VwGH vom 29.06.2017, Ra 2017/21/0060
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision der Landespolizeidirektion Vorarlberg gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg vom , LVwG-1-713/2016-R9, betreffend Einstellung eines Strafverfahrens wegen Übertretung des § 120 Abs. 2 Z 1 FPG (mitbeteiligte Partei: W S in F, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Vorarlberg (im Folgenden: LPD) vom wurde dem Mitbeteiligten, einem pakistanischen Staatsangehörigen, zur Last gelegt, er habe am in Curitiba/Brasilien im Verfahren zur Erteilung eines (italienischen) Einreisetitels vor dem Italienischen Honorarkonsulat als zur Ausstellung eines solchen Titels berufenen Behörde wissentlich falsche Angaben gemacht, um sich einen, wenn auch nur vorübergehenden, rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu erschleichen. Er habe das (ihm sodann erteilte) Schengen-Visum (ITA022373964), gültig vom bis , benützt, um in Österreich einen "Asylantrag" zu stellen. Er sei (nämlich) am mit dem Flugzeug von Sao Paulo direkt nach Zürich gereist und habe sodann am in Österreich (bei einer näher genannten Polizeistation in Feldkirch) einen "Asylantrag" gestellt. Der Mitbeteiligte habe hierdurch § 120 Abs. 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) übertreten und es wurde über ihn nach der genannten Bestimmung eine Geldstrafe von EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 4 Tage und 4 Stunden) verhängt.
2 Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (LVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gemäß § 50 VwGVG Folge, es hob das bekämpfte Straferkenntnis auf und stellte das (diesbezügliche) Strafverfahren ein. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das LVwG aus, eine Revision sei nicht zulässig.
3 Diese Entscheidung begründete das LVwG - auf das für das vorliegende Verfahren Wesentliche zusammengefasst - damit, dass nach § 2 Abs. 1 VStG nur die im Inland begangenen Verwaltungsübertretungen strafbar seien. Nach § 2 Abs. 2 VStG sei eine Übertretung dann im Inland begangen, wenn der Täter im Inland gehandelt habe oder wenn der zum Tatbestand gehörende Erfolg im Inland eingetreten sei. Zu der fallbezogen in Betracht kommenden zweiten Alternative verwies das LVwG auf die dazu ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach deren Verwirklichung das Vorliegen eines Erfolgsdeliktes voraussetze. Darunter sei ein solches Delikt zu verstehen, bei dem der Eintritt des Erfolges Tatbestandsvoraussetzung für das Vorliegen des vollendeten Delikts sei. Mit näherer Begründung kam das LVwG dann zu dem Ergebnis, dass die genannte Voraussetzung bei dem hier in Rede stehenden Straftatbestand des § 120 Abs. 2 Z 1 FPG nicht vorliege und es sich somit nicht um ein Erfolgsdelikt handle. Demzufolge sei der Mitbeteiligte "mangels einer Begehung im Inland" nicht zu bestrafen und somit spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Amtsrevision der LPD, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Fünfersenat nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde von Seiten des Mitbeteiligten nicht erstattet - erwogen hat:
5 Die Revision erweist sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a VwGG nicht bindenden Ausspruch des LVwG wegen Fehlens einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Strafbarkeit nach § 120 Abs. 2 Z 1 FPG als zulässig. Das wird von der LPD zutreffend releviert. Die Amtsrevision ist jedoch im Ergebnis nicht begründet.
6 Die im vorliegenden Fall gegenständliche Strafbestimmung des § 120 Abs. 2 Z 1 FPG und die vom LVwG seiner Entscheidung maßgeblich zugrunde gelegte Norm des § 2 Abs. 1 und 2 VStG lauten:
"§ 120. ...
(2) Wer als Fremder
1. in einem Verfahren zur Erteilung eines Einreisetitels oder eines Aufenthaltstitels vor der zur Ausstellung eines solchen Titels berufenen Behörde wissentlich falsche Angaben macht, um sich einen, wenn auch nur vorübergehenden, rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu erschleichen, oder
2. ...
begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 1 000 Euro bis zu 5 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen."
"§ 2. (1) Sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, sind nur die im Inland begangenen Verwaltungsübertretungen strafbar.
(2) Eine Übertretung ist im Inland begangen, wenn der Täter im Inland gehandelt hat oder hätte handeln sollen oder wenn der zum Tatbestand gehörende Erfolg im Inland eingetreten ist."
7 Vor diesem Hintergrund wird in der Amtsrevision unter anderem geltend gemacht, gemäß § 2 Abs. 1 VStG stehe es dem Materiengesetzgeber grundsätzlich offen, auch Taten, die im Ausland begangen worden seien, unter Strafe zu stellen. Für den Gesetzgeber des FPG sei klar gewesen, dass er - so heißt es in der Revision daran anschließend - mit der "zuständigen Behörde", die einen Einreisetitel erteile, eine "österreichische Botschaft oder ein österreichisches Konsulat im Auge hatte", weil "grundsätzlich (mit Ausnahmen) nur dort" ein Visum beantragt werden könne. Auch wenn "die Auslandszuständigkeit nicht wörtlich abgebildet" sei, so sei sie doch "aus teleologischen Gründen herauszulesen". "Anderweitig" wäre die gesamte Bestimmung "obsolet".
