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VwGH vom 23.01.2012, 2010/10/0205

VwGH vom 23.01.2012, 2010/10/0205

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde des GZ in Wien, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-SOZ/38/2654/2010-1, betreffend Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom hat der Unabhängige Verwaltungssenat Wien den Antrag des Beschwerdeführers vom auf Zuerkennung einer Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß §§ 8, 10 und 13 des Wiener Sozialhilfegesetzes - WSHG, LGBl. Nr. 11/1973, abgewiesen.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Antrag des Beschwerdeführers sei in erster Instanz mit der Begründung abgewiesen worden, dass der Beschwerdeführer ohnehin Leistungen nach dem Wiener Grundversorgungsgesetz - WGVG, LGBl. Nr. 46/2004, erhalte. In der Berufung habe der Beschwerdeführer insbesondere auf seine Stellung als subsidiär Schutzberechtigter verwiesen. Festgestellt werde, dass der Beschwerdeführer subsidiär schutzberechtigt sei und gemeinsam mit seiner Gattin in einer Betreuungseinrichtung nach dem WGVG untergebracht sei. Beide erhielten im Rahmen der Grundversorgung Taschengeld und ein zweckgebundenes Essensgeld. Im Rahmen der Grundversorgung würden neben der Unterkunft auch die Verpflegung, ein Taschengeld, die Krankenversicherung und die Kosten der Bekleidung gewährt. Nach dem WSHG stehe nur denjenigen Sozialhilfe zu, welche den Lebensbedarf für sich und die in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften beschaffen könnten und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhielten. Im vorliegenden Fall erhielten der Beschwerdeführer und seine Gattin im Rahmen der Grundversorgung sämtliche Leistungen, welche es ihnen ermöglichten, den Lebensbedarf zu decken.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die hier maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen haben (auszugsweise) folgenden Wortlaut:

Wiener Sozialhilfegesetz - WSHG, LGBl. Nr. 11/1973, idF LGBl. Nr. 58/2006:

§ 1. (1) Die Sozialhilfe hat jenen Menschen die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen, die dazu der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen.

(2) Die Sozialhilfe umfasst die Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes, die Hilfe in besonderen Lebenslagen und die sozialen Dienste.

§ 7a. (1) Leistungen nach diesem Gesetz stehen grundsätzlich nur Staatsbürgern zu.

(2) Den Staatsbürgern sind folgende Personen gleichgestellt, wenn sie sich erlaubterweise im Inland aufhalten und die Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges erfolgt ist:

c) Fremde, denen nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, oder

§ 8. (1) Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes hat nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen dieses Abschnittes, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält.

§ 10. (1) Hilfe ist nur insoweit zu gewähren, als das Einkommen und das verwertbare Vermögen des Hilfesuchenden nicht ausreichen, um den Lebensbedarf (§ 11) zu sichern.

§ 12. Der Lebensunterhalt umfasst insbesondere Unterkunft, Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Beheizung, Beleuchtung, Kochfeuerung und andere persönliche Bedürfnisse. Zu den persönlichen Bedürfnissen gehört auch die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben in angemessenem Ausmaß.

§ 13. (1) Die Bemessung von Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes hat unter Anwendung von Richtsätzen zu erfolgen. Die Richtsätze sind durch Verordnung der Landesregierung festzusetzen. …

(3) Der Richtsatz ist so zu bemessen, dass er den monatlichen Bedarf an Nahrung, Beleuchtung, Kochfeuerung Kleinhausrat und sonstigen kleineren Bedürfnissen des täglichen Lebens, Instandsetzung der Bekleidung, Körperpflege, Wäschereinigung sowie in angemessenem Ausmaß den Aufwand für die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben deckt.

(6) Der nicht durch den Richtsatz gedeckte Bedarf im Rahmen des Lebensunterhaltes, insbesondere die Unterkunft, Bekleidung, Hausrat und Beheizung ist durch zusätzliche Geld- oder Sachleistungen zu decken, deren Ausmaß nach den Erfordernissen des einzelnen Falles zu bemessen ist. Bei alten oder erwerbsunfähigen Beziehern wiederkehrender monatlicher Geldleistungen zur Sicherung des Lebensbedarfes kann dieser Bedarf durch einen Zuschlag zum Richtsatz pauschal abgedeckt werden.

