VwGH vom 14.11.2017, Ra 2017/21/0018
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision 1. der T A, und 2. des M C, beide vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , Zl. LVwG 20.32-814/2016-42 und LVwG 21.32-815/2016-42, betreffend Zurückweisung gemäß § 41 FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Steiermark), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in Höhe von insgesamt EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark (im Folgenden: LVwG) die Beschwerden der aus Syrien stammenden revisionswerbenden Parteien - die laut den Angaben in der Revision miteinander verheiratet sind - gegen ihre an der Grenzkontrollstelle Spielfeld gemäß § 41 FPG am erfolgte Zurückweisung als unbegründet ab. Das LVwG führte eine mündliche Verhandlung durch, zu der die revisionswerbenden Parteien jedoch mangels Einreiseerlaubnis nicht persönlich erscheinen konnten.
2 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das LVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die Landespolizeidirektion Steiermark (im Folgenden: LPD) erwogen hat:
4 Die revisionswerbenden Parteien machen unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zum einen geltend, das LVwG habe sich mit den in der Beschwerde vorgebrachten unionsrechtlichen Bedenken gegen die Verordnung der Bundeministerin für Inneres über die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen, BGBl. II Nr. 260/2015 in der auch hier maßgeblichen Fassung BGBl. II Nr. 332/2015, nicht ausreichend auseinandergesetzt. Insoweit gleicht der vorliegende Fall jenem, der dem hg. Beschluss vom , Ra 2017/21/0014 und 0015, zu Grunde lag. Auf die Begründung dieses Beschlusses, aus der sich ergibt, dass es darauf bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung gemäß § 41 Abs. 2 Z 1 FPG nicht ankommt, wird gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG verwiesen.
5 Zum anderen wird in der Revision zur Darlegung ihrer Zulässigkeit ausgeführt, das LVwG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Zweitrevisionswerber keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hätte. Es sei daher sowohl die Zurückweisung des Zweitrevisionswerbers als auch der Erstrevisionswerberin, seiner Ehefrau, unzulässig gewesen.
6 Mit diesem Vorbringen zeigt die Revision im Ergebnis zutreffend eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.
7 Das LVwG stellte fest, dass der Zweitrevisionswerber an der Grenzübergangsstelle Spielfeld - getrennt von der Erstrevisionswerberin befragt - als Grund seines Einreisewunsches angegeben habe: "Wegen des Krieges". Auf die Frage, was das Ziel seiner Einreise nach Österreich sei, habe er geantwortet: "Frieden und Leben". Der Grenzschutzbeamte habe ihn ergänzend gefragt, ob er selbst aus irgendeinem Grund in Syrien verfolgt worden sei; die wörtliche Antwort auf diese Frage habe nicht festgestellt werden können. Die Worte "Asyl" oder "Österreich" seien vom Zweitrevisionswerber jedenfalls nicht verwendet worden. Der Grund für die Zurückweisung sei mit Hilfe des anwesenden Laiendolmetschers dem Zweitrevisionswerber mitgeteilt worden, der darauf zunächst nicht reagiert, dann aber das Einreiseverweigerungsformular unterfertigt habe.
8 Hinsichtlich der Erstrevisionswerberin habe nicht festgestellt werden können, was sie konkret auf die Frage über den Grund bzw. das Ziel ihres Einreisewunsches angegeben habe.
9 Im Akt der LPD befinden sich - auch vom LVwG zitierte - Formulare, auf denen in Bezug auf die Erstrevisionswerberin vermerkt ist, dass sie über kein gültiges Visum verfügt habe und dass kein humanitärer Grund für ihre Einreise vorliege. Hinsichtlich des Zweitrevisionswerbers ist auf dem Formular - abgesehen vom Hinweis auf das Fehlen eines gültigen Visums - vermerkt: "Zuhause Krieg, wird aber persönlich nicht verfolgt! Keine humanitären Gründe".
10 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das LVwG aus, es sei nicht nachvollziehbar, warum - wie die Beschwerde meine - auf Grund des Wunsches nach "Frieden und Leben" allen Beteiligten klar gewesen sein musste, dass die revisionswerbenden Parteien beabsichtigten, um internationalen Schutz anzusuchen. Hätte nämlich allen klar sein müssen, dass der Zweitrevisionswerber einen Antrag auf internationalen Schutz habe stellen wollen, dann stelle sich die Frage, warum er dies nicht bereits in den Transitländern Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien oder Slowenien getan habe oder ob er vorhabe, diesen Antrag in einem anderen europäischen Land, etwa der Schweiz, zu stellen. Der Grenzschutzbeamte sei daher nach Ansicht des LVwG vertretbar davon ausgegangen, dass der vom Zweitrevisionswerber formulierte Wunsch nach "Frieden und Leben" nicht als Antrag auf internationalen Schutz in Österreich zu verstehen sei, zumal dieser Wunsch auch in Slowenien realisierbar gewesen wäre.
11 Damit hat das LVwG die Rechtslage verkannt. 12 Es reicht nämlich für die vom Verwaltungsgericht zu
überprüfende Rechtmäßigkeit der Zurückweisung nicht aus, wenn der Grenzschutzbeamte im Fall von Unklarheiten bloß vertretbar davon ausgegangen ist, dass kein Antrag auf internationalen Schutz - das ist nach § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 "das auf welche Weise auch immer artikulierte Ersuchen sich dem Schutz Österreichs unterstellen zu dürfen" - gestellt worden sei. Das Stellen eines Antrages auf internationalen Schutz würde die Zurückweisung an der Grenze wegen des dann gemäß § 12 AsylG 2005 bestehenden faktischen Abschiebeschutzes unzulässig machen. Der Grenzschutzbeamte muss sich daher einerseits vergewissern, ob ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, und andererseits die Angaben der Einreisewilligen - wenn auch allenfalls nur stichwortartig - so dokumentieren, dass eine nachprüfende Kontrolle durch das Verwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren ermöglicht wird.
13 Beides wurde im vorliegenden Fall verabsäumt. Vor dem Hintergrund der bekannten Situation in Syrien hätte die Aussage, wegen des Krieges einreisen zu wollen und "Frieden und Leben" anzustreben - wenn sie nicht schon per se als Antrag auf internationalen Schutz gedeutet wird - zumindest zur Nachfrage Anlass geben müssen, ob der Einreisewillige in Österreich Schutz sucht. Die Nachfrage, ob der Einreisewillige persönlich verfolgt werde, ist hingegen zu eng gefasst, weil sie nur auf die Gewährung von Asyl und nicht auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz - der ebenfalls vom Antrag auf internationalen Schutz umfasst wäre -
abzielt. Abgesehen davon findet sich im Akt nur der Vermerk "wird aber persönlich nicht verfolgt", ohne dass sich die Grundlagen dieser Angabe in irgendeiner Weise nachvollziehen ließen.
14 Das LVwG hätte daher die Zurückweisungen für rechtswidrig erklären müssen. Hinsichtlich der Erstrevisionswerberin wurde zwar eine Antragstellung auf internationalen Schutz in der Beschwerde nicht behauptet, vielmehr wurde dort vorgebracht, sie sei überhaupt nicht befragt worden, was das LVwG im Hinblick auf das im Akt liegende Einreiseverweigerungsformular als unglaubwürdig erachtete. Eine Zurückweisung der Erstrevisionswerberin allein wäre aber schon im Hinblick auf ihre familiären Beziehungen mit dem Zweitrevisionswerber unzulässig gewesen.
15 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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