VwGH vom 19.06.2007, 2005/11/0195
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der B & Co. KEG in B, vertreten durch Hajek & Boss & Wagner Rechtsanwälte OEG, in 7100 Neusiedl am See, Untere Hauptstraße 52, gegen den Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom , Zl. 6-G-SA107/22-2005, betreffend Errichtungsbewilligung für ein selbständiges Ambulatorium, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Burgenland ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/11/0132, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid der belangten Behörde vom betreffend Abweisung des Antrags der beschwerdeführenden Partei auf Bewilligung der Errichtung eines Ambulatoriums wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben. Begründend hat der Verwaltungsgerichtshof im Kern ausgeführt, die Auffassung der belangten Behörde, bei der Beurteilung, ob ein Bedarf im Sinne des § 5 Abs. 3 Z. 1 Bgld. KAG 2000 gegeben sei, sei ausschließlich die Versorgung der innerhalb der Landesgrenzen ansässigen Bevölkerung zu berücksichtigen, nicht hingegen die Versorgung der zwar im Einzugsgebiet des geplanten Institutes, aber in Niederösterreich ansässigen Bevölkerung, sei rechtswidrig.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde gemäß den §§ 1 und 5 des Bgld. KAG 2000 das Ansuchen der beschwerdeführenden Partei um Erteilung der krankenanstaltenrechtlichen Errichtungsbewilligung für das an dem näher bezeichneten Standort in Bruckneudorf in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums zu betreibende Institut für physikalische Medizin (erneut) ab. In der Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, gemäß § 5 Abs. 3 Bgld. KAG 2000 komme der Frage der Bedarfsprüfung vorrangige Bedeutung zu. Bereits aus den Antragsunterlagen sei zu entnehmen, dass der Standort des geplanten Institutes zwar in der burgenländischen Gemeinde Bruckneudorf liege, das Institut jedoch den niederösterreichischen Bezirk Bruck an der Leitha mit mehr als 40.000 Einwohnern einschließlich der Gemeinde Bruckneudorf mit rund 2.000 Einwohnern versorgen solle, wobei zu erwarten sei, dass auch die Bevölkerung burgenländischen Gemeinden Parndorf und Neudorf das Institut in Anspruch nehmen werde. Daraus ergebe sich, dass das Einzugsgebiet des im Burgenland liegenden Institutes auf Grund der geografischen und wirtschaftlichen Geschlossenheit weitaus überwiegend in Niederösterreich liege. Für die Behörde ergebe sich daraus, dass der Institutsstandort Bruckneudorf vordergründig der Bedarfsdeckung bzw. Versorgung der Patienten des Bezirkes Bruck an der Leitha dienen solle. Es sei jedoch entscheidend, ob am konkreten in Aussicht genommenen Standort - sohin in der Gemeinde Bruckneudorf und nicht in einem "exterritorialen Gebiet" - ein Bedarf gegeben sei, denn nur diesfalls sei nach dem Bgld. KAG 2000 eine Errichtungsbewilligung zu erteilen. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens hätten die Burgenländische Gebietskrankenkasse, die Ärztekammer für Burgenland, die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, die Ärztekammer für Niederösterreich sowie die Wirtschaftskammer für Niederösterreich keinen Bedarf für die Errichtung des Institutes gesehen. Die Versorgung der Bevölkerung des Bezirkes Neusiedl am See auf dem Gebiet der physikalischen Medizin erfolge einerseits durch die niedergelassene Ärzteschaft (die Gesamtverträge mit den Krankenversicherungsträgern beinhalten als Vertragsleistung auch physiotherapeutische Leistungen), andererseits durch das selbständige Ambulatorium für physikalische Medizin in Neusiedl am See sowie durch die Sonderkrankenanstalt Zicksee, die ebenfalls Verträge mit allen Krankenversicherungsträgern hätten. Bezugnehmend auf das Einzugsgebiet des geplanten Institutes sei zu folgern, dass die in Bruckneudorf sowie den umgebenden Gemeinden niedergelassenen Ärzte in ihren Ordinationen physiotherapeutische Leistungen anbieten und darüber hinaus das Institut für physikalische Medizin in Neusiedl am See in 12 km Entfernung zum geplanten Standort alle gängigen Therapien für physikalische Medizin abdecke. Diese Entfernung müsse auf Grund der vorhandenen Mobilität bzw. allgemeinen Verkehrsbedingungen für die Bevölkerung von Bruckneudorf als zumutbar bzw. gerechtfertigt erscheinen. Die von der Burgenländischen Gebietskrankenkasse, der Ärztekammer für Burgenland, der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse, der Ärztekammer für Niederösterreich sowie der Wirtschaftskammer für Niederösterreich vorgelegten Unterlagen/Stellungnahmen ließen eine widerspruchsfreie, logische und schlüssige Auseinandersetzung in Bezug auf die vorliegende Bedarfsprüfung erkennen, die letztendlich die Grundlage für die im gegenständlichen Bescheid zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht bilde. Im Bezirk Bruck an der Leitha könnten bei 22 niedergelassenen Ärzten für Allgemeinmedizin und 10 Fachärzten physiotherapeutische Leistungen in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus stünden 9 diplomierte Physiotherapeuten für Behandlungen und Therapien zur Verfügung. Zudem werde durch gleichartige Institute in Schwechat und Mödling sowie der Kureinrichtung Bad Deutsch Altenburg eine großräumige Flächendeckung in dieser Region erzielt und daher eine ausreichende Betreuung im Hinblick auf physikalische Therapien geboten. Die Stellungnahmen des "Konsenswerbers" seien dagegen nicht geeignet gewesen, eine "entsprechende Bedarfsnotwendigkeit erkennbar erscheinen zu lassen".
Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei zunächst gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom , B 746/05-3, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Die Beschwerde wurde von der beschwerdeführenden Partei auftragsgemäß ergänzt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und beantragt die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die - mit der Novelle LGBl. Nr. 82/2005 rückwirkend per u.a. zu Abs. 3 Z 1 lit b geänderte - Bestimmung des § 5 Bgld. KAG 2000 lautet (auszugsweise) wie folgt:
"Allgemeine Bestimmungen für die Errichtung und den Betrieb von Krankenanstalten
Errichtungsbewilligung
§ 5. (1) Krankenanstalten dürfen nur mit Bewilligung der Landesregierung errichtet werden. Ist der Rechtsträger der Krankenanstalt ein Krankenversicherungsträger, so bedarf er lediglich bei selbständigen Ambulatorien einer Errichtungsbewilligung. Die beabsichtigte Errichtung einer allgemeinen Krankenanstalt durch einen Sozialversicherungsträger ist der Landesregierung anzuzeigen.
(2) Anträge auf Erteilung der Errichtungsbewilligung haben den Anstaltszweck und das in Aussicht genommene Leistungsangebot genau zu bezeichnen. Weiters sind dem Antrag maßgerechte Baupläne und Bau- und Betriebsbeschreibungen in dreifacher Ausfertigung anzuschließen.
(3) Die Errichtungsbewilligung ist, sofern nicht Abs. 6 anzuwenden ist, zu erteilen, wenn
1. nach dem angegebenen Anstaltszweck und dem in Aussicht genommenen Leistungsangebot
a) im Hinblick auf das bereits bestehende Versorgungsangebot öffentlicher, privater gemeinnütziger und sonstiger Krankenanstalten mit Kassenverträgen sowie
b) bei Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf das Versorgungsangebot durch Ambulanzen der genannten Krankenanstalten und niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen, bei Zahnambulatorien auch im Hinblick auf niedergelassene Dentisten mit Kassenvertrag, ein Bedarf gegeben ist.
..."
Die beschwerdeführende Partei rügt in der Beschwerde, dass die Bedarfsprüfung nicht entsprechend den im Erkenntnis vom dargelegten Grundsätzen erfolgt sei. Die Behörde unterscheide nicht zwischen physikalischen Leistungen und Leistungen von Fachärzten für physikalische Medizin. Die Behörde übersehe dabei, dass Ärzte für Allgemeinmedizin und Physiotherapeuten nicht dieselben Leistungen erbringen würden, die ein Institut mit Fachärzten zu leisten im Stande sei. Im Übrigen habe sich die Behörde damit begnügt, Stellungnahmen von Interessenvertretungen einzuholen, ohne sich wirklich sachlich mit den entscheidenden Fragen auseinander zu setzen. Die Überlegungen der Behörde, die zur Feststellung führen, dass kein Bedarf gegeben sei, seien nicht nachvollziehbar.
Dieses Vorbringen ist im Ergebnis zielführend.
