VwGH vom 27.11.2018, Ra 2018/02/0162
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Mag. Dr. Köller und Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, LL.M., über die Revision der B in M, Deutschland, vertreten durch die Freshfields Bruckhaus Deringer LLP in 1010 Wien, Seilergasse 16, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W230 2130969- 1/6E, betreffend Einstellung eines Beschwerdeverfahrens betreffend "Vorstellungsbescheid I" in einer Angelegenheit nach dem BaSAG (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Finanzmarktaufsichtsbehörde; weitere Partei: Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Vorstellungsbescheid vom ("Vorstellungsbescheid I") ordnete die Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) in Bestätigung des Mandatsbescheides vom u. a. folgende Maßnahmen an:
"I.
Die Fälligkeiten sämtlicher von der H. ausgegebenen Schuldtitel und sämtlicher anderer Verbindlichkeiten und die Zeitpunkte, zu denen die darauf entfallenden Zinsen zu zahlen sind, werden, sofern die Fälligkeit der Schuldtitel oder Verbindlichkeiten oder der darauf entfallenden Zinsen andernfalls früher eintreten würde und diese Schuldtitel, Verbindlichkeiten und Zinsen nicht bereits getilgt wurden, gemäß § 58 Abs. 1 Z 10 BaSAG mit Wirkung zum dahingehend geändert, dass sie bis zum Ablauf des aufgeschoben werden, sofern es sich nicht um Verbindlichkeiten handelt, die gemäß § 86 Abs. 2 BaSAG nicht berücksichtigungsfähig sind:
gesicherte Einlagen;
besicherte Verbindlichkeiten;
(...)
II.
Diese Änderung der Fälligkeiten und der Zeitpunkte, zu denen die darauf entfallenden Zinsen zu zahlen sind, betrifft insbesondere die nachstehend angeführten Schuldtitel und Verbindlichkeiten, sowie die auf diese entfallenden Zinsen, sofern die Fälligkeit der Schuldtitel oder Verbindlichkeiten oder der darauf entfallenden Zinsen andernfalls früher eintreten würde:
(...)".
2 Mit Vorstellungsbescheid vom ("Vorstellungsbescheid II") ordnete die FMA in Bestätigung des Mandatsbescheides vom folgende Maßnahmen an: Die Posten des harten Kernkapitals iSd § 2 Z 68 BaSAG der H. (Spruchpunkt I.1.), der Nennwert der Instrumente des Ergänzungskapitals iSd § 2 Z 73 BaSAG der H. jeweils einschließlich der bis zum aufgelaufenen Zinsen (Spruchpunkt I.2.) und der Nennwert der von Spruchpunkt I.2. nicht erfassten nachrangigen Verbindlichkeiten der H. jeweils einschließlich der bis zum aufgelaufenen Zinsen (Spruchpunkt II./1.) werden bezüglich bestimmter Posten bzw. Positionen bzw. Verbindlichkeiten auf null (herab-)gesetzt. Der Nennwert oder der ausstehende Restbetrag der restlichen gemäß § 86 BaSAG berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten der H. jeweils einschließlich der bis zum aufgelaufenen Zinsen wird auf einen Betrag iHv 64,40 von Hundert des jeweiligen zum bestehenden Nennwertes oder des ausstehenden Restbetrages samt der bis zum aufgelaufenen Zinsen bezüglich näher bezeichneter Verbindlichkeiten herabgesetzt (Spruchpunkt II./2.). Hinsichtlich der sonstigen berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten der H., deren Sachverhalt zum bereits begründet war, deren Eintritt oder Höhe jedoch ungewiss ist, wird der Nennwert oder der ausstehende Restbetrag der berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten jeweils einschließlich der bis zum aufgelaufenen Zinsen auf einen Betrag iHv 64,40 von Hundert des zu Recht bestehenden Betrages herabgesetzt (Spruchpunkte II./3./3.1. bis II./3./3.8.). Der Zinssatz auf berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten der H. iSd § 2 Z 71 BaSAG und relevante Kapitalinstrumente der H. iSd § 2 Z 74 BaSAG wird mit Wirkung ab auf null gesetzt (Spruchpunkt III./1.). Die Fälligkeit der von der H. ausgegebenen Schuldtitel und der anderen berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten oder ausstehenden Restbeträge, die bereits zum bestanden, jeweils einschließlich der bis zum aufgelaufenen Zinsen wird dahingehend geändert, dass sie mit dem Auflösungsbeschluss nach § 84 Abs. 9 BaSAG, jedoch spätestens am , eintritt. Dies umfasst alle berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten iSd § 2 Z 71 BaSAG oder ausstehenden Restbeträge der H., insbesondere jene, die entweder vom Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom zu Geschäftszahl G 239/2014 u.a., V 14/2015 u.a., erfasst sind oder deren Fälligkeit ansonsten seit dem bereits eingetreten wäre oder in Zukunft eintreten würde (Spruchpunkt III./2.). Die mit den bestehenden Anteilen und anderen Eigentumstiteln der H. iSd § 2 Z 61 BaSAG verbundenen Rechte und Pflichten - wie insbesondere das Recht auf Gewinnbeteiligung (§§ 53 ff AktG), das Bezugsrecht (§§ 153 ff AktG) sowie das Recht auf Beteiligung am Liquidationserlös (§ 212 AktG) - werden mit Ausnahme der in Spruchpunkt V. genannten Rechte gelöscht (Spruchpunkt IV.). Die FMA übernimmt die Kontrolle über die H. und übt sämtliche mit den Anteilen und anderen Eigentumstiteln verbundenen Verwaltungsrechte - wie insbesondere das Recht zur Teilnahme an der Hauptversammlung (§§ 102 ff AktG), das Stimmrecht (§ 12 AktG) sowie das Auskunfts- und Antragsrecht (§§ 118 und 119 AktG) - aus (Spruchpunkt V.). Sonstige Anträge in den von den Parteien erhobenen Vorstellungen werden abgewiesen (Spruchpunkt VI.). Sonstige Anträge der Parteien in den Stellungnahmen zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens werden abgewiesen (Spruchpunkt VII.).
3 Mit dem angefochtenen Beschluss vom stellte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) das Verfahren über die von der Revisionswerberin gegen den "Vorstellungsbescheid I" erhobene Beschwerde ein und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 In der Begründung führte es zusammengefasst aus, der "Vorstellungsbescheid II" gehe im Hinblick auf die betroffenen Titel und die verhängten Fristen weiter als der hier bekämpfte "Vorstellungsbescheid I". Insbesondere werde auch der gesamte Zeitraum des "Moratoriums" vom materiell weitergehenden "Vorstellungsbescheid II" mit umfasst. Es handle sich bei den Ansprüchen, deren Fälligkeit mit dem "Vorstellungsbescheid I" aufgeschoben worden sei, um die gleichen Ansprüche (samt deren Zinsen), deren Fälligkeit auch im "Vorstellungsbescheid II" aufgeschoben bzw. deren Wert darin überhaupt beschnitten bzw. auf null (herab-)gesetzt worden sei. Die Verbindlichkeiten der H. wären daher selbst bei Aufhebung des "Vorstellungsbescheides I" noch nicht fällig, weil der Fälligkeit der Aufschub des "Vorstellungsbescheides II" oder überhaupt der darin verhängte Schuldenschnitt entgegenstehe. Die aufgeworfenen Rechtsfragen seien somit für das gegenständliche Verfahren nur mehr rein theoretischer Natur. Auch bei Aufhebung des "Vorstellungsbescheides I" - das "Moratorium" dieses Bescheides entfalte aufgrund des Zeitablaufs keine Wirkung mehr - würde sich die Rechtsposition daher nicht ändern. Die Revisionswerberin sei damit klaglos gestellt worden. Das Beschwerdeverfahren sei daher einzustellen.
5 Bei Erlassung des angefochtenen Beschlusses des BVwG vom war die von der Revisionswerberin (auch) gegen den "Vorstellungsbescheid II" erhobene Beschwerde beim BVwG anhängig.
6 Gegen den angefochtenen Beschluss des BVwG vom erhob die Revisionswerberin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , E 1567/2018-12, ablehnte.
7 Gegen den Beschluss des BVwG vom richtet sich die vorliegende Revision, mit dem Antrag diesen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
8 Die FMA erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung der Revision bzw. die Einstellung des Revisionsverfahrens oder die Abweisung der Revision unter Zuerkennung von Aufwandersatz begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a VwGG nicht gebunden.
12 In der Revision der Revisionswerberin wird zu deren Zulässigkeit u.a. geltend gemacht, der angefochtene Beschluss weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Einstellung eines Beschwerdeverfahrens durch das Verwaltungsgericht wegen materieller Klaglosstellung ab.
