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VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0503

VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0503

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
AVG §13 Abs3
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §9 Abs1
RS 1
§ 13 Abs. 3 AVG dient dem Schutz der Parteien vor Rechtsnachteilen, die ihnen aus Anbringen entstehen können, die aus Unkenntnis der Rechtslage oder infolge eines Versehens mangelhaft sind, soweit die Partei den Mangel nicht erkennbar bewusst herbeigeführt hat (vgl. , mwN). Mangelt es der Beschwerde an den in § 9 Abs. 1 VwGVG 2014 genannten Inhaltserfordernissen, sind diese Mängel gemäß der - nach § 17 VwGVG 2014 auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anzuwendenden - Bestimmung des § 13 Abs. 3 AVG daher grundsätzlich einer Verbesserung zuzuführen.
Normen
AVG §13 Abs3
AVG §13 Abs6
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §9 Abs1
RS 2
Die Verbesserungspflicht findet dort ihre Grenze, wo ein Anbringen so mangelhaft ist, dass man gar nicht zu erkennen vermag, worauf es gerichtet ist, und es daher - auch nach einem Versuch zur Klarstellung - nicht möglich ist zu erkennen, welche "Verbesserungen" vorgenommen werden sollen. Dies ist bei Anbringen der Fall, die sich auf keine bestimmte Angelegenheit beziehen und die deshalb gemäß § 13 Abs. 6 AVG "nicht in Behandlung genommen werden müssen". § 13 Abs. 6 AVG ist allerdings nur auf Extremfälle gemünzt, in denen einem Anbringen tatsächlich überhaupt keine "Angelegenheit" zu entnehmen ist, auf die es sich bezieht (, mwN). Eine derartige Konstellation liegt im Revisionsfall nicht vor, weil das in Rede stehende, die Beilagen zum eigentlichen - nicht eingelangten - Beschwerdeschriftsatz enthaltende E-Mail in seinem Betreff ausdrücklich den Hinweis "Beschwerde" sowie die Namen und die IFA-Zahl des Revisionswerbers enthielt. Die Eingabe wies somit ein Mindestmaß an Konkretisierung auf und war insofern jedenfalls rechtlich (als Beschwerde) einordenbar (vgl. auch dazu VwGH 2001/01/0229).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des M O in S, vertreten durch DDr. Rainer Lukits, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , W131 2194848-1/6E und W131 2194848-3/3E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Beschluss wird im Umfang seines Spruchpunktes A II. (betreffend Zurückweisung der Beschwerde als verspätet) wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen (hinsichtlich Spruchpunkt A I., betreffend Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) wird die Revision zurückgewiesen.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom vollinhaltlich abwies. Zudem wurde dem Revisionswerber kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen

Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt. Dieser Bescheid wurde dem Revisionswerber am durch Hinterlegung zugestellt. 2 Zum weiteren "Verfahrensgang" wird in der Begründung des angefochtenen Beschlusses festgestellt:

"... Gegen diesen Bescheid wurde vom bevollmächtigten Vertreter des Bf ein Beschwerdeschriftsatz, der auf drei Beilagen verweist, verfasst und in weiterer Folge in Form von zwei E-Mails (ein E-Mail mit dem Beschwerdeschriftsatz und ein weiteres mit den Beilagen) am an die belangte Behörde gesendet bzw. zu senden versucht. Aufgrund von technischen Schwierigkeiten kam es zu einer Fehlermeldung, wonach die Übermittlung einer Nachricht nicht erfolgen habe könne(n), da die Größe der Nachricht die Datenbeschränkung des Servers der belangten Behörde überschritten habe. Der bevollmächtigte Vertreter ging davon aus, dass sich diese Fehlermeldung auf die Übermittlung der Beilagen bezog (insbesondere auf Grund des hohen Umfanges des EASO-Berichtes) und übermittelte in weiterer Folge das E-Mail mit den Beilagen noch einmal an die belangte Behörde (wobei er hinsichtlich des umfangreichen EASO-Berichtes lediglich auf die entsprechende Internetseite verwies). Am darauffolgenden Tag erhielt der Vertreter zwei Empfangsbestätigungen der belangten Behörde in Bezug auf die gegenständliche Angelegenheit. Da der bevollmächtigte Vertreter - ohne weitere Nachforschungen - davon ausging, dass nunmehr nicht nur der Beschwerdeschriftsatz, sondern auch die zweite Version des E-Mails mit den Beilagen bei der belangten Behörde eingelangt sei, ließ er letztlich die Beschwerdefrist verstreichen.

