VwGH vom 19.09.2017, Ra 2017/20/0203

VwGH vom 19.09.2017, Ra 2017/20/0203

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision des A A in W, vertreten durch Dr. Christian Herbst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottenring 19, dieser vertreten durch Dr. Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen Spruchpunkt A)I. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. L504 2118001-1/8E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang, sohin in Spruchpunkt A)I., wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Dieser Antrag wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom betreffend den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen. Unter einem sprach die Behörde aus, dass dem Revisionswerber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werde, und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit Gültigkeit bis .

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber, soweit ihm die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten versagt wurde, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in der er (ua.) die Durchführung einer Verhandlung beantragte.

4 Das Verwaltungsgericht räumte dem Revisionswerber im Rahmen des Beschwerdeverfahrens die Gelegenheit ein, sich zum Ergebnis einer ergänzenden Beweisaufnahme, die sich im Besonderen auf beabsichtigte Feststellungen zur Situation im Heimatland des Revisionswerbers aufgrund seit Oktober 2016 erfolgter Ereignisse bezogen hatte, auf schriftlichem Weg zu äußern. Das Bundesverwaltungsgericht zog dazu als Beweismittel durchwegs Berichte heran, die aus der Zeit nach Erlassung des angefochtenen Bescheides stammten.

Der Revisionswerber erstattete dazu eine Stellungnahme. 5 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht zum einen die Beschwerde ab (Spruchpunkt A)I.), ohne die beantragte Verhandlung durchzuführen. Zum anderen wies es den gemeinsam mit der Beschwerde gestellten Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshelfers gemäß § 8a Verwaltungsverfahrensgesetz iVm § 52 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) zurück (Spruchpunkt A)II.). Die Revision wurde vom Verwaltungsgericht als nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig erklärt.

6 In seiner Begründung stellte das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren wesentlich - darauf ab, dass es dem Revisionswerber "nicht gelungen sei, eine konkrete Bedrohung bzw. andere Fluchtgründe glaubhaft geltend zu machen". Des Weiteren traf es Feststellungen zur Lage im Heimatland des Revisionswerbers, die sich ausdrücklich auch auf Umstände beziehen, die sich nach Erlassung des angefochtenen Bescheides ereignet hatten.

7 Nach auszugsweiser Wiedergabe der beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie von Rechtssätzen aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes merkte das Verwaltungsgericht an, schon die "zitierte Beweisführung des BFA" sei "hinreichend tragfähig um dieses Ergebnis" zu stützen. Der Beweiswürdigung des BFA sei, wie im Anschluss dargelegt werde, auch nicht substantiiert entgegengetreten worden, weshalb das Bundesverwaltungsgericht das Ermittlungsverfahren nicht habe wiederholen oder ergänzen müssen. In der Folge ging das Verwaltungsgericht auf die in der Beschwerde enthaltenen Argumente inhaltlich ein.

8 Im Weiteren führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es habe von der Durchführung der Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 B-VG absehen dürfen. Insoweit erachtete es die in der Rechtsprechung dafür aufgestellten Kriterien - ohne inhaltlich auf diese einzugehen, aber erkennbar vor dem Hintergrund seiner vorangegangenen Begründung - als gegeben.

9 Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht lediglich mit der pauschalen Verneinung der gesetzlichen Voraussetzungen.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - angesichts der angeführten Revisionspunkte zweifellos nur - gegen den Spruchpunkt A)I. dieses Erkenntnisses gerichtete Revision nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Revision ist (schon deshalb) zulässig und berechtigt, weil das Verwaltungsgericht, wie der Revisionswerber zu Recht aufzeigt und im Weiteren dargelegt wird, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, wann von der Durchführung einer Verhandlung Abstand genommen werden kann, abgewichen ist.

11 Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

12 Gemäß dem für die hier vorzunehmende Beurteilung allein maßgeblichen § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG, auf den sich auch das Verwaltungsgericht berufen hat, kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0017 und 0018, ausführlich mit dem Verständnis dieser Bestimmung auseinandergesetzt und geht seitdem in seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. dazu statt vieler die hg. Erkenntnisse vom , Ra 2014/20/0029, vom , Ra 2014/19/0127, vom , Ra 2015/19/0180, vom , Ra 2016/20/0258, und vom , Ra 2017/01/0039) davon aus, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

13 Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts kann am Boden des Inhaltes der Beschwerde von einem bloß unsubstantiierten Bestreiten der beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl keine Rede sein. Auch das Bundesverwaltungsgericht befasste sich ausführlich mit einzelnen in der Beschwerde dargelegten Argumenten. Dass es seine Ausführungen mit der Einleitung versah, es tue dies nur, um zu zeigen, dass keine substantiierte Bekämpfung des Bescheides stattgefunden habe, vermag nichts daran zu ändern, dass diese Einschätzung als nicht zutreffend zu qualifizieren ist.

Schon deshalb hätte das Bundesverwaltungsgericht nicht von der Durchführung der beantragten Verhandlung absehen dürfen.

14 Ergänzend ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung auch bereits klargestellt hat, dass die im Beschwerdeverfahren eingeräumte Möglichkeit, zum Inhalt aktueller Länderberichte zur Situation im Herkunftsstaat schriftlich Stellung zu nehmen, grundsätzlich die Durchführung einer Verhandlung nicht ersetzen kann (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Ra 2014/19/0101, und vom , Ra 2014/20/0145, sowie das bereits erwähnte Erkenntnis Ra 2016/20/0258, jeweils mwN).

15 Nach dem Gesagten lagen die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Verhandlung nicht vor. Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des Art. 47 GRC - Letzterer ist hier zweifellos gegeben - zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2016/08/0171, in dem auch darauf hingewiesen wird, dass es gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts gehört, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen; weiters das hg. Erkenntnis vom , 2010/15/0196, und vom , Ra 2014/12/0021, sowie den hg. Beschluss vom , Ra 2017/06/0100, und - betreffend einen Fall außerhalb des Anwendungsbereiches des Art. 6 EMRK und des Art. 47 GRC - jenen vom , Ra 2015/01/0241, jeweils mwN).

16 Demnach war das angefochtene Erkenntnis aus dem genannten Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das übrige Vorbringen in der Revision einzugehen war.

17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am