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VwGH vom 23.11.2017, Ra 2017/22/0127

VwGH vom 23.11.2017, Ra 2017/22/0127

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des D V in W, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW-103/048/3242/2017- 11, betreffend eine Passangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien wurde die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Wien vom , mit dem der Reisepass des Revisionswerbers gemäß § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Z 3 lit. b Passgesetz 1992 (PassG) entzogen und die Ausstellung eines Reisepasses versagt worden waren, abgewiesen. Weiters wurde ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis unzulässig sei.

2 In seiner Begründung stützte das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf zwei rechtskräftige Verurteilungen des Revisionswerbers nach dem Finanzstrafgesetz. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Verwaltungsgericht, dass angesichts dieser Straftaten kein Zweifel daran bestehen könne, dass der Tatbestand des § 14 Abs. 1 Z 3 lit. b PassG verwirklicht sei. Zum Vorbringen des Revisionswerbers, wonach er den Reisepass für Besuche in seinem Herkunftsland Serbien benötige, um seine familiären Beziehungen zu pflegen - seine Eltern wären gebrechlich bzw. krank -, und er die inkriminierte Ware nur im Inland ohne Verwendung eines Reisepasses übernommen hätte, führte das Verwaltungsgericht aus, dass bei der Versagung der Ausstellung eines Reisepasses auf persönliche oder wirtschaftliche Interessen des Betroffenen "laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes" nicht Rücksicht zu nehmen sei. Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen gewesen sei.

3 In der außerordentlichen Revision wurde zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen ausgeführt, dass gemäß dem Gaydarov, C-430/10, Rn. 40, eine das Recht auf Freizügigkeit beschränkende Maßnahme nur gerechtfertigt sein könne, wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche. Strafrechtliche Verurteilungen alleine könnten eine die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit beschränkende Maßnahme nicht ohne weiteres begründen.

4 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

5 Die Revision ist zulässig und auch berechtigt. 6 Nach § 14 Abs. 3 PassG ist, wenn den in § 14 Abs. 1 Z 3 lit. b bis f und Z 4 und Z 5 PassG angeführten Tatsachen gerichtlich strafbare Handlungen zu Grunde liegen, bis zum Ablauf von drei Jahren nach der Tat jedenfalls von dem Versagungsgrund auszugehen, wobei Haftzeiten und Zeiten einer Unterbringung nach den §§ 21 bis 23 StGB außer Betracht zu bleiben haben.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , 2009/18/0168 u.a., ausgeführt, dass gemäß dem zitierten Rn. 24 bis 27, die Entscheidung eines Mitgliedstaates, seinem eigenen Staatsbürger die Ausreise zu verbieten, eine Angelegenheit darstellt, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, konkret der Richtlinie 2004/38/EG sowie Art. 20 und Art. 21 AEUV, fällt.

8 Weiters führte der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 2009/18/0094, unter Hinweis auf das Urteil Gaydarov aus, dass die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einschränken dürften. Dies setze voraus, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstelle, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegen müsse, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Solche Maßnahmen seien nur gerechtfertigt, wenn dafür ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sei; vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen seien nicht zulässig. Strafrechtliche Verurteilungen allein könnten die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit beschränkende Maßnahme nicht ohne weiteres begründen.

9 Der EuGH hat in Rn. 40 des genannten Urteils weiter ausgeführt, aus Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG und der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes lasse sich entnehmen, dass eine das Recht auf Freizügigkeit beschränkende Maßnahme nur gerechtfertigt sein könne, wenn sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahre.

10 Dazu brachte der Revisionswerber im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vor, dass er starke Bindungen zu seinem Heimatstaat Serbien habe, wo seine leiblichen Eltern, die aufgrund ihres Alters und Gesundheitszustandes nicht mehr reisefähig seien, lebten.

11 Mit diesem Vorbringen setzte sich das Verwaltungsgericht nicht auseinander und führte keine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinn der angeführten unionsrechtlichen Vorgaben aus. In Verkennung der klargestellten Rechtslage ging das Verwaltungsgericht davon aus, die persönlichen Verhältnisse des Revisionswerbers nicht berücksichtigen zu müssen (vgl. ).

12 Das angefochtene Erkenntnis ist sohin mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet, weshalb er aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

13 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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