VwGH vom 20.09.2012, 2010/10/0129

VwGH vom 20.09.2012, 2010/10/0129

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde des N K, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. GS5-SH-22147/004-2010, betreffend Nachsicht von der österreichischen Staatsbürgerschaft iA. NÖ Pflegegeldgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die Niederösterreichische Landesregierung dem Antrag des Beschwerdeführers vom auf Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft als Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld gemäß § 3 Abs. 4

iVm. § 20 Abs. 1 Z. 2 NÖ Pflegegeldgesetz 1993, LGBl. Nr. 9220 (NÖ PGG), keine Folge.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der am geborene Beschwerdeführer sei georgischer Staatsbürger und Asylwerber. Er lebe mit seinen Eltern und seinen beiden älteren Geschwistern im gemeinsamen Haushalt in einer Mietwohnung. Die Familienangehörigen seien ebenfalls Asylwerber und bezögen eine Leistung aus der Grundversorgung.

Beim Beschwerdeführer sei im Juli 2009 eine akute lymphatische Leukämie diagnostiziert worden. Nach dem Gutachten der ärztlichen Sachverständigen Dr. W. vom bestehe ein Pflegebedarf von 156 Stunden (pro Monat). Dies entspreche der Pflegegeldstufe 3. Der Pflegebedarf resultiere unter anderem aus täglicher Körperpflege, Einnehmen von Mahlzeiten (Füttern) und Medikamenten, Verrichten der Notdurft, An- und Auskleiden, Reinigung infolge nächtlicher Harninkontinenz, Katheterpflege und Mobilitätshilfe im engeren und weiteren Sinn. Diese Tätigkeiten könnten im Familienverband, von den beiden Elternteilen, miterledigt werden. Die Tätigkeiten seien zwar mit einem Mehraufwand verbunden, der allerdings keine soziale Härte begründen würde. Unterstützung bei der Pflege und Betreuung durch fachlich qualifiziertes Pflegepersonal sei jedenfalls in keiner Weise notwendig. Es müssten keine Pflege- und Betreuungsleistungen zugekauft werden. Der Beschwerdeführer sei außerdem krankenversichert, weshalb von keinen zusätzlichen Kosten im Rahmen der Krankenhilfe auszugehen sei. Allfällige Fahrtkosten ins Krankenhaus würden laut schriftlicher Stellungnahme der Koordinationsstelle für Ausländerfragen beim Amt der NÖ Landesregierung vom im Rahmen der Grundversorgung übernommen, sofern der Transport nicht ohnedies kostenlos von der Ambulanz durchzuführen wäre.

Der im Zuge des Verwaltungsverfahrens abgegebenen Stellungnahme des Beschwerdeführers, wonach die Katheterpflege und die erforderliche Mobilitätshilfe nicht bzw. nur völlig ungenügend durch die Familie erbracht werden könnten, weil die Eltern mit der alleinigen 24-stündigen Betreuung überfordert wären, zumal sie noch Betreuungsleistungen für die zwei im Familienverband lebenden älteren Kinder erbringen müssten, hielt die belangte Behörde entgegen, dass die bei der Versorgung des (Zentralvenen)Katheters von medizinischem Fachpersonal durchzuführenden Tätigkeiten im Rahmen der wöchentlichen Termine (des Beschwerdeführers) im St. Anna Kinderspital erfolgten; darüber hinaus seien zur Katheterpflege keine Tätigkeiten nötig, die den Zukauf fremder Hilfe erforderten. Die Mobilitätshilfe im engeren Sinn - laut ärztlichem Gutachten: "viel tragen" - sei eine Maßnahme, die im Familienverband zu leisten sei und keine professionelle Hilfe erfordere. Hinsichtlich der Mobilitätshilfe im weiteren Sinn - Fahrten zur Therapie und Untersuchungen - sei aufgrund der Krankenversicherung des Beschwerdeführers von keinen zusätzlichen Kosten auszugehen. Der in der erwähnten Stellungnahme angeführte Bedarf einer 24-stündigen Betreuung sei laut ärztlichem Gutachten nicht bestätigt. Der für die beiden älteren, minderjährigen Geschwister des Beschwerdeführers zu leistende Betreuungsaufwand habe seinen Grund in deren altersbedingten Entwicklungsstadium und stelle keine Rechtfertigung für den Bezug von Pflegegeld für den Beschwerdeführer dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, diesen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des NÖ PGG haben folgenden