13 Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.
14 Die hier maßgebliche Bestimmung des Sanierungs- und Abwicklungsgesetzes (BaSAG) lautet:
"3. Hauptstück
Abwicklungsbefugnisse
Allgemeine Befugnisse
§ 58. (1) Die Abwicklungsbehörde hat folgende Befugnisse, die sie nach Maßgabe der Bestimmungen des 5. Hauptstücks im Rahmen oder zur Vorbereitung der Anwendung eines Abwicklungsinstruments einzeln oder in Kombination auf Institute und auf Unternehmen gemäß § 1 Abs. 1 Z 2 bis 4 anwenden kann:
(...)
10. die Befugnis, die Fälligkeit der von einem in Abwicklung befindlichen Institut ausgegebenen Schuldtitel und anderen berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten oder den aufgrund der entsprechenden Schuldtitel und anderen berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten zahlbaren Zinsbetrag oder den Zeitpunkt, zu dem die Zinsen zu zahlen sind, zu ändern, und zwar auch durch eine zeitlich befristete Aussetzung der Zahlungen, außer im Fall von besicherten Verbindlichkeiten gemäß § 86 Abs. 2;
(...)"
15 Im vorliegenden Fall verneint das BVwG das Rechtsschutzinteresse der nunmehrigen Revisionswerberin mit zwei Argumenten: Erstens gehe der "Vorstellungsbescheid II" weiter als der "Vorstellungsbescheid I". Die Verbindlichkeiten der H. wären aufgrund des "Vorstellungsbescheides II" daher selbst bei Aufhebung des "Vorstellungsbescheides I" noch nicht fällig. Zweitens entfalte das "Moratorium" des "Vorstellungsbescheides I" aufgrund des Zeitablaufs keine Wirkung mehr. Die Rechtsposition der Revisionswerberin würde sich daher auch bei der Aufhebung dieses Bescheides nicht mehr ändern.
16 Prozessvoraussetzung für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ist das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses. Dieses besteht im objektiven Interesse des Beschwerdeführers an einer Beseitigung des angefochtenen, ihn beschwerenden Verwaltungsaktes. Es wird daher immer dann zu verneinen sein, wenn es für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers keinen Unterschied mehr macht, ob der angefochtene Bescheid aufrecht bleibt oder aufgehoben wird bzw. wenn die Erreichung des Verfahrenszieles für den Beschwerdeführer keinen objektiven Nutzen hat, die in der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen soweit nur (mehr) theoretische Bedeutung besitzen (vgl. , mwN).
17 Der FMA kommt nach § 58 Abs. 1 Z 10 BaSAG die Befugnis zu, die Fälligkeit der erfassten Schuldtitel und den damit verbundenen Zinsenlauf zu ändern. Die Änderung der Fälligkeit gehört daher zum Hauptinhalt des Spruchs und stellt nicht etwa eine Befristung im Sinne einer Nebenbestimmung dar, mit der die im Hauptinhalt des Bescheides normierten Rechtswirkungen zeitlich begrenzt werden sollen (vgl. ). Der Fall, dass ein befristet erteiltes Recht erlischt, wodurch Klaglosstellung eintritt (vgl. erneut ), liegt daher nicht vor.
18 Bei Erlassung des angefochtenen Beschlusses vom war die Beschwerde der Revisionswerberin gegen den "Vorstellungsbescheid II" beim BVwG anhängig. Der "Vorstellungsbescheid II" war zu diesem Zeitpunkt nicht rechtskräftig. Insofern vermag der "Vorstellungsbescheid II" eine Rechtsverletzung durch den "Vorstellungsbescheid I" aber nicht auszuschließen: Folgt man der Argumentation des BVwG, hätte eine Behebung des "Vorstellungsbescheides II" aufgrund der beim BVwG anhängigen Beschwerde zur Folge, dass der "Vorstellungsbescheid I" wieder wirksam wird. Schon mangels Rechtskraft des "Vorstellungsbescheides II" wurde dem "Vorstellungsbescheid I" somit nicht derogiert und ist der "Vorstellungsbescheid I" weiterhin geeignet, in die Rechtssphäre der Revisionswerberin einzugreifen (vgl. ; , Ra 2017/09/0022).
19 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
20 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018020162.L00 |
Schlagworte: | Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen Inhalt des Spruches Diverses Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 |
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