VwGH vom 30.09.2019, Ra 2018/01/0227

VwGH vom 30.09.2019, Ra 2018/01/0227

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der Oberösterreichischen Landesregierung, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom , Zl. LVwG-750480/3/MB/BD, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Partei: S G in P, vertreten durch Dr. Wolfgang Mayrhofer, Rechtsanwalt in 4310 Mauthausen, Poschacherstraße 3), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung (Amtsrevisionswerberin; im Folgenden: Behörde) vom wurde der Antrag des Mitbeteiligten auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft (unter gleichzeitiger Erstreckung der Verleihung auf seine beiden minderjährigen Kinder) gemäß § 10 Abs. 2 Z 1 und § 11 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) abgewiesen. 2 Begründend führte die Behörde aus, über den Mitbeteiligten sei - wegen Lenkens eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (Alkoholgehalt in der Atemluft von 0,66 mg/l) - mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Perg vom gemäß § 5 iVm § 99 Abs. 1a StVO rechtskräftig eine Geldstrafe von EUR 1.200,-- verhängt worden. Dies stelle ein absolutes Verleihungshindernis gemäß § 10 Abs. 2 Z 1 StbG iVm § 53 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) dar.

3 Mit dem angefochtenen Beschluss des Landesverwaltungsgerichts

Oberösterreich wurde der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten stattgegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen. Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt. 4 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, gemäß § 10 Abs. 2 Z 1 StbG dürfe einem Fremden die Staatsbürgerschaft nicht verliehen werden, wenn dieser bestimmte Tatsachen gemäß § 53 Abs. 2 FPG erfülle. Mit der Verwirklichung eines unter diesen Verweis fallenden Deliktes sei die notwendige Prüfung gemäß § 10 Abs. 2 Z 1 StbG jedoch nicht beendet. Vielmehr sei das Verleihungshindernis nur dann anzunehmen, wenn aufgrund der bestimmten Tatsache die Annahme gerechtfertigt sei, dass der durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft perpetuierte künftige Aufenthalt des Antragstellers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider laufen würde.

Zusätzlich zur Ermittlung und Feststellung der bestimmten Tatsachen gemäß § 53 FPG sei sohin ein Tatsachensubstrat zu erheben und in die Zukunft gerichtet zu bewerten. Die Behörde habe keine solche Prognoseentscheidung vorgenommen und es sei dahingehend auch kein Ermittlungsverfahren geführt worden, weshalb der Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen gewesen sei.

5 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, der Amtsrevision keine Folge zu geben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Die Amtsrevision bringt zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof zur Frage der Auslegung des § 10 Abs. 2 Z 1 StbG iVm § 53 Abs. 2 Z 2 FPG. Die Annahme des Verwaltungsgerichtes, ein Verleihungshindernis bestehe nur bei einer negativen Prognoseentscheidung, ergebe sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Regierungsvorlage, sodass ausschließlich auf das Vorliegen "bestimmter Tatsachen" im Sinne des § 53 FPG abzustellen sei.

7 Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet. 8 § 10 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311 idF BGBl. I Nr. 136/2013 (StbG), lautet (auszugsweise):

"Verleihung

§ 10. (1)Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn

...

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;

...

(2) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden nicht verliehen werden, wenn

1. bestimmte Tatsachen gemäß § 53 Abs. 2 Z 2, 3, 5, 8, 9 und Abs. 3 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, vorliegen; ...

2. er mehr als einmal wegen einer schwerwiegenden Verwaltungsübertretung mit besonderem Unrechtsgehalt, insbesondere wegen § 99 Abs. 1 bis 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, wegen § 37 Abs. 3 oder 4 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, § 366 Abs. 1 Z 1 i.V.m. Abs. 2 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, wegen § 81 bis 83 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG), BGBl. Nr. 566/1991, oder wegen einer schwerwiegenden Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes 2005, des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, des Grenzkontrollgesetzes (GrekoG), BGBl. Nr. 435/1996, oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975, rechtskräftig bestraft worden ist;

§ 55 Abs. 1 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG), BGBl. Nr. 52/1991, gilt;

...

9 § 53 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 2005 idF

BGBl. I Nr. 145/2017 (FPG), lautet auszugsweise:

"Einreiseverbot

§ 53. (1) ...

