VwGH vom 22.02.2018, Ra 2017/22/0151

VwGH vom 22.02.2018, Ra 2017/22/0151

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , VGW-151/007/13043/2016- 5, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: M Y, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/23), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom wurde der bei der österreichischen Botschaft im Iran gestellte Antrag des Mitbeteiligten, eines iranischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Schüler" im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass der Mitbeteiligte keinen Nachweis über seinen gesicherten Lebensunterhalt gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) vorgelegt habe.

2 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Verwaltungsgericht Wien mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis Folge und erteilte dem Mitbeteiligten den begehrten Titel nach § 63 NAG für die Dauer von zwölf Monaten. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

3 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, dass der Mitbeteiligte die Voraussetzungen zur Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels erfülle. Dem Mitbeteiligten stünden ausreichende Ersparnisse zur Verfügung, um seinen Lebensbedarf in Österreich für das erste Jahr zu decken, und er habe eine Versicherungspolizze der H.M. vom vorgelegt, "welche laut Einleitungssatz der Polizze alle Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union vom an ein Schengen-Visum" erfülle und von bis gelte. Sobald der Mitbeteiligte einen Aufenthaltstitel für Österreich erworben habe, werde er sich "natürlich bei der WGKK anmelden (...), gegebenenfalls im Wege einer Selbstversicherung".

4 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Landeshauptmannes von Wien, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, das Verwaltungsgericht habe die gemäß § 11 Abs. 2 Z 3 NAG vorgelegte Versicherungspolizze nicht auf allfällig vorhandene Risikoausschlüsse überprüft. Weiters bestehe der Versicherungsschutz nur bis , die Aufenthaltsbewilligung sei jedoch mit Erkenntnis vom für die Dauer von zwölf Monaten erteilt worden.

5 Hierüber hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch den Mitbeteiligten erwogen:

6 Mit dem erstmals in der Revision erstatteten Vorbringen betreffend die Wirksamkeit der Zustellung des Bescheides des Revisionswerbers zeigt die Revision nicht auf, inwiefern das Verwaltungsgericht vor dem Hintergrund der Angaben des Mitbeteiligten in seiner Beschwerde, wonach ihm der Bescheid am zugestellt worden sei, nicht von der Erlassung eines Bescheides gegenüber dem Mitbeteiligten hätte ausgehen dürfen, zumal die Angaben des Mitbeteiligten im Beschwerdeverfahren - in dem das Verwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchführte - vom Revisionswerber unbestritten blieben.

7 Dennoch ist die Revision zulässig und aus folgenden Gründen berechtigt:

8 Gemäß § 11 Abs. 2 Z 3 NAG iVm § 7 Abs. 1 Z 6 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV) ist dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels ein Nachweis über einen in Österreich leistungspflichtigen und alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz, insbesondere durch eine entsprechende Versicherungspolizze, sofern kein Fall der gesetzlichen Pflichtversicherung bestehen wird oder besteht, anzuschließen.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , Fe 2015/22/0001, bereits festgehalten, dass eine nicht bestehende gesetzliche Pflichtversicherung durch eine Privatversicherung substituiert werden kann; zudem wird damit zum Ausdruck gebracht, dass die Versicherungen im gegebenen Zusammenhang als gleichwertig zu erachten sind. Eine Gleichwertigkeit setzt jedoch - auch im Hinblick auf den Zweck des § 11 Abs. 2 NAG, finanzielle Belastungen der Gebietskörperschaften zu verhindern (wie sie etwa mit einer Anstaltspflege unabweisbarer Patienten ohne entsprechende Krankenversicherung verbunden wären) -

voraus, dass der Leistungsumfang (das Leistungsspektrum) einer Privatversicherung im Wesentlichen jenem der gesetzlichen Pflichtversicherung entspricht.

10 Bei dieser Beurteilung einer Privatversicherung gemäß § 11 Abs. 2 Z 3 NAG, die von der Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht vorzunehmen ist, ist unerheblich, ob bzw. unter welchen Konditionen eine entsprechende Privatversicherung am Markt angeboten wird und es kommt - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts - auch nicht darauf an, ob diese Versicherung die Anforderungen "an ein Schengen-Visum" erfüllt, geht es doch nicht um die Erteilung eines Visums nach dem FPG, sondern um die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem NAG (vgl. wiederum ).

11 Unabhängig davon gilt gemäß den Feststellungen des Verwaltungsgerichts die vorgelegte Versicherungspolizze der H.M. nur bis zum und somit nicht für die gesamten zwölf Monate der bewilligten Dauer des Aufenthaltstitels gemäß § 20 Abs. 1 NAG, sodass diese schon allein wegen ihrer Gültigkeitsdauer keine ausreichende Krankenversicherung im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 3 NAG darstellen kann ().

12 Gemäß dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs. 2 Z 3 NAG iVm § 7 Abs. 1 Z 6 NAG-DV kann auch der bloße Verweis auf eine "etwaige Selbstversicherung" nach Einreise des Mitbeteiligten nach Österreich diese Nachweispflicht nicht substituieren.

Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017220151.L00
Schlagworte:
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Besondere Rechtsgebiete

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