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VwGH vom 30.05.2011, 2010/09/0087

VwGH vom 30.05.2011, 2010/09/0087

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des H K in G, vertreten durch Klein, Wuntschek Partner, Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Kaiser-Franz-Josef-Kai 70, gegen den Bescheid des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom , Zl. Präs. 39421/2009-1, betreffend Versehrtenrente nach § 37a der Dienst- und Gehaltsordnung der Beamten der Landeshauptstadt Graz 1956, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Graz hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist in der "Abteilung für Katastrophenschutz und Feuerwehr" der Landeshauptstadt Graz beschäftigt. Er erlitt am um 06.20 Uhr auf dem Weg zur Arbeit als Motorradlenker einen Verkehrsunfall, bei dem er schwer verletzt wurde. Der Unfall wurde dem Personalamt der Stadt am angezeigt.

Am teilte der Beschwerdeführer dem Personalamt der Stadt mit, dass eine Verschlechterung der Unfallsfolgen eingetreten sei. Er ersuche um die Zuerkennung einer Versehrtenrente. Am beauftragte das Personalamt der Stadt den Sachverständigen Dr. P. mit der Erstattung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens insbesondere über die Frage, ob mit einer Besserung des bestehenden Leidens zu rechnen oder dieses Leiden als Dauerzustand zu betrachten sei. Das Personalamt wies den Sachverständigen darauf hin, dass die Angabe der genauen Zeiträume der Minderung der Erwerbsfähigkeit für eine Berechnung einer eventuell anfallenden Unfallrente unerlässlich sei. Am erstattete Dr. P. ein fachärztliches orthopädisches Gutachten, das in den Verwaltungsakten enthalten ist. Nach Darstellung der Diagnose, der Anamnese, der bisherigen Erkrankungen und der subjektiven gesundheitlichen Beschwerden führte er zusammenfassend Folgendes aus:

"Bei der am durchgeführten Untersuchung konnte folgender Befund festgestellt werden:

Die Beweglichkeit des rechten Schultergelenkes endgradig eingeschränkt, das Schultergelenk vermehrt prominent, ein Klaviertastenphänomen ist auslösbar, die Narbe nach Spalthautentnahme am rechten Oberschenkel reizlos, die OP-Narben im Bereich des rechten Fußes ebenfalls reizlos, es besteht eine mäßiggradige Atrophie der Unterschenkelmuskulatur rechts, die Beweglichkeit im rechten Sprunggelenk eingeschränkt, die im Großzehengrundgelenk aufgehoben, die Zehenbeweglichkeit rechts deutlich eingeschränkt, das Gangbild leicht hinkend.

Die angegebenen Beschwerden glaubhaft.

Eine Unfallkausalität ist gegeben. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ab ist mit 20 % für 1 Jahr einzustufen."

Mit Bescheid vom stellte der Unfallfürsorgeausschuss beim Personalamt der Landeshauptstadt Graz fest, dass der Unfall des Beschwerdeführers vom gemäß § 37a der Dienst- und Gehaltsordnung der Beamten der Landeshauptstadt Graz (DO) als Dienstunfall anerkannt werde. Dem Beschwerdeführer werde gemäß § 37a DO iVm § 3 der Unfallfürsorgesatzung 2003 (UFS 2003) und § 107 Abs. 2 B-KUVG auf Grund der durch den Dienstunfall vom verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit vom bis einschließlich eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 % der Vollrente zuerkannt und als Gesamtvergütung im Betrag von EUR 5.150,31 brutto abgefunden. Dem medizinischen Sachverständigengutachten zufolge betrage die unfallkausale Minderung der Erwerbsfähigkeit vom bis einschließlich 20 %. Sei zu erwarten, dass nur eine vorläufige Versehrtenrente zu gewähren sei, so könne gemäß § 107 Abs. 2 B-KUVG der Versehrte durch eine Gesamtvergütung in der Höhe des voraussichtlichen Rentenaufwandes abgefunden werden.

