VwGH vom 16.11.2011, 2008/08/0119
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des C G in Wien, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2008-0566-9-000434, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem Notstandshilfe beziehenden Beschwerdeführer wurde am vor der regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien S niederschriftlich vereinbart, er solle bis zum wöchentlich zwei Bewerbungen glaubhaft machen. Als nächster Kontrolltermin wurde ihm der vorgeschrieben.
Mit erstinstanzlichem Bescheid vom sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien S gegenüber dem Beschwerdeführer den Verlust der Notstandshilfe gemäß § 10 iVm § 38 AlVG für den Zeitraum vom bis aus. Eine Nachsicht gemäß § 10 Abs. 3 AlVG wurde nicht erteilt. Das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass der Beschwerdeführer den mit ihm niederschriftlich vereinbarten Nachweis zur Erlangung einer Beschäftigung (Eigeninitiative) nicht erbracht habe. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht würden nicht vorliegen.
In der dagegen erhobenen Berufung vom führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, er leide - wie dem Arbeitsmarktservice bekannt sei - an einer Sozialphobie und sei deswegen auch in Therapie. Es sei schon viel besser geworden und er bemühe sich im Rahmen seiner gesundheitlichen Möglichkeiten darum, Arbeit zu finden. Jede Form von starkem Druck könne bei ihm aber leider zu Panikattacken führen, die ihn dann phasenweise daran hinderten zu telefonieren bzw. sonstige soziale Kontakte zu pflegen. Die Vorschreibung eines fixen Rahmens von zwei Bewerbungen pro Woche sei für ihn aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme psychisch so ein enges Korsett, dass er im Zeitraum bis seine Eigeninitiative leider nicht nachweisen habe können.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wurde die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen. Als Sachverhalt stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer habe in einer von der erstinstanzlichen Behörde aufgenommenen Niederschrift am angeführt, dass er nicht in der Lage sei, die vereinbarten Nachweise seiner Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung vorzulegen, da er aufgrund seiner Depressionen nicht suchen und auf Stellenvorschläge sich auch nicht bewerben habe können. Er habe sich aber darum gekümmert, einen Platz beim Sozialökonomischen Betrieb "f zu bekommen. Krankgeschrieben sei er nicht gewesen.
Wie eine Abfrage beim Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger ergeben habe, sei der Beschwerdeführer in der Zeit vom 31. Jänner bis in dem von ihm genannten Betrieb an 23 Tagen geringfügig beschäftigt gewesen. Trotz schriftlicher Aufforderung durch die belangte Behörde habe er außer der Bewerbung beim Sozialökonomischen Betrieb "f" keine weiteren Bewerbungen bei Firmen in der Zeit vom bis im Zuge des berufungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens nachweisen können.
Das letzte arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis des Beschwerdeführers vor dem Anspruchsverlust habe am geendet.
Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass die Anzahl der vorgeschriebenen und vom Beschwerdeführer jedenfalls nicht nachgewiesenen zehn Eigeninitiativbewerbungen in einem Zeitraum von fünf Wochen vom 13. November bis mit der Dynamik des Wiener Arbeitsmarktes zu begründen sei. Gemäß den Aufzeichnungen des Arbeitsmarktservice habe der Beschwerdeführer eine Lehrabschlussprüfung als Lüftungsspengler absolviert. Er habe Berufserfahrung als Spengler und als Lüftungsmonteur. Im Bereich dieser Tätigkeiten gebe es eine Reihe von Möglichkeiten der Bewerbung durch Stellenangebote, welche vom Arbeitsmarktservice über das Internet angeboten würden, bis zu Jobangeboten von Unternehmen in den Zeitungsmedien. Auf Grund des Alters des Beschwerdeführers von 39 Jahren und seiner seit andauernden Arbeitslosigkeit sei eine nachgewiesene Bewerbung im Zeitraum von fünf Wochen, die zu einer geringfügigen Beschäftigung von insgesamt 23 Tagen geführt habe, anstatt der vom Arbeitsmarktservice vorgeschriebenen zehn Bewerbungen nach den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers