VwGH vom 15.05.2019, Ra 2018/01/0076
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek, die Hofräte Dr. Kleiser, Mag. Eder und Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kieslich, über die Revision der Oberösterreichischen Landesregierung, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom , Zl. LVwG-750474/2/SR, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Partei: G W, vertreten durch die Kindesmutter U F, beide in W, diese vertreten durch Rohregger Scheibner Bachmann Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Rotenturmstraße 17/15), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Das Land Oberösterreich hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die 2009 geborene Mitbeteiligte ist jeweils durch Abstammung von ihrer Mutter österreichische Staatsbürgerin sowie von ihrem Vater australische Staatsangehörige. Der Vater der Mitbeteiligten ist überdies Staatsangehöriger Großbritanniens. Nach den unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis lebt die Mitbeteiligte seit Jänner 2012 gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer Schwester, die sowohl österreichische Staatsbürgerin als auch britische Staatsangehörige ist, in Großbritannien, wo sie die Schule besucht. Sie wurde im britischen Kindergarten- und Schulsystem sozialisiert, spricht jedoch fließend Deutsch und fühlt sich mit den österreichischen Traditionen und kulturellen Gepflogenheiten eng verbunden. Ein Großteil ihrer Verwandten mütterlicherseits lebt in Österreich. Jeden Sommer verbringt die Mitbeteiligte mehrere Wochen bei ihren Verwandten in Österreich und besucht zwei- bis dreimal im Jahr ihre Großeltern in Wien.
2 Gestützt auf § 28 Abs. 1 Z 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) beantragte die Mitbeteiligte, vertreten durch ihre Mutter, mit Schreiben vom die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall des Erwerbs der britischen Staatsangehörigkeit und brachte dazu im Wesentlichen vor, dass aufgrund ihrer näher dargelegten persönlichen und familiären Bindung zu Österreich und ihren hier lebenden Verwandten und der mit dem Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft verbundenen Behinderung ihrer persönlichen Entwicklung, der Erschwerung der Aufrechterhaltung ihrer familiären Bindungen sowie dem Verlust des zukünftigen Wahlrechts in Österreich die begehrte Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft ihrem Kindeswohl entspreche.
3 Mit Bescheid vom wies die oberösterreichische Landesregierung (im Folgenden: Amtsrevisionswerberin) den Antrag der Mitbeteiligten gemäß § 28 Abs. 1 und 2 StbG ab.
4 Begründend legte die Amtsrevisionswerberin dar, dass dem Vorbringen der Mitbeteiligten weder eine Gefährdung ihres Kindeswohls noch eine extreme Beeinträchtigung ihres Privat- und Familienlebens iSd § 28 Abs. 2 StbG zu entnehmen sei. 5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) der Beschwerde der Mitbeteiligten statt, bewilligte der Mitbeteiligten für den Fall des Erwerbs der britischen Staatsangehörigkeit binnen zwei Jahren ab Zustellung des Erkenntnisses die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei. 6 Auf Basis des unstrittigen, im Wesentlichen eingangs wiedergegebenen Sachverhalts führte das Verwaltungsgericht rechtlich zusammengefasst aus, dass Prüfungsmaßstab für die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft gemäß § 28 Abs. 1 Z 2 StbG ausschließlich das Kindeswohl der minderjährigen Antragstellerin sei und nicht eine Kindeswohlgefährdung im Falle der Versagung der Beibehaltung. Entgegen der Rechtsansicht der Amtsrevisionswerberin sei nicht auf § 28 Abs. 2 StbG Bezug zu nehmen.