(...) Am informierte die belangte Behörde den bevollmächtigten Vertreter darüber, dass bislang kein Beschwerdeschriftsatz, sondern lediglich zwei E-Mails mit Beilagen eingelangt seien. Vom bevollmächtigten Vertreter wurde daraufhin der Beschwerdeschriftsatz am gleichen Tag noch per Fax an die belangte Behörde übermittelt, die den Erhalt telefonisch bestätigte. ..."

3 Aus den vorgelegten Verfahrensakten ist ersichtlich, dass das erwähnte, beim BFA am eingelangte und lediglich die Beilagen (zum Beschwerdeschriftsatz) enthaltende E-Mail in seinem Betreff den Namen und die IFA-Zahl des Revisionswerbers sowie die Formulierung "Beschwerde" enthielt. In diesem E-Mail wurde unter anderem auch ausgeführt, dass "wie angekündigt die Beilagen des Beschwerdeschriftsatzes" übermittelt würden. 4 Mit Schriftsatz vom , beim BVwG am eingelangt, beantragte der Revisionswerber eine (Sach-)Entscheidung über die Beschwerde und stellte "hilfsweise" einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. In diesem Schriftsatz führte der Revisionswerber unter anderem aus, dass das innerhalb der Revisionsfrist am eingebrachte E-Mail ein verbesserungsfähiges Anbringen darstelle, welches vom Revisionswerber unverzüglich nach der Verständigung durch das BFA verbessert worden sei und somit als rechtzeitig eingebracht gelte. 5 Mit Verspätungsvorhalt vom wurde dem Revisionswerber mitgeteilt, dass sich die Beschwerde nach der Aktenlage als verspätet darstelle und ihm eine Möglichkeit zu einer Stellungnahme eingeräumt, von welcher der Revisionswerber jedoch nicht Gebrauch machte.

6 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom wies das BVwG den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet ab (Spruchpunkt A I.) sowie die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom als verspätet zurück (Spruchpunkt A II.). Zudem sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).

7 Die Zurückweisung der Beschwerde begründete das BVwG damit, dass die vierwöchige Beschwerdefrist am zu laufen begonnen und am geendet habe. Die am eingebrachte Beschwerde sei daher jedenfalls verspätet. 8 Hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führte das BVwG begründend aus, dass die Versäumung der Beschwerdefrist auf ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden des dem Revisionswerber zurechenbaren Vertreters zurückzuführen sei.

9 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit insbesondere vorbringt, dass das BVwG durch die Zurückweisung der Beschwerde von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verpflichtung zur Erteilung eines Verbesserungsauftrages nach § 13 Abs. 3 AVG abgewichen sei.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

Zu I.:

11 Hinsichtlich der mit dem angefochtenen Beschluss erfolgten Zurückweisung der Beschwerde erweist sich die Revision als zulässig. Sie ist auch begründet.

12 Nach § 13 Abs. 3 AVG ermächtigen Mängel schriftlicher Anbringen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht (vgl. etwa , mwN).

13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dient § 13 Abs. 3 AVG dem Schutz der Parteien vor Rechtsnachteilen, die ihnen aus Anbringen entstehen können, die aus Unkenntnis der Rechtslage oder infolge eines Versehens mangelhaft sind, soweit die Partei den Mangel nicht erkennbar bewusst herbeigeführt hat (vgl. , mwN).

