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VwGH vom 14.11.2017, Ra 2017/21/0143

VwGH vom 14.11.2017, Ra 2017/21/0143

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des A A in W, vertreten durch Dr. Sabine Kellner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Riemergasse 10/7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W117 2161338-1/6E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses (Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG) richtet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste spätestens im Juni 2013 erstmals nach Österreich und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit unbekämpft gebliebenem Bescheid vom gemäß § 5 AsylG 2005 iVm einer Ausweisung des Revisionswerbers zurückgewiesen.

2 Im August 2013 verließ der Revisionswerber Österreich, reiste dann aber knapp vier Jahre später im Juni 2017 wieder ins Bundesgebiet ein. Hier wurde er am aufgegriffen und in der Folge am insbesondere zur beabsichtigten Verhängung von Schubhaft niederschriftlich einvernommen. Im Zuge dieser Einvernahme gab der Revisionswerber u.a. an, im August 2013 "nach Deutschland und Frankreich" ausgereist zu sein; er habe dann zwischen Stuttgart und Paris "gependelt" und sei "maximal zwei Monate" an einem Ort verblieben; nunmehr sei er nach Österreich gekommen, um einen namentlich genannten Cousin zu besuchen.

3 Mit der beabsichtigten Verhängung von Schubhaft konfrontiert erklärte der Revisionswerber dann noch, einen neuerlichen "Asylantrag" stellen zu wollen. Mit Mandatsbescheid vom selben Tag verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hierauf über den Revisionswerber gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zum Zweck der Sicherung der Abschiebung.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr bekämpften Erkenntnis vom gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG, Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO und § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm "§ 76 Abs. 3 Satz 1, Z 1, Z 2 FPG" als unbegründet ab (Spruchpunkt I.). Außerdem stellte das BVwG gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG, Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO und § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm "§ 76 Abs. 3 Satz 1, Z 1, Z 2 FPG" fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt seiner Entscheidung vorlägen (Spruchpunkt II). Schließlich traf es in den Spruchpunkten III. und IV. diesem Ergebnis entsprechende Kostenentscheidungen und sprach dann gemäß § 25a Abs. 1 VwGG noch aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Das BVwG folgte im Wesentlichen den in der Einvernahme vom erstatteten Angaben des Revisionswerbers und hielt darüber hinaus insbesondere fest, dass er während seines ersten Asylverfahrens vom bis zum im Rahmen der Grundversorgung in der Erstaufnahmestelle Ost untergebracht gewesen, dann aber wegen "unbekannten Aufenthaltes" abgemeldet worden sei. Zu seinem Asylfolgeantrag vom Juni 2017 sei er am befragt worden, an diesem Tag sei ihm auch mitgeteilt worden, dass Konsultationsverfahren (nach der Dublin III-VO) mit Frankreich und Deutschland geführt würden.

6 In rechtlicher Hinsicht führte das BVwG aus, es sei im vorliegenden Fall angesichts dessen, dass es um die Sicherung eines sogenannten "Dublin-Verfahrens" gehe, Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO entscheidungsrelevant. Im Sinne dieser Bestimmung liege beim Revisionswerber, der "Fluchtgefahrindikatoren" nach § 76 Abs. 3 FPG erfülle, erhebliche Fluchtgefahr vor, weil er 2013 den Ausgang des österreichischen Asylverfahrens nicht abgewartet und sich ohne Kenntnis der österreichischen Behörden "nach Deutschland/Frankreich" abgesetzt habe, weil er in der Folge zwischen Deutschland und Frankreich während des von ihm in Deutschland betriebenen Asylverfahrens alle zwei Monate "hin- und her pendelte" und weil er sich danach wieder illegal nach Österreich - aber nur zu Besuchszwecken - begeben und hier erst nach Schubhaftandrohung einen Asylfolgeantrag gestellt habe.

7 An dieser Beurteilung in Bezug auf die Schubhaftverhängung habe sich bis zum Entscheidungszeitpunkt nichts geändert und es sei nach wie vor vom Bestehen erheblicher Fluchtgefahr auszugehen, welche die Sicherung der Außerlandesbringung mittels Schubhaft - diese erweise sich auch als verhältnismäßig - erfordere.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen hat:

9 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11 Unter diesem Gesichtspunkt macht die Revision geltend, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es entgegen dem ausdrücklichen Antrag in der Beschwerde keine mündliche Verhandlung durchgeführt und das Parteiengehör verletzt habe. Außerdem habe es die Schubhaftbeschwerde zu Unrecht auf Grundlage von Art. 28 Abs. 2 Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG abgewiesen, weil das BFA die Schubhaft auf § 76 Abs. 2 Z 1 FPG gestützt habe.

12 Der letztgenannte Vorwurf trifft zu.

13 Mit dem Bescheid des BFA vom war gegen den Revisionswerber Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG zum Zweck der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet worden. Auf Grund der dagegen erhobenen Beschwerde nach § 22a BFA-VG wäre es Aufgabe des BVwG gewesen, diesen Bescheid - und in weiterer Folge die darauf gegründete Anhaltung in Schubhaft - einer Überprüfung zu unterziehen. Im Rahmen dieser Überprüfung wäre die Rechtmäßigkeit des konkret erlassenen Bescheides zu beurteilen gewesen; es hätte also geklärt werden müssen, ob es am rechtens war, über den Revisionswerber Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG zu den genannten Sicherungszwecken zu verhängen und diese Schubhaft bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG aufrecht zu erhalten.

