VwGH vom 16.11.2011, 2008/08/0221

VwGH vom 16.11.2011, 2008/08/0221

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des V J in Wien, vertreten durch Dr. Raimund Cancola, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Schwarzenbergplatz 7, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2008-0566-9- 001182, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer bezog aufgrund eines am von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien G ausgegebenen Antragsformulars ab Arbeitslosengeld.

Das bundeseinheitliche Antragsformular enthält einen Abschnitt, in dem der Antragsteller die gewünschte Auszahlungsart anzugeben hat. Dort kann durch Ankreuzen entweder "Ich wünsche die Auszahlung per Post" ausgewählt werden oder "Ich wünsche die Auszahlung auf das folgend genannte Girokonto" (wobei Felder für die Angabe des Geldinstituts, der Bankleitzahl und der Kontonummer vorhanden sind).

Der Beschwerdeführer hatte in seinem Antragsformular angekreuzt, dass er die Auszahlung per Post wünsche, dessen ungeachtet aber in den dafür vorgesehenen Formularfeldern auch eine Bankverbindung (mit einer mit 05 beginnenden Kontonummer) angegeben.

In dem von der belangten Behörde vorgelegten Leistungsakt findet sich weiters ein ausgefülltes Formular zur Überweisung von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung vom und ein handschriftlicher Brief (Bl. 10 und 11). Beide Schriftstücke sind unterschrieben mit dem Namen des Beschwerdeführers. In dem Brief wird wegen eines Diebstahls der Brieftasche auf eine geänderte Kontonummer, beginnend mit 04, hingewiesen und um Überweisung des Arbeitslosengelds auf dieses Konto ersucht. In dem Antrag auf Überweisung von Geldleistungen wird ebenfalls um Überweisung auf diese Kontonummer ersucht.

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien G vom wurde der Bezug des Arbeitslosengelds für den Zeitraum bis gemäß § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und der Beschwerdeführer gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung des unberechtigt Empfangenen in der Höhe von EUR 755,40 verpflichtet. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde aus, der Beschwerdeführer sei während des im Spruch genannten Zeitraums in einem Dienstverhältnis bei der Firma H. gestanden.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung vom gab der Beschwerdeführer an, ihm sei der erstinstanzliche Bescheid persönlich Anfang April übergeben worden. Er habe mehrmals bei der Firma H. gearbeitet und Beginn und Ende des Dienstverhältnisses immer dem Arbeitsmarktservice mitgeteilt. Für den im erstinstanzlichen Bescheid angeführten Zeitraum habe er seitens des Arbeitsmarktservice keine Leistung überwiesen bekommen. Er habe daher weder einen Meldeverstoß begangen noch sei ihm die Leistung zur Auszahlung gebracht worden. Daher stelle sich gar nicht die Frage, ob er die Gebührlichkeit der Leistung erkennen habe können.

Im Verfahren vor der belangten Behörde holte diese eine Bankauskunft bezüglich der für den widerrufenen Zeitraum relevanten Auszahlungen des Arbeitslosengelds ein. Die Bank gab dabei am an, die Beträge vom und seien auf das Konto, dessen Kontonummer mit 04 beginnt, überwiesen worden, dieses Konto laute auf D W. In einer am mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift vor der belangten Behörde wurde diesem das Ergebnis der Bankauskunft zur Kenntnis gebracht. Der Beschwerdeführer gab in der Niederschrift erneut an, er habe seine Beschäftigung gemeldet und er habe kein Geld bekommen.

Daraufhin erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid vom , mit dem die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen wurde. Neben der Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen führte die belangte Behörde begründend aus, dass eine Bank- bzw. Postnachforschung ergeben habe, dass der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld für den "widerrufenen Zeitraum" erhalten habe. Dieses Ergebnis der Nachforschung sei dem Beschwerdeführer niederschriftlich zur Kenntnis gebracht worden. Wie eine Abfrage beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ergeben habe, sei der Beschwerdeführer in der Zeit vom bis bei der Firma H. in einem arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Da er somit in diesem Zeitraum nicht arbeitslos gewesen sei, sei das Arbeitslosengeld für den genannten Zeitraum zu widerrufen gewesen. Das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass der Beginn des Dienstverhältnisses am vom Beschwerdeführer nicht gemeldet worden sei. Die belangte Behörde sei der Ansicht, dass der Beschwerdeführer seinen Meldepflichten gegenüber dem Arbeitsmarktservice nicht nachgekommen sei und somit der Bezug des Arbeitslosengelds auf Grund der Verschweigung maßgebender Tatsachen gemäß § 25 Abs. 1 AlVG rückzufordern sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Arbeitslos ist gemäß § 12 Abs. 1 AlVG, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat.

