VwGH vom 13.05.2011, 2010/10/0122
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Lukasser und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde des Sozialhilfeverbandes Bruck an der Mur, vertreten durch Dr. Gerhard Folk und Dr. Gert Folk, Rechtsanwälte in 8605 Kapfenberg, Lindenplatz 4a, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. FA11A-41.4-3/2009-15, betreffend Kostentragung für Sozialhilfemaßnahmen (mitbeteiligte Partei: Sozialhilfeverband Mürzzuschlag in 8680 Mürzzuschlag, DDr. Schachner Platz 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom hat die Steiermärkische Landesregierung den Antrag des beschwerdeführenden Sozialhilfeverbandes Bruck an der Mur vom auf Feststellung der Verpflichtung des mitbeteiligten Sozialhilfeverbandes Mürzzuschlag zur endgültigen Kostentragung für die Fremdunterbringung der minderjährigen C und S C gemäß § 23 Abs. 8 des Steiermärkischen Sozialhilfegesetzes, LGBl. Nr. 29/1998 (StSHG), abgewiesen.
Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, dass die Obsorge für die minderjährigen C und S C mit Beschluss des Bezirksgerichtes Mürzzuschlag vom vorläufig zur Gänze "dem zuständigen Wohlfahrtsträger, derzeit vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag," übertragen worden sei. (Aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass die Ehe der Kindeseltern im Juni 2005 geschieden wurde und die Obsorge für die beiden Minderjährigen schon seit Dezember 2004 der Mutter allein zukam.)
Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Mürzzuschlag vom sei eine endgültige Obsorgeentscheidung zugunsten des "Landes Steiermark als Jugendwohlfahrtsträger, derzeit vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Bruck/Mur," getroffen worden.
Am sei ein sofortiges Einschreiten der Jugendwohlfahrtsbehörde und in weiterer Folge die Krisenunterbringung der beiden Minderjährigen erforderlich geworden. In der Folge seien die Minderjährigen (am ) von den Eltern (nach der Aktenlage: von der Mutter) zu Besuchszwecken abgeholt und nicht wieder zurückgebracht worden. Seit hielten sich die Minderjährigen bei ihrem Vater in Kapfenberg, Bezirk Bruck an der Mur, auf und seien dort auch polizeilich gemeldet.
Die Mutter sei zwischen und im Bezirk Mürzzuschlag gemeldet gewesen. Zwischen und sei sie in Österreich nicht gemeldet gewesen. Am sei sie jedoch anlässlich eines Hausbesuches in der Wohnung des Vaters angetroffen worden. Seit sei sie an der Adresse des Vaters im Bezirk Bruck an der Mur gemeldet. Polizeiliche Erhebungen hätten ergeben, dass sich die Mutter "nach Rückkehr von ihrem Auslandsaufenthalt" beim Vater in Kapfenberg aufgehalten habe.
Mit Schreiben des Beschwerdeführers vom sei die mitbeteiligte Partei um Anerkennung der endgültigen Kostenträgerschaft für die erbrachten Jugendwohlfahrtsleistungen ersucht und damit der Anzeigeverpflichtung gemäß § 23 Abs. 5 StSHG entsprochen worden.
Gemäß § 47 des Steiermärkischen Jugendwohlfahrtsgesetzes 1991, LGBl. Nr. 93/1990 (StJWG), richte sich die Verpflichtung zur endgültigen Kostentragung nach den Bestimmungen des StSHG. Dieses Gesetz sehe für eheliche Minderjährige in seinem § 25 eine Sonderregelung vor. Da keinem Elternteil die Obsorge zukomme und eine Obsorgeentscheidung zugunsten des Jugendwohlfahrtsträgers vorliege, sei vorliegend gemäß § 25 Abs. 2 lit. c StSHG jener Sozialhilfeverband endgültiger Kostenträger, der dies auch für die Mutter wäre.