als nicht ausreichend auf dem für ihn konkret in Frage kommenden Teil des Arbeitsmarktes als Spengler und Lüftungsmonteur anzusehen, zumal er im Hinblick auf die von ihm vorgebrachten psychischen Probleme bzw. Depressionen keine Krankenstandsbestätigung für die Zeit vom 13. November bis vorlegen habe können. Aus den vom Beschwerdeführer im Zuge des Berufungsverfahrens vorgelegten Beweismitteln im Hinblick auf eine vorliegende Unzumutbarkeit einer Beschäftigung aus gesundheitlichen Gründen gemäß § 9 Abs. 2 AlVG sei für die belangte Behörde nicht ersichtlich, welcher Art die am festgestellte Sozialphobie sei und ob diese beim Beschwerdeführer noch immer vorliege. Weiters sei es auch aufgrund der vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Bestätigungen nicht nachvollziehbar, warum er sich im Rahmen der ihm vom Arbeitsmarktservice aufgetragenen Eigeninitiative nicht für Stellenangebote schriftlich habe bewerben können. Eine für den durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien S angeordnete ärztliche Untersuchung durch das Berufliche Diagnose Zentrum der Berufsdiagnostik Austria (BBRZ) als möglicher Beweis für gesundheitliche Einschränkungen des Beschwerdeführer habe wegen der Weigerung des Beschwerdeführers, ein Schreiben betreffend seine Zustimmung zum Austausch von Daten mit dem Arbeitsmarktservice als Auftraggeber zu unterschreiben, nicht durchgeführt werden können. Die belangte Behörde komme daher zur Ansicht, dass der Nachweis von einer Bewerbung keine ausreichende Anstrengung zur Erlangung einer Beschäftigung in der Zeit vom 13. November bis darstelle und die Sanktion gemäß § 10 Abs. 1 AlVG somit zu Recht erfolgt sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. § 8 AlVG idF BGBl. Nr. 314/1999 lautet (auszugsweise):
"§ 8. (1) Arbeitsfähig ist, wer nicht invalid beziehungsweise nicht berufsunfähig im Sinne der für ihn in Betracht kommenden Vorschriften der §§ 255, 273 beziehungsweise 280 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ist.
(2) Der Arbeitslose ist, wenn sich Zweifel über die Arbeitsfähigkeit ergeben, verpflichtet, sich auf Anordnung der regionalen Geschäftsstelle ärztlich untersuchen zu lassen. Weigert er sich, dieser Anordnung Folge zu leisten, so erhält er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld.
(…)"
Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist unter anderem arbeitswillig, wer bereit ist, von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.
§ 10 Abs. 1 AlVG in den für den Beschwerdefall zeitraumbezogen anzuwendenden Fassungen BGBl. I Nr. 77/2004 und BGBl. I Nr. 104/2007 lautet (auszugsweise):
"§ 10. (1) Wenn die arbeitslose Person
(…)
4. auf Aufforderung durch die regionale Geschäftsstelle nicht bereit oder in der Lage ist, ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung nachzuweisen,
so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde."
Gemäß § 38 AlVG sind die genannten Bestimmungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
2. Das Arbeitsmarktservice kann einen Arbeitslosen nach § 10 Abs. 1 Z 4 AlVG auffordern, ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung nachzuweisen. Wird eine solche Aufforderung dahingehend konkretisiert, dass der Arbeitslose in bestimmter Zeit eine bestimmte Zahl von Bewerbungen nachweisen soll, kann dies aber nichts daran ändern, dass der Arbeitslose dennoch nur nachweisen muss, dass er ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung gemacht hat. Es ist Aufgabe der Behörde zu beurteilen, ob die nachgewiesenen Anstrengungen unter den konkreten Verhältnissen vor dem Hintergrund des - ebenfalls darzustellenden - Umfeldes auf dem konkret in Frage kommenden Teil des Arbeitsmarktes nach den persönlichen Verhältnissen des Arbeitslosen ausreichend waren oder nicht. Kommt sie zum Ergebnis, die Anstrengungen seien nicht ausreichend, hat sie ihre diesbezüglichen Erwägungen in der Begründung des Bescheides darzulegen. Die Bescheidbegründung hat eine Würdigung der Anstrengungen zu enthalten. Hierbei ist das Gesamtverhalten des Arbeitslosen von der Aufforderung bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides zu beurteilen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0323, mwN).