Seit der Neufassung des § 138 ABGB durch das Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013 - KindNamRÄG 2013 seien die Kriterien für die Beurteilung des Kindeswohls gesetzlich festgeschrieben. Die Förderung der Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten der Revisionswerberin sei nur durch die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu gewährleisten, weil nur diese den gelebten, engen Kontakt zu den in Österreich lebenden Familienangehörigen auch in Zukunft garantieren würde. Verlässliche Kontakte der Mitbeteiligten zu beiden Elternteilen und wichtigen Bezugspersonen sowie sichere Bindungen zu diesen seien im Hinblick auf den ungewissen Ausgang der "Brexit-Verhandlungen" in Frage gestellt. Schließlich könne die Mitbeteiligte im Falle des Ausscheidens aus dem österreichischen Staatsverband ihre Rechte und Ansprüche nicht mehr wahren, ihren Interessen (zukünftig dauerhafte Rückkehr nach Österreich, Staatsdienst) nicht mehr nachkommen und die bestehenden Lebensverhältnisse nicht mehr in adäquatem Ausmaß aufrechterhalten. Es sei eine deutliche - dem Kindeswohl abträgliche - Beschränkung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Demnach entspreche nur die Bewilligung der Beibehaltung der Staatsbürgerschaft dem Kindeswohl.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision der Amtsrevisionswerberin mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben. Die Mitbeteiligte beantragte, die Revision kostenpflichtig zurück-, in eventu abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zulässigkeit
8 Die Amtsrevision begründet ihre Zulässigkeit mit fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Auslegung des § 28 Abs. 1 Z 2 StbG. Diese Bestimmung sei nicht isoliert sondern in Bezug auf die beiden anderen Tatbestände für die Beibehaltung in § 28 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 StbG und den sich daraus ergebenden Grundtenor auszulegen, und zwar dahingehend, dass die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nur in besonderen Fällen, wenn etwa die Versagung der Beibehaltung eine Kindeswohlgefährdung darstelle, zu bewilligen sei. Mit dieser Auslegung werde dem Willen des Gesetzgebers entsprochen, Anträgen auf Bewilligung der Beibehaltung nur in besonders extremen Situationen stattzugeben. 9 Die Amtsrevision ist aus diesen im gesonderten Zulässigkeitsvorbringen dargelegten Gründen zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.
Rechtslage
10 § 28 Abs. 1 und 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) in
der Fassung BGBl. I Nr. 136/2013 lautet:
"§ 28. (1) Einem Staatsbürger ist für den Fall des Erwerbes einer fremden Staatsangehörigkeit (§ 27) die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft zu bewilligen, wenn
1. sie wegen der von ihm bereits erbrachten und von ihm noch zu erwartenden Leistungen oder aus einem besonders berücksichtigungswürdigen Grund im Interesse der Republik liegt, und - soweit Gegenseitigkeit besteht - der fremde Staat, dessen Staatsangehörigkeit er anstrebt, der Beibehaltung zustimmt sowie die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 sinngemäß erfüllt sind, oder
2. es im Fall von Minderjährigen dem Kindeswohl entspricht.
(2) Dasselbe gilt für Staatsbürger, wenn sie die Staatsbürgerschaft durch Abstammung erworben haben und in ihrem Privat- und Familienleben ein für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdiger Grund vorliegt."
Tatbestand des § 28 Abs. 1 Z 2 StbG
11 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Bewilligung der Beibehaltung der Staatsbürgerschaft nach § 28 StbG kein Ermessensakt; vielmehr besteht darauf bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ein Rechtsanspruch (vgl. , mwN).
12 § 28 StbG normiert drei Tatbestände für die Bewilligung der Beibehaltung der Staatsbürgerschaft. Nach § 28 Abs. 1 Z 1 StbG muss die Beibehaltung wegen der bereits erbrachten oder noch zu erwartenden Leistungen oder aus einem anderen besonders berücksichtigungswürdigen Grund im Interesse der Republik und nicht bloß des Betroffenen selbst liegen. Der durch die Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 geschaffene Tatbestand des § 28 Abs. 2 StbG wiederum soll Staatsbürgern die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft trotz Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit ermöglichen, wenn ein für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdiger Grund vorliegt, um extreme Beeinträchtigungen des Privat- oder Familienlebens des Staatsbürgers zu vermeiden, die sich aus der Nichtannahme der Staatsangehörigkeit oder dem Verlust der Staatsbürgerschaft ergeben (vgl. RV 1283 BlgNR 20. GP, S 10).
