VwGH vom 22.03.2018, Ra 2017/22/0177
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW- 151/084/11321/2017-1, betreffend Aufenthaltsbewilligung (mitbeteiligte Partei: K X in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Begründung
1. Mit Bescheid vom wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde, Revisionswerber) den Erstantrag des Mitbeteiligten, eines albanischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Studierender" gestützt auf § 11 Abs. 2 Z 2 und 3 sowie § 21 Abs. 6 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Der Mitbeteiligte - so der Revisionswerber in seiner Begründung - habe eine Wohnrechtsvereinbarung, aber keinen Grundbuchsauszug bzw. Hauptmietvertrag vorgelegt, weshalb kein Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft habe festgestellt werden können. Weiters sei zwar eine Krankenversicherungsbestätigung der U Versicherung eingelangt, diese sei aber mangelhaft. Da kein Nachweis über die Ausreise in die Heimat vorgelegt worden sei (der rechtmäßige Aufenthalt habe am geendet), gehe der Revisionswerber davon aus, dass sich der Mitbeteiligte weiterhin unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Umstände, denen zufolge der begehrte Aufenthaltstitel gemäß § 11 Abs. 3 NAG zu erteilen gewesen wäre, seien nicht festzustellen gewesen.
2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gab das Verwaltungsgericht Wien der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen diesen Bescheid statt (Spruchpunkt I.), erteilte dem Mitbeteiligten gemäß § 64 Abs. 1 NAG eine Aufenthaltsbewilligung "Studierender" mit 12-monatiger Gültigkeit (Spruchpunkt II.) und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig (Spruchpunkt III.).
Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Mitbeteiligte habe - auf Grund einer Verständigung durch den Revisionswerber - am eine Versicherungsbestätigung der U Versicherung vorgelegt, in der festgehalten sei, dass die Krankenversicherung "im Sinne des NAG auf sämtliche Risiken erweitert werde". Zudem habe er einen Kontoauszug mit einem Einlagestand von umgerechnet ca. EUR 9003,- per und eine Wohnrechtsvereinbarung mit Herrn B A betreffend dessen Wohnung in W vorgelegt.
Damit habe der Mitbeteiligte - so das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung - den Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft (§ 11 Abs. 2 Z 2 NAG) ebenso nachgewiesen wie das Vorliegen eines alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutzes (§ 11 Abs. 2 Z 3 NAG). Im Hinblick auf die Voraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG (keine finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft) hielt das Verwaltungsgericht fest, dass dem Mitbeteiligten nach dem "Richtsatz des § 293 ASVG (...) jährliche Einkünfte in Höhe von EUR 8686,03 zur Verfügung stehen" müssten. Auf Grund des nachgewiesenen verfügbaren Guthabens auf dem Konto des Mitbeteiligten in der Höhe von EUR 9003,40 sei eine finanzielle Belastung einer Gebietskörperschaft nicht anzunehmen. Erteilungshindernisse nach § 11 Abs. 1 NAG stünden der Titelerteilung nicht entgegen. Die Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 NAG seien erfüllt, daher sei dem Mitbeteiligten der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen gewesen.
3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.
Eine Revisionsbeantwortung seitens des Mitbeteiligten wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
4. Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision u.a. vor, das Verwaltungsgericht habe mit den von ihm verlangten EUR 8686,03 eine falsche Höhe der Richtsätze gemäß § 293 Abs. 1 ASVG herangezogen. Im Hinblick darauf, dass der Mitbeteiligte am geboren sei, wären zum Entscheidungszeitpunkt im August 2017 - je nachdem, ob der "Waisenrichtsatz" gemäß § 293 Abs. 1 lit. c ASVG heranzuziehen gewesen wäre - erforderliche Jahreseinkünfte in der Höhe von EUR 10.279,67 (bei Berücksichtigung des "Waisenrichtsatzes") bzw. (sonst) von EUR 10.678,08 zugrunde zu legen gewesen. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit der Heranziehung des "Waisenrichtsatzes" fehle.