In der gegen diesen Bescheid hinsichtlich der Zuerkennung der Versehrtenrente für die Dauer von lediglich einem Jahr erhobenen Berufung bekämpfte der Beschwerdeführer die Beweiswürdigung der belangten Behörde unter Hinweis auf die Unschlüssigkeit des medizinischen Sachverständigengutachtens. Im Befund dieses Gutachtens sei angegeben, dass der Beschwerdeführer zum Untersuchungszeitpunkt () immer noch massiv körperlich eingeschränkt war. Vier Jahre nach dem Dienstunfall leide der Beschwerdeführer nach wie vor an den gleichen Einschränkungen. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit liege auch über die Befristung hinaus zumindest im Ausmaß von 20 % vor. Dem Beschwerdeführer wäre eine Dauerrente zuzusprechen gewesen.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab. Der medizinische Sachverständige habe die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf Grund des Dienstunfalls mit 20 % für die Dauer eines Jahres bewertet. Dementsprechend sei erstinstanzlich eine Versehrtenrente für ein Jahr zuerkannt worden. Die Feststellungen würden sich auf das amtliche Sachverständigengutachten des Dr. P. gründen. Es bestehe kein Grund, dem erfahrenen und fachkundigen Gutachter Dr. P. nicht Folge zu leisten. Die Fragen an den Gutachter seien "entsprechend beantwortet, sodass sowohl die Fragestellungen als auch das Gutachten eine schlüssige Grundlage für die medizinischen Feststellungen und Schätzungen im Berufungsverfahren darstellen". Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens sei nicht erforderlich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 37a der Dienst- und Gehaltsordnung der Beamten der Gemeinde Graz 1956, LGBl. Nr. 30/1957, idF LGBl. Nr. 65/2000, hat die Stadt für die Unfallfürsorge ihrer Beamten Sorge zu tragen (Abs. 1) und gelten hinsichtlich der Leistungen der Unfallfürsorge die entsprechenden Bestimmungen des Beamten-, Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes (B-KUVG), BGBl. Nr. 200/1967, sinngemäß (Abs. 3); diese Bestimmungen lauten auszugsweise:

"Anfall der Leistungen

§ 32. (1) Soweit nichts anderes bestimmt ist, fallen die sich aus den Leistungsansprüchen ergebenden Leistungen mit dem Entstehen des Anspruches (§ 31) an.

(2) Nach dem Tode des Empfängers einer Versehrtenrente fallen Hinterbliebenenrenten mit dem Tag an, der auf den Tod des Rentenempfängers folgt.

(3) Leistungen aus der Unfallversicherung fallen, wenn innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles weder der Anspruch von Amts wegen festgestellt, noch ein Antrag auf Feststellung des Anspruches gestellt wurde, mit dem Tag der späteren Antragstellung bzw. mit dem Tag der Einleitung des Verfahrens an, das zur Feststellung des Anspruches führt. Wird eine Unfallmeldung innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles erstattet, so gilt der Zeitpunkt des Einlangens der Unfallmeldung bei der Versicherungsanstalt als Tag der Einleitung des Verfahrens, wenn dem Versicherten zum Zeitpunkt der späteren Antragstellung oder Einleitung des Verfahrens noch ein Anspruch auf Rentenleistungen zusteht. Wird für ein doppelt verwaistes Kind ein Antrag auf Waisenrente nach einem Elternteil gestellt, so ist dieser Antrag rechtswirksam für den Anspruch auf Waisenrente bzw. Waisenpension nach beiden Elternteilen und gilt für alle Unfallversicherungsträger bzw. Pensionsversicherungsträger.

(...)

Leistungen der Unfallversicherung

§ 88. Als Leistungen der Unfallversicherung sind zu gewähren:

1. im Falle einer durch einen Dienstunfall oder eine Berufskrankheit verursachten körperlichen Schädigung des Versicherten:

a) Unfallheilbehandlung (§§ 96, 97 und 99);

...


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d)
Versehrtenrente (§§ 101 bis 108);
e)
Versehrtengeld (§ 109);
...
Eintritt des Versicherungsfalles

§ 89. Der Versicherungsfall gilt als eingetreten:

1. bei Dienstunfällen mit dem Unfallereignis;

...

Dienstunfall

§ 90. (1) Dienstunfälle sind Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem die Versicherung begründenden Dienstverhältnis oder mit der die Versicherung begründenden Funktion ereignen.

(2) ...

(...)

Anspruch auf Versehrtenrente

§ 101. (1) Anspruch auf Versehrtenrente besteht, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch die Folgen eines Dienstunfalles oder einer Berufskrankheit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um mindestens 20 v.H. vermindert ist; die Versehrtenrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v.H.

(2)

...

Anfall der Versehrtenrente

§ 102. Die Versehrtenrente fällt mit dem Tag nach dem Wegfall der durch den Dienstunfall oder die Berufskrankheit verursachten Arbeitsunfähigkeit, spätestens nach Ablauf des dritten Monates nach dem Eintritt des Versicherungsfalles an.

(...)