14 Mangelt es der Beschwerde an den in § 9 Abs. 1 VwGVG genannten Inhaltserfordernissen, sind diese Mängel gemäß der - nach § 17 VwGVG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anzuwendenden - Bestimmung des § 13 Abs. 3 AVG daher grundsätzlich einer Verbesserung zuzuführen.

15 Die Verbesserungspflicht findet dort ihre Grenze, wo ein Anbringen so mangelhaft ist, dass man gar nicht zu erkennen vermag, worauf es gerichtet ist, und es daher - auch nach einem Versuch zur Klarstellung - nicht möglich ist zu erkennen, welche "Verbesserungen" vorgenommen werden sollen. Dies ist bei Anbringen der Fall, die sich auf keine bestimmte Angelegenheit beziehen und die deshalb gemäß § 13 Abs. 6 AVG "nicht in Behandlung genommen werden müssen". § 13 Abs. 6 AVG ist allerdings nur auf Extremfälle gemünzt, in denen einem Anbringen tatsächlich überhaupt keine "Angelegenheit" zu entnehmen ist, auf die es sich bezieht (, mwN).

16 Eine derartige Konstellation liegt im Revisionsfall aber nicht vor, weil das in Rede stehende, die Beilagen zum eigentlichen - nicht eingelangten - Beschwerdeschriftsatz enthaltende E-Mail in seinem Betreff ausdrücklich den Hinweis "Beschwerde" sowie die Namen und die IFA-Zahl des Revisionswerbers enthielt. Die Eingabe wies somit ein Mindestmaß an Konkretisierung auf und war insofern jedenfalls rechtlich (als Beschwerde) einordenbar (vgl. auch dazu VwGH 2001/01/0229).

17 Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus, dass die am , sohin innerhalb der Beschwerdefrist, beim BFA eingelangte und lediglich die Beschwerdebeilagen enthaltende Eingabe zwar die in § 9 Abs. 1 VwGVG vorgesehenen Inhaltserfordernisse für eine Beschwerde an ein Verwaltungsgericht zweifellos nicht erfüllte. Alleine dieser Umstand berechtigte das BVwG nach der dargestellten Rechtsprechung jedoch nicht zur sofortigen Zurückweisung der Beschwerde, weil das Anbringen einerseits nicht derart mangelhaft war, dass ihm im Sinne des § 13 Abs. 6 AVG überhaupt keine bezughabende "Angelegenheit" zu entnehmen war und es andererseits im Revisionsfall keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Mangel in rechtsmissbräuchlicher Absicht herbeigeführt wurde. 18 Der angefochtene Beschluss war daher in dem im Spruch genannten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

19 Für das fortgesetzte Verfahren sei darauf hingewiesen, dass die erwähnte Verständigung des Vertreters des Revisionswerbers durch das BFA vom bereits als Verbesserungsauftrag zu qualifizieren ist (vgl. etwa , wonach weitgehende Formlosigkeit genügt), dem durch die noch am selben Tag erfolgte Übermittlung des Beschwerdeschriftsatzes entsprochen wurde.

Zu II.

20 Gegen die Abweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde kein gesondertes Zulässigkeitsvorbringen im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGG erstattet, weshalb sich die Revision in diesem Umfang als unzulässig erweist. Im Ergebnis gereicht dieser Umstand dem Revisionswerber unter Bedachtnahme auf die unter Pkt. I. erfolgte Aufhebung des Beschlusses des BVwG, mit dem die Beschwerde als verspätet zurückgewiesen wurde, aber nicht zum Nachteil. Die (ergänzungsbedürftige) Beschwerde des Revisionswerbers war als rechtzeitig anzusehen, weshalb es des Wiedereinsetzungsantrags gar nicht bedurfte (vgl. dazu in einer ähnlichen Konstellation ). 21 Die Revision war daher insoweit gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

22 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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AVG §13 Abs3
AVG §13 Abs6
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §9 Abs1
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ECLI
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018010503.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
MAAAE-76359