VwGH vom 15.03.2018, Ra 2017/21/0147

VwGH vom 15.03.2018, Ra 2017/21/0147

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des K B in W, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. G307 2149410- 1/8E, betreffend Aufenthaltsverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist slowakischer Staatsangehöriger. Am wurde ihm - nachdem er bereits seit Herbst 2011 in Österreich aufhältig war - eine Anmeldebescheinigung ausgestellt. Er war von bis , von bis und von 22. bis als Arbeiter beschäftigt. Seit dem bezieht er Mindestsicherung.

2 Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom wurde er wegen teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßigen Diebstahls als Beitragstäter zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Es wurde ihm angelastet, dass er jeweils zum Diebstahl einer Kinderjacke und von zwei weiteren Jacken unter Verwendung präparierter Taschen durch Aufpasserdienste beigetragen habe. In gleicher Weise habe er zu einem weiteren versuchten Diebstahl einer Jacke, zum versuchten Diebstahl von Bananen und Schnaps sowie zum versuchten Diebstahl eines Christbaums beigetragen.

3 Im Hinblick auf diese Straftaten erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber mit Bescheid vom gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot; gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab.

5 Es stellte fest, dass der Revisionswerber zwar mit vier näher bezeichneten Personen zusammenlebe, dass es sich dabei aber nicht um Angehörige seiner Kernfamilie handle. Es sei nicht glaubwürdig, dass der Revisionswerber verheiratet sei und drei Kinder habe; der ZMR-Auszug und die Vollzugsdateninformation wiesen ihn nämlich als ledig aus, und er habe weder Geburts- noch Heiratsurkunde oder sonstige Dokumente beigebracht, die seine Behauptung unter Beweis gestellt hätten. Die in der Beschwerde erhobene Behauptung, dass er auf Grund eines Schlaganfalls arbeitsunfähig sei, bleibe "leer im Raum stehen".

6 Das Bundesverwaltungsgericht bejahte sodann die Gefährdungsprognose des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG. Die Bereitwilligkeit des Revisionswerbers, sich wiederholt durch Diebstähle zu bereichern und sich dadurch eine gesetzwidrige Einnahmequelle zu verschaffen, weise auf eine hohe kriminelle Energie sowie eine "beachtliche Herabsetzung der inneren Hemmschwelle" des Revisionswerbers hin. Trotz bereits erfolgter einschlägiger Vorverurteilungen (in der Slowakei) sei er nicht vor der wiederholten Begehung von Diebstählen zurückgeschreckt. Hinzu trete, dass er angegeben habe, auf Grund eines Schlaganfalls arbeitsunfähig zu sein, zur Begehung der geschilderten Taten jedoch fähig gewesen sei. Er sei nicht in der Lage gewesen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, sondern habe sich "der kriminellen Seite" zugewandt.

7 Der Revisionswerber verfüge im Bundesgebiet "durch seine Haushaltsangehörigen" zumindest über ein schützenswertes Privatleben. Dessen Einschränkung habe er durch sein Verhalten aber bewusst in Kauf genommen.

8 Das Aufenthaltsverbot sei somit auch gemäß § 9 BFA-VG zulässig. Auch die gewählte Dauer des Aufenthaltsverbotes erweise sich als rechtmäßig.

9 Von einer mündlichen Verhandlung sah das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG ab.

10 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen hat:

11 Der Revisionswerber bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe.

12 Damit ist der Revisionswerber im Recht. Eine mündliche Verhandlung war zwar vom bereits im Beschwerdeverfahren rechtskundig vertretenen Revisionswerber nicht beantragt worden. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht aber von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn es diese für erforderlich hält; damit steht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Parteiantrag nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichts (vgl. , mwN). Davon, dass (im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG) eine weitere Klärung der Rechtssache durch die mündliche Erörterung nicht zu erwarten war bzw. der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt war, konnte im vorliegenden Fall keine Rede sein.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich in seiner Rechtsprechung schon wiederholt darauf hingewiesen, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Von einem geklärten Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG kann bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. zum Ganzen etwa , mwN).

14 Ein solcher eindeutiger Fall lag hier nicht vor. In einer mündlichen Verhandlung wäre neben seiner gesundheitlichen Situation insbesondere auch die Intensität des vom Revisionswerber in Österreich geführten Familienlebens (bzw. die Möglichkeit, dieses in der Slowakei fortzuführen) zu erörtern gewesen. Eine Reduktion bloß auf den Aspekt des "Privatlebens" war angesichts dessen, dass der Revisionswerber stets vorgebracht hatte, mit seiner Frau und seinen Kindern zusammenzuleben und selbst das BFA vom Bestehen einer Lebensgemeinschaft ausgegangen war (in der Revision wird präzisiert, dass es sich bei den Angehörigen um seine Lebensgefährtin, den gemeinsamen Sohn, die Tochter der Lebensgefährtin und deren minderjährige Tochter handle), jedenfalls nicht zulässig. Im Übrigen hätte sich das Bundesverwaltungsgericht auch damit auseinandersetzen müssen, ob der Revisionswerber das unionsrechtliche Daueraufenthaltsrecht erworben hatte; bejahendenfalls wäre auf ihn der erhöhte Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG anzuwenden (vgl. , Pkt. 2. der Entscheidungsgründe).

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

16 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017210147.L00

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