8 Diesen Ausführungen ist zunächst darin beizupflichten, dass § 2 Abs. 1 VStG, wonach grundsätzlich nur im Inland begangene Verwaltungsübertretungen strafbar sind, insoweit keine abschließende Regelung enthält, sondern ausdrücklich Verwaltungsvorschriften, die anderes bestimmen, unberührt lässt. Eine solche Verwaltungsstrafbestimmung ist der verfahrensgegenständliche § 120 Abs. 2 Z 1 FPG, der näher umschriebene wissentlich falsche Angaben (u.a.) vor der zur Ausstellung eines Einreisetitels - dazu zählen gemäß § 2 Abs. 1 FPG (v.a.) auch "Visa gemäß dem Visakodex" ("Schengen-Visa") - "berufenen" Behörde unter Strafe stellt. Anträge auf Erteilung solcher Visa werden gemäß Art. 4 Abs. 1 Visakodex grundsätzlich vom "Konsulat" - das sind gemäß der Begriffsbestimmung des Art. 2 Z 9 Visakodex "die zur Visumerteilung ermächtigten Auslandsvertretungen eines Mitgliedstaats, die von einem Berufskonsularbeamten im Sinne des Wiener Übereinkommens vom über konsularische Beziehungen geleitet werden" - geprüft und "beschieden".
9 Daraus folgt zwar, dass die von § 120 Abs. 2 Z 1 FPG erfasste inkriminierte Tathandlung des Fremden (jedenfalls) im Zusammenhang mit der Erteilung eines Schengen-Visums durch ein Konsulat eine solche ist, die im Ausland begangen wird. Insoweit ist dem LVwG zuzustimmen. Doch lässt - wie die Amtsrevision an sich zu Recht ins Treffen führt - § 2 Abs. 1 VStG dem Materiengesetzgeber des FPG die Möglichkeit offen, in zulässiger Weise auch dieses Verhalten als Verwaltungsstraftatbestand zu normieren (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/03/0221, Punkt 6.2. der Entscheidungsgründe). Auf die diesbezügliche Einschränkung im § 2 Abs. 1 VStG ging das LVwG im angefochtenen Erkenntnis lediglich mit der nicht weiter begründeten Anmerkung ein, "im vorliegenden Fall existiert keine derartige andere Bestimmung". Diese Begründung ist allerdings vor dem dargestellten rechtlichen Hintergrund nicht nachvollziehbar.
10 Die für die Aufhebung des Straferkenntnisses vom und die Einstellung des Strafverfahrens vom LVwG allein herangezogene Begründung erweist sich daher insgesamt als nicht tragfähig. Trotzdem ist dem LVwG aber im Ergebnis aus nachstehenden Gründen beizupflichten:
11 Der in Rede stehende Straftatbestand des § 120 Abs. 2 Z 1 FPG stellt auf wissentlich falsche Angaben des Fremden vor der zur Ausstellung eines Einreisetitels oder eines Aufenthaltstitels "berufenen" Behörde ab. Es wurde in Rz 8 bereits erwähnt, dass zu den "Einreisetiteln" (u.a.) auch die "Visa gemäß dem Visakodex" zählen. Nach dem dort ebenfalls schon genannten Art. 4 Abs. 1 Visakodex werden Anträge auf Erteilung solcher Visa grundsätzlich von den Konsulaten geprüft und "beschieden", wobei sich aus Art. 5 Abs. 1 lit. a und b Visakodex ergibt, dass hierfür in erster Linie das Konsulat jenes Mitgliedstaates zuständig ist, in dessen Hoheitsgebiet das einzige Reiseziel bzw. das Hauptreiseziel liegt. Dem entsprechend normiert § 7 Z 1 FPG für den gemäß dem Visakodex bestehenden Zuständigkeitsbereich von Österreich, dass (u.a.) die Erteilung von "Visa gemäß dem Visakodex" im Ausland den "Vertretungsbehörden" obliegt. Darunter sind gemäß der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 5 Z 3 FPG im vorliegenden Zusammenhang "die diplomatischen und die von Berufskonsuln geleiteten österreichischen Vertretungsbehörden" zu verstehen.
12 Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Strafbestimmung des § 120 Abs. 2 Z 1 FPG mit dem Begriff der "zur Ausstellung eines Einreisetitels berufenen Behörde" im Zusammenhang mit der Erteilung von Schengen-Visa nur die hierfür zuständigen österreichischen Vertretungsbehörden erfasst. Demnach stellt die genannte Bestimmung wissentlich falsche Angaben vor dem nach dem Visakodex zuständigen Konsulat eines anderen Mitgliedstaates (hier: Italiens) nicht unter Strafe, wobei auf den - hier nicht gegebenen - Vertretungsfall des Art. 8 Visakodex nicht weiter einzugehen ist. Auf diesem Standpunkt steht offenbar auch die LPD in der Amtsrevision, wenn sie in den in der Rz 7 zitierten Passagen davon spricht, dass der Gesetzgeber in Bezug auf die "zuständige Behörde", die einen Einreisetitel erteile, eine "österreichische Botschaft oder ein österreichisches Konsulat im Auge hatte".
13 Demnach war die Amtsrevision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am
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