VwGH vom 27.04.2011, 2008/08/0157

VwGH vom 27.04.2011, 2008/08/0157

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der Oberösterreichische Gebietskrankenkasse in Linz, vertreten durch Mag. Hans Teuchtmann, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Hauptstraße 33, gegen den Bescheid des Bundesministers für Soziales und Konsumentenschutz vom , Zl. BMSK-328226/0001- II/A/3/2008, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG und dem AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. E M in P,

2. Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 3. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1201 Wien, Adalbert Stifterstraße 65-67, 4. T. GmbH in A, vertreten durch Dr. Bernhard Steinbüchler, Mag. Harald Mühlleitner und Mag. Sylvia Schrattenecker, Rechtsanwälte in 4490 St. Florian, Marktplatz 10), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse stellte mit Bescheid vom fest, dass die Pflichtversicherung des Erstmitbeteiligten (i.S.d. § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG) aufgrund des Dienstverhältnisses (als Hilfsarbeiter) bei der viertmitbeteiligten Partei nicht wie gemeldet vom bis , sondern vom bis bestanden habe.

Der Landeshauptmann von Oberösterreich wies mit Bescheid vom den dagegen von der viertmitbeteiligten Partei erhobenen Einspruch als unbegründet ab.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der dagegen von der viertmitbeteiligten Partei erhobenen Berufung Folge und stellte fest, dass die Pflichtversicherung des Erstmitbeteiligten mit geendet habe. Die belangte Behörde ging davon aus, dass der Erstmitbeteiligte mit als vollbeschäftigter Dienstnehmer bei der viertmitbeteiligten Partei angemeldet worden sei. Mit habe der Krankenstand des Erstmitbeteiligten begonnen; der Erstmitbeteiligte sei vom bis und vom bis im Krankenhaus stationär behandelt worden. Die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit habe vom bis gedauert. Mit sei der Erstmitbeteiligte von der Sozialversicherung abgemeldet worden; als Grund sei eine einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses vermerkt worden. Der Abmeldung von der Pflichtversicherung sei ein Gespräch des Erstmitbeteiligten mit einem Vertreter der viertmitbeteiligten Partei vorangegangen, in welchem die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses per beschlossen worden sei. Der Erstmitbeteiligte habe im gesamten Verfahren eine einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses nicht in Frage gestellt. Eine Wiedereinstellungszusage sei nicht vereinbart worden. Nach dem Krankenstand sei es auch tatsächlich zu keiner Wiedereinstellung gekommen.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, der Sachverhalt ergebe sich aus dem Versicherungsakt der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse und dem Verwaltungsakt der "Oberösterreichischen Landesregierung", insbesondere aus dem Gesprächsprotokoll zur einvernehmlichen Beendigung des Dienstverhältnisses vom .

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde - nach Verweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/08/0325, - aus, sowohl die viertmitbeteiligte Partei als auch der Erstmitbeteiligte hätten stets übereinstimmend angegeben, dass eine einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses vereinbart worden sei. Auch habe der Erstmitbeteiligte im gesamten Verwaltungsverfahren eine einvernehmliche Auflösung nicht in Abrede gestellt. Weiteres existiere keine schriftliche Zusage zur Wiedereinstellung nach dem Krankenstand; im Übrigen sei es tatsächlich auch zu keiner neuerlichen Wiedereinstellung des Erstmitbeteiligten nach dem Krankenstand gekommen. Aufgrund der rechtswirksamen einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses während seines Krankenstandes komme dem Erstmitbeteiligten kein Entgeltfortzahlungsanspruch über den hinaus zu, sodass sich auch das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis nicht verlängere.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen und beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Die zweitmitbeteiligte Versicherungsanstalt hat erklärt, auf die Erstattung einer Gegenschrift zu verzichten. Die drittmitbeteiligte Versicherungsanstalt hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Erstmitbeteiligte hat eine Gegenschrift eingebracht, in welcher er darauf verweist, er sei vom bis zum (teilweise auf der Intensivstation) stationär in Behandlung gewesen, weil er am einen sehr schweren Autounfall gehabt habe. Daher sei auszuschließen, dass er am in eine einvernehmliche Beendigung des Dienstverhältnisses eingewilligt habe, weder telefonisch noch bei einem persönlichen Gespräch. Leider sei es ihm - trotz Kontaktaufnahme mit sämtlichen Instanzen - nicht möglich gewesen, Einsicht in das Gesprächsprotokoll der viertmitbeteiligten Partei zu nehmen, wonach das Dienstverhältnis einvernehmlich aufgelöst worden sei.

