VwGH vom 27.11.2012, 2010/10/0133
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde des G Z in M, vertreten durch Dr. Reinhard Armster, Rechtsanwalt in 2344 Maria Enzersdorf, Franz Josef-Straße 42/Hauptstraße 35, gegen den Bescheid der Niederösterreichische Landesregierung vom , Zl. GS5-SH-20751/003-2009, betreffend Nachsicht von der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die Niederösterreichische Landesregierung dem Antrag des Beschwerdeführers vom auf Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft als Voraussetzung für die Gewährung von Sozialhilfe gemäß "§ 4 Abs. 1, 2, 4 und Abs. 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 1 Z. 2 NÖ Sozialhilfegesetz 2000 (NÖ SHG), LGBl. 9200, in der geltenden Fassung", keine Folge. Begründend führte die belangte Behörde - nach Darstellung der Rechtslage - aus, der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsbürger, befinde sich seit unrechtmäßig in Österreich, nachdem sein Asylverfahren am rechtskräftig negativ abgeschlossen worden sei. Mit (im Instanzenzug ergangenem) Bescheid der Sicherheitsdirektion Niederösterreich vom sei der Beschwerdeführer aus Österreich ausgewiesen worden. Der gegen diesen Ausweisungsbescheid eingebrachten Beschwerde habe der Verwaltungsgerichtshof am die aufschiebende Wirkung zuerkannt, wodurch jedoch lediglich die Durchsetzung der Ausweisung des Beschwerdeführers nach Serbien verhindert werde bzw. dessen Abschiebung nach Serbien nicht vollzogen werden könne. Am unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers habe sich durch diese Entscheidung jedoch nichts geändert.
Voraussetzung für die Erteilung der Nachsicht von der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 4 Abs. 4 NÖ SHG sei ein rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) in Österreich.
Das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien über soziale Sicherheit (BGBl. III Nr. 100/2002) finde keine Anwendung, weil dieses Abkommen einen rechtmäßigen Aufenthalt der Personen im jeweils anderen Vertragsstaat voraussetze und es sich gemäß seinem
Artikel 2 hinsichtlich seines Geltungsbereichs auf Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherungsleistungen sowie Arbeitslosengeld beziehe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, diesen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und den Aufwandersatz zuzuerkennen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des NÖ SHG, LGBl. Nr. 9200- 7, haben folgenden Wortlaut:
"§ 1
Aufgabe
Die Sozialhilfe hat jenen Menschen die Führung eines
menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen, die dazu der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen.
...
§ 4
Anspruch
(1) Voraussetzung für eine Sozialhilfeleistung ist, dass der hilfebedürftige Mensch
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1. | die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und |
2. | seinen Hauptwohnsitz in Niederösterreich oder mangels eines solchen seinen Aufenthalt in Niederösterreich hat. |
(2) Den österreichischen Staatsbürgern sind gleichgestellt:
1. Fremde, insoweit sich eine Gleichstellung aus Staatsverträgen ergibt, oder
2. Fremde, wenn mit ihrem Heimatstaat aufgrund tatsächlicher Übung Gegenseitigkeit besteht, insoweit sie dadurch nicht besser gestellt sind als Staatsangehörige in dem betreffenden Staat, oder
…
5. Fremde, die über einen Aufenthaltstitel mit Niederlassungsrecht gemäß §§ 45, 48, 49, 50 oder 81 Abs. 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 99/2006, verfügen.
…
(4) Die Voraussetzung des Abs. 1 Z. 1 kann nachgesehen werden, wenn das auf Grund der persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Fremden zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten ist und der Fremde sich rechtmäßig in Österreich aufhält.
...
§ 66
Sachliche Zuständigkeit
(1) Die Landesregierung ist zuständig:
…
2. für die Entscheidung über die Nachsicht nach § 4,
…
(2) Bei allen anderen Maßnahmen nach diesem Gesetz obliegt die Entscheidung in 1. Instanz der Bezirksverwaltungsbehörde, in 2. Instanz der Landesregierung.
