VwGH 25.05.2011, 2008/08/0098
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der M W in W, vertreten durch Dr. Edeltraud Fichtenbauer, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rathausplatz 8/4, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom , Zl. LGS NÖ/RAG/05661/2008, betreffend Zuerkennung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der bezüglich eines Antrags auf Notstandshilfe im Instanzenzug ergangene, angefochtene Bescheid der belangten Behörde vom hat folgenden Spruch:
Als Tag der Geltendmachung wird der festgestellt.
Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der angewendeten gesetzlichen Bestimmungenstellte die belangte Behörde als entscheidungserheblichen Sachverhalt fest, dass die Beschwerdeführerin laut vorgelegter Arbeitsbescheinigung vom bis (Urlaubsentgelt bis ) als Reinigungskraft bei der Firma F. vollversichert beschäftigt gewesen sei. Am habe sie einen Antrag auf Zuerkennung der Notstandshilfe gestellt, als Rückgabefrist (es fehlte die Arbeitsbescheinigung ihres letzten Arbeitgebers) sei der vereinbart worden. Dieser Termin sei von der regionalen Geschäftsstelle W bis 8. Jänner und nochmals bis verlängert worden. Am sei weder der Rückgabetermin eingehalten, noch sei die regionale Geschäftsstelle telefonisch oder persönlich wegen einer eventuellen Fristverlängerung kontaktiert worden. Der Antrag auf Notstandshilfe vom sei am bei der regionalen Geschäftsstelle abgegeben worden. Niederschriftlich habe die Beschwerdeführerin am angegeben, dass sie die Arbeitsbescheinigung am erhalten habe. Am habe sie jedoch keine Zeit gehabt, persönlich vorzusprechen oder zu telefonieren. Laut vorgelegtem Kuvert und der Arbeitsbescheinigung selbst sei festgestellt worden, dass diese am ausgestellt und am zur Post gegeben worden sei. Laut Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger sei die Beschwerdeführerin seit dem bei der Firma D. vollversichert beschäftigt.
Rechtlich führte die belangte Behörde aus, der Antrag der Beschwerdeführerin auf Notstandshilfe vom mit der insgesamt bis verlängerten Rückgabefrist sei am bei der regionalen Geschäftsstelle W abgegeben worden. Die Beschwerdeführerin habe es damit verabsäumt, binnen angemessener Frist bis den ausgegebenen Antrag abzugeben. Sie habe auch nicht um eine weitere Terminverschiebung oder telefonische Fristverlängerung angefragt. Die Beschwerdeführerin bringe als triftigen Grund für die Versäumung der Abgabefrist vor, dass sie ihre Arbeitsbescheinigung erst am erhalten habe und seit dem in einem Dienstverhältnis stehe. Gemäß § 46 Abs. 1 AlVG könne die Abgabe des Antrags aber auch durch einen Vertreter erfolgen, wenn der Antragsteller aus zwingenden Gründen, wie eben einer Arbeitsaufnahme, verhindert sei, den Antrag persönlich abzugeben. Es wäre der Beschwerdeführerin daher sehr wohl möglich gewesen, den Notstandshilfeantrag fristgerecht bis durch einen Vertreter abzugeben bzw. telefonisch bei der regionalen Geschäftsstelle W. um eine Fristverlängerung anzusuchen. Dies sei aber von ihr unterlassen worden. Da die Beschwerdeführerin den Antrag ohne triftigen Grund erst am bei der regionalen Geschäftsstelle geltend gemacht habe und bereits am in einem arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis gestanden sei, sei der Antrag mangels Arbeitslosigkeit abzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Feststellungen im angefochtenen Bescheid decken sich insofern mit den Ausführungen der Beschwerde, als der Beschwerdeführerin am vom Arbeitsmarktservice der Antrag auf Notstandshilfe ausgehändigt wurde und sie ab voll berufstätig war. Das gegenständliche Verfahren bezieht sich daher ausschließlich auf den Anspruch auf Notstandshilfe im Zeitraum vom bis ; auch in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid wandte sich die Beschwerdeführerin ausdrücklich gegen die Abweisung des Antrags für diesen Zeitraum. Strittig ist im gegenständlichen Verfahren, ab welchem Zeitpunkt der Anspruch auf Notstandshilfe von der Beschwerdeführerin geltend gemacht wurde.