3. Die belangte Behörde erwiderte in der Begründung des angefochtenen Bescheides dem Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers, wonach dieser aufgrund seiner psychischen Probleme nicht in der Lage gewesen sei, im Wesentlichen damit, dass aus den von ihm vorgelegten Beweismitteln nicht ersichtlich sei, welcher Art diese Erkrankung sei und ob diese immer noch vorliege. Auf Grund der vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Bestätigungen sei nicht nachvollziehbar, warum sich der Beschwerdeführer im Rahmen der ihm aufgetragenen Eigeninitiative nicht für Stellenangebote bewerben habe können.
Der Beschwerdeführer bringt dazu vor, dass die belangte Behörde diese Fragen unter Beiziehung eines Sachverständigen hätte beantworten müssen, da in Feststellungen über die psychische Erkrankung des Beschwerdeführers und die Auswirkungen dieser Erkrankung auf die Möglichkeiten des Beschwerdeführers, die ihm aufgetragene Eigeninitiative zu erfüllen, notwendig gewesen wären, und die belangte Behörde diese Feststellungen ohne das entsprechende Fachwissen selbst nicht treffen habe können.
4. Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt:
Wie auch die (versuchte) Zuweisung des Beschwerdeführers zu einer ärztlichen Untersuchung durch die belangte Behörde zeigt, gab das Berufungsvorbringen Anlass zu Zweifeln darüber, ob dem Beschwerdeführer die ihm konkret aufgetragenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung gesundheitlich zumutbar waren bzw. darüber hinaus, ob überhaupt Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers im Sinne des § 8 Abs. 2 AlVG vorliegt. Die belangte Behörde war daher berechtigt - und mangels Vorliegens entsprechender aussagekräftiger Beweismittel, zum Beispiel aktueller medizinischer Befunde und Gutachten, zur Feststellung des relevanten Sachverhaltes auch gehalten - den Beschwerdeführer zu einer ärztlichen Untersuchung aufzufordern.
Soweit die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheids darauf verweist, dass eine ärztliche Untersuchung des Beschwerdeführers deshalb nicht habe durchgeführt werden können, weil sich der Beschwerdeführer geweigert habe, eine Zustimmung zum Austausch von Daten mit dem Arbeitsmarktservice als Auftraggeber zu unterschreiben, ist sie darauf zu verweisen, dass eine Zustimmung des Arbeitslosen zur Übertragung von Daten im AlVG nicht vorgesehen ist. Vielmehr hat das Arbeitsmarktservice sicherzustellen, dass es auch ohne eine solche Zustimmung zu den entsprechenden Daten über das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung gelangt. Dabei hat das Arbeitsmarktservice nach Maßgabe des AVG medizinische Sachverständige heranzuziehen, die als amtliche oder nichtamtliche Sachverständige Hilfsorgane der Behörde sind, sodass ihre Gutachten der Behörde selbst ohne weiteres zur Verfügung stehen, ohne dass datenschutzrechtliche Fragen entstehen können (vgl. das zu einem Entzug des Arbeitslosengelds gemäß § 8 Abs. 2 AlVG ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0242). Im Übrigen ist die Frage, ob der Beschwerdeführer am einer Ladung zur ärztlichen Untersuchung allenfalls zu Unrecht nicht Folge geleistet hat, für die Frage, ob für den davor liegenden Zeitraum vom bis eine Sperrfrist im Sinne des § 10 AlVG verhängt werden durfte, ohne rechtliche Bedeutung.
Die belangte Behörde konnte daher aus der am erfolgten Weigerung des Beschwerdeführers, eine Zustimmung zur Übermittlung von Daten einer ärztlichen Untersuchung beim BBRZ zu unterzeichnen, nicht darauf schließen, dass dem Beschwerdeführer die ihm lange vor diesem Zeitpunkt aufgetragene Eigeninitiative gesundheitlich möglich und zumutbar war, oder dass dadurch Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit im Sinne des § 8 Abs. 2 AlVG ausgeräumt worden seien (vgl. zur Unzulässigkeit, von der Verweigerung einer ärztlichen Untersuchung auf die Arbeitsfähigkeit des Arbeitslosen und die Zumutbarkeit der ihm angebotenen Beschäftigung zu schließen, das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/02/0041).
5. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
JAAAE-75790