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige

...

2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;

..."

10 Die Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z 1 StbG normiert als Verleihungshindernis das Vorliegen einer "bestimmten Tatsache" nach den dort genannten Bestimmungen des FPG. Als derartige "Tatsache" normiert § 53 Abs. 2 Z 2 FPG die rechtskräftig erfolgte Bestrafung wegen einer Verwaltungsübertretung zu einer Geldstrafe von mindestens EUR 1.000,-- oder die Verhängung einer primären Freiheitsstrafe.

11 Schon der Wortlaut der Bestimmung des § 10 Abs. 1 Z 2 StbG (iVm § 53 Abs. 2 Z 2 FPG) - der bloß auf das Vorliegen der "Tatsache" der erfolgten Bestrafung abstellt - spricht sohin dafür, dass das Verwaltungsgericht bei Heranziehung dieses Verleihungshindernisses lediglich zu prüfen hat, ob eine (nicht getilgte) rechtskräftige Bestrafung des Verleihungswerbers zu einer Geldstrafe von mindestens EUR 1.000,-- bzw. primären Freiheitsstrafe wegen einer Verwaltungsübertretung vorliegt. 12 Die vom Verwaltungsgericht (unter Hinweis auf Plunger in Plunger/Esztegar/Eberwein (Hrsg.), StbG (2017) § 10, Rn 23) vertretene Auffassung findet auch in den Gesetzesmaterialien (RV 1189 BlgNR 22. GP, S. 5) zur Stammfassung des StbG, in dem auf das Vorliegen "bestimmter Tatsachen" nach den dort genannten Bestimmungen des früheren § 60 FPG (betreffend Erlassung eines Aufenthaltsverbots) verwiesen wurde, keine Stütze; diese lauten:

"... In Abs. 2 sind absolute Hinderungsgründe für die Verleihung der Staatsbürgerschaft normiert.

Gemäß Abs. 2 Z 1 darf die Staatsbürgerschaft nicht verliehen werden, wenn bestimmte, taxativ aufgeführte Tatsachen vorliegen, die gemäß § 60 FPG (nunmehr § 53 FPG) die Annahme rechtfertigen, dass der durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft perpetuierte Aufenthalt des Staatsbürgerschaftswerbers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Diese Tatsachen sind in § 60 Abs. 2 Z 4 bis 6, 8 bis 10 und 12 bis 14 FPG angeführt. Selbst wenn ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden konnte, etwa weil es gegen Art. 8 EMRK verstoßen hätte, liegt ein Einbürgerungshindernis vor, wenn erwiesen ist, dass die "bestimmten Tatsachen" im Sinne der genannten Bestimmungen vorliegen. ..."

13 Daraus erhellt, dass dem Verleihungshindernis des § 10 Abs. 2 Z 1 StbG die Auffassung des Gesetzgebers zu Grunde lag, dass bei Vorliegen der genannten "Tatsachen" jedenfalls eine - unter dem Blickwinkel des Staatsbürgerschaftsrechts maßgebliche - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bzw. der anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen durch den Verleihungswerber angenommen wird, die per se der Verleihung entgegen steht.

14 Daran hat sich durch die Neufassung des § 10 Abs. 2 Z 1 StbG im Rahmen des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 38, nichts geändert, zumal diese Novelle lediglich eine "terminologische Anpassung" an die Rückführungsrichtlinie bezweckte (vgl. RV 1078 BlgNR, 24. GP, S. 49).

15 Für eine am Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK vorzunehmende Interessenabwägung durch die Staatsbürgerschaftsbehörde verbleibt im Anwendungsbereich des § 10 Abs. 2 Z 1 StbG sohin kein Raum; der Staatsbürgerschaftsbehörde ist bei der Prüfung des Vorliegens des dort normierten Verleihungshindernisses insoweit auch kein Ermessen eingeräumt. Die entsprechende Interessensabwägung bzw. "Prognoseentscheidung" ist nach Maßgabe des § 53 Abs. 2 FPG vielmehr lediglich bei der vom Bundesamt (für Fremdenwesen und Asyl) vorzunehmenden Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots von Bedeutung.

