VwGH vom 26.11.2008, 2008/08/0032
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des B in M, vertreten durch Mag. Werner Dax, Rechtsanwalt in 7000 Eisenstadt, Esterhazyplatz 5, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Burgenland vom , Zl. LGS-Bgld./KP1/0566/2007, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer steht seit 1997 mit Unterbrechungen im Bezug von Leistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz, seit im Bezug der Notstandshilfe. Er ist verheiratet und lebt mit seiner Ehegattin und seiner Stieftochter im gemeinsamen Haushalt; mit seiner früheren Ehegattin hat er zehn (zwischen 1987 und 2002 geborene) Kinder; weiters besteht eine Alimentationsverpflichtung für drei weitere (zwischen 1999 und 2003 geborene) Kinder.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde unter Anwendung von § 66 Abs. 4 AVG iVm den §§ 16, 24, 25, 33, 38 und 56 des AlVG 1977 den Notstandshilfebezug des Beschwerdeführers für die Zeit vom 21. bis widerrufen und den Beschwerdeführer zum Rückersatz der zu Unrecht empfangenen Leistung in der Höhe von EUR 107,52 verpflichtet.
In der Begründung dazu führte sie aus, dass der Beschwerdeführer am bei der regionalen Geschäftsstelle Mattersburg mitgeteilt habe, seit dem krankgeschrieben zu sein. Seitens der regionalen Geschäftsstelle sei der Notstandshilfebezug ordnungsgemäß mit eingestellt worden. Nach Ende des Krankengeldbezuges (am ) sei er ab dem wieder im Bezug der Notstandshilfe gestanden. Aus der am von der Burgenländischen Gebietskrankenkasse erstellten Krankengeldbestätigung gehe hervor, dass diese (entgegen der üblichen Vorgangsweise) Krankengeld nicht erst ab dem vierten Tag der Erkrankung, sondern für den gesamten Zeitraum des Krankenstandes vom 21. Juli bis gewährt habe. Da die (somit zu Unrecht bezogene) Notstandshilfe für die Zeit vom
21. bis bis zur Vorlage der Krankengeldbestätigung bereits ausbezahlt gewesen sei, sei der Leistungsbezug für diesen Zeitraum zu widerrufen gewesen.
Zur Rückforderung des zu Unrecht bezogenen Überbezuges wurde neben auszugsweiser Zitierung von § 25 Abs. 1 AlVG ausgeführt, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner jahrelangen Leistungsbezüge und der bis dato erfolgten Unterbrechungen wegen des Bezuges von Krankengeld darüber Bescheid wüsste, dass nicht zur gleichen Zeit Notstandshilfe und Krankengeld bezogen werden könnten; somit sei davon auszugehen, dass er auf jeden Fall erkennen hätte müssen, dass bei Auszahlung des Krankengeldes ab dem ersten Tag der Erkrankung nicht gleichzeitig für die ersten drei Tage derselben ein Anspruch auf Notstandshilfe bestehe. Dem Einwand der Berufung, wonach der Teil des Leistungsbezuges, der wegen der Verpflichtung zur Alimentationsleistung abgezweigt werde, nicht von ihm zurückverlangt werden könne, hielt die belangte Behörde entgegen, dass der Auszahlungsbetrag aus der Grundleistung und den Familienzuschlägen bestehe. Während der Zeit vom 1. April bis seien dem Beschwerdeführer zu seiner Grundleistung an Notstandshilfe noch zwölf Familienzuschläge für seine Kinder, hinsichtlich derer er zur Alimentationszahlung verpflichtet sei, gewährt worden, sodass der Tagsatz an Notstandshilfe samt den Familienzuschlägen EUR 35,84 betragen habe. Von diesem sei auch bei der aktuellen Abzweigung von Familienzuschlägen bzw. bei einer Abzweigung auf Grund einer gerichtlich erwirkten Exekution auszugehen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde. Erkennbar wird darin lediglich die Rückforderung des Überbezuges mangels Vorliegens der Voraussetzungen nach § 25 Abs. 1 AlVG bekämpft und zur Höhe der Rückforderung eingewendet, dass dem Beschwerdeführer insgesamt nur ein Betrag von EUR 81,33 (entspricht EUR 27,11 pro Tag) ausbezahlt worden sei, da der darüber hinausgehende Teil direkt an den Jugendwohlfahrtsträger überwiesen worden sei, um damit Unterhaltspflichten des Beschwerdeführers zu erfüllen.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach § 24 Abs. 2 AlVG ist die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt.
Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgeblicher Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.
Gemäß § 16 Abs. 1 lit. a AlVG ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld (u.a.) während des Bezuges von Krankengeld.