Die viertmitbeteiligte Partei hat eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie auch das Vorbringen des Erstmitbeteiligten in dessen Gegenschrift bestreitet und ergänzend auf das Neuerungsverbot verweist; sie beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem - von der belangten Behörde zitierten - Erkenntnis vom , Zl. 2006/08/0325, ausgeführt hat, ist eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses während eines entgeltpflichtigen Krankenstandes arbeitsrechtlich nicht unwirksam. Eine analoge Anwendung des § 5 EFZG auf einvernehmliche Auflösungen in der hier vorliegenden Konstellation kommt nicht in Betracht. Die einvernehmliche Auflösung eines Arbeitsverhältnisses stellt auch grundsätzlich keinen Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts dar.

Entscheidend dafür, ob eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses wirksam zustande gekommen ist, ist aber, ob die Parteien überhaupt die Absicht hatten, das Beschäftigungsverhältnis dauernd zu beenden, ob also ein Beendigungswille bestand (und erklärt wurde). Im Falle einer Wiedereinstellungszusage für den Zeitpunkt des Endes des Krankenstandes wäre anzunehmen, dass die Parteien eine dauernde Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht beabsichtigt haben. Eine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer der Erkrankung als bloß vorübergehende Sistierung der Hauptpflichten des Beschäftigungsverhältnisses hätte kein zureichendes Substrat, wenn und solange den Arbeitnehmer für die Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit eine Arbeitspflicht gar nicht getroffen hätte. Die denkmöglichen Zwecke einer solchen Vereinbarung würden sich bei Betrachtung ihres wahren wirtschaftlichen Gehalts in Ermangelung einer anderen, die Vereinbarung denkmöglich tragenden Absicht der Parteien auf eine bloße Abdingung der Entgeltfortzahlungspflicht im Krankheitsfall erstrecken, deren Zulässigkeit aber an § 6 EFZG scheitert (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0327).

Die belangte Behörde hält die einvernehmliche Auflösung des Dienstvertrages mit der Begründung für zulässig, dass eine Wiedereinstellungszusage nicht vorliege. Darauf allein lässt sich der angefochtene Bescheid aber nicht stützen:

Wie aus der oben zitierten Vorjudikatur hervorgeht, ist für die Zulässigkeit einer einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses im Krankenstand vor dem Hintergrund des § 539a ASVG Voraussetzung, dass beide Parteien tatsächlich die Absicht hatten, das Beschäftigungsverhältnis dauerhaft zu beenden (was durch eine Wiedereinstellungszusage oder durch eine faktische Wiedereinstellung nach dem Ende des Krankenstandes regelmäßig widerlegt wird). Für das Vorliegen einer einvernehmlichen Auflösung im Krankenstand, insbesondere dafür, dass der Dienstnehmer diese Auflösung aus freien Stücken wirklich wollte, ist grundsätzlich der Dienstgeber beweispflichtig. Dies fällt besonders dann ins Gewicht, wenn die Initiative zur einvernehmlichen Auflösung des Dienstvertrages nicht vom Dienstnehmer ausgegangen ist und wenn ein Dienstgeber - wie hier aus seinem eigenen Vorbringen im Verwaltungsverfahren ersichtlich -

es systematisch unternimmt, mit Dienstnehmern, die sich in voraussichtlich etwas längeren Krankenständen befinden, schon nach wenigen Tagen durch einen "Kundenberater" Kontakt aufzunehmen mit dem Ziel, eine einvernehmliche Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses zu erreichen und dem Dienstnehmer dann ein - vom Dienstgeber formuliertes - "Bestätigungsschreiben" über die einvernehmliche Auflösung des Dienstvertrages zuzusenden oder -

