VwGH vom 16.11.2011, 2008/08/0167
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des F T in Wien, vertreten durch Dr. Karin Wessely, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Reinprechtsdorfer Straße 62/7, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2008-0566-9-000086, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Notstandshilfebezug des Beschwerdeführers vom bis gemäß § 10 iVm § 38 AlVG eingestellt. Nachsicht gemäß § 10 Abs. 3 AlVG wurde nicht erteilt.
Begründend führte die belangte Behörde - soweit für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wesentlich - aus, dem Beschwerdeführer sei am eine Beschäftigung als Botendienstfahrer beim Dienstgeber P. mit Arbeitsbeginn angeboten worden. Laut Vermittlungsvorschlag hätte ein Bewerbungsgespräch nach telefonischer Vereinbarung erfolgen sollen. Die Firma P. habe eine Bewerbung des Beschwerdeführers nicht bestätigen können. Der Beschwerdeführer habe dazu niederschriftlich angegeben, er habe am die am Vermittlungsvorschlag angegebene Telefonnummer angerufen, es wäre jedoch unter beiden Nummern niemand erreichbar gewesen. Eine Stunde später habe ihn eine Frau mit einer anderen Telefonnummer zurückgerufen und der Beschwerdeführer habe nach der Adresse gefragt, um seine Bewerbung abstempeln zu lassen. Die Frau habe gesagt, es gebe kein Büro und man suche nur eine Frau.
Die Firma P. habe dazu gemeint, dass von ihr keine Frau, sondern ein Mann gesucht werde, da es sich um schwere Tätigkeiten handle. Hätte sich der Beschwerdeführer telefonisch beworden, wäre mit ihm ein Vorstellungstermin vereinbart worden. Die Telefonnummer, mit der der Beschwerdeführer zurückgerufen worden sei, sei der Firma P. nicht bekannt.
Bei einem Anruf der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice habe sich unter der vom Beschwerdeführer angegebenen Rufnummer eine Frau gemeldet, die angegeben habe, weder den Beschwerdeführer noch die Firma P. zu kennen. Gegenüber der belangten Behörde habe die Firma P. wiederholt, dass die vom Beschwerdeführer angegebene Telefonnummer niemandem in der Firma gehöre und Frau N. die einzige Frau in der Firma sei. Diese schließe aber aus, mit dem Beschwerdeführer gesprochen zu haben.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, es sei davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer nicht um die Stelle bei der Firma P. beworben habe. Die Angaben des Beschwerdeführers, er habe dort angerufen und sei dann von einer Dame mit einer anderen Telefonnummer zurückgerufen worden und diese habe mitgeteilt, dass nur Frauen gesucht würden, ließen sich nicht nachvollziehen und seien als Schutzbehauptung anzusehen. Den Angaben der Firma P., dass diese Telefonnummer nicht zur Firma gehöre und man nicht ausschließlich weibliche Arbeitskräfte suche, werde Glauben geschenkt. Durch die vom Beschwerdeführer nicht getätigte telefonische Bewerbung sei er für die Besetzung der Stelle nicht in Frage gekommen, was er zumindest in Kauf genommen habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG in den für den Beschwerdefall zeitraumbezogen anwendbaren Fassungen BGBl. I Nr. 77/2004 und BGBl. I Nr. 104/2007 verliert eine arbeitslose Person, wenn sie sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Gemäß § 38 AlVG sind diese Bestimmungen sinngemäß auf die Notstandshilfe anzuwenden.
Diese Bestimmungen sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung einer ihm zumutbaren Beschäftigung in den Arbeitsmarkt einzugliedern und ihn so wieder in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. in diesem Sinn das Erkenntnis vom , Zl. 89/08/0141, Slg. Nr. 13.286/A, und die dort angeführte Vorjudikatur).
Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte, zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten (und daher unverzüglich zu entfaltenden) aktiven Handelns des Arbeitslosen, andererseits aber auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, dass Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen - abgesehen vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen - somit auf zwei Wege verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wegen vereitelt werden: Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassung der Vereinbarung eines Vorstellungstermins oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass er den Erfolg seiner (auch nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potenziellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht (vgl. z.B. das Erkenntnis vom , Zl. 2008/08/0017).
Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten als Vereitelung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2004/08/0237, mwN).
2. Im Beschwerdefall ist die belangte Behörde zum Ergebnis gekommen, dass sich der Beschwerdeführer nicht - wie von ihm behauptet - telefonisch an den vermittelten Dienstgeber gewandt habe, und dass auch der von ihm behauptete "Rückruf" einer Frau, von der er angenommen habe, dass sie eine Mitarbeiterin dieses Unternehmens sei, nicht stattgefunden habe.