16 Ausgehend davon erweist sich die vom Verwaltungsgericht auf der Grundlage des § 28 Abs. 3 VwGVG vorgenommene Aufhebung und Zurückverweisung an die Behörde schon deshalb als rechtswidrig, weil keine "Prognoseentscheidung" zu treffen und sohin kein diesbezügliches Ermittlungsverfahren erforderlich war. 17 Der angefochtene Beschluss war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. 18 Im Hinblick auf das sohin fortzusetzende Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht sieht sich der Verwaltungsgerichtshof zu nachstehenden Bemerkungen veranlasst:

19 Soweit der Mitbeteiligte in der Beschwerde (wie auch in der Revisionsbeantwortung) vorbringt, die gegenständlich wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1a StVO erfolgte einmalige Bestrafung schließe die Anwendung des Verleihungshindernisses nach § 10 Abs. 2 Z 1 StbG im Hinblick auf die "lex specialis" der Z 2 leg. cit. aus, weil die letztgenannte Regelung ein Verleihungshindernis nur für den Fall der mehrmaligen schwerwiegenden Verwaltungsübertretung (mit besonderem Unrechtsgehalt) ua. nach § 99 Abs. 1a StVO vorsehe und die Regelung des § 10 Abs. 2 Z 2 StbG diesbezüglich "vollkommen sinnlos und irrelevant" wäre, wenn die Verleihung schon nach § 10 Abs. 2 Z 1 StbG ausgeschlossen wäre, ist dem zu entgegnen, dass jedem der in § 10 Abs. 1 bis 3 StbG umschriebenen Verleihungshindernisse jeweils eine eigenständige Bedeutung - ohne Bedachtnahme auf andere Verleihungshindernisse - zukommt (vgl. etwa , mwN, sowie , Ra 2019/01/0059, zum Verhältnis des § 10 Abs. 1 Z 6 zu § 10 Abs. 1 Z 2 und 3 bzw. zu § 10 Abs. 2 Z 7 StbG).

20 Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die von der Behörde entschiedene "Sache" des gegenständlichen Verfahrens die Frage war, ob das (unstrittige) Lenken eines Kraftfahrzeuges im alkoholisierten Zustand bzw. die dafür erfolgte verwaltungsbehördliche Bestrafung des Mitbeteiligten irgend ein Verleihungshindernis nach dem StbG darstellt. Im Rahmen dieser "Sache" kommt dem Verwaltungsgericht im Falle einer meritorischen Entscheidung nach § 28 Abs. 2 VwGG volle Kognitionsbefugnis im Hinblick auf die Prüfung aller Verleihungshindernisse zu (vgl. etwa , Rn. 43); das Verwaltungsgericht ist dabei weder an die von der Behörde vorgenommene rechtliche Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts (vgl. etwa , Rn. 13) noch an das Beschwerdevorbringen (vgl. grundlegend ) gebunden.

21 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Lenken eines Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand als derart gravierender Verstoß gegen die Schutznormen, die der Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs dienen, zu qualifizieren, dass allein damit die Nichterfüllung der Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG begründet werden kann, ohne dass es auf den Grad der Alkoholisierung entscheidend ankommt (vgl. etwa ; , 2013/01/0120, betreffend eine Übertretung des § 99 Abs. 1b StVO infolge einer Alkoholisierung im Ausmaß von 0,41 mg/l; , 2009/01/0034; sowie , 2007/01/0546, betreffend eine Übertretung des § 99 Abs. 1a StVO infolge einer Alkoholisierung im Ausmaß von 0,61 mg/l).

22 Bei Prüfung des Verleihungshindernisses nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG ist (im Beschwerdeverfahren: vom Verwaltungsgericht) eine Prognose über das zukünftige Wohlverhalten des Verleihungswerbers zu treffen.

23 In all den genannten Entscheidungen hat der Verwaltungsgerichtshof das (einmalige) Lenken eines Fahrzeuges in alkoholisiertem Zustand als eine im Rahmen des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG relevante verwaltungsbehördliche Übertretung angesehen, die der Annahme einer positiven Verhaltensprognose im Sinne dieser Bestimmung entgegenstand.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018010227.L00
Schlagworte:
Ermessen VwRallg8

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