Bei Leistungen nach dem StJWG komme es für die Berechnung der Fristen gemäß § 25 Abs. 4 StSHG auf den Zeitpunkt an, ab dem Kosten für den Sozialhilfeträger entstanden seien, vorliegend sei dies der . Die Kostentragung obliege gemäß § 23 Abs. 2 StSHG jenem Sozialhilfeverband, in dessen örtlichem Wirkungsbereich der Hilfsbedürftige - im konkreten Fall die beiden Minderjährigen - in den letzten 180 Tagen vor dem relevanten Zeitpunkt an mindestens 91 Tagen seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Die beiden Minderjährigen hätten in der Zeit von bis , somit an 119 Tagen innerhalb des relevanten Zeitraumes, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Kapfenberg und somit im Sprengel des Beschwerdeführers gehabt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, der Sache nach inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die hier maßgeblichen Normen haben (auszugsweise) folgenden
Wortlaut:
Steiermärkisches Sozialhilfegesetz, LGBl. Nr. 29/1998, idF
LGBl. Nr. 82/2009 (StSHG):
"§ 23 Vorläufige und endgültige Kostentragung
(1) a) Zur vorläufigen Tragung der Kosten ist
jener Sozialhilfeverband (Stadt Graz) verpflichtet, in dessen örtlichem Wirkungsbereich sich der Hilfsbedürftige aufhält (Aufenthaltsverband).
…
(2) Die endgültige Tragung der Kosten obliegt jenem Sozialhilfeverband (Stadt Graz), in dessen örtlichem Wirkungsbereich der Hilfsbedürftige vor Antragstellung oder Einleitung des Verfahrens von Amts wegen in den letzten 180 Tagen an mindestens 91 Tagen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
(3) Bei der Berechnung der Fristen nach Abs. 2 bleiben außer Betracht:
…
c) der Aufenthalt im Ausland bis zur Dauer von
zehn Jahren.
…
(4) Falls eine endgültige Verpflichtung nach Abs. 2 nicht festgestellt werden kann, trifft den nach Abs. 1 zuständigen Sozialhilfeverband (Stadt Graz) auch die Pflicht, die Kosten der Hilfe endgültig zu tragen.
…
(5) Der zur vorläufigen Kostentragung verpflichtete Sozialhilfeverband (Stadt Graz) hat dem vermutlich endgültig verpflichteten Sozialhilfeverband (Stadt Graz) die Hilfeleistung unverzüglich, längstens aber innerhalb von sechs Monaten ab Beginn der Hilfeleistung, anzuzeigen und gleichzeitig alle für die Beurteilung der endgültigen Kostentragungspflicht maßgebenden Umstände mitzuteilen. Desgleichen ist jede Änderung dieser Umstände längstens innerhalb von sechs Monaten mitzuteilen. Im Falle von Rückersatzansprüchen gemäß § 31 beginnt die Frist erst mit dem Einlangen des Antrages durch den Dritten zu laufen.
…
§ 25 Kostentragung in sonstigen Fällen
(1) Bei Minderjährigen ist zur endgültigen Kostentragung jener Sozialhilfeverband (Stadt Graz) verpflichtet, der für die Eltern des ehelichen Minderjährigen, die Mutter des unehelichen Minderjährigen oder den festgestellten Vater des unehelichen Kindes, dem die Obsorge ganz oder teilweise übertragen wurde, zur endgültigen Kostentragung zuständig wäre bzw. vor deren Tod zuständig gewesen wäre.
(2) Sind für die Eltern des ehelichen Minderjährigen
verschiedene Sozialhilfeverbände (Stadt Graz) zuständig, so ist
der Sozialhilfeverband (Stadt Graz) endgültiger Kostenträger, der
dies auch für
a) den zur Pflege und Erziehung gesetzlich
verpflichteten Elternteil wäre;
b) den Elternteil wäre, der den Minderjährigen
zuletzt tatsächlich betreut hat bzw. hiezu jemanden beauftragt
hat, wenn eine Entscheidung über die Zuteilung der elterlichen
Rechte und Pflichten nicht vorliegt;
c) die Mutter wäre, wenn weder a) noch b)
zutrifft.