Wortlaut:

"§ 1

Zweck des Pflegegeldes

Das Pflegegeld hat den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Menschen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen.

...

§ 3

Personenkreis

(1) Voraussetzung für die Leistung eines Pflegegeldes ist, dass der Antragsteller

1. die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und

(3) Den österreichischen Staatsbürgern sind gleichgestellt:

1. Fremde, insoweit sich eine Gleichstellung aus Staatsverträgen ergibt, oder

2. Fremde, wenn mit ihrem Heimatstaat aufgrund tatsächlicher Übung Gegenseitigkeit besteht, insoweit sie dadurch nicht besser gestellt sind als Staatsangehörige in dem betreffenden Staat, oder


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3.
Fremde, denen gemäß § 3 AsylG 2005 Asyl gewährt wurde, oder
4.
Staatsangehörige einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum,
a)
die im Sinne des § 51 oder § 52 NAG Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit genießen, soweit es sich um Arbeitnehmer oder Selbstständige, und Personen, denen dieser Status erhalten bleibt oder um ihre Familienangehörigen handelt oder
b)
die im Sinne des § 51 NAG niederlassungsberechtigt sind und sich rechtmäßig länger als 3 Monate in Österreich aufgehalten haben, oder
5.
Fremde, die über einen Aufenthaltstitel mit Niederlassungsrecht gemäß §§ 45, 48, 49, 50 oder 81 Abs. 2 NAG verfügen.

(4) Die Voraussetzung des Abs. 1 Z. 1 kann nachgesehen werden, wenn das auf Grund der persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Fremden zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten ist und der Fremde sich rechtmäßig in Österreich aufhält.

..."

Die Beschwerde macht im Wesentlichen geltend, dass unter der Mobilitätshilfe nicht das "Getragen-Werden" des Beschwerdeführers zu verstehen sei, sondern die Mobilitätshilfe in ärztlich angeordneten regelmäßigen Bewegungen mit Gehübungen und die Gewinnung der Bereitschaft des Beschwerdeführers, an manchen Tagen überhaupt aus dem Bett zu steigen, bestehe. Zur Mobilitiätshilfe und zur Katheterpflege bedürfe es außerdem einer medizinischen Schulung, über die die Eltern des Beschwerdeführers nicht verfügten. Für den Beschwerdeführer bestehe eine "de facto notwendige 24-Stunden-Rund-Um-Betreuung", zumal der Beschwerdeführer in der Nacht selten durchschlafe und bis zum Wiedereinschlafen betreut werden müsse; zusammen mit den für die beiden älteren Kinder ebenfalls zu erbringenden Betreuungsleistungen seien die Eltern des Beschwerdeführers überfordert. Es wäre daher eine externe Hilfe für den medizinischtherapeutischen Pflegebereich notwendig, aber auch eine (nicht tägliche, aber regelmäßig mehrmals wöchentliche) Hilfe für ansonsten im Familienverband erledigte Betreuungsleistungen wie Essen verabreichen, Anziehen etc., weil ein pflegebedürftiges Kind im Falle eines Burn-out der Eltern nicht einfach für mehrere Tage im Krankenhaus abgegeben werden könne. Deshalb könne nur ein Zukauf externer Betreuungsleistungen - auch für die von der Familie vorgenommenen Betreuungsleistungen - durch Entlastung der Eltern die für den Beschwerdeführer erforderliche Pflege langfristig sicherstellen.

Mit diesem Vorbringen wird eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufgezeigt.

