VwGH vom 20.10.2010, 2008/08/0198
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Lehofer und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der Tiroler Gebietskrankenkasse in I, vertreten durch Dr. Hans-Peter Ullmann und Dr. Stefan Geiler, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 17-19, gegen den Bescheid des Bundesministers für Soziales und Konsumentenschutz vom , Zl. BMSK-328918/0004- II/A/3/2008, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (mitbeteiligte Partei: C GmbH in I, vertreten durch Dr. Alfons Klaunzer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 6), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Landeshauptmann von Tirol hatte mit Bescheid vom einem Einspruch der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse vom , mit dem festgestellt worden war, dass Herr L vom bis bei der mitbeteiligten Partei sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, Folge gegeben und den Bescheid der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse (ersatzlos) behoben. Dieser Bescheid des Landeshauptmannes wurde der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse am zugestellt.
Am erhob die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse gegen diesen Bescheid Berufung. Die belangte Behörde hielt der beschwerdeführende Gebietskrankenkasse am vor, die Berufung sei - von der Aktenlage ausgehend - verspätet.
Mit Schriftsatz vom beantragte die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Der Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom sei der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse am zugestellt worden. Die Berufung sei laut Poststempel erst am an den Landeshauptmann übermittelt worden. Alle Postsendungen - so auch der Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom - würden in der zentralen Poststelle der Beschwerdeführerin einlangen; der Rückschein werde von der zuständigen Person in der Poststelle unterschrieben. Üblicherweise würden Postsendungen, die Fristen auslösen, mit einem Stempel von der Poststelle versehen, um das Einhalten von Rechtsmittelfristen oder sonstigen Fristen zu gewährleisten, was im konkreten Fall aufgrund der großen Menge von Schriftstücken, die in der zentralen Poststelle der Beschwerdeführerin einlangten, übersehen worden sei. Der Bescheid sei erst am in der Fachabteilung eingelangt. Aufgrund des Fehlens des Stempels der Poststelle sei davon ausgegangen worden, dass der Bescheid an diesem Tag in der Poststelle eingelangt sei, weshalb das Ende der Berufungsfrist mit berechnet worden sei. Es handle sich um ein unvorhergesehenes Ereignis, weil die interne Postzuteilung so organisiert sei, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen auszuschließen seien. Der Umstand, dass die betreffende Person vergessen habe, den Bescheid mit einem Stempel zu versehen, sei als minderer Grad des Versehens zu werten.
Der Landeshauptmann von Tirol wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Bescheid vom ab. Begründend führte er aus, die rechtskundige Mitarbeiterin der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse hätte selbst eine Prüfung der Angaben über die Zustellung des Bescheides vornehmen müssen, um einen Irrtum über die Rechtsmittelfrist auszuschließen. Insbesondere hätte sie, nachdem ihr aufgefallen sei, dass lediglich der Stempel der Fachabteilung und kein Eingangsstempel der Poststelle - wie bei fristgebundenen Schreiben üblich - auf dem Bescheid angebracht worden sei, nähere Erkundigungen über die tatsächliche Zustellung einholen müssen. Da die Mitarbeiterin der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse aber weitere Ermittlungen unterlassen habe und einfach davon ausgegangen sei, dass das Datum des Stempels der Fachabteilung mit dem Einlangen des Schriftstückes bei der Poststelle übereinstimme, liege nicht bloß ein minderer Grad des Versehens, sondern ein "klares Verschulden" der Antragstellerin vor.
