diesem Tag Hinweise vor, die gegen die wirksame Einbringung der Berufung bei der zuständigen Behörde sprachen. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte der Landesumweltanwalt bei gehöriger Aufmerksamkeit jenen Irrtum, der nach seinem Vorbringen Ursache der Fristversäumung gewesen sei, nämlich den Irrtum über die wirksame Einbringung der Berufung auf elektronischem Weg, erkennen müssen. Die Frist des § 71 Abs. 2 AVG hat somit (spätestens) am zu laufen begonnen. Der am eingebrachte Wiedereinsetzungsantrag war daher verspätet. Die Bewilligung der Wiedereinsetzung an Stelle der nach dem Gesagten gebotenen Zurückweisung wegen Verspätung ist daher inhaltlich rechtswidrig.

Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages aber auch dann geboten gewesen wäre, wenn die im Wiedereinsetzungsantrag dargelegte Annahme des Landesumweltanwaltes zuträfe, das Rechtsmittel sei "als rechtzeitig eingebracht anzusehen" (gewesen), weil das E-Mail "nachweislich am Server der Stadt Innsbruck eingetroffen ist" (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2008/10/0251, vom , Zl. 2008/04/0089, und vom , Zl. 2002/03/0139). Liegt nämlich keine Fristversäumung vor bzw. verneint der Wiedereinsetzungswerber selbst, dass eine Säumnis vorliegt, kommt eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht (Hengstschläger/Leeb, aaO, Rz 21, 24).

Der angefochtene Bescheid ist auch im Umfang des gleichzeitig mit der Bewilligung der Wiedereinsetzung ergangenen Ausspruches, dem Wiedereinsetzungsantrag aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, inhaltlich rechtswidrig. Durch die rechtskräftige Beendigung des Verfahrens über den Wiedereinsetzungsantrag entfällt nämlich die bis dahin bestehende Möglichkeit, diesem Antrag gemäß § 71 Abs. 6 AVG die aufschiebende Wirkung in Bezug auf die mit dem verspäteten Rechtsmittel zu bekämpfende Entscheidung zuzuerkennen, weil die Rechtswirkungen der Versäumung - deren Eintritt durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nur suspendiert würden - durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung gänzlich beseitigt werden.

Aus den dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am