…
(4) Bei Leistungen nach dem Steiermärkischen Jugendwohlfahrtsgesetz werden die im § 23 Abs. 2 festgelegten Fristen von jenem Zeitpunkt an berechnet, ab dem Kosten für den Sozialhilfeträger entstehen."
Steiermärkisches Jugendwohlfahrtsgesetz, LGBl. Nr. 93/1990, idF LGBl. Nr. 5/2010 (StJWG):
"§ 5 Sachliche Zuständigkeit (Träger und Besorgung)
(1) Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt ist das Land.
…
§ 47 Kostentragung nach Aufenthalt und Herkunft Hinsichtlich der Kostentragung der Sozialhilfeverbände und Städte mit eigenem Statut untereinander und der Rückersätze gegenüber anderen Bundesländern gelten die Bestimmungen des Steiermärkischen Sozialhilfegesetzes in der jeweils geltenden Fassung sowie die mit den anderen Bundesländern geschlossenen Vereinbarungen."
Nach der - gemäß § 47 StJWG auch für Leistungen nach diesem Gesetz maßgeblichen - Bestimmung des § 23 Abs. 2 StSHG ist grundsätzlich jener Sozialhilfeverband zur endgültigen Kostentragung verpflichtet, in dessen örtlichem Wirkungsbereich der Hilfsbedürftige vor Antragstellung oder Einleitung des Verfahrens von Amts wegen in den letzten 180 Tagen an mindestens 91 Tagen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Davon statuiert § 25 StSHG für minderjährige Hilfeempfänger insofern eine Ausnahme, als es darauf ankommt, welcher Sozialhilfeverband bei Hilfeleistung an die Eltern (einen Elternteil) zur endgültigen Kostentragung verpflichtet wäre, wobei es bei Leistungen nach dem StJWG auf den gewöhnlichen Aufenthalt vor dem Zeitpunkt, ab dem die Kosten entstehen, ankommt.
Somit ist bei einer Leistung für Minderjährige nicht deren gewöhnlicher Aufenthalt, sondern jener der in § 25 genannten Eltern maßgeblich. Die belangte Behörde hat daher insofern die Rechtslage verkannt, als sie die Abweisung des Antrages darauf stützte, dass sich die Minderjährigen in den letzten 180 Tagen vor Entstehung der Kosten an 119 Tagen im Bereich des beschwerdeführenden Sozialhilfeverbandes aufgehalten haben.
Die belangte Behörde hat jedoch an anderer Stelle der Begründung ihres Bescheides auch die Meinung vertreten, dass im gegenständlichen Fall gemäß § 25 Abs. 2 lit. c StSHG jener Sozialhilfeverband zur endgültigen Kostentragung verpflichtet sei, der dies auch bei einer Leistungsgewährung an die Mutter wäre. Gegen diese Ansicht führt der Beschwerdeführer ins Treffen, dass § 25 StSHG nicht wörtlich auszulegen sei. Aus Abs. 1, der ausdrücklich auch auf die Obsorge abstelle, ergebe sich, dass es nach dem Zweck des Gesetzes nicht auf den Aufenthalt der Eltern, sondern auf jenen des Obsorgeberechtigten ankomme. Im fraglichen Zeitraum sei die Obsorge für die Minderjährigen jedoch der Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag zugekommen. Eine andere Auslegung würde zu dem Ergebnis führen, dass selbst bei Adoptivkindern der gewöhnliche Aufenthalt der leiblichen Eltern, zu denen keine Beziehung bestehe, maßgeblich wäre.
