VwGH vom 27.09.2007, 2005/11/0183
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-04/A/16/1360/2004/12, betreffend Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes (mitbeteiligte Partei:
Ing. G, vertreten durch Dr. Wolfgang Dellhorn, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gölsdorfgasse 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom wurden über den Mitbeteiligten mehrere Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen verhängt, weil er es als Arbeitgeber zu verantworten habe, dass namentlich genannte Arbeitnehmer an genau bezeichneten Tagen die gemäß § 9 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz höchstzulässige Tagesarbeitszeit von zehn Stunden überschritten hätten (Spruchpunkt 1.), er diesen Arbeitnehmern an ebenfalls konkret bezeichneten Tagen entgegen § 11 Arbeitszeitgesetz keine Ruhepausen gewährt habe (Spruchpunkt 2.) und weil er der Arbeitnehmerin P. am nach Beendigung der Tagesarbeitszeit entgegen § 12 Arbeitszeitgesetz keine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden gewährt habe (Spruchpunkt 3.).
Die im Spruch des Straferkenntnis aufgelisteten Arbeitszeiten der betroffenen Arbeitnehmer seien, so die Stellungnahme des anzeigelegenden Arbeitsinspektorates vom , aus den Arbeitsaufzeichnungen des Mitbeteiligten (konkret: aus Stempelkarten) entnommen.
In seiner gegen das Straferkenntnis vom erhobenen Berufung bestritt der Beschwerdeführer die ihm vorgeworfenen Gesetzesübertretungen im Wesentlichen unter Hinweis auf die im "Gerüstdienstplan" für seine Mitarbeiter vorgesehenen Arbeitszeiten. Diesem Dienstplan könne entnommen werden, dass kein einziger Arbeitnehmer die zulässige Arbeitszeit überschritten habe oder dass ihm die erforderlichen Pausen nicht zur Verfügung gestanden wären.
Mit dem angefochtenen Bescheid behob die belangte Behörde das Straferkenntnis vom in den genannten Spruchpunkten und stellte das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG ein. In der Begründung gab sie zunächst das Vorbringen des Mitbeteiligten in der Berufungsverhandlung wieder. Demnach führe der Mitbeteiligte als Einzelunternehmer eine Pizzeria, in der er etwa 18 Arbeitnehmer beschäftige. Die Dienstpläne dieser Mitarbeiter würden eine Woche im Voraus erstellt. Zu den angelasteten Tatzeitpunkten habe das Unternehmen über eine Stechuhr verfügt, die zugehörigen Gleitzeitkarten wiesen jene Zeiten aus, zu denen die Mitarbeiter die Arbeitsstätte betreten und wieder verlassen hätten. Von den Mitarbeitern sei nicht verlangt worden, die Pausen zu stempeln. Die jeweils diensthabenden Arbeitnehmer müssten während des Mittagsbetriebes (10 Uhr bis 13.30 Uhr) und des Abendbetriebes (18 Uhr bis 23 Uhr) im Gastgewerbelokal anwesend sein. Im dazwischen liegenden Nachmittagsbetrieb werde nur ein Teil der Mitarbeiter beschäftigt. Die Pausen würden von den Arbeitnehmern selbst bestimmt, gesonderte Aufzeichnungen darüber würden nicht geführt.
Ausgehend von diesen Angaben und mehreren Zeugenaussagen begründete die belangte Behörde die Aufhebung der Spruchpunkte 1. und 2. des genannten Straferkenntnisses wie folgt:
"Von Anfang an hat der (Mitbeteiligte) auf das Vorhandensein von Gerüstdienstplänen verwiesen und diese auch im erstinstanzlichen Verfahren zu seiner Rechtfertigung vorgelegt, und wurde das Vorhandensein dieser Gerüstdienstpläne auch von den Zeugen bestätigt. Aus diesen Gerüstdienstplänen in Verbindung mit dem nachgewiesenen Personaleinsatz sowie der im Übrigen nicht zu beweisenden Tatsache, dass zwischen dem Mittags- und dem Abendgeschäft - eben auf Grund des nachgewiesenen Personaleinsatzes - Pausen möglich sind, ergibt sich die Schlüssigkeit des Vorbringens, dass Pausen gewährt wurden, was von den einvernommenen Zeugen auch bestätigt wurde. Im Gegensatz zu dem im oben zitierten Erkenntnis vom (Zl. 92/18/0097) zu Grunde liegenden Sachverhalt lag hier somit eine besondere vertragliche Vereinbarung vor."
Die Aufhebung des Spruchpunktes 3. des Straferkenntnisses begründete die belangte Behörde mit der Zeugenaussage der Arbeitnehmerin P., aus der sich ergebe, dass dieser Arbeitnehmerin entgegen der Tatanlastung eine ununterbrochene Ruhezeit von 11 Stunden gewährt worden sei, weil ihr Dienst am um 23 Uhr geendet und erst um 10 Uhr des nächsten Tages wieder begonnen habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 Arbeitsinspektionsgesetz gestützte, Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit, in der zusammengefasst vorgebracht wird, die belangte Behörde hätte nicht von der Gewährung von Ruhepausen ausgehen dürfen, weil solche weder nach der Anzahl noch nach ihrer Dauer im Vorhinein festgelegt worden seien, und sie hätte dem angefochtenen Bescheid die aus den Arbeitszeitaufzeichnungen ersichtlichen Arbeitszeiten zu Grunde legen müssen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift durch den Mitbeteiligten erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz darf die Tagesarbeitszeit (abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen) zehn Stunden nicht überschreiten.
Gemäß § 11 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz ist die Arbeitszeit durch eine Ruhepause von mindestens einer halben Stunde zu unterbrechen, wenn die Gesamtdauer der Tagesarbeitszeit mehr als sechs Stunden beträgt.
Gemäß § 12 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz ist den Arbeitnehmern nach Beendigung der Tagesarbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden zu gewähren.
Der Mitbeteiligte hat im Verwaltungsverfahren nicht bestritten, dass die im Straferkenntnis angelasteten Arbeitszeiten mit den Arbeitszeitaufzeichnungen (Stechkarten) seiner Arbeitnehmer übereinstimmen. Er hat vielmehr vorgebracht, dass die in diesen Stechkarten verzeichneten Zeiten nicht die tatsächlichen Arbeitszeiten wiedergäben, weil darin die von den Arbeitnehmern tatsächlich konsumierten Arbeitspausen aus technischen Gründen nicht vermerkt worden seien (Akt Seite 42). Die belangte Behörde folgte im Wesentlichen der Rechtfertigung des Mitbeteiligten und gelangte im angefochtenen Bescheid zu dem Ergebnis, dass - abweichend von den Eintragungen auf den Stechkarten - "Pausen gewährt wurden". Diese Ansicht stützte sie einerseits auf die vom