Die Revision ist schon im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig.
5.1. Die maßgeblichen Vorschriften des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, lauten auszugsweise:
"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel
§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn
...
5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien
oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6
vorliegt oder
...
(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden,
wenn
...
2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft
nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich
angesehen wird;
3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden
Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in
Österreich auch leistungspflichtig ist;
4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen
Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;
...
(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. (...) In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.
...
Studierende
§ 64. (1) Drittstaatsangehörigen kann eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende ausgestellt werden, wenn sie
die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
ein ordentliches oder außerordentliches Studium an einer
Universität, Fachhochschule, akkreditierten Privatuniversität, Pädagogischen Hochschule, anerkannten privaten Pädagogischen Hochschule oder einen anerkannten privaten Studiengang oder anerkannten privaten Hochschullehrgang absolvieren und im Fall eines Universitätslehrganges dieser nicht ausschließlich der Vermittlung einer Sprache dient.
Eine Haftungserklärung ist zulässig.
..."
5.2. Die maßgeblichen Vorschriften des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 131/2017, lauten auszugsweise:
"Kinder
§ 252. (1) Als Kinder gelten bis zum vollendeten
Lebensjahr:
1. die Kinder und die Wahlkinder der versicherten Person;
...
(2) Die Kindeseigenschaft besteht auch nach der Vollendung
des 18. Lebensjahres, wenn und solange das Kind
1. sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die
seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur
Vollendung des 27. Lebensjahres; die Kindeseigenschaft von
Kindern, die eine im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992
genannte Einrichtung besuchen, verlängert sich nur dann, wenn für sie
a) entweder Familienbeihilfe nach dem
Familienlastenausgleichsgesetz 1967 bezogen wird oder
b) zwar keine Familienbeihilfe bezogen wird, sie jedoch ein
ordentliches Studium ernsthaft und zielstrebig im Sinne des § 2
Abs. 1 lit. b des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 in der
Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 311/1992 betreiben;
2. als Teilnehmer/in des Freiwilligen Sozialjahres, des
§ 260. Anspruch auf Waisenpension haben nach dem Tode des (der) Versicherten die Kinder im Sinne des § 252 Abs. 1 Z 1 bis 4 und Abs. 2. Über das vollendete 18. Lebensjahr hinaus wird Waisenpension nur auf besonderen Antrag gewährt.
...
Voraussetzungen für den Anspruch auf Ausgleichszulage
§ 292. (1) Erreicht die Pension zuzüglich eines aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens und der gemäß § 294 zu berücksichtigenden Beträge nicht die Höhe des für ihn geltenden Richtsatzes (§ 293), so hat der Pensionsberechtigte, solange er seinen rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes Anspruch auf eine Ausgleichszulage zur Pension.
...
Richtsätze
§ 293. (1) Der Richtsatz beträgt unbeschadet des Abs. 2#htmltmp1#
Der Richtsatz nach lit. a erhöht sich um (für 2017:) 137,30 EUR für jedes Kind (§ 252), dessen Nettoeinkommen den Richtsatz für einfach verwaiste Kinder bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres nicht erreicht.
(2) An die Stelle der Richtsätze und der Richtsatzerhöhung gemäß Abs. 1 treten ab 1. Jänner eines jeden Jahres, erstmals ab , die unter Bedachtnahme auf § 108 Abs. 6 mit dem Anpassungsfaktor (§ 108f) vervielfachten Beträge.
..."
6. Gemäß § 11 Abs. 5 NAG müssen die Einkünfte, über die ein Fremder für die Erfüllung der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG verfügen muss, der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 ASVG entsprechen.