Die belangte Behörde hat ihre den Antrag abweisende Entscheidung tragend darauf gestützt, dass das in Rede stehende Institut vornehmlich der Deckung des Bedarfs bzw. Versorgung der Patienten im Bezirk Bruck an der Leitha, somit in Niederösterreich dienen würde, ein in einem "exterritorialen Gebiet" bestehender Bedarf sei jedoch nicht beachtlich. Damit hat sich die belangte Behörde über die Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofes im genannten Erkenntnis vom , auf die erneut nach § 43 Abs. 2 VwGG hingewiesen wird, hinweggesetzt. Die von der belangten Behörde angestellten Überlegungen zum Einzugsgebiet bzw. zum Bedarf "in einem exterritorialen Gebiet" stehen nicht im Einklang mit der hg. Judikatur. Aus keiner Bestimmung des Bgld. KAG 2000 folgt, dass ausschließlich ein Bedarf der im Land Burgenland ansässigen Bevölkerung maßgebend sei. Die belangte Behörde wird daher im fortzusetzenden Verfahren erneut das hier in Betracht kommende Einzugsgebiet festzulegen und das hier für die Bedarfsfrage zu berücksichtigende bestehende Angebot im Einzelnen festzustellen haben. Da die belangte Behörde sich über die ihr durch das Vorerkenntnis überbundene Rechtsansicht hinweggesetzt hat (§ 63 Abs. 1 VwGG), erweist sich schon aus diesem Grund der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, sodass er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufgehoben werden muss.
Darüber hinaus ist der belangten Behörde aber auch noch Folgendes vor Augen zu führen:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Bedarf nach einer privaten Krankenanstalt dann gegeben, wenn dadurch die ärztliche Betreuung der Bevölkerung wesentlich erleichtert, beschleunigt, intensiviert oder in anderer Weise gefördert wird. Als wichtigster Indikator für die Beantwortung der Bedarfsfrage betreffend selbständige Ambulatorien ist nach der Rechtsprechung die durchschnittliche Wartezeit anzusehen, die der Patient im Einzugsgebiet in Kauf nehmen muss. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung grundsätzlich eine Wartezeit von zwei Wochen in nicht dringenden Fällen für durchaus zumutbar gehalten und selbst bei einem Überschreiten dieses Richtwertes in einzelnen Fällen um einige Tage noch kein unzumutbares Versorgungsdefizit gesehen. Von einem Bedarf nach einem weiteren Ambulatorium könne nämlich dann nicht in die Rede sein, wenn im Großen und Ganzen die Wartezeiten von zwei Wochen nicht überstiegen und Akutpatienten noch am selben Tag behandelt werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/11/0083). Ein wesentliches Kriterium für die Beantwortung der Frage, ob ein Bedarf für die in Rede stehende Krankenanstalt besteht oder nicht, hat durch die Ermittlung der Wartezeiten bei den hier zu berücksichtigenden bereits vorhandenen Instituten im Einzugsbereich zu erfolgen.
Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall die Wartezeiten bei den in Frage kommenden Instituten nicht ermittelt und nur darauf hingewiesen, dass auch bei Ärzten für Allgemeinmedizin und von anderen Fachärzten physiotherapeutische Leistungen in Anspruch genommen werden könnten, sowie 9 diplomierte Physiotherapeuten zur Verfügung stünden.
Die beschwerdeführende Partei hat bereits in der Stellungnahme vom darauf hingewiesen, dass im Schreiben der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse nicht zwischen Physiotherapeuten und Fachärzten für physikalische Medizin unterschieden werde. Tatsache sei, dass im Bezirk Bruck an der Leitha kein Facharzt für physikalische Medizin zugelassen sei. Offensichtlich sei aber auch, dass ganz allgemein physiotherapeutische Leistungen nicht mit den Leistungen, die ein Facharzt für physikalische Medizin anbiete, verglichen werden können. Es sei daher nebensächlich, ob bei Ärzten für Allgemeinmedizin oder bei anderen Fachärzten physiotherapeutische Leistungen angeboten würden, zumal das Tätigkeitsgebiet des Facharztes für physikalische Medizin weit über diese Leistungen hinausgehe. Auch in anderen Bereichen sei es so, dass die Leistungen eines Facharztes zumindest ansatzweise von Allgemeinmedizinern erbracht werde, ohne dass deswegen die diesbezügliche Facharztsparte obsolet werde.
Die belangte Behörde hat sich mit dieser Stellungnahme nicht auseinander gesetzt. Sie hat es unterlassen, Feststellungen darüber zu treffen, welche Leistungen der physikalischen Medizin auch von anderen Ärzten im Einzelnen angeboten werden. Diese Feststellungen wären allerdings erforderlich gewesen, um beurteilen zu können, ob die angebotenen Leistungen überhaupt vergleichbar sind.
Auch der Hinweis auf die überwiegend negativen Stellungnahmen ersetzt nicht das von der Behörde zu führende Ermittlungsverfahren bzw. die erforderlichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid.
Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die Umsatzsteuer, welche nicht zusätzlich zuzusprechen ist, weil sie bereits im pauschalierten Schriftsatzaufwand enthalten ist.
Wien, am