3. Der Beschwerdeführer macht in seiner Beschwerde hingegen, wie bereits im Verwaltungsverfahren, geltend, er habe sehr wohl bei der Firma P. angerufen und damit seine Arbeitswilligkeit gezeigt. Der "Rückruf" habe ihn zur Einschätzung berechtigt, dass die Firma P. nicht an seiner Arbeit interessiert sei. Vielleicht sei auch ein Missverständnis vorgelegen, da er schlecht Deutsch spreche. Die belangte Behörde habe sich aber nicht bemüht, dies zu erheben. Selbst wenn er den "Rückruf" der Frau missverstanden haben sollte, könne ihm keinesfalls unterstellt werden, er habe eine ihm zugewiesene Beschäftigung grundlos nicht angenommen oder sie vereitelt, da er jedenfalls guten Gewissens der Meinung gewesen sei, dass die Firma P. tatsächlich kein Interesse an seiner Arbeit habe und daher die Zuweisung hinfällig gewesen sei.
Von der belangten Behörde sei kein ordentliches Ermittlungsverfahren durchgeführt worden, da keine Auskünfte vom Telefonbetreiber des Beschwerdeführers oder jenem der Firma P. eingeholt worden seien und auch keine Nachforschungen bei der Anschlussinhaberin der Nummer, von der aus der Beschwerdeführer "zurückgerufen" worden sei, angestellt worden seien. Dabei hätte aber festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer tatsächlich bei den beiden Nummern der Firma P. angerufen hatte bzw. dass der Beschwerdeführer von der von ihm genannten Rufnummer aus zurückgerufen worden sei. Durch eine Einvernahme der Anschlussinhaberin hätte erhoben werden können, was diese Frau dem Beschwerdeführer genau mitgeteilt habe.
4. Zu diesem Vorbringen ist zunächst festzuhalten, dass der Beschwerdeführer auch in seiner Beschwerde nicht behauptet, tatsächlich bei seinen Anrufversuchen unter den im Stellenangebot angegeben Rufnummern (jeweils lediglich ein Anrufversuch bei jeder der beiden Rufnummern) überhaupt jemanden erreicht zu haben (bereits in seiner Berufung, deren wesentlicher Inhalt im angefochtenen Bescheid wiedergegeben ist, hatte der Beschwerdeführer ausgeführt, dass sich bei diesen Nummern niemand gemeldet habe). Ein Telefongespräch mit einer der beiden Personen, die im Stellenangebot als Ansprechpersonen des potentiellen Dienstgebers genannt sind, ist nicht zustandegekommen.
Der Beschwerdeführer meint jedoch, dass er aufgrund des "Rückrufs" (durch eine andere Person und von einer anderen Rufnummer aus) der Auffassung sein konnte, dass der potentielle Dienstgeber nicht an seiner Arbeit interessiert sei. Mit seinem Beschwerdevorbringen zu diesem, von der belangten Behörde als Schutzbehauptung gewerteten "Rückruf" wendet sich der Beschwerdeführer im Ergebnis vor allem gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung. Dazu ist ihm entgegenzuhalten, dass die Beweiswürdigung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nur dahin unterlegt, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d. h. sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/08/0233, mwN).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund begegnet die Beweiswürdigung der belangten Behörde keinen Bedenken. Die belangte Behörde ist im Verwaltungsverfahren den Hinweisen des Beschwerdeführers zu den einzelnen Telefonaten ausführlich nachgegangen und hat darauf aufbauend dargelegt, weshalb sie den Angaben des Beschwerdeführers keinen Glauben geschenkt hat. Die belangte Behörde konnte sich dabei insbesondere auf die Angabe der Firma P. stützen, wonach die vom Beschwerdeführer angegebene Rufnummer, von der aus er zurückgerufen worden sei, niemals dieser Firma zugeordnet werden konnte und bei der Firma P. überdies nur eine Frau beschäftigt war, die niemals mit dem Beschwerdeführer gesprochen hatte. Die belangte Behörde konnte sich weiters auch auf einen Anruf bei der vom Beschwerdeführer genannten "Rückruf"- Nummer stützen, bei dem der belangten Behörde von der Anschlussinhaberin mitgeteilt wurde, dass sie nichts mit der Firma P. zu tun hatte und den Beschwerdeführer gar nicht kennt. Der belangten Behörde kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie es auf dieser Grundlage - Beweisanträge wurden vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht gestellt - für nicht erwiesen hält, dass der vom Beschwerdeführer behauptete "Rückruf" tatsächlich stattgefunden hat.
Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob die Feststellungen der belangten Behörde, dass auch die (erfolglosen) Anrufe des Beschwerdeführers bei den im Stellenangebot angegebenen Rufnummern tatsächlich nicht erfolgt seien, auf einer schlüssigen Würdigung der Ermittlungsergebnisse beruhen. Selbst bei Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers, wonach er beide Rufnummern (je einmal) gewählt und dabei niemand erreicht habe, kann nämlich nicht von einem ausreichend nachhaltigen, auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichteten Handeln ausgegangen werden, da dazu jedenfalls wiederholte Versuche, die angegebenen Kontaktpersonen zu erreichen, erforderlich gewesen wären.
5. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
QAAAE-75967