Das Verwaltungsgericht hat nicht dargelegt, aus welchen Gründen es im vorliegenden Fall von erforderlichen Jahreseinkünften in der Höhe von EUR 8686,03 ausgegangen ist. Wie sich der Revision sowie dem vorgelegten Verwaltungsakt entnehmen lässt, wurde diese Summe dem Mitbeteiligten vom Revisionswerber mit der Einreichbestätigung vom sowie erneut mit Schreiben vom als - für den Nachweis eines gesicherten Lebensunterhaltes erforderlicher - Betrag bekannt gegeben. Für die Berechnung dieses Betrages hat der Revisionswerber die Richtsätze nach § 293 Abs. 1 lit. c ASVG (somit für Pensionsberechtigte auf Waisenpension) herangezogen, wobei sich der nachzuweisende Unterhaltsbetrag - im Hinblick darauf, dass der Mitbeteiligte am das 24. Lebensjahr vollenden werde - aus fünfmal (offenbar für Mai bis September 2017) der Höhe des (jeweils auf einen Monat bezogenen) Richtsatzes nach sublit. aa (somit bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres) und siebenmal (offenbar für Oktober 2017 bis April 2018) der Höhe des Richtsatzes nach der sublit. bb (somit nach Vollendung des 24. Lebensjahres) zusammensetzte.
6.1. Zunächst ist zu klären, ob die Heranziehung des Richtsatzes für Waisenpensionsberechtigte nach § 293 Abs. 1 lit. c ASVG dem Grund nach zutreffend war.
Die Erläuterungen zur Neufassung des § 11 Abs. 5 NAG durch BGBl. I Nr. 122/2009 weisen zur Klarstellung darauf hin, dass damit lediglich ein Referenzwert festgelegt werde, die Betreffenden jedoch nicht bezugsberechtigt für den ASVG-Richtsatz sein müssten. Dabei sei wie bisher der je nach der zugrunde liegenden familiären Situation in Betracht kommende Richtsatz - der für Alleinstehende oder für Ehepaare, mit oder ohne Erhöhung des Satzes für Kinder etc. - heranzuziehen. Der Zweck des Verweises des § 11 Abs. 5 NAG auf § 293 ASVG sei, einen ziffernmäßig bestimmten Betrag zu fixieren, bei dessen Erreichung von einer Deckung der üblicherweise notwendigen Kosten der Lebensführung ausgegangen werden könne (siehe zu all dem RV 330 BlgNR 24. GP, 43).
Durch die Ausgleichszulage nach § 292 ASVG soll Pensionsbeziehern ein Mindesteinkommen garantiert werden (vgl. Pfeil in SV-Komm, § 292 Rz 1; Ziegelbauer in Sonntag (Hrsg), ASVG8 (2017) § 293 Rz 1). Die Bemessung der dafür maßgeblichen Richtsätze erfolgt in pauschalierender Weise und stellt auf den Regelfall ab (siehe Pfeil in SV-Komm, § 293 Rz 3). Für Waisenpensionsberechtigte sieht das ASVG eigene Richtsätze vor, die (in drei von vier vorgesehenen Fällen) niedriger sind als die Richtsätze für (sonstige) alleinstehende Pensionsberechtigte aus eigener Versicherung bzw. auf Witwenpension. Waisenpensionsberechtigten wird somit (in den meisten Fällen) nur ein niedrigeres Mindesteinkommen gewährleistet.
Waisenpensionsberechtigt können zum einen Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres sein (§ 252 Abs. 1 ASVG) sowie zum anderen Personen nach der Vollendung des 18. Lebensjahres bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, sofern sie - nach Maßgabe der in § 252 Abs. 2 Z 1 und 2 ASVG jeweils normierten weiteren Bedingungen - eine Ausbildung absolvieren oder einer freiwilligen Tätigkeit nachgehen (auf die Kindeseigenschaft infolge Erwerbsunfähigkeit nach § 252 Abs. 2 Z 3 ASVG muss im vorliegenden Zusammenhang nicht eingegangen werden). Bei der Festsetzung des Richtsatzes wird innerhalb der Waisenpensionsberechtigten zum einen danach differenziert, ob es sich um einen Halbwaisen oder einen Vollwaisen handelt. Zum anderen wird innerhalb der Gruppe der über 18-Jährigen im Hinblick auf die typischerweise steigenden Bedürfnisse (siehe dazu ) eine Staffelung nach dem Alter vorgenommen, wobei der Richtsatz für einen pensionsberechtigten Vollwaisen nach Vollendung des 24. Lebensjahres demjenigen eines (sonstigen) alleinstehenden Pensionsberechtigten nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG entspricht.
