VwGH vom 28.02.2019, Ra 2018/01/0095
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek, die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching und Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der Wiener Landesregierung gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-151/071/11280/2016-41, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Partei: T P in W, vertreten durch Mag. Walter Pirker, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 28/1/21), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der am 1952 geborene Mitbeteiligte ist serbischer Staatsangehöriger, zog 1970 nach Österreich, verfügt seit 1995 über einen unbefristeten Aufenthaltstitel und hält sich seit 1989 ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Er ist Pensionist und freischaffender Künstler, ledig und (strafgerichtlich) unbescholten.
2 Er beantragte am bei der Wiener Landesregierung (Amtsrevisionswerberin) die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, worüber diese in weiterer Folge nicht entschied.
Angefochtenes Erkenntnis
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sicherte das Verwaltungsgericht Wien (VwG) dem Mitbeteiligten im Säumnisweg gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG iVm § 20 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG) die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zu, dass der Mitbeteiligte binnen zwei Jahren ab Zusicherung das Ausscheiden aus dem bisherigen Staatsverband (Republik Serbien) nachweise. Gleichzeitig sprach das VwG aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
Das VwG stellte nachstehenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Der Mitbeteiligte habe am die Prüfung über die Grundkenntnisse der demokratischen Ordnung sowie der Geschichte Österreichs und des Landes Wien gemäß § 10a StbG erfolgreich bestanden. Er verfüge über Deutschkenntnisse auf A2 - Niveau GERS.
Folgende verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen lägen betreffend den Mitbeteiligten vor:
Rechtskräftiges Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien (LPD Wien) vom wegen Übertretung des § 52 Z 2 StVO (Missachtung des Verkehrszeichens "Einfahrt verboten") und des § 66 Abs. 1 Z 2 - 6 und 8 FahrradVO (mangelhafte Fahrradausrüstung), EUR 280,-- Geldstrafe;
Rechtskräftige Strafverfügung der LPD Wien vom wegen Verwendung eines nicht zum Verkehr zugelassenen Kraftfahrzeugs am , EUR 450,-- Geldstrafe;
Rechtskräftiges Straferkenntnis der LPD Wien vom wegen Übertretung des § 37a iVm § 14 Abs. 1 8 FSG (Fahren unter Alkoholeinfluss), EUR 300,-- Geldstrafe;
Rechtskräftiges Straferkenntnis der LPD Wien vom wegen Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO (Übertretung der höchstzulässigen Geschwindigkeit), EUR 56,-- Geldstrafe;
Rechtskräftige Strafverfügung des Magistrats der Stadt Wien vom wegen Übertretung des Meldegesetzes, EUR 50,-- Geldstrafe;
67 rechtskräftige Bestrafungen jeweils wegen Übertretung des Wiener Parkometergesetzes 2006 im Zeitraum bis , davon 56 Geldstrafen zu je EUR 36,-- sowie 11 Geldstrafen zu je EUR 122,--.
4 In rechtlicher Hinsicht führte das VwG zusammengefasst aus, dass trotz zahlreicher Verwaltungsübertretungen, wovon nur eine als schwerwiegend zu qualifizieren sei, die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG erfüllt sei, zumal der Mitbeteiligte seit fast 50 Jahren im Bundesgebiet lebe, unbescholten sei, über perfekte Deutschkenntnisse verfüge und seit Jahrzehnten in die österreichische Gesellschaft "bestens integriert" sei.
Es seien keine Gründe hervorgekommen, weshalb dem Mitbeteiligten, der über Identitäts- und Personenstandsdokumente seines Heimatlandes verfüge, der Nachweis des Ausscheidens aus dem serbischen Staatsverband unmöglich oder unzumutbar sein solle, weshalb ihm gemäß § 10 Abs. 3 iVm § 20 StbG zunächst die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zuzusichern gewesen sei.
Amtsrevision und Vorverfahren
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende
Amtsrevision.
6 Der Mitbeteiligte erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zulässigkeit
7 Die Amtsrevision ist im Hinblick auf die in ihrem Zulässigkeitsvorbringen zur Rechtsfrage des Vorliegens der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG aufgezeigte Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig und berechtigt.
Rechtslage
8 Gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.
9 Gemäß § 11 StbG ist bei Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz das Gesamtverhalten des Fremden im Hinblick auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß seiner Integration zu berücksichtigen. Zu dieser zählt insbesondere die Orientierung des Fremden am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich sowie das Bekenntnis zu den Grundwerten eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft.
Zu § 10 Abs. 1 Z 6 StbG
10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Person des Verleihungswerbers gesondert zu prüfen, ob die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 StbG erfüllt sind und ob gegebenenfalls eine positive Ermessensübung nach § 11 StbG in Frage kommt. Nach der Staatsbürgerschaftsrecht-Novelle 2005 ist § 11 StbG auch auf Verfahren ohne Ermessensspielraum anwendbar und dient als Interpretationsmaxime für § 10 Abs. 1 und 2 StbG, somit auch für § 10 Abs. 1 Z 6 StbG (vgl. , mwN).
11 Bei Vorliegen eines Verleihungshindernisses nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG muss die in § 11 StbG normierte Orientierung des Fremden zwingend verneint werden (vgl. ).
12 Zum zweiten Fall des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf das Gesamtverhalten des Verleihungswerbers, insbesondere auch auf von ihm begangene Straftaten, Bedacht zu nehmen. Maßgebend ist, ob es sich dabei um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Verleihungswerber werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter - erlassene Vorschriften missachten. In der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße kommt die - allenfalls negative - Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung solcher Gefahren erlassenen Gesetzen zum Ausdruck (vgl. ).
13 § 10 Abs. 1 Z 6 StbG knüpft nicht an eine gerichtliche Verurteilung, sondern an das Verhalten des Einbürgerungswerbers an. Zur Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Einbürgerungswerbers dürfen grundsätzlich auch getilgte Vorstrafen berücksichtigt werden (vgl. zu allem etwa , mwN).
Fallbezogene Anwendung
14 Im vorliegenden Fall hat das VwG das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG damit begründet, dass von den zahlreichen Verwaltungsübertretungen nur eine als schwerwiegend zu qualifizieren sei und der Revisionswerber fast fünfzig Jahre im Bundesgebiet lebe, (strafgerichtlich) unbescholten sei, über perfekte Deutschkenntnisse verfüge und seit Jahren in die österreichische Gesellschaft bestens integriert sei.
15 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ua. das Lenken eines Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand als derart gravierender Verstoß gegen Schutznormen, die der Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs dienen, zu qualifizieren, dass allein dieser die Nichterfüllung der Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG begründen kann, ohne dass es auf den Grad der Alkoholisierung entscheidend ankommt (vgl. zuletzt , mwN).
16 Ebenso ist der Verwendung eines nicht zum Verkehr zugelassenen Fahrzeuges auf Straßen mit öffentlichem Verkehr (§ 36 lit. a KFG) ein hoher Unrechtsgehalt beizumessen (vgl. ), die einen schwerwiegenden Verstoß gegen wesentliche die Sicherheit des Straßenverkehrs betreffende Vorschriften darstellt und somit eine im Rahmen des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG relevante verwaltungsbehördlich geahndete Übertretung ist.
17 Ausgehend davon kann nicht nur das einmalige Lenken des Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss sondern auch das einmalige Verwenden eines nicht zum Verkehr zugelassenen Kraftfahrzeuges eine im Rahmen des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG relevante verwaltungsbehördlich geahndete Übertretung darstellen.
18 Schon angesichts dessen bietet allein der bloße Hinweis auf die lange Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet, perfekte Deutschkenntnisse, (gerichtliche) Unbescholtenheit sowie die nicht näher begründete sehr gute Integration des Revisionswerbers keine hinreichende Grundlage für eine positive Prognose nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG, zumal zum Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichtes nicht einmal ein Jahr seit der letzten Verwaltungsübertretung vergangen war.
19 Soweit die Amtsrevision überdies moniert, das Verwaltungsgericht habe ca. 78 vom Revisionswerber zwischen 1988 und 2000 begangene bzw. aus dem Jahr 2011 aktenkundige Verwaltungsübertretungen bei der Beurteilung des Gesamtverhaltens des Revisionswerbers nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG außer Acht gelassen, ist dem insofern zu folgen, als bei der Prüfung dieser Verleihungsvoraussetzung das gesamte Verhalten des Revisionswerbers somit auch getilgte bzw. länger zurückliegende Verwaltungsübertretungen zu beachten sind, wenn wie vorliegend die Dauer des Wohlverhaltens des Einbürgerungswerbers zum Entscheidungszeitpunkt noch nicht hinreichend lang ist. Ergebnis
20 Aus diesen Erwägungen war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
21 Der Mitbeteiligte hat bei diesem Ergebnis gemäß § 47 Abs. 3 VwGG keinen Anspruch auf Kostenersatz (vgl. ).
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018010095.L00 |
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