2. § 46 Abs. 1 AlVG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 lautet:
"Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ist bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich geltend zu machen. Für die Geltendmachung des Anspruches ist das bundeseinheitliche Antragsformular zu verwenden. Das Arbeitsmarktservice hat neben einem schriftlichen auch ein elektronisches Antragsformular zur Verfügung zu stellen. Der Anspruch gilt erst dann als geltend gemacht, wenn die arbeitslose Person bei der regionalen Geschäftsstelle persönlich vorgesprochen und das ausgefüllte Antragsformular abgegeben hat. Hat die arbeitslose Person zum Zweck der Geltendmachung des Anspruches bereits persönlich vorgesprochen und können die Anspruchsvoraussetzungen auf Grund des eingelangten Antrages ohne weitere persönliche Vorsprache beurteilt werden, so kann die regionale Geschäftsstelle vom Erfordernis der persönlichen Abgabe des Antrages absehen. Eine persönliche Abgabe des Antrages ist insbesondere nicht erforderlich, wenn die arbeitslose Person aus zwingenden Gründen, wie Arbeitsaufnahme oder Krankheit, verhindert ist, den Antrag persönlich abzugeben. Die Abgabe (das Einlangen) des Antrages ist der arbeitslosen Person zu bestätigen. Hat die regionale Geschäftsstelle zur Beibringung des ausgefüllten Antragsformulars oder von sonstigen Unterlagen eine Frist bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzt und wurde diese ohne triftigen Grund versäumt, so gilt der Anspruch erst ab dem Tag als geltend gemacht, ab dem die beizubringenden Unterlagen bei der regionalen Geschäftsstelle eingelangt sind."
Diese Bestimmung ist gemäß § 58 AlVG auch auf das Verfahren in Angelegenheiten der Notstandshilfe anzuwenden.
3. Die Beschwerde bringt zunächst vor, die Beschwerdeführerin habe am (gemeint offenbar am ) bei der regionalen Geschäftsstelle den Antrag auf Notstandshilfe ausgefüllt, unterschrieben und der Sachbearbeiterin überreicht. Durch die Überreichung des Antragsformulars sei ein Verfahren auf Gewährung der Notstandshilfe eingeleitet worden. Durch die Überreichung sei ein Anbringen im Sinne des § 13 AVG gestellt worden, welches von der Behörde bearbeitet werden musste. Es sei nicht festgestellt worden, dass der Antrag mangelhaft gewesen sei bzw. dass ein Mängelbehebungsauftrag im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG ergangen wäre. Durch die Abgabe des Antrags am seien die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 AlVG erfüllt gewesen, da diese Bestimmung lediglich vorsehe, dass das Formular persönlich abgegeben werden müsse.
Auch wenn die Beschwerdeführerin den Auftrag erhalten habe, die Arbeitsbescheinigung nachzubringen, handle es sich dabei nicht um einen Mängelbehebungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG. Ein solcher wäre zudem nur im Fall eines Formgebrechens zulässig, das Fehlen einer Arbeitsbescheinigung stelle aber kein Formgebrechen dar. Die nicht rechtzeitige Vorlage dürfe daher nicht die Konsequenzen des § 13 Abs. 3 AVG mit sich bringen. Die belangte Behörde hätte somit richtigerweise als Tag der Geltendmachung des Anspruchs auf Notstandshilfe den annehmen müssen.
Da der frühere Arbeitgeber der Beschwerdeführerin die Arbeitsbescheinigung erst am zur Post gegeben habe, sei der außerdem der für die Beschwerdeführerin frühest mögliche Zeitpunkt der Vorlage dieser Arbeitsbestätigung gewesen.
4. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs enthält § 46 AlVG eine umfassende Regelung der Rechtsfolgen fehlerhafter oder verspäteter Antragstellungen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/08/0134 mwN). Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin war daher zur Beibringung des Antrags und der für die Beurteilung des Anspruchs auf Notstandshilfe erforderlichen Arbeitsbescheinigung kein gesonderter Mängelbehebungsauftrag nach § 13 Abs. 3 AVG zu erteilen, sondern - wie dies die Behörde auch getan hat - zur Beibringung dieser Unterlagen eine Frist bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu setzen. Nach dem klaren Wortlaut des § 46 Abs. 1 letzter Satz AlVG gilt der Anspruch, wenn diese Frist ohne triftigen Grund versäumt wurde, erst ab dem Tag als geltend gemacht, ab dem die beizubringenden Unterlagen bei der regionalen Geschäftsstelle eingelangt sind.
Die regionale Geschäftsstelle setzte der Beschwerdeführerin am eine Frist zur Beibringung des Antrags und der fehlenden Arbeitsbescheinigung. Der Antrag war dem Auftrag zu Folge persönlich beim Arbeitsmarktservice abzugeben. Diese Frist zur Beibringung wurde in weiterer Folge mehrere Male, zuletzt bis zum , verlängert. Gemäß § 46 Abs. 1 AlVG hätte die Beschwerdeführerin des Antrags und die fehlende Arbeitsbescheinigung bis zum Ablauf der Frist beibringen (oder sich um eine weitere Verlängerung der Frist bemühen) müssen, um den Anspruch mit geltend zu machen. Beides wurde aber nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid von der Beschwerdeführerin verabsäumt.