Vorläufige Versehrtenrente, Gesamtvergütung

§ 107. (1) Kann die Versehrtenrente während der ersten zwei Jahre nach dem Eintritt des Versicherungsfalles wegen der noch nicht absehbaren Entwicklung der Folgen des Dienstunfalles oder der Berufskrankheit ihrer Höhe nach noch nicht als Dauerrente festgestellt werden, so hat die Versicherungsanstalt die Versehrtenrente als vorläufige Rente zu gewähren. Spätestens mit Ablauf des zweijährigen Zeitraumes ist die Versehrtenrente als Dauerrente festzustellen; diese Feststellung setzt eine Änderung der Verhältnisse (§ 94 Abs. 1) nicht voraus und ist an die Grundlagen für die Berechnung der vorläufigen Rente nicht gebunden.

(2) Ist zu erwarten, daß nur eine vorläufige Versehrtenrente zu gewähren ist, so kann die Versicherungsanstalt den Versehrten durch eine Gesamtvergütung in der Höhe des voraussichtlichen Rentenaufwandes abfinden. Nach Ablauf des dieser Vergütung zugrunde gelegten Zeitraumes ist auf Antrag unter den Voraussetzungen des § 101 die entsprechende Versehrtenrente zu gewähren, und zwar ab dem auf den Ablauf dieses Zeitraumes folgenden Tag, wenn der Antrag innerhalb von zwei Jahren gestellt wird, ansonsten ab dem Tag der Antragstellung."

Als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht die Beschwerde geltend, die belangte Behörde habe es unterlassen, das Sachverständigengutachten des Dr. P. auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Es liege eine dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 % vor. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Untersuchung des Beschwerdeführers am stattgefunden habe und sich aus dem Befund ergebe, dass er zu diesem Zeitpunkt immer noch massiv körperlich eingeschränkt gewesen sei. Der Sachverständige habe die vom Beschwerdeführer angegebenen Beschwerden als glaubhaft bezeichnet. Dem widerspreche "die Beschränkung des Zuspruch der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 20 % für lediglich ein Jahr". Die zur Versehrtenrente führenden körperlichen Einschränkungen seien auch noch vier Jahre nach dem Unfall vorhanden. Die belangte Behörde hätte von Amts wegen ein neuerliches Gutachten iSd § 6 Abs. 3 UFS 2003 einholen bzw. eine Gutachtenserörterung durchführen müssen.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Der Dienstunfall hat sich am ereignet. Der Beschwerdeführer hat die Zuerkennung einer Versehrtenrente am beantragt. Gemäß § 32 Abs. 3 zweiter Satz B-KUVG gilt der Zeitpunkt des Einlangens der Unfallmeldung bei der Versicherungsanstalt (hier: beim Personalamt) als Tag der Einleitung des Verfahrens, wenn dem Versicherten (hier: Bediensteten) zum Zeitpunkt der späteren Antragstellung oder Einleitung des Verfahrens noch ein Anspruch auf Rentenleistungen zusteht.

Würde sich sohin - wie die belangte Behörde meint - aus dem Sachverständigengutachten des Dr. P. tatsächlich schlüssig ableiten lassen, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung die Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers durch die Folgen eines Dienstunfalles nicht mehr um mindestens 20 v.H. vermindert gewesen ist, so hätte dem Beschwerdeführer gemäß § 32 Abs. 3 B-KUVG gar keine Rentenleistung mehr zuerkannt werden können.

Dem genannten Gutachten ist keine nachvollziehbare Begründung für die zeitliche Einschränkung der Minderung der Erwerbsfähigkeit auf das Jahr nach dem Unfall zu entnehmen. Es führt lediglich aus, dass die körperlichen Einschränkungen und Beschwerden bei der Untersuchung am bestanden haben. Mit der vom Personalamt der Stadt Graz gestellten Frage, ob mit einer Besserung des bestehenden Leidens zu rechnen oder dieses Leiden als Dauerzustand zu betrachten sei, hat sich der Sachverständige nicht auseinandergesetzt. Soweit seine Ausführung, "die Minderung der Erwerbsfähigkeit ab ist mit 20 % für 1 Jahr einzustufen", als Beschreibung einer Besserung des Leidenszustandes nach Ablauf dieses Jahres (mit einer Besserung der Minderung der Erwerbsfähigkeit auf unter 20 %) angesehen wird, fehlt dafür eine Begründung. Die für die Zuerkennung der Rente wesentliche Frage wurde vom Gutachter nicht beantwortet. Die diesbezüglichen Erwägungen der belangten Behörde leiden unter einem Begründungsmangel.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG Abstand genommen werden.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am