Als arbeitslos in diesem Sinne gilt gemäß § 12 Abs. 3 AlVG insbesondere nicht, wer in einem Dienstverhältnis steht (lit. a).

Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ist, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt, die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen.

Nach § 25 Abs. 1 AlVG ist bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

§ 51 Abs. 2 AlVG idF BGBl. I Nr. 71/2003 lautet:

"Die Auszahlung der Leistungen nach diesem Bundesgesetz erfolgt jeweils an einem bestimmten Tag im Monat für einen Monat im Nachhinein über die Österreichische Postsparkasse auf ein Scheckkonto des Leistungsbeziehers bei der Österreichischen Postsparkasse oder auf ein Girokonto des Leistungsbeziehers bei einer anderen inländischen Kreditunternehmung. Ist die Überweisung auf ein Konto nicht möglich, so erfolgt die Auszahlung der Leistungen jeweils an einem bestimmten Tag im Monat für einen Monat bar im Nachhinein über die Österreichische Postsparkasse. In besonders berücksichtigungswürdigen Fällen kann die regionale Geschäftsstelle jeweils eine Sonder- oder Zwischenauszahlung veranlassen."

§ 53 AlVG idF BGBl. Nr. 314/1994 lautet:

"§ 53. (1) Solange ein zuschlagsberechtigter Angehöriger nicht in die häusliche Gemeinschaft des Arbeitslosen aufgenommen wird oder wenn ein Arbeitsloser seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber einem zuschlagsberechtigten Angehörigen nicht nachkommt, kann die regionale Geschäftsstelle anordnen, daß ein angemessener Teil des Arbeitslosengeldes dem Angehörigen oder der Person, Anstalt oder Behörde ausgezahlt wird, in deren Obhut er sich befindet.

(2) Ist der Bezugsberechtigte handlungsunfähig, so ist die Leistung dessen gesetzlichem Vertreter oder dessen Bevollmächtigtem zur Verwendung für den Bezugsberechtigten auszuzahlen.

(3) Ist der Bezugsberechtigte trunksüchtig oder rauschgiftsüchtig, so kann die Leistung verläßlichen Familienangehörigen oder der Aufenthaltsgemeinde zur Verwendung für den Bezugsberechtigten ausgezahlt werden."

2. Der Beschwerdeführer wendet sich in seiner Beschwerde nur gegen die Rückforderung des Arbeitslosengelds gemäß § 25 Abs. 1 AlVG, nicht aber gegen den Widerruf gemäß § 24 Abs. 2 AlVG. Unbestritten geblieben ist, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum, für den die Leistung widerrufen und rückgefordert wurde, in einem Dienstverhältnis stand. Unbestritten blieb auch die Feststellung der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer dieses Dienstverhältnis dem Arbeitsmarktservice nicht gemeldet hatte. Im Beschwerdefall ist lediglich strittig geblieben, ob dem Beschwerdeführer tatsächlich Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum zugeflossen waren.

In der Beschwerde wird dazu ausgeführt, dass sich erst im Zuge einer Besprechung des Beschwerdeführers mit seinem Vertreter im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herausgestellt habe, dass zwei im Leistungsakt enthaltene Schriftstücke, nämlich das Formular zur Überweisung von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung und ein Brief an die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Geiselbergstraße (Bl. 10 und 11) vom Beschwerdeführer weder verfasst noch unterschrieben worden seien. Der Beschwerdeführer habe erkannt, dass seine zwischenzeitig geschiedene (damalige) Ehefrau Dorothea W. die beiden Schreiben verfasst und mit dem Namenszug des Beschwerdeführers unterzeichnet habe.

Damit übersehe die belangte Behörde aber, dass eine Rückforderung von zu Unrecht empfangenen Leistungen gemäß § 25 Abs. 1 AlVG den Empfang dieser Leistungen voraussetze. Gemäß § 51 Abs. 2 AlVG habe die Auszahlung der Leistungen auf ein Girokonto des Leistungsbeziehers bei einer inländischen Kreditunternehmung zu erfolgen. Die auf das Konto der damaligen Ehefrau überwiesenen Bezüge könnten damit nicht vom Beschwerdeführer zurückgefordert werden.