Das NAG knüpft in seinem § 11 Abs. 5 bei der Festlegung der Referenzwerte für die nachzuweisenden Unterhaltsmittel an die Beträge an, die im ASVG als zu garantierendes Mindesteinkommen angesehen werden. Auch wenn die oben zitierten Erläuterungen den Fall des Waisenpensionsberechtigten nicht ausdrücklich erwähnen, wird doch allgemein (und ohne Einschränkung) auf den "je nach der zugrundeliegenden familiären Situation in Betracht" kommenden Richtsatz verwiesen. Da die zugrunde liegende Situation eines Fremden, der zu studieren beabsichtigt, bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres (nach Vollendung des 24. Lebensjahres besteht - wie dargestellt - betragsmäßig ohnehin kein Unterschied mehr) derjenigen eines Waisenpensionsberechtigten im Sinn des § 293 Abs. 1 lit. c sublit. aa ASVG entspricht (auf den Umstand, dass der Fremde nicht anspruchsberechtigt für eine Waisenpension ist, kommt es - wie den oben zitierten Erläuterungen zu entnehmen ist - nicht an), ist für ihn der dort normierte Richtsatz maßgeblich und er muss daher zur Ermöglichung einer Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften über feste und regelmäßige eigene Einkünfte (nur) in der Höhe dieses Richtsatzes verfügen (so im Ergebnis unter Verweis auf einen Leitfaden des Bundesministeriums für Inneres auch Peyrl/Neugschwendtner/Schmaus, Fremdenrecht (2015) 165). Hinsichtlich der innerhalb des § 293 Abs. 1 lit. c sublit. aa ASVG vorgenommenen Differenzierung ist der Richtsatz für Vollwaisen heranzuziehen, weil dieser danach ausgerichtet ist, dass damit - infolge der höheren Hilfsbedürftigkeit - der gesamte Unterhalt des Waisenpensionsberechtigten sichergestellt werden soll (vgl. dazu bis 305/91).
6.2. In weiterer Folge ist zu prüfen, ob für die Heranziehung des Richtsatzes für unter 24-Jährige nur auf das Alter zum Entscheidungszeitpunkt abzustellen ist oder ob die Entwicklung in dem Zeitraum, für den der Aufenthaltstitel erteilt werden soll, zu berücksichtigen ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass bei der Prüfung, ob ausreichende Unterhaltsmittel zur Verfügung stehen, eine Prognose über die Erzielbarkeit ausreichender Mittel zu treffen ist. Bei der gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG zu treffenden Prognoseentscheidung müsse bei saisonbedingten Schwankungen beim Jahreseinkommen ein repräsentativer Zeitraum für die Berechnung des durchschnittlich verfügbaren Monatseinkommens gewählt und dem derart ermittelten Einkommen der für denselben Zeitraum festgelegte Richtsatz gegenübergestellt werden (siehe zu all dem , Rn. 12, 17, mwN). Ein Abstellen allein auf den Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung verbiete sich dann, wenn in absehbarer Zeit mit einer Änderung der Einkommensverhältnisse zu rechnen sei (siehe , Rn. 17).