falls der Dienstnehmer damit nicht einverstanden ist - mit Kündigung vorzugehen. Ein solches "Gesprächsprotokoll" genanntes Bestätigungsschreiben ist für sich allein genommen weder ein geeigneter Nachweis dafür, dass eine einvernehmliche Auflösung des Dienstvertrages mit dem Dienstnehmer überhaupt zustandegekommen ist, geschweige denn ein Beleg dafür, dass diese Vereinbarung vom Dienstnehmer frei von Willensmängeln eingegangen worden ist. Dieses "Gesprächsprotokoll" ist eine vom Dienstgeber angefertigte Urkunde und enthält - soweit darin von einer Vereinbarung über die einvernehmliche Auflösung des Dienstvertrages die Rede ist - daher auch nur eine Behauptung des Dienstgebers.

Ein Beweisergebnis für eine einvernehmliche Auflösung des Dienstvertrages liegt hier aber nicht vor: In dem von der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse eingeholten Fragebogen mit Unterschrift des Dienstnehmers wird bestätigt, dass diesem die Lösung des Dienstvertrages schriftlich mitgeteilt und ihm eine Wiedereinstellungsgarantie gegeben, sowie der Urlaub ausbezahlt und eine Endabrechnung ausgehändigt worden sei. Als Grund für die Lösung des Dienstverhältnisses wird nur angegeben, dass sich der Dienstnehmer "seit Unfall im Krankenstand" befunden habe, wobei er sich - nach den Feststellungen der belangten Behörde - zum Zeitpunkt der behaupteten Vereinbarung einer einvernehmlichen Auflösung noch im Krankenhaus befunden hat. Aus der derzeitigen Aktenlage lässt sich daher nach den Denkgesetzen weder schlüssig ableiten, dass zwischen der viertmitbeteiligten Partei und dem Erstmitbeteiligten überhaupt eine Vereinbarung über die einvernehmliche Auflösung des Dienstvertrages zustandegekommen ist, noch lässt sich - ohne eingehende Auseinandersetzung mit den gegenteiligen Angaben des Dienstnehmers - daraus ableiten, dass für die Zeit nach Beendigung des Krankenstandes keine Wiedereinstellungszusage gegeben worden ist. Feststeht nur der Wille der viertmitbeteiligten Partei, das Beschäftigungsverhältnis mit dem Erstmitbeteiligten zu beenden. Die belangte Behörde wird daher die - aufgrund ihrer unzutreffenden rechtlichen Beurteilung der Aktenlage - unterbliebenen Ermittlungen dahin, ob und auf welche Weise mit dem Erstmitbeteiligten überhaupt am oder davor Kontakt aufgenommen werden konnte und ob die Absicht des Erstmitbeteiligten damit ebenfalls darauf gerichtet war, das Dienstverhältnis einvernehmlich zu beenden, nachzuholen haben. Sollte eine diesbezügliche Absicht des Erstmitbeteiligten nicht erweislich sein, dann käme dem Schreiben vom , aus dem zweifelsfrei der Wille der viertmitbeteiligten Partei hervorgeht, das Dienstverhältnis mit zu beenden, die rechtliche Qualität eines Kündigungsschreibens zu.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Gemäß § 21 Abs. 1 VwGG sind (u.a.) Personen, die durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides in ihren rechtlichen Interessen berührt werden (Mitbeteiligte), Parteien im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof. Einen Eintritt auf Seiten des Beschwerdeführers kennt das VwGG hingegen nicht (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/20/0210). Der Erstmitbeteiligte macht in seiner Gegenschrift keine durch eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides berührten rechtlichen Interessen geltend, sodass auf dieses Vorbringen nicht näher eingegangen werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren ("Gebühr") war im Hinblick auf die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehende persönliche Gebührenbefreiung gemäß § 109 ASVG abzuweisen.

Wien, am