Die belangte Behörde hätte sich mit den Aktenseiten 10 und 11 auseinandersetzen und dem Grundsatz der amtswegigen Ermittlung der materiellen Wahrheit folgend dabei erkennen müssen, dass die darauf befindlichen Unterschriften des Beschwerdeführers nicht deckungsgleich mit anderen Unterschriften des Beschwerdeführers im Leistungsakt seien. Den Inhalt des bei der Niederschrift vor der belangten Behörde am dem Beschwerdeführer vorgelegten Ergebnisses der Banknachforschung vom habe der Beschwerdeführer aufgrund seiner mangelnden Deutschkenntnisse nicht erfassen können. Die belangte Behörde habe ihn nicht darauf hingewiesen, dass das Konto auf den Namen seiner Frau laute und habe ihm auch die Schriftstücke mit den Aktenseiten 10 und 11 nicht vorgelegt.

3. Der Bescheid erweist sich als rechtswidrig, da die belangte Behörde den Sachverhalt in einem entscheidungswesentlichen Punkt aktenwidrig angenommen hat:

Aus dem Verwaltungsakt und der darin enthaltenen Bankauskunft ergibt sich, dass das Arbeitslosengeld nicht auf das Konto des Beschwerdeführers, sondern auf das Konto von D W. ausbezahlt wurde. Die Feststellung im angefochtenen Bescheid, dass die Leistung dem Beschwerdeführer "auf das (gemeint: sein) Konto" überwiesen wurde, erweist sich daher als aktenwidrig.

Diese Aktenwidrigkeit ist auch von Relevanz, da es Voraussetzung für die Rückforderung gemäß § 25 Abs. 1 AlVG ist, dass der Arbeitslose die zurückgeforderte Leistung auch empfangen hat. Dies erfordert zwar nicht, dass der Arbeitslose über die Leistung ohne Beschränkung auch zur Gänze verfügen können muss, so dass insbesondere bei einer exekutiven Pfändung des Bezugs dennoch ein dem Arbeitslosen zuzurechnender - und gegebenenfalls rückforderbarer - Bezug vorliegt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/08/0179), wohl aber kann bei einer Zahlung, die ohne Rechtsgrund an eine dritte Person und - wie dies hier behauptet wird - ohne eine der Partei zurechenbare Mitwirkung geleistet wird, jedenfalls nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass sie der Arbeitslose im Sinne des § 25 Abs. 1 AlVG empfangen habe.

Die Auszahlung von Leistungen nach dem AlVG ist in § 51 AlVG näher geregelt. Aus § 51 Abs. 2 AlVG geht hervor, dass die Auszahlung der Leistungen nach dem AlVG - sofern diese auf ein Girokonto erfolgt - auf ein Girokonto des Leistungsbeziehers zu erfolgen hat. Gemäß § 53 AlVG kann in bestimmten, taxativ aufgezählten, Fällen die Auszahlung der Leistung (allenfalls teilweise) auch an jemand anderen als den Bezugsberechtigten erfolgen. Aus der Zusammenschau dieser Bestimmungen ergibt sich, dass - sofern kein Tatbestand des § 53 AlVG vorliegt - Geldleistungen nach dem AlVG an den Leistungsbezieher persönlich auszuzahlen sind.

Weder im angefochtenen Bescheid noch in den vorgelegten Verwaltungsakten gibt es Anzeichen dafür, dass die belangte Behörde einen der Fälle des § 53 AlVG im Beschwerdefall als erfüllt angesehen hätte und deshalb das Arbeitslosengeld an die damalige Ehefrau des Beschwerdeführers ausbezahlen hätte wollen und dürfen.

Erfolgte die Zahlung aber nicht auf ein Girokonto des Beschwerdeführers, sondern - wie sich aus der im Verwaltungsakt erliegenden Bankauskunft ergeben dürfte - auf das Konto seiner (damaligen) Ehefrau, hat der Beschwerdeführer dies auch nicht veranlasst und kann auch nicht festgestellt werden, dass die Leistung dem Beschwerdeführer in der Folge tatsächlich (wirtschaftlich) zugekommen wäre, dann kann der damit einer dritten Person ausbezahlte Betrag nur von dieser, nicht aber vom Beschwerdeführer als von ihm im Sinne des § 25 Abs. 1 AlVG unberechtigt empfangen zurückgefordert werden.

4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 lit. a VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am