…"

Wiener Grundversorgungsgesetz - WGVG, LGBl. Nr. 46/2004:

"§ 1. (1) Leistungen nach diesem Gesetz werden an hilfs- und schutzbedürftige Fremde erbracht.

(2) Hilfsbedürftig ist, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht oder nicht ausreichend von anderen Personen oder Einrichtungen erhält.

(3) Schutzbedürftig sind:

3. Fremde mit Aufenthaltsrecht gemäß § 8 in Verbindung mit § 15 Asylgesetz 1997, § 10 Abs. 4 Bundesgesetz über die Einreise, den Aufenthalt und die Niederlassung von Fremden (Fremdengesetz 1997 - FrG), BGBl. I Nr. 75, oder einer Verordnung gemäß § 29 Fremdengesetz 1997,

§ 3. (1) Die Grundversorgung umfasst:

1. Unterbringung in geeigneten Unterkünften unter Achtung der Menschenwürde und unter Beachtung der Familieneinheit,


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2.
Versorgung mit angemessener Verpflegung,
3.
Gewährung eines monatlichen Taschengeldes für Personen in organisierten Unterkünften und für unbegleitete minderjährige Fremde, ausgenommen bei individueller Unterbringung,
4.
Durchführung einer medizinischen Untersuchung im Bedarfsfall bei der Erstaufnahme nach den Vorgaben der gesundheitsbehördlichen Aufsicht,
5.
Sicherung der Krankenversorgung im Sinne des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, durch Bezahlung der Krankenversicherungsbeiträge,
6.
Gewährung allenfalls über die Krankenversorgung gemäß Z 5 hinausgehender notwendiger, durch die Krankenversicherung nicht abgedeckter Leistungen nach Einzelfallprüfung,
7.
Maßnahmen für pflegebedürftige Personen,
8.
Information, Beratung und soziale Betreuung des Fremden durch geeignetes Personal unter Einbeziehung von Dolmetschern zu dessen Orientierung in Österreich und zur Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr,
9.
Übernahme von Beförderungskosten bei Überstellungen und behördlichen Ladungen,
10.
Übernahme der für den Schulbesuch erforderlichen Fahrtkosten und Bereitstellung des Schulbedarfs für Schüler,
11.
Maßnahmen zur Strukturierung des Tagesablaufes im Bedarfsfall,
12.
Gewährung von Sach- oder Geldleistungen zur Erlangung der notwendigen Bekleidung,
13.
Kostenübernahme eines ortsüblichen Begräbnisses oder eines Rückführungsbetrages in derselben Höhe und
14.
Gewährung von Rückkehrberatung, von Reisekosten sowie einer einmaligen Überbrückungshilfe bei freiwilliger Rückkehr in das Herkunftsland in besonderen Fällen.
…"
Fremde mit Aufenthaltsrecht gemäß § 8 iVm § 15 Asylgesetz 1997 (nunmehr § 8 Asylgesetz 2005) - eine solche Berechtigung ist subsidiär Schutzberechtigten zu erteilen - haben gemäß § 1 Abs. 3 Z. 3 WGVG Anspruch auf Grundversorgungsleistungen. Beim Beschwerdeführer handelt es sich unstrittig um einen subsidiär Schutzberechtigten, dem tatsächlich Grundversorgungsleistungen gewährt werden.
Die belangte Behörde vertrat die Ansicht, dass der Beschwerdeführer damit den gesamten Lebensbedarf "von anderen Personen oder Einrichtungen erhält" und daher gemäß § 8 Abs. 1 WSHG keinen Anspruch auf Sozialhilfe habe.
Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, dass ihm gemäß Art. 28 der Richtlinie 2004/83/EG (Statusrichtlinie) bzw. gemäß § 7a Abs. 2 lit. c WSHG "zusätzlich zur durch die Grundversorgung gewährten Unterkunft, Verpflegung, Taschengeld, Bekleidung und Krankenversorgung auch noch eine dem Richtsatz entsprechende Ergänzungsleistung gewährt werden (müsse), die auch die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben in angemessenem Ausmaß deckt".
Dazu ist zunächst auszuführen, dass aus der Statusrichtlinie kein Anspruch von subsidiär Schutzberechtigten, die Grundversorgungsleistungen beziehen, auf Gewährung von Sozialhilfeleistungen abgeleitet werden kann (vgl. das zur Burgenländischen Rechtslage ergangene, auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/10/0001).
