VwGH vom 22.01.2013, 2012/18/0203
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie die Hofräte Mag. Feiel und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der SS in S, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom , Zl. E1/9682/2008, betreffend Erlassung eines unbefristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.211,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, gestützt auf § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 5 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein unbefristetes Rückkehrverbot.
Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Inhaltes des erstinstanzlichen Bescheides sowie des Inhaltes der Berufung und weiterer von der Beschwerdeführerin eingebrachter Stellungnahmen aus, nach § 60 Abs. 1 FPG könne gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt sei, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Im Weiteren gab die belangte Behörde noch weitere Bestimmungen des FPG, die sich auf die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes beziehen, wieder.
In ihrer rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde aus, es sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 5 FPG erfüllt, weil die Beschwerdeführerin durch das Landesgericht Eisenstadt am wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs. 2, Abs. 4 erster Fall und Abs. 5 erster Fall FPG zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt worden sei. Gegenteiliges habe die Beschwerdeführerin nicht behauptet.
Sodann legte die belangte Behörde dar, weshalb ihrer Ansicht nach die Erlassung des "Aufenthaltsverbotes" im Sinn des § 66 FPG zulässig sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides () nach den Bestimmungen des FPG in der Fassung des BGBl. I Nr. 135/2009 richtet.
Die Beschwerde macht u.a. geltend, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, auf § 86 FPG Bezug zu nehmen. Sie habe die darin genannten Voraussetzungen nicht geprüft.
Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
Zunächst ist anzumerken, dass die belangte Behörde, obwohl sie den - ein Rückkehrverbot aussprechenden - erstinstanzlichen Bescheid bestätigt hat, im angefochtenen Bescheid in keiner Weise auf dieses Rechtsinstitut Bezug genommen hat. Es wurde nach dem Spruch des angefochtenen Bescheides nur auf § 60 FPG abgestellt. Auch in der Begründung des angefochtenen Bescheides spricht die belangte Behörde durchgehend davon, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zulässig sei.
Fallbezogen kann dahingestellt bleiben, ob die belangte Behörde ein Aufenthaltsverbot erlassen wollte. In erster Linie hat sie - selbst wenn bei näherer Betrachtung davon auszugehen wäre, dass hier der Berufungsgegenstand infolge des Vorliegens auch eines im Berufungsverfahren erlassenen Rückkehrverbotes nicht überschritten worden ist (vgl. zur Unzulässigkeit des Wechsels von einem in erster Instanz erlassenen Rückkehrverbot zu einem Aufenthaltsverbot im Berufungsverfahren das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/18/0171) - Folgendes verkannt:
Die Beschwerdeführerin ist - was die belangte Behörde auch festgestellt hat - mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet. Demnach gelten für sie jedenfalls gemäß § 87 FPG die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach § 85 Abs. 2 und - fallbezogen von Relevanz - § 86 FPG; und zwar auch dann, wenn ihr Ehemann das ihm unionsrechtlich zustehende Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat. In diesem Fall müssen die Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG auch bei Erlassung eines Rückkehrverbotes gegeben sein (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0271, mwN).
§ 86 Abs. 1 FPG verlangt, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres die Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Für die Beantwortung der Frage, ob diese Annahme gerechtfertigt ist, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. dazu ebenfalls das bereits erwähnte Erkenntnis vom , mwN).
Die Beschwerdeführerin hat im Berufungsverfahren ausdrücklich - das diesbezügliche in der (allerdings nicht im Berufungsakt erliegenden) Stellungnahme vom enthaltene Vorbringen ist im angefochtenen Bescheid wörtlich wiedergegeben - geltend gemacht, dass auf sie § 86 Abs. 1 FPG anzuwenden sei. Dem Vorliegen der darin genannten Voraussetzungen ist sie mit konkretem Vorbringen entgegengetreten. Dennoch hat sich die belangte Behörde überhaupt nicht mit den in dieser Bestimmung genannten Kriterien auseinander gesetzt und zum Vorbringen der Beschwerdeführerin auch keine Feststellungen getroffen. Vielmehr hat sie - was im Übrigen auch nicht den Anforderungen an eine Begründung der Annahme, es bestünde eine Gefahr im Sinn des § 62 Abs. 1 FPG, entsprochen hätte (vgl. zur Anwendbarkeit der oben genannten Grundsätze für die Darlegung einer von einem Fremden ausgehenden Gefahr auf alle im FPG enthaltenen Gefährdungsmaßstäbe das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603) - zur Begründung der Zulässigkeit des Rückkehrverbotes in Verkennung der Rechtslage ausschließlich darauf abgestellt, dass infolge der Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen Schlepperei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 5 FPG erfüllt sei.
Sohin war der angefochtene Bescheid schon deshalb wegen - vorrangig wahrzunehmender - inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Auf das übrige Beschwerdevorbringen musste daher - und auch vor dem Hintergrund, dass für das im zweiten Rechtsgang durchzuführende Berufungsverfahren nach der nunmehrigen Rechtslage ohnedies der unabhängige Verwaltungssenat zuständig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/18/0173) - nicht weiter eingegangen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich - im begehrten Ausmaß - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
LAAAE-76582