…"
Artikel 2 und 3 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien über soziale Sicherheit, BGBl. III Nr. 100/2002 (in der Folge: "Abkommen"), lauten:
"Artikel 2
Sachlicher Geltungsbereich
(1) Dieses Abkommen bezieht sich
1. auf die österreichischen Rechtsvorschriften über
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a) | die Krankenversicherung, |
b) | die Unfallversicherung, |
c) | die Pensionsversicherung mit Ausnahme der Sonderversicherung für das Notariat, |
d) | das Arbeitslosengeld; |
2. | auf die jugoslawischen Rechtsvorschriften über |
a) | die Krankenversicherung, den Gesundheitsschutz und die Mutterschaft, |
b) | die Pensions- und Invalidenversicherung, |
c) | das Arbeitslosengeld. |
(2) Dieses Abkommen bezieht sich auch auf alle Rechtsvorschriften, welche die in Absatz 1 bezeichneten Rechtsvorschriften zusammenfassen, ändern oder ergänzen.
Artikel 3
Persönlicher Geltungsbereich
Dieses Abkommen gilt
a) für Personen, für die die Rechtsvorschriften eines oder beider Vertragsstaaten gelten oder galten;
b) für andere Personen, soweit diese ihre Rechte von den im Buchstaben a bezeichneten Personen ableiten."
Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zu Grunde, dass der Beschwerdeführer über keinen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich verfüge und deshalb die Voraussetzungen für die Nachsichtserteilung gemäß § 4 Abs. 4 NÖ SHG nicht erfülle.
Die Beschwerde macht im Wesentlichen geltend, dass ein Verfahren des Beschwerdeführers zur Erteilung eines Aufenthaltstitels "noch immer anhängig" sei. Die Behörden hätten jahrelang über die beantragte Niederlassungsbewilligung nicht entschieden; schließlich sei eine negative Entscheidung ergangen (Hinweis auf das hg. Verfahren zu Zl. 2008/21/0338). Der gegen den Ausweisungsbescheid eingebrachten Beschwerde (Hinweis auf das hg. Verfahren zu Zl. 2008/21/0173) habe der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Zl. AW 2008/21/0097, die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Die belangte Behörde hätte die Frage der Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers als Vorfrage selbst prüfen müssen. Artikel 8 EMRK gelte ipso iure und nicht erst aufgrund eines Bescheides einer anderen Behörde. Es würde dem Zweck der Sozialhilfe, den jeweiligen Sozialhilfebedarf sofort zu decken, zuwiderlaufen, würde die Sozialhilfebehörde so lange zuwarten, bis eine andere dafür zuständige Behörde einen Aufenthaltstitel erteilen würde. Die besondere Härte (§ 4 Abs. 4 NÖ SHG) sei im Fall des Beschwerdeführers ebenso offensichtlich wie der rechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers seit fast 12 Jahren.
Der sachliche Anwendungsbereich des Art. 2 des Abkommens ziele auf die Gewährung sozialer Sicherheit ab, wozu auch Sozialhilfe gehöre.
Die Behörde habe weiters das Vorliegen einer Gleichstellung gemäß § 4 Abs. 2 Z. 2 NÖ SHG nicht geprüft. Die Gleichstellung aufgrund tatsächlicher Übung liege im Beschwerdefall vor. Die belangte Behörde habe insbesondere keine Stellungnahme des Außenministeriums eingeholt; "naheliegenderweise" hätten die zuständigen Behörden des Kosovo die Gegenseitigkeit bestätigt.
Mit diesem Vorbringen wird eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufgezeigt.
Gemäß § 4 Abs. 4 NÖ SHG kann die Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft nachgesehen werden, wenn die dort genannten Voraussetzungen (Vermeidung einer sozialen Härte, rechtmäßiger Aufenthalt des Fremden in Österreich) kumulativ vorliegen.
Zum Erfordernis des rechtmäßigen Aufenthalts führen die Gesetzesmaterialien (Motivenbericht Zl. GS5-A-2300/8-99) zum NÖ SHG aus:
"… Die Frage, wer sich rechtmäßig in Österreich aufhält, ist durch die Fremdengesetze geregelt.
Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes handelt es sich um eine Vorfrage (§ 38 AVG). Insbesondere wenn Zweifel über die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts bestehen, wird auf die Amtshilfe durch die zuständige Fremdenpolizeibehörde zurückzugreifen sein. So weit das Tätigwerden zu einer Entziehung der Aufenthaltsberechtigung führt, werden die Voraussetzungen eines rechtmäßigen Aufenthaltes wegfallen. …
Fremde ohne rechtmäßigen Aufenthalt sowie Fremde, die sich in Folge der Gleichstellung des Abschiebeschutzes mit einem Aufenthaltstitel rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten … haben keinen Rechtsanspruch auf Sozialhilfe, ebenso jene Fremde, die auf Grund eines Einreisetitels (Visum) oder als Tourist eingereist sind sowie unter Abschiebungsschutz stehende Ausländer ohne fremdenpolizeilichen Aufenthaltstitel. …"
Das Tatbestandsmerkmal des rechtmäßigen Aufenthalts im Sinne des § 4 Abs. 4 NÖ SHG begründet demnach das Erfordernis eines legalen, dh. auf der Grundlage eines gültigen Aufenthaltstitels bzw. sonstigen Aufenthaltsrechts beruhenden, Aufenthalts im Bundesgebiet.
Die Beschwerde behauptet nicht, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides über einen gültigen Aufenthaltstitel - nach dem NAG - verfügte (sondern bringt vielmehr vor, dass das Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels "noch immer anhängig" sei).
Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt ein auf Unionsrecht oder andere Bestimmungen gegründetes Aufenthaltsrecht zugekommen sei, liegen im Beschwerdefall ebenfalls nicht vor.
Durch den mehrjährigen faktischen Aufenthalt des Beschwerdeführers (im Anschluss an sein Asylverfahren) wurde - entgegen der Beschwerdeauffassung - ein rechtmäßiger Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nicht begründet (vgl. zum unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers nach dem negativen Abschluss seines Asylverfahrens im Oktober 2006 das - die Beschwerde gegen den erwähnten Ausweisungsbescheid vom abweisende - hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0173; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0338, mit dem die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die im Instanzenzug ergangene Zurückweisung seines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abgewiesen wurde; vgl. weiters bereits das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/09/0384, wonach der Beschwerdeführer infolge des Endens seiner vorläufigen Aufenthaltsberechtigung (nach § 19 Asylgesetz 1997) am über kein rechtmäßiges Aufenthaltsrecht gemäß § 4 Abs. 3 Z. 7 AuslBG verfügte).
Ebenso wenig vermochte die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der an den Verwaltungsgerichtshof gegen seine Ausweisung gerichteten Beschwerde (mit hg. Beschluss vom , Zl. AW 2008/21/0097) dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen; durch einen solchen Beschluss werden nämlich bloß die Wirkungen der Ausweisung vorläufig suspendiert (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/09/0096)
Die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe sich im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht rechtmäßig in Österreich aufgehalten, begegnet somit keinen Bedenken. Die Gewährung der Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft im Sinn des § 4 Abs. 4 NÖ SHG scheidet daher schon aus diesem Grund aus; auf das in der Beschwerde behauptete Vorliegen einer sozialen Härte kommt es nicht (mehr) an.
Soweit die Beschwerde einen Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfe unter Hinweis auf die Bestimmungen des Art. 2 des Abkommens nach Maßgabe des § 4 Abs. 2 Z. 1 NÖ SHG geltend macht, geht dieses Vorbringen (abgesehen davon, dass nach dem klaren Wortlaut des Art. 2 des Abkommens Regelungen über die Sozialhilfe nicht umfasst sind) insofern ins Leere, als diese Frage Gegenstand des gesonderten Verwaltungsverfahrens über den Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe ist; mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde (als hiefür gemäß § 66 Abs. 1 Z. 2 NÖ SHG zuständige Behörde) spruchgemäß lediglich über die Frage der Nachsichtsgewährung gemäß § 4 Abs. 4 leg. cit. abgesprochen (vgl. auch den "Hinweis" im angefochtenen Bescheid, wonach über den Antrag auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt von der Bezirkshauptmannschaft Mödling gesondert entschieden wird).
Gleiches gilt für die von der Beschwerde behauptete Gleichstellung des Beschwerdeführers nach § 4 Abs. 2 Z. 2 NÖ SHG.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sodass sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am