Die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse erhob gegen diesen Bescheid Berufung. Darin brachte sie "ergänzend zum Antrag auf Wiedereinsetzung" vor, die zuständige Sachbearbeiterin habe eine Überprüfung - wie im Bescheid des Landeshauptmannes gefordert - deshalb nicht vorgenommen, weil Postsendungen, die in der Poststelle einlangten, immer und ausnahmslos am selben Tag von der Fachabteilung in Empfang genommen würden, weshalb sich das Eingangsdatum in der Fachabteilung mit dem Eingangsstempel in der Poststelle decken müsse. Ein Bote des Landeshauptmannes bringe grundsätzlich die Postsendungen am frühen Vormittag; in seltenen Fällen komme er ein zweites Mal, aber nie später als zwischen 13 Uhr und 13.30 Uhr. Sämtliche Fachabteilungen holten die an sie adressierte Post zweimal am Tag, nämlich einmal am Vormittag und ein zweites Mal um ca. 14.30 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt sei davon auszugehen, dass alle Postsendungen von diesem Tag auch am selben Tag an die Fachabteilungen weitergegeben würden. Daher müsse sich der Eingangsstempel der Poststelle mit dem Eingangsstempel der Fachabteilung jeweils uneingeschränkt decken. Im konkreten Fall sei die Postsendung aus unerklärlichen Gründen erst am nächsten Tag in der Fachabteilung eingelangt. Möglicherweise - hiebei handle es sich aber nur um eine Mutmaßung - sei der Bescheid fälschlicherweise an eine unzuständige Fachabteilung im Haus der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse gelangt, sodann an die Poststelle retourniert worden und dadurch erst am nächsten Tag in die zuständige Fachabteilung gelangt. Die zuständige rechtskundige Sachbearbeiterin dürfe jedoch darauf vertrauen, dass Zustellungen, die bei der Poststelle einlangten, noch am selben Tag in die zuständige Fachabteilung gelangten und daher das Eingangsdatum eindeutig erfasst werden könne. Es liege lediglich ein minderer Grad des Versehens vor.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Dass die Mitarbeiterin der Eingangsstelle vergessen habe, das Datum der Zustellung auf dem Bescheid zu fixieren, und auch die Sachbearbeiterin dem exakten Eingangsdatum zur Berechnung der Berufungsfrist nicht nachgegangen sei, könne nicht als minderer Grad an Versehen qualifiziert werden, da an rechtskundige Personen ein strenger Maßstab der zumutbaren Sorgfalt gestellt werden dürfe. Dass sich das Eingangsdatum sonst immer mit dem Datum der Fachabteilung decke, vermöge den strengen Maßstab der rechtskundigen Personen zumutbaren Sorgfalt nicht zu durchbrechen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen und - ebenso wie die mitbeteiligte Partei in ihrer Gegenschrift - die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag zu bewilligen, wenn die Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, das heißt die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist stecken den Rahmen für die Untersuchung der Frage ab, ob ein Wiedereinsetzungsgrund gegeben ist (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/08/0214).
Die Büroorganisation von Gebietskörperschaften muss hinsichtlich der Einhaltung von Terminen und Fristen in gleicher Weise wie eine Rechtsanwaltskanzlei Mindesterfordernisse einer sorgfältigen Organisation erfüllen. Dazu gehört insbesondere, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Wahrnehmung von Prozesshandlungen sichergestellt ist und Unzulänglichkeiten infolge menschlichen Versagens durch entsprechende Kontrollen auszuschließen sind (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 71 Rz 42 mit den dort angeführten Nachweisen aus der hg. Rechtsprechung). Gleiches gilt auch für die Träger der Sozialversicherung wie die hier beschwerdeführende Gebietskrankenkasse.
Für die richtige Beachtung der Rechtsmittelfrist ist grundsätzlich immer der Anwalt (bzw. hier der rechtskundige Sachbearbeiter) selbst verantwortlich. Er selbst hat die Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen seiner Aufsichtspflicht zu überwachen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/12/0166). Generell unterliegt dabei das Zustelldatum einer besonderen Prüfpflicht, weil es für das Ende von Fristen in Bezug auf die Erhebung von Rechtsmitteln von ausschlaggebender Bedeutung ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/03/0029).
Laut Vorbringen der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse (im Antrag auf Wiedereinsetzung) werden bei ihr einlangende Postsendungen, die Fristen auslösen, "üblicherweise" mit einem Stempel von der Poststelle versehen. Weiters werden diese Sendungen bei Einlangen in der Fachabteilung mit dem Eingangsstempel der Fachabteilung versehen.
Selbst wenn - so das Vorbringen in der Beschwerde - bei der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse ein "standardisierte(s)
und ... weisungsgemäß vorgegebene(s) Prozedere" in der Weise
bestehen sollte, dass in der Poststelle das Poststück mit einem Eingangsstempel versehen wird (jedenfalls bei Zustellung an die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse mittels Rückscheins), so wäre vom rechtskundigen Sachbearbeiter bei der Vormerkung einer Frist ausschließlich von diesem Posteingangsdatum und nicht vom Eingangsdatum in der Fachabteilung auszugehen (selbst wenn diese Daten "üblicherweise" übereinstimmen sollten). Bei einer Abweichung von diesem standardisierten und weisungsgemäß vorgegebenen Vorgehen, wenn also - wie hier - in der Poststelle aus welchen Gründen auch immer kein Eingangsdatum vermerkt wurde, wäre daher vom rechtskundigen Sachbearbeiter das Eingangsdatum zu erheben gewesen, etwa durch Nachfrage bei der bescheiderlassenden Behörde. Die Berechnung der Frist ausgehend nur vom Eingangsdatum in der Fachabteilung bei erkennbar weisungswidrigem Verhalten der Posteingangsstelle überschreitet den minderen Grad des Versehens.
Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
XAAAE-76043