Wenn bei der Beurteilung der zur Verfügung stehenden Mittel eine Prognoseentscheidung zu treffen und nicht allein auf den Entscheidungszeitpunkt abzustellen ist, dann kann für die Ermittlung des für die Deckung der Lebenshaltungskosten erforderlichen Betrages (Richtsatzes) nicht anderes gelten. Daher ist bei einer Ausgangslage wie der vorliegenden, bei der hinsichtlich des - nach dem System des § 293 Abs. 1 ASVG maßgeblichen - Richtsatzes während der Gültigkeitsdauer des zu erteilenden Aufenthaltstitels eine Änderung eintreten wird, weil der Fremde das 24. Lebensjahr vollenden wird, diese absehbare Änderung entsprechend zu berücksichtigen. Die für eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen erforderlichen Unterhaltsmittel sind daher nicht statisch nach dem Alter des Antragstellers zum Entscheidungszeitpunkt zu ermitteln, sondern danach, welche Beträge nach dem System des ASVG während der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels als zur Deckung der monatlichen Lebenshaltungskosten jeweils notwendig angesehen werden.
Fallbezogen bedeutet das, dass das Verwaltungsgericht den vom Revisionswerber im April bzw. Mai 2017 genannten Betrag nicht ohne weiteres hätte übernehmen dürfen. Ausgehend vom Entscheidungszeitpunkt im August 2017 und der Vollendung des 24. Lebensjahres des Mitbeteiligten im September 2017 hätte es vielmehr zugrunde legen müssen, dass der Mitbeteiligte ab Oktober 2017 Einkünfte in der Höhe des Richtsatzes für über 24- Jährige zur Verfügung haben muss. Somit erweist sich die Heranziehung des Betrages von EUR 8686,03 als Maßstab für die Beurteilung des Vorliegens ausreichender Unterhaltsmittel als unzutreffend. Im Hinblick auf den (nach Maßgabe des oben Gesagten) erforderlichen Betrag in der Höhe von EUR 10.279,67 (resultierend aus einmal EUR 491,43 sowie elfmal EUR 889,84) wäre der vom Mitbeteiligten nachgewiesene Betrag in der Höhe von EUR 9003,40 nicht hinreichend gewesen.
7. Die Revision moniert weiters, das Verwaltungsgericht habe das Erteilungshindernis nach § 11 Abs. 1 Z 5 NAG außer Acht gelassen.
Das Verwaltungsgericht hat lediglich allgemein festgehalten, der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels stünden keine Erteilungshindernisse nach § 11 Abs. 1 NAG entgegen. Eine erkennbare Auseinandersetzung mit der vom Revisionswerber für die Abweisung des Antrags des Mitbeteiligten im Bescheid vom ebenfalls herangezogenen Überschreitung der Dauer des erlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet bzw. dazu getroffene Feststellungen enthält das angefochtene Erkenntnis nicht.
Nach § 11 Abs. 1 Z 5 NAG darf einem Fremden ein Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 NAG vorliegt. Diese Bestimmung soll verhindern, dass Fremde ihren Aufenthalt im Bundesgebiet durch das Stellen eines Antrags nach dem NAG über den sichtvermerkfreien Zeitraum hinaus ohne Vorliegen eines Aufenthaltstitels ausdehnen. Das Verfahren ist nach Ablauf des sichtvermerkfreien Zeitraumes im Ausland abzuwarten. Ein Zuwiderhandeln steht der Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels grundsätzlich entgegen, auch wenn zwischenzeitlich eine Ausreise erfolgt ist (siehe zu all dem ).
Im Hinblick auf die vom Revisionswerber mit näherer Begründung angenommene Überschreitung der Dauer des erlaubten Aufenthaltes hätte das Verwaltungsgericht nicht ohne weiteres vom Nicht-Vorliegen des Erteilungshindernisses nach § 11 Abs. 1 Z 5 NAG ausgehen dürfen.
8. Da das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis aus den dargestellten Gründen mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet hat, war dieses nach § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017220177.L00 |
Schlagworte: | Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Besondere Rechtsgebiete Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 |
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