VwGH vom 14.11.2017, Ra 2017/21/0193
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision der E B in W, vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5/10, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom , G313 2141823-1/11E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision gegen eine Ausweisung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass dem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben wird.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine rumänische Staatsangehörige, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom als unbegründet ab, wobei die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt wurde. Die postalische Zustellung dieses Erkenntnisses an den Vertreter der Revisionswerberin erfolgte am , sodass die Frist zur Einbringung einer außerordentlichen Revision mit Ablauf des endete.
2 Entgegen § 24 Abs. 1 Z 2 VwGG, wonach in diesem Fall ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen ist, brachte die Revisionswerberin einen solchen Antrag am durch persönliche Übergabe beim BVwG ein. Das BVwG leitete diesen Antrag (erst) am , somit nach Ablauf der Revisionsfrist, an den Verwaltungsgerichtshof weiter.
3 Nach Vorhalt dieser Umstände durch den Verwaltungsgerichtshof stellte die Revisionswerberin fristgerecht (nach dem Inhalt ihres Vorbringens erkennbar) einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (auch) für die Einbringung eines Wiedereinsetzungsantrages. Hierauf bewilligte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Ra 2017/21/0130-6, die Verfahrenshilfe zur Einbringung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist und zur Einbringung der (gemäß § 46 Abs. 3 letzter Satz VwGG damit zu verbindenden) außerordentlichen Revision.
4 Dem sodann fristgerecht (samt Revision) beim BVwG eingebrachten Wiedereinsetzungsantrag wurde vom BVwG mit dem angefochtenen Beschluss vom gemäß § 46 VwGG nicht stattgegeben. Dabei ging das BVwG davon aus, die Revisionswerberin hätte "jedenfalls die Pflicht gehabt, sich die notwendigen Kenntnisse hinsichtlich der für einen Verfahrenshilfeantrag zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision richtigen Einbringungsstelle zu verschaffen". Da die Revisionswerberin "solche Erkundigungen" unterlassen habe, treffe sie ein grobes Verschulden, das der Bewilligung der Wiedereinsetzung entgegenstehe.
5 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen hat:
6 Entgegen dem - gemäß § 34 Abs. 1a VwGG den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden - im angefochtenen Beschluss vorgenommenen Ausspruch des BVwG, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei, erweist sich die vorliegende Revision im Sinne der genannten Verfassungsbestimmung als zulässig und auch als berechtigt. Zwar unterliegt die Frage, ob ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden der Partei zur Fristversäumung geführt hat, grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne der genannten Verfassungsbestimmung läge daher nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen wurde (vgl. zu § 46 VwGG etwa , 0118, Rn. 10, mwN). Das ist allerdings - wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt - gegenständlich der Fall, weil das BVwG dem von ihm zugrunde gelegten Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag bei der rechtlichen Beurteilung nicht ausreichend Rechnung getragen hat.
7 So wird das im angefochtenen Beschluss wörtlich wiedergegebene Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag im Rahmen der rechtlichen Beurteilung vom BVwG einleitend (nur) dahin zusammengefasst, dass als maßgebliches Ereignis "die mangelnden Deutschkenntnisse und die Verwechslung der Gerichtsbezeichnung" sowie der Umstand geltend gemacht worden seien, "dass das BVwG fristgerecht das Anbringen an den zuständigen VwGH hätte weiterleiten müssen". Einerseits wurde jedoch der zuletzt angeführte Vorwurf von Seiten der Revisionswerberin gar nicht erhoben, andererseits stellten die mangelnden Deutschkenntnisse der Revisionswerberin und die im Wiedereinsetzungsantrag behauptete Verwechslung der "Ausdrücke Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof" vor dem Hintergrund des übrigen Vorbringens keine tragenden Argumente dar. Ein unrichtiges Verständnis der Rechtsmittelbelehrung wäre in diesem Zusammenhang nämlich von vornherein als Wiedereinsetzungsgrund nicht in Betracht gekommen, weil die Rechtsmittelbelehrung nur den Hinweis enthält, dass eine Revision beim BVwG einzubringen ist; dass davon abweichend der Verfahrenshilfeantrag für eine außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen ist, lässt sich ihr nicht entnehmen.