14 Dem hat das BVwG im Zuge seiner Beschwerdeabweisung unter Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses nicht Rechnung getragen. Vielmehr zog es dabei ausgehend von der Annahme, es gehe im vorliegenden Fall um die Sicherung eines "Dublin-Verfahrens", eigenständig den Schubhafttatbestand nach § 76 Abs. 2 Z 2 FPG heran und beurteilte die Rechtmäßigkeit der Schubhaftverhängung sowie der auf deren Basis erfolgten Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft ex post auf dieser Grundlage. Damit hat das BVwG seine Prüfungspflicht verkannt und sich in rechtswidriger Weise - korrigierend - an die Stelle des BFA gesetzt. Eine solche "Sanierung" eines behördlichen Schubhaftbescheides, die - durch Änderung der Rechtsgrundlage - auf einen "Austausch" der tatsächlich verhängten Schubhaft gegen jene, die das BVwG für richtig erachtet, hinausläuft (konkret insbesondere zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Anordnung zur Außerlandesbringung statt im Hinblick auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung), kommt nicht in Betracht (vgl. in diesem Sinn das Erkenntnis ; siehe zuletzt auch das Erkenntnis , Rn. 10 f).

15 Anderes gilt für den "Fortsetzungsausspruch" nach § 22a Abs. 3 FPG (Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses). Dabei war das BVwG nicht an die im Schubhaftbescheid herangezogenen Rechtsgrundlagen gebunden, sondern hatte die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft nach allen Richtungen zu prüfen (vgl. das Erkenntnis ). Diese Prüfung hatte unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der bisherigen Schubhaft zu erfolgen (siehe das Erkenntnis , Punkt 3.1. der Entscheidungsgründe) und "ermächtigte" das BVwG, auf Basis der aktuellen Sach- und Rechtslage "in der Sache" zu entscheiden und damit gegebenenfalls einen neuen Schubhafttitel zu schaffen (siehe abermals das Erkenntnis , Rn. 11, mwN). Das BVwG war damit nicht gehindert - vielmehr sogar verpflichtet -, im Rahmen seines "Fortsetzungsausspruches" unter Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses auf den von ihm für richtig erachteten Schubhafttatbestand "umzusteigen".

16 Gegen die insoweit erfolgte Heranziehung des § 76 Abs. 2 Z 2 FPG im Rahmen des Ausspruches nach § 22a Abs. 3 BFA-VG wendet sich die Revision nicht grundsätzlich. Sie stellt auch nicht in Abrede, dass ein "Fluchtgefahrtatbestand" nach § 76 Abs. 3 FPG erfüllt sei (jedenfalls liegt jener nach der zweiten Alternative der Z 3 der genannten Bestimmung vor, weil sich der Revisionswerber dem seinerzeitigen Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz ab dem unstrittig auf Dauer entzogen hatte). Schon in den Zulässigkeitsausführungen der Revision wird aber geltend gemacht, bei Unterbleiben der gerügten Verfahrensfehler (Verletzung der Verhandlungspflicht und des Parteiengehörs) hätte sich ergeben, dass der Revisionswerbers ohnehin zur Ausreise nach "Deutschland/Frankreich" bereit sei, weshalb keine erhebliche Fluchtgefahr vorliege.

17 Diese Ausreiseabsicht ist indessen in einer Konstellation, wie sie hier vorliegt, nicht wesentlich. Entscheidend ist vielmehr, ob sich der Revisionswerber seinem neuerlichen Asylverfahren und insbesondere einer allfälligen Überstellung nach der Dublin III-VO unterziehen würde (eine bloße Ausreiseabsicht nach "Deutschland/Frankreich" gewährleistet nicht, dass sich der Revisionswerber - fristgerecht - der Ausreise in den dann tatsächlich für zuständig erkannten "Dublin-Staat" stellen werde). Dass das BVwG vor dem Hintergrund der unter den Rn. 5 f dargestellten Erwägungen, die in sachverhaltsmäßiger Hinsicht unbestritten bleiben, davon ausging, das sei beim Revisionswerber nicht anzunehmen, und insofern das Vorliegen erheblicher Fluchtgefahr bejahte, begegnet keinen Bedenken.

18 Kommt es nach dem Gesagten auf die (bloße) Ausreiseabsicht des Revisionswerbers "nach Deutschland/Frankreich" nicht an, so ermangelt diesem Gesichtspunkt die Relevanz. Damit ist einerseits die insoweit gerügte Verletzung des Parteiengehörs nicht maßgeblich und ist andererseits - weil kein entscheidungswesentlicher klärungsbedürftiger Sachverhalt vorlag - das Unterbleiben der beantragten Beschwerdeverhandlung im Grunde des § 21 Abs. 7 BFA-VG nicht zu beanstanden (vgl. etwa das Erkenntnis ).

19 Zusammenfassend ergibt sich damit, dass die Revision in Bezug auf den "Fortsetzungsausspruch" nach § 22a Abs. 3 BFA-VG (Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses) kein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufzuzeigen vermag. Insoweit ist die Revision daher mangels Darlegung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Fünfersenat - zurückzuweisen.

20 Was allerdings die Abweisung der erhobenen Beschwerde unter Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses anlangt, so ist dem BVwG im Sinn der oben unter Rn. 13 f dargelegten Überlegungen eine Fehlbeurteilung anzulasten. Insoweit und hinsichtlich der darauf aufbauenden Kostenentscheidungen war das angefochtene Erkenntnis daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

21 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auch auf § 50 VwGG, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren auf Ersatz der Eingabengebühr war im Hinblick auf die auch insoweit bewilligte Verfahrenshilfe abzuweisen.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017210143.L00
Schlagworte:
Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

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