Anders als etwa nach der Burgenländischen Rechtslage, nach der gemäß § 4 Abs. 6 Z. 3 des Burgenländischen Sozialhilfegesetzes ein über die Grundversorgungsleistungen hinausgehender Anspruch von subsidiär Schutzberechtigten - entsprechend der durch Art. 28 Abs. 2 der Statusrichtlinie dem nationalen Gesetzgeber eingeräumten Befugnis - ausgeschlossen ist (siehe dazu das zitierte Erkenntnis), haben jedoch subsidiär Schutzberechtigte im Anwendungsbereich des WSHG (siehe dessen § 38) gemäß § 7a Abs. 2 lit. c WSHG Anspruch auf Sozialhilfeleistungen. Da Sozialhilfeleistungen - wie sich für die hier gegenständliche Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfs insbesondere aus § 8 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 WSHG ergibt - nur subsidiär gewährt werden (vgl. Pfeil, Österreichisches Sozialhilferecht (1989), 364 f), hat der Beschwerdeführer nur insoweit einen Anspruch auf Sozialhilfe, als sein Lebensbedarf durch die Grundversorgungsleistungen nicht gedeckt wird.
Im Rahmen der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt ist gemäß § 13 Abs. 3 WSHG ein Richtsatz zu gewähren, der den monatlichen Bedarf an Nahrung, Beleuchtung, Kochfeuerung, Kleinhausrat und sonstigen kleineren Bedürfnissen des täglichen Lebens, Instandsetzung der Bekleidung, Körperpflege, Wäschereinigung sowie in angemessenem Ausmaß den Aufwand für die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben zu decken hat. Darüber hinaus ist der nicht durch den Richtsatz gedeckte Bedarf, insbesondere Unterkunft, Bekleidung, Hausrat und Beheizung, durch zusätzliche, nach den Erfordernissen des Einzelfalles zu bemessende Geld- oder Sachleistungen zu decken.
Werden einzelne Bedürfnisse des Hilfesuchenden durch Sachleistungen Dritter gedeckt, so gebührt dafür keine Sozialhilfeleistung. Handelt es sich hiebei um Bedürfnisse, die durch den Richtsatz zu decken sind, so ist der Richtsatz - unabhängig vom tatsächlichen Wert der Sachleistung - um den Anteil zu kürzen, der dem durch die Sachleistung gedeckten Bedürfnis entspricht, wobei ein standardisierter Maßstab angelegt werden kann (vgl. zur Berücksichtigung von Sachleistungen für Beleuchtung und Mahlzeiten das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0246). In diesem Zusammenhang weist der Beschwerdeführer zu Recht darauf hin, dass der Richtsatz u.a. auch zur Abdeckung des - im Katalog des § 3 Abs. 1 WGVG nicht enthaltenen - Aufwandes für die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben in angemessenem Ausmaß gewährt wird. Werden hingegen von dritter Seite zur Deckung von Leistungen des Lebensunterhaltes Geldleistungen gewährt, so sind diese als Einkommen des Hilfesuchenden zu berücksichtigen.
Im vorliegenden Fall bezieht der Beschwerdeführer Grundversorgungsleistungen zur Deckung seines Lebensunterhalts. Soweit diese als Sachleistungen gewährt werden, gebührt ihm für das entsprechende Bedürfnis nach den obigen Ausführungen keine Sozialhilfeleistung. Auf die errechnete Sozialhilfeleistung für die nicht auf diese Weise gedeckten Bedürfnisse (anteilig gekürzter Richtsatz) ist das Einkommen des Beschwerdeführers anzurechnen.
Um beurteilen zu können, ob und in welcher Höhe der Beschwerdeführer nach den dargestellten Grundsätzen Anspruch auf Sozialhilfe hat, reichen die Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht aus. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde zunächst festzustellen haben, welche Bedürfnisse des Beschwerdeführers im Rahmen des Lebensunterhaltes gemäß § 12 WSHG durch Sachleistungen nach dem WGVG gedeckt werden. Die für die nicht durch Sachleistungen gedeckten Bedürfnisse zu errechnende Sozialhilfe ist um das dem Beschwerdeführer für die Bestreitung des Unterhalts zur Verfügung stehende Einkommen - auch allfällige Geldleistungen im Rahmen der Grundversorgung - zu kürzen.
Auf Grund der aufgezeigten Mangelhaftigkeit war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am

Fundstelle(n):
MAAAE-76534