Nach dem klaren Wortlaut des § 25 Abs. 1 StSHG ist bei Leistungen an Minderjährige zur endgültigen Kostentragung jener Sozialhilfeverband verpflichtet, der für die dort genannten Eltern (Elternteile) zur Kostentragung zuständig wäre. Auf andere (natürliche oder juristische) Personen als die Eltern stellt das Gesetz nicht ab. Solches kann auch nicht aus dem Umstand geschlossen werden, dass das Gesetz auf den unehelichen Vater - dem die Obsorge gemäß § 166 ABGB nicht ex lege zukommt - nur unter der Voraussetzung Bezug nimmt, dass ihm die Obsorge ganz oder teilweise übertragen wurde. Es kann dem Gesetzgeber des StSHG, das in § 25 Abs. 4 ausdrücklich auf Leistungen nach dem StJWG Bezug nimmt, nicht unterstellt werden, dass er den - gerade bei Notwendigkeit des Einschreitens von Organen der Jugendwohlfahrt nicht so seltenen - Fall der Übertragung der Obsorge auf den Jugendwohlfahrtsträger in § 25 Abs. 1 nicht bedacht hat. Das Gesetz stellt auch in diesem Fall auf den Aufenthalt der Eltern ab, wobei im Übrigen auch Adoptiveltern umfasst sind, denen gemäß § 182 Abs. 1 ABGB die gleiche Rechtsstellung wie ehelichen Eltern zukommt. Ein Abstellen auf die - hier unstrittig vorliegende - Obsorgeberechtigung des Jugendwohlfahrtsträger würde überdies zu keinem eindeutigen Ergebnis führen, ist der Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 5 StJWG doch in jedem Fall das Land Steiermark.
Bei ehelichen Eltern mit gewöhnlichem Aufenthalt im Bereich verschiedener Sozialhilfeverbände kommt es gemäß § 25 Abs. 2 StSHG zunächst darauf an, welcher Elternteil zur Pflege und Erziehung verpflichtet ist (lit. a); wenn keine Entscheidung über die elterlichen Rechte und Pflichten (Obsorge) vorliegt, ist der gewöhnliche Aufenthalt jenes Elternteiles maßgeblich, der das Kind zuletzt tatsächlich betreut hat (lit. b). Vorliegend kommt § 25 Abs. 2 lit. a nicht zum Tragen, weil keinem Elternteil Pflege und Erziehung zukommt, die lit. b dieser Bestimmung kann nicht herangezogen werden, weil die Obsorge zunächst der Mutter allein und in der Folge dem Jugendwohlfahrtsträger übertragen und somit jedenfalls eine Entscheidung über die Zuteilung der elterlichen Rechte getroffen worden ist. Somit liegt ein Fall von § 25 Abs. 2 lit. c StSHG vor, in dem sich die endgültige Kostentragung nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter richtet.
Zur endgültigen Kostentragung wäre der beschwerdeführende Sozialhilfeverband gemäß § 25 Abs. 2 lit. c und Abs. 4 iVm § 23 Abs. 2 StSHG verpflichtet, wenn die Mutter in den letzten 180 Tagen vor der Entstehung der Kosten () an mindestens 91 Tagen ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich dieses Sozialhilfeverbandes gehabt hätte. Dazu enthält der angefochtene Bescheid jedoch keine ausreichenden Feststellungen. Die belangte Behörde hat festgestellt, dass die Mutter bis im Bezirk Mürzzuschlag, danach bis in Österreich gar nicht und ab diesem Datum im Bezirk Bruck an der Mur (beim Vater der Minderjährigen) gemeldet gewesen sei. Tatsächlich habe sie sich aber schon beim Hausbesuch vom und - wie Erhebungen ergeben hätten - bereits "nach Rückkunft von ihrem Auslandsaufenthalt" im Bezirk Bruck an der Mur aufgehalten. Feststellungen, wie lange der - gemäß § 23 Abs. 3 lit. c StSHG außer Betracht zu bleibende - Auslandsaufenthalt gedauert hat, fehlen jedoch. Solche Feststellungen wären aber erforderlich gewesen, um beurteilen zu können, ob die Mutter während der letzten 180 Tage vor dem ihren gewöhnlichen Aufenthalt zumindest 91 Tage im Sprengel des beschwerdeführenden Sozialhilfeverbandes hatte.
Aus den dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen der - prävalierenden - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am