8 Aus diesem Manko leitete das BVwG vielmehr auch die Pflicht der Revisionswerberin zur Erkundigung über die richtige Einbringungsstelle ab. Nun ist dem BVwG zwar einzuräumen, dass auch der Verwaltungsgerichtshof schon davon ausgegangen ist, angesichts der insoweit unvollständigen Rechtsmittelbelehrung hätte sich der rechtsunkundige Antragsteller vergewissern müssen, wo er seinen Verfahrenshilfeantrag einzubringen habe (). Dieser Vorwurf kann der Revisionswerberin jedoch auf Basis ihres (bescheinigten) Vorbringens im Wiedereinsetzungsantrag nicht, jedenfalls nicht im Sinne eines groben Verschuldens, gemacht werden:
9 Danach seien nämlich die Revisionswerberin und ihr Ehemann - ausgehend von der Meinung, der Verfahrenshilfeantrag sei bei jenem Gericht einzubringen, von dem die Entscheidung "zugestellt" worden sei - gemeinsam beim BVwG gewesen und es sei ihnen dort ausdrücklich mitgeteilt worden, dass "sie Verfahrenshilfe hier sofort beantragen können". Es sei sogar "eine zweite Person aus einem höheren Stockwerk" zu ihnen gekommen, die gemeint habe, dass "nur noch die Unterschrift der Revisionswerberin fehle und dann alles in Ordnung sei". Man werde den Antrag entgegennehmen. Man hätte von Seiten des BVwG - so das weitere Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag - darauf hinweisen müssen, dass "eine Frist hier nicht gewahrt sei, wenn man den Antrag beim BVwG stelle und daher nicht alles in Ordnung sei". Sofern irgendein Hinweis darauf gegeben worden wäre, hätten die Ehegatten den Antrag "sofort am gleichen Tag" direkt beim Verwaltungsgerichtshof einbringen können. Ein solcher Hinweis sei jedoch nicht erfolgt.
10 Angesichts dieser - vom BVwG bei der rechtlichen Beurteilung im angefochtenen Beschluss außer Acht gelassenen - Umstände durfte die Revisionswerberin tatsächlich darauf vertrauen, dass das BVwG die richtige Einbringungsstelle für ihren Verfahrenshilfeantrag sei und dass sie andernfalls darauf hingewiesen werden würde, wo der Verfahrenshilfeantrag sonst einzubringen sei. Bei dieser Ausgangslage stellte es jedenfalls keine grobe Sorgfaltswidrigkeit dar, keine ergänzenden Erkundigungen einzuholen, wobei die Revisionswerberin unter Zugrundelegung ihres diesbezüglichen Vorbringens auch kein grobes Auswahlverschulden oder eine grobe Verletzung der Kontrollpflichten trifft, soweit ihr Ehemann im gegebenen Zusammenhang als Hilfsperson tätig wurde.
11 Zur Vollständigkeit sei noch erwähnt, dass sich die gegenständliche Konstellation auch von dem vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Ra 2015/19/0222, entschiedenen Fall wesentlich unterscheidet, weil dort - neben dem Vorwurf der Verletzung der Erkundigungspflicht über die richtige Einbringungsstelle - vor allem auch damit argumentiert wurde, dass vom Antragsteller das vom Verwaltungsgerichtshof aufgelegte Formblatt ("Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer ao. Revision") verwendet wurde, das sogleich nach dieser Überschrift (in Fettdruck) auf der ersten Seite den Vermerk enthält "Hinweis: Dieser Antrag ist beim VwGH einzubringen". Dieses Formblatt hat die Revisionswerberin aber nicht verwendet, sondern - was die nach möglicherweise nur oberflächlicher Betrachtung erfolgte Entgegennahme des Antrags durch das BVwG erklären könnte - das vom BVwG aufgelegte, handschriftlich ergänzte Formular für die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers gemäß § 40 VwGVG im Verfahren vor dem BVwG.
12 Demnach liegen im vorliegenden Fall, ausgehend von dem ausreichend bescheinigten Vorbringen der Revisionswerberin in ihrem Antrag, insgesamt die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung gemäß § 46 Abs. 1 VwGG vor, sodass vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in der Sache selbst dahin zu entscheiden war, dass der Revision Folge gegeben und der Revisionswerberin die beantragte Wiedereinsetzung gewährt wird.
13 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am