5. Da die Beschwerdeführerin die ihr bis gesetzte Frist zur Beibringung der Arbeitsbescheinigung versäumt hat, bleibt im gegenständlichen Verfahren zu prüfen, ob ein triftiger Grund im Sinne des § 46 Abs. 1 AlVG für die Säumnis vorlag.
Dazu macht die Beschwerde geltend, die Beschwerdeführerin habe als juristisch unkundige Person davon ausgehen können und dürfen, dass sie die fehlende Arbeitsbescheinigung erst dann vorlegen könne, wenn ihr diese vom ehemaligen Arbeitgeber tatsächlich zugeschickt worden sei. Der Behörde sei bereits im Zeitpunkt der Antragstellung am bekannt gewesen, dass der ehemalige Arbeitgeber der Beschwerdeführerin die Arbeitsbescheinigung noch nicht übermittelt habe. Der Behörde müsse auch bekannt sein, dass dann, wenn der ehemalige Arbeitgeber die Arbeitsbescheinigung nicht freiwillig ausstelle, die rechtliche Durchsetzung einen längeren Zeitraum in Anspruch nehme. Nicht nachvollziehbar seien die vom Arbeitsmarktservice gesetzten kurzen Rückgabefristen. Die Beschwerdeführerin sei auch von der regionalen Geschäftsstelle zu keinem Zeitpunkt davon in Kenntnis gesetzt worden, dass ihr Antrag als nicht eingebracht gewertet werden würde, wenn sie nicht am (gemeint wohl am 16. Jänner) persönlich erscheine. Auch aus der Verwendung des Worts "Rückgabefrist" lasse sich ableiten, dass der Beschwerdeführerin nicht klar sein konnte, welche Rechtsfolgen eine Versäumung der Frist nach sich ziehen würde, da nach allgemeinem Sprachgebrauch eine "Rückgabefrist" für etwas eingeräumt werde, das bereits eingelangt und nur nochmals vorgelegt werde.
Die Beschwerdeführerin sei am bereits wieder in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis gestanden und habe daher keine Vermittlungstätigkeit des Arbeitsmarktservice mehr benötigt, es sei für sie daher nicht erkennbar gewesen, warum sie am (gemeint wohl: 16. Jänner) dort erscheinen hätte sollen. Es wäre zudem für die Beschwerdeführerin am neuen Arbeitsplatz arbeitsplatzgefährdend gewesen, zu diesem Zweck um Dienstfreistellung anzusuchen.
Die Beschwerdeführerin macht auch geltend, sie habe am im "Call Center" der Arbeitsmarktservice-Dienststelle" angerufen, "um die Arbeitsaufnahme und damit die Verhinderung am persönlichen Erscheinen ab Montag zu melden." Die belangte Behörde habe im angefochtenen Bescheid jedoch zu diesem Anruf keine Feststellungen getroffen.
6. Im Beschwerdefall steht fest, dass die Beschwerdeführerin am persönlich in der regionalen Geschäftsstelle vorgesprochen hat und dabei eine Fristverlängerung bis zum vereinbart wurde. Die belangte Behörde räumt in ihrer Gegenschrift auch ein, dass die Beschwerdeführerin in der Folge - ebenfalls noch am - telefonisch die Aufnahme einer Beschäftigung ab dem mitgeteilt hat. Die Beschwerdeführerin hat schließlich die fehlende Arbeitsbescheinigung tatsächlich erst am persönlich erhalten und am darauffolgenden Tag, dem , persönlich bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice abgegeben.
Zum Ende der Frist, die ihr für die Rückgabe des Antragsformulars mit der noch fehlenden Arbeitsbescheinigung gesetzt worden war, stand die Beschwerdeführerin somit bereits in einem neuen Beschäftigungsverhältnis und war daher auch nicht mehr verpflichtet, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stehen. Zudem verfügte sie zu diesem Zeitpunkt - auf Grund der Säumigkeit ihres früheren Arbeitgebers - auch noch nicht über die vorzulegende Arbeitsbescheinigung. Vor diesem Hintergrund kann der belangten Behörde nicht darin gefolgt werden, dass die Beschwerdeführerin die Abgabe des Notstandshilfeantrags - mit den noch fehlenden Unterlagen - am ohne triftigen Grund versäumt hat (vgl. zur Aufnahme einer Beschäftigung als triftiger Grund im Sinne des § 46 AlVG Gerhartl, Arbeitslosenversicherungsgesetz, § 46 Rz 2).
7. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das den Ersatz der Umsatzsteuer betreffende Mehrbegehren war abzuweisen, da die Umsatzsteuer im zuzusprechenden Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
Wien, am
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2011:2008080098.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
AAAAE-75728