Voraussetzung für die Gewährung eines Pflegegeldes ist gemäß § 3 Abs. 1 Z. 1 NÖ PGG, dass der Anspruchswerber die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Der Beschwerdeführer ist weder österreichischer Staatsbürger, noch nach § 3 Abs. 3 NÖ PGG österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt.

Die Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft kann allerdings gemäß § 3 Abs. 4 NÖ PGG nachgesehen werden, wenn das auf Grund der persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Fremden zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten erscheint.

Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich auf Grund von Bestimmungen in den Pflegegeldgesetzen anderer Bundesländer, die dem § 3 Abs. 4 NÖ PGG vergleichbar sind, bereits wiederholt mit der Frage des Vorliegens einer sozialen Härte zu beschäftigen (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/10/0309. vom , Zl. 2007/10/0249, oder vom , Zl. 2010/10/0100). Die dort angestellten Erwägungen sind daher auch zur Entscheidung des vorliegenden Falles heranzuziehen. Unter Bedachtnahme auf den Zweck des Pflegegeldgesetzes (§ 1 NÖ PGG) ist demnach eine soziale Härte im Sinne des Gesetzes dann anzunehmen, wenn der durch das Fehlen der österreichischen Staatsbürgerschaft bedingte Mangel eines Pflegegeldanspruches dazu führen würde, dass der Pflegebedürftige mangels finanzieller Deckung des Pflegeaufwandes die erforderliche Pflege nicht oder nicht im entsprechenden Umfang erhalten könnte (vgl. zuletzt zum NÖ PGG das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/10/0056).

Diese Beurteilung ist anhand der persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse des (fremden) Anspruchswerbers vorzunehmen, wobei es entscheidend auf die Gesamtbeurteilung der erwähnten Verhältnisse ankommt (vgl. nochmals das zitierte hg. Erkenntnis vom und die dort zitierte Vorjudikatur).

Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid aufgrund des erwähnten ärztlichen Sachverständigengutachtens von einem Pflegebedarf im Ausmaß von 156 Stunden/Monat des - in Grundversorgung befindlichen, krankenversicherten - Beschwerdeführers ausgegangen, der im Familienverband (durch die Eltern) gedeckt werden kann. Dass zur ordnungsgemäßen häuslichen Pflege und Betreuung des Beschwerdeführers die Heranziehung Dritter, insbesondere fachlich qualifizierten Personals, erforderlich wäre, ergibt sich weder aus den Ergebnissen des durchgeführten Verwaltungsverfahrens noch aus den Behauptungen in der vorliegenden Beschwerde, zumal auch das näher ausgeführte Beschwerdevorbringen (Erfordernis regelmäßiger Bewegung mit Gehübungen, Betreuung im Falle des nächtlichen Aufwachens bis zum Wiedereinschlafen) nicht erkennen lässt, inwiefern diese Betreuungserfordernisse nicht im Familienverband geleistet werden könnten.

Die Behauptung, dass für den Beschwerdeführer eine 24- stündige Pflege erforderlich sei, findet in dem erwähnten ärztlichen Gutachten keine Bestätigung.

Der Umstand, dass die Eltern des Beschwerdeführers auch für die beiden (älteren) Geschwister des Beschwerdeführers Betreuungsleistungen - im Rahmen herkömmlicher elterlicher Obsorge - zu erbringen haben, vermag keine außergewöhnlichen, fallbezogen zu einer sozialen Härtesituation führenden, familiären Verhältnisse zu begründen.

Mit dem bloßen Hinweis auf die erforderliche medizinische Schulung der Eltern wird in Bezug auf den Beschwerdeführer eine maßgebliche soziale Härte ebenfalls nicht dargelegt.

Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde das Vorliegen eines Falles sozialer Härte im Sinn des § 3 Abs. 4 NÖ PGG daher zu Recht verneint, weil die notwendige Betreuung und Pflege von seinen Eltern geleistet werden kann.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sodass sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am