VwGH vom 25.01.2018, Ra 2017/21/0200

VwGH vom 25.01.2018, Ra 2017/21/0200

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des U E (vormals: A) in P, vertreten durch Dr. Johannes Pepelnik, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Czerninplatz 4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W215 2168896- 1/3E, betreffend (insbesondere) Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt unbefristetem Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der 1997 geborene Revisionswerber ist Staatsangehöriger der russischen Föderation und gehört der tschetschenischen Volksgruppe an. Er reiste gemeinsam mit seiner Mutter am in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte hier einen Asylantrag. Dieser wurde rechtskräftig abgewiesen, letztlich wurde dem Revisionswerber aber mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom eine "Aufenthaltsberechtigung plus" nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 erteilt. In der Folge erhielt der Revisionswerber einen bis gültigen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus", dessen Verlängerung er rechtzeitig beantragte.

2 Mittlerweile war der Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Krems vom wegen des Verbrechens der Terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB und wegen des Vergehens der Aufforderung zu terroristischen Straftaten und Gutheißung terroristischer Straftaten nach § 282a Abs. 2 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt worden. Dem Schuldspruch lag im Wesentlichen zu Grunde, der Revisionswerber habe sich durch im September 2014 via Facebook verbreitete propagandistische Botschaften als Mitglied an der Organisation "Islamischer Staat" (IS) beteiligt.

3 Im Hinblick auf diese Verurteilung erließ das BFA mit Bescheid vom gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot. Unter einem wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die russische Föderation zulässig sei und gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom als unbegründet ab. Außerdem sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

6 In den Zulassungsausführungen der Revision wird geltend gemacht, dass das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei. Dieser Rechtsprechung folgend hätte es nämlich nicht von der ausdrücklich beantragten Beschwerdeverhandlung absehen dürfen.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt darauf hingewiesen, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände (siehe nur , Rn. 12). Zwar kann - worauf sich das BVwG gestützt hat - nach § 21 Abs. 7 BFA-VG trotz Vorliegens eines darauf gerichteten Antrages von der Durchführung einer Beschwerdeverhandlung abgesehen werden, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Von einem geklärten Sachverhalt im Sinne der genannten Bestimmung kann allerdings bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. abermals , Rn. 15; daran anknüpfend etwa , Rn. 12).

8 Ein derart eindeutiger Fall liegt hier aber nicht vor. Einerseits hatte der Revisionswerber sein strafrechtliches Fehlverhalten - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses - vor rund drei Jahren als 17-Jähriger gesetzt, ohne dass es seither zu einem Rückfall oder anderen Tathandlungen gekommen wäre; auch angesichts des vom Strafgericht herangezogenen Milderungsgrundes, dass der Revisionswerber "von der Propaganda mitgezogen" worden sei, konnte daher nicht ohne weiteres - insbesondere nicht ohne Erhebung seines derzeitigen Umfeldes - davon ausgegangen werden, sein Aufenthalt widerstreite aktuell dem öffentlichen Interesse (insbesondere im Sinn des § 11 Abs. 4 Z 2 NAG), sodass der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels dieser Versagungsgrund entgegen stehe und damit eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 Z 4 FPG zu ergehen habe, und von ihm gehe (weiterhin) eine derart schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinn des § 53 Abs. 3 FPG aus, dass die Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbotes gerechtfertigt sei. Andererseits steht aber auch nicht von vornherein fest, dass die Interessenabwägung des in Österreich gut integrierten Revisionswerbers - das BVwG ging davon aus, dass er mit Eltern und Geschwistern im gemeinsamen Haushalt lebt, Deutsch spricht und eine Lehre absolviert - jedenfalls zu seinen Lasten ausgehen müsse.

9 Das BVwG hätte daher die beantragte Beschwerdeverhandlung durchführen müssen (siehe zu einem insoweit vergleichbaren Fall , 0158, Rn. 13). Da es dies unterlassen hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

10 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

11 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am