Auf Grund des § 38 AlVG sind diese Regelungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
2. Soweit der Beschwerdeführer in der vorliegenden Beschwerde einwendet, den an die Unterhaltsberechtigten bzw. Jugendwohlfahrtsträger ausbezahlten Teil der Notstandshilfe nicht (tatsächlich) empfangen zu haben und deshalb nicht zur Rückzahlung verpflichtet werden zu können, verkennt er, dass die Familienzuschläge (hier im Umfang von EUR 8,73 pro Tag) gemäß § 20 AlVG "für" einen definierten Personenkreis und nicht diesem Personenkreis selbst gebühren, sondern es sich dabei um einen originären Anspruch des Arbeitslosen handelt. Dieser Anspruch ist daher auch im Fall der "Abzweigung" im Sinne von § 53 Abs. 1 AlVG von den Rechtsfolgen aus § 25 Abs. 1 AlVG mitumfasst.
Dagegen ist die Beschwerde im Recht, wenn sie rügt, die belangte Behörde habe keine ausreichenden Feststellungen für die Beurteilung der wesentlichen Frage getroffen, ob die belangte Behörde hinsichtlich der vom Beschwerdeführer empfangenen Notstandshilfe zu Recht den dritten Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG angenommen hat, ob der Beschwerdeführer also hätte erkennen müssen, dass die Leistung nicht gebührte.
Dabei ist nach ständiger Judikatur des
Verwaltungsgerichtshofes nach dem Wortlaut "... wenn er erkennen
musste, dass ..." der hier heranzuziehende Tatbestand nicht erst dann erfüllt, wenn der Leistungsempfänger die Ungebührlichkeit der Leistung an sich erkannt hat; das Gesetz stellt vielmehr auf das bloße Erkennenmüssen ab und statuiert dadurch eine - allerdings nicht näher definierte - Sorgfaltspflicht. Aus der Gegenüberstellung mit den zwei anderen im § 25 Abs. 1 leg. cit. genannten Tatbeständen (unwahre Angaben, Verschweigung maßgebender Tatsachen) wird jedoch deutlich, dass bei Anwendung des dritten Rückforderungstatbestandes des § 25 Abs. 1 leg. cit. eine gegenüber den beiden anderen Tatbeständen abgeschwächte Verschuldensform normiert wurde. Setzen die ersten beiden Tatbestände zumindest mittelbaren Vorsatz (dolus eventualis) voraus, genügt zur Anwendung des dritten
Rückforderungstatbestandes bereits Fahrlässigkeit ("... erkennen
musste"). Fahrlässige Unkenntnis davon, dass die Geldleistung nicht gebührte, setzt voraus, dass die Ungebühr bei Gebrauch der (im Sinne des § 1297 ABGB zu vermutenden) gewöhnlichen Fähigkeiten erkennbar gewesen ist. Ob dies zutrifft, ist im Einzelfall zu beurteilen, wobei jedoch der Grad der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit weder überspannt noch überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten verlangt werden dürfen (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 91/08/0163, und vom , Zl. 2000/08/0091).
Im angefochtenen Bescheid stützt die belangte Behörde ihre Argumentation lediglich darauf, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner jahrelangen Leistungsbezüge darüber Bescheid gewusst habe, nicht zur gleichen Zeit Notstandshilfe und Krankengeld beziehen zu können. Sie lässt aber offen, wann der Beschwerdeführer im konkreten Fall die Notstandshilfe bezogen hat, inwiefern diese auf den Bezugszeitraum ausreichend konkretisiert war und ob er zu diesem Zeitpunkt bereits das Krankengeld für denselben Zeitraum erhalten hatte; schließlich lässt sich aus dem angefochtenen Bescheid auch nicht nachvollziehen, ob der Beschwerdeführer gegebenenfalls gewärtigen musste, den - offenbar gesetzwidrig (§ 138 Abs. 1 ASVG) - erfolgten Bezug von Krankengeld gemäß § 107 ASVG zurückzuerstatten; somit fehlen Feststellungen dazu, ob konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass ihm (spätestens) zum Zeitpunkt des Empfanges der Notstandshilfe erkennbar hätte sein müssen, dass er für den relevanten Zeitraum der Überschneidung zu Unrecht (auch) Notstandshilfe erhält. Eine genaue Mitteilung über den Leistungsbezug aus der Notstandshilfe, die für den Empfänger erkennbar Aufschluss sowohl über den zeitlichen Umfang als auch über die Höhe bzw. über den "abgezweigten" Familienzuschlag gibt, ist jedenfalls aus den vorgelegten Verwaltungsakten nicht ersichtlich.
Im Ergebnis reichen damit die Feststellungen der belangten Behörde für eine abschließende Beurteilung dafür nicht aus, ob die Voraussetzungen für den genannten Rückforderungstatbestand gemäß § 25 Abs. 1 AlVG vorlagen.
Daraus folgt, dass der angefochtene Bescheid an der vom Beschwerdeführer gerügten Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften leidet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am