VwGH vom 13.12.2010, 2010/10/0055

VwGH vom 13.12.2010, 2010/10/0055

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde des AH in G, vertreten durch Mag. Michael Kadlicz, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Domplatz 16, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. GS5-SH-6014/002-2009, betreffend Nachsicht von der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft für die Gewährung von Pflegegeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom hat die Niederösterreichische Landesregierung dem Antrag des Beschwerdeführers auf Nachsicht vom Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft als Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld gemäß § 3 Abs. 4 iVm § 20 Abs. 1 Z. 2 NÖ Pflegegeldgesetz 1993, LGBl. Nr. 9220 (NÖ PGG), keine Folge gegeben.

Zur Begründung führte die belangte Behörde - soweit hier wesentlich - aus, der Beschwerdeführer sei Staatsangehöriger von Serbien und lebe seit August 2001 in Österreich. Er sei nach dem Asylgesetz 2005 subsidiär schutzberechtigt und lebe mit seiner Gattin und den beiden gemeinsamen, in den Jahren 2003 und 2006 geborenen Kindern im gemeinsamen Haushalt. Er beziehe eine Rente von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt von etwa EUR 300,-- je Monat sowie eine Notstandshilfe von etwa EUR 650,--. Seine Gattin verfüge über ein Erwerbseinkommen von etwa EUR 500,--.

Nach den Gutachten des Amtsarztes und der Diplomsozialarbeiterin sei der Pflegeaufwand auf Teilhilfe bei der täglichen Körperpflege, Hilfe beim An- und Auskleiden, beim Zubereiten von Mahlzeiten und der Herbeischaffung von Nahrungsmitteln, bei der Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, der Pflege der Leib- und Bettwäsche sowie auf die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn eingeschränkt. Diese Tätigkeiten seien zwar mit einem Mehraufwand verbunden, allerdings nicht in einem solchen Ausmaß, dass dadurch eine soziale Härte begründet würde. Es handle sich überwiegend um Tätigkeiten, die bei der täglichen Haushaltsführung von der Gattin miterledigt werden könnten. Unterstützung bei der Pflege und Betreuung durch fachlich qualifiziertes Pflegepersonal sei in keiner Weise notwendig. Es müssten keine Pflege- und Betreuungsleistungen zugekauft werden.

Der Beschwerdeführer habe die ihm eingeräumte Möglichkeit, zu diesem Ermittlungsergebnis Stellung zu nehmen, nicht genützt.

Da eine soziale Härte im Sinn von § 3 Abs. 3 NÖ PGG nicht vorliege, sei die Nachsichterteilung vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft abzulehnen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die hier maßgeblichen Normen haben folgenden Wortlaut:

NÖ Pflegegeldgesetz 1993, LGBl. Nr. 9220 (NÖ PGG):

"§ 1

Zweck des Pflegegeldes

Das Pflegegeld hat den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Menschen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen.

...

§ 3

Personenkreis

(1) Voraussetzung für die Leistung eines Pflegegeldes ist, dass der Antragsteller


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1.
die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und
2.
seinen Hauptwohnsitz oder mangels eines solchen seinen Aufenthalt in Niederösterreich hat und
...

(3) Den österreichischen Staatsbürgern sind gleichgestellt:

1. Fremde, insoweit sich eine Gleichstellung aus Staatsverträgen ergibt, oder

2. Fremde, wenn mit ihrem Heimatstaat aufgrund tatsächlicher Übung Gegenseitigkeit besteht, insoweit sie dadurch nicht besser gestellt sind als Staatsangehörige in dem betreffenden Staat, oder


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3.
Fremde, denen gemäß § 3 AsylG 2005 Asyl gewährt wurde, oder
4.
Staatsangehörige einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum,
a)
die im Sinne des § 51 oder § 52 NAG Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit genießen, soweit es sich um Arbeitnehmer oder Selbstständige, um Personen, denen dieser Status erhalten bleibt oder um ihre Familienangehörigen handelt oder
b)
die im Sinne des § 51 NAG niederlassungsberechtigt sind und sich rechtmäßig länger als 3 Monate in Österreich aufgehalten haben, oder
5.
Fremde, die über einen Aufenthaltstitel mit Niederlassungsrecht gemäß §§ 45, 48, 49, 50 oder 81 Abs. 2 NAG verfügen.

(4) Die Voraussetzung des Abs. 1 Z. 1 kann nachgesehen werden, wenn das auf Grund der persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Fremden zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten ist und der Fremde sich rechtmäßig in Österreich aufhält.

...

§ 4

Anspruchsvoraussetzungen

(1) Das Pflegegeld gebührt, wenn aufgrund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder einer Sinnesbehinderung der ständige Betreuungs- und Hilfsbedarf (Pflegebedarf) voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird oder würde.

(2) Anspruch auf Pflegegeld besteht in der Höhe der Stufe 1:

für Personen, deren Pflegebedarf nach Abs. 1 durchschnittlich

mehr als 50 Stunden monatlich beträgt;

...

§ 23a

Klagsmöglichkeiten

(1) Wurde ein Bescheid erlassen über

1. den Bestand oder den Umfang eines Anspruches auf Pflegegeld (§§ 3 und 4, ausgenommen § 3 Abs. 4)

...

kann Klage beim zuständigen Gerichtshof erster Instanz als Arbeits- und Sozialgericht erhoben werden. Die Klage muss bei sonstigem Verlust der Klagsmöglichkeit innerhalb der unerstreckbaren Frist von drei Monaten ab Zustellung des Bescheides erhoben werden. "

Bundespflegegeldgesetz BGBl. Nr. 110/1993:

"§ 3. (1) Anspruch auf Pflegegeld nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes besteht für nachstehende Personen, sofern sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben:

1. Bezieher einer Vollrente, deren Pflegebedarf durch den Arbeits(Dienst)unfall oder die Berufskrankheit verursacht wurde, oder einer Pension (ausgenommen die Knappschaftspension) nach dem

a) Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG),

...

§ 25. (1) Die Leistungen nach diesem Bundesgesetz sind, ausgenommen bei Einleitung eines amtswegigen Verfahrens zur Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen gemäß §§ 4 und 4a durch einen Unfallversicherungsträger oder im Falle der Einleitung eines amtswegigen Verfahrens gemäß § 9 Abs. 1 zweiter Satz, durch Antrag beim zuständigen Entscheidungsträger geltend zu machen. Wird der Antrag bei einer anderen Behörde, einem anderen Sozialversicherungsträger, einem Gericht oder einem Gemeindeamt eingebracht, so ist der Antrag unverzüglich an den zuständigen Entscheidungsträger weiterzuleiten und gilt als ursprünglich richtig eingebracht.

..."

Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, es sei schon aus seinem Antrag ersichtlich gewesen, dass sich sein Pflegebedarf aus einem Arbeitsunfall ergebe, weshalb der Antrag gemäß § 25 Bundespflegegeldgesetz an den zuständigen Unfallversicherungsträger weitergeleitet hätte werden müssen.

Dieses Vorbringen ist schon deshalb nicht zielführend, weil es sich bei der vom Beschwerdeführer bezogenen Versehrtenrente in der Höhe von EUR 303,61 nach dem bei den Verwaltungsakten erliegenden Bescheid der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vom um eine Rente im Ausmaß von 30 % der Vollrente handelt und der Beschwerdeführer somit die Anspruchsvoraussetzung gemäß § 3 Abs. 1 Z. 1 Bundespflegegeldgesetz (Bezug einer Vollrente) nicht erfüllt. Der Beschwerdeführer behauptet auch gar nicht, dass es sich bei seiner Versehrtenrente um eine Vollrente handle.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zwischen der Gewährung von Pflegegeld mit der Beurteilung der dafür erforderlichen Voraussetzungen und der Nachsicht von der Anspruchsvoraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft mit der Beurteilung der dafür erforderlichen Voraussetzungen zu unterscheiden (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2005/10/0024). Gegenstand des angefochtenen Bescheides ist ausschließlich die Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung der Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob dem Beschwerdeführer Pflegegeld zusteht, was etwa dann nicht der Fall wäre, wenn ihm diese Leistung nur unter der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft zuerkannt werden könnte und ihm eine Nachsicht von dieser Voraussetzung nicht erteilt worden ist. Über diese Frage ist mit einem ausschließlich im Rahmen der sukzessiven Kompetenz gemäß § 23a Abs. 1 NÖ PGG mittels Klage beim zuständigen Gerichtshof erster Instanz als Arbeits- und Sozialgericht anfechtbaren Bescheid zu entscheiden.

Mit seinem Vorbringen, er sei als subsidiär Schutzberechtigter auf Grund EU-rechtlicher Bestimmungen und des "Abkommens mit der Republik Jugoslawien" für den Anspruch auf Pflegegeld österreichischen Staatsbürgern gleich gestellt, macht der Beschwerdeführer geltend, dass für ihn - ebenso wie für den in § 3 Abs. 3 NÖ PGG umschriebenen Personenkreis - die Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft von vornherein nicht erforderlich sei und ihm daher unabhängig von der Frage seiner Staatsbürgerschaft Pflegegeld zu leisten sei. Ob dies zutrifft, ist aber nach dem Gesagten nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, in dem es nur um das Vorliegen der Voraussetzungen für die Nachsichterteilung vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft geht.

Schon deshalb vermag der Beschwerdeführer mit diesem Vorbringen und den im Zusammenhang damit geltend gemachten Verfahrensmängeln keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist unter Bedachtnahme auf den Zweck des Pflegegeldes (§ 1 NÖ PGG) eine soziale Härte im Sinn des Gesetzes dann anzunehmen, wenn der durch das Fehlen der österreichischen Staatsbürgerschaft bedingte Mangel eines Pflegegeldanspruches dazu führen würde, dass der Pflegebedürftige mangels finanzieller Deckung des Pflegemehraufwandes die erforderliche Pflege nicht oder nicht im entsprechenden Umfang erhalten könnte. Diese Beurteilung ist anhand der persönlichen familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse des Anspruchswerbers vorzunehmen, wobei es entscheidend auf die Gesamtbeurteilung der erwähnten Verhältnisse ankommt (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2006/10/0032, mwN).

Der Beschwerdeführer macht als Verfahrensmangel geltend, dass die belangte Behörde auf folgende Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht Bedacht genommen habe:

chronifizierte Schmerzstörungen, Schulter-Nacken-Verspannungen bzw. Einschränkung der Kopfbeweglichkeit und Muskelverspannungen links und rechts;

lokale Schulterschmerzen links mit Einschränkung der Schulterbeweglichkeit;

erhebliche Schmerzen im Lumbovertebral- und Beckenbereich;

Residualzustand nach einer Schambeinfraktur im Hüftgelenksbereich;

schmerzhafte Einschränkung der Hüftbeweglichkeit;

massive posttraumatische Arthrose im Bereich des linken

Handgelenks;

Sensibilitätsstörungen im linken Bein;

chronische Lumbalgie;

schwere depressive Verstimmungen;

Schlafstörungen und Existenzängste, die einer regelmäßigen

Medikation bedürfen;

Erfordernis der häufigen Bettruhe.

Mit dem bloßen Vorbringen, seiner Gattin sei nicht zuzumuten, neben ihrem Beruf auch für die entsprechende - in keiner Weise näher konkretisierte - Pflege "im erforderlichen Rahmen und Ausmaß" zu sorgen, gelingt es dem Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung der geltend gemachten Gesundheitsbeeinträchtigungen im Rahmen der gebotenen Gesamtbeurteilung zum Ergebnis hätte gelangen können, es liege eine soziale Härte im Sinn von § 3 Abs. 4 NÖ PGG und der dazu ergangenen zitierten hg. Judikatur vor. Damit tut er die Relevanz des geltend gemachten Verfahrensmangels nicht dar.

Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am