13 Schließlich sind - hier wesentlich - seit der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006, in § 28 Abs. 1 Z 2 StbG im Fall von Minderjährigen eigene Voraussetzungen für die Bewilligung der Beibehaltung der Staatsbürgerschaft normiert. Nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 2 StbG ist einem minderjährigen Antragsteller die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft unabhängig von den für den Tatbestand in Z 1 normierten Voraussetzungen zu bewilligen, wenn es dem Kindeswohl entspricht. Entgegen der Rechtsansicht der Amtsrevisionswerberin ist den Materialien zur Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005 nicht zu entnehmen, dass es die Intention des Gesetzgebers wäre, die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft einem minderjährigen Antragsteller vom Vorliegen besonders berücksichtigungswürdiger Gründe, wenn etwa die Versagung der Beibehaltung eine Kindeswohlgefährdung darstelle, abhängig zu machen, indem für die Auslegung des § 28 Abs. 1 Z 2 StbG auch die Voraussetzungen und Gesichtspunkte der beiden übrigen Tatbestände des § 28 Abs. 1 Z 1 sowie Abs. 2 StbG heranzuziehen wären. Vielmehr wird in den Materialien (RV 1189 BlgNR 22. GP, S 9) zum neugeschaffenen Tatbestand des § 28 Abs. 1 Z 2 StbG ausgeführt: "Ebenso besteht ein Rechtsanspruch auf die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft alleine aus dem Grund, dass es im Falle von Minderjährigen dem Kindeswohl entspricht. Damit sollen die Verpflichtungen Österreichs auf Grund der Kinderrechtskonvention umgesetzt werden (Z 2)." Entsprechend dem Wortlaut, wie auch nach den zitierten Materialien zur Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, haben Minderjährige, allein aus dem Grund, dass es dem Kindeswohl entspricht, unmittelbar nach der Bestimmung des § 28 Abs. 1 Z 2 StbG einen Anspruch auf Beibehaltung der Staatsbürgerschaft (vgl. ).
14 Für die Auslegung der Wendung "wenn es dem Kindeswohl entspricht" in § 28 Abs. 1 Z 2 StbG sind daher entgegen der Rechtsansicht der Amtsrevisionswerberin nicht die beiden anderen in § 28 Abs. 1 Z 1 sowie Abs. 2 StbG normierten Beibehaltungstatbestände sondern vielmehr der durch das Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013, BGBl. I Nr. 15/2013, neugefasste § 138 ABGB heranzuziehen. Die gemäß § 28 Abs. 1 Z 2 StbG beantragte Bewilligung der Beibehaltung der Staatsbürgerschaft ist demnach nicht erst dann zu erteilen, wenn deren Versagung das Kindeswohl gefährden würde oder besonders berücksichtigungswürdige Gründe für die Erteilung der Bewilligung sprechen. Vielmehr genügt es nach dem Obgesagten, dass die Bewilligung der beantragten Beibehaltung dem Kindeswohl entspricht.
15 Das "Kindeswohl" ist ein Rechtsbegriff, der letztlich von den Behörden und Gerichten zu beurteilen ist. § 138 ABGB enthält eine nicht abschließende Aufzählung von für das Wohl des Kindes bedeutenden Aspekten, um in allen das minderjährige Kind betreffenden Angelegenheiten unter anderem den Behörden und Gerichten Anhaltspunkte für die Beurteilung dieses Rechtsbegriffs zu bieten (vgl. RV 2004 BlgNR 24. GP, S 16). So werden in § 138 Z 4 ABGB die Förderung unter anderem der Entwicklungsmöglichkeiten und in Z 9 leg.cit. verlässliche Kontakte des Kindes nicht nur zu beiden Elternteilen, sondern auch zu wichtigen Bezugspersonen, sowie sichere Bindungen des Kindes zu diesen Personen als wichtige Kriterien bei der Beurteilung des Kindeswohls genannt.
Fallbezogene Anwendung
16 Ausgehend davon, dass sich die Ausführungen in der Amtsrevision auf die Darlegung beschränken, dass durch eine Versagung der begehrten Beibehaltung das Wohl der Mitbeteiligten nicht gefährdet sei, dies jedoch, wie oben ausgeführt, bei der Beurteilung des Tatbestandes des § 28 Abs. 1 Z 2 StbG nicht wesentlich ist, wird in der Amtsrevision, die von einer unzutreffenden Prämisse ausgeht, nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht der oben dargestellten Rechtslage entsprochen hätte.
Ergebnis
17 Die Amtsrevision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als
unbegründet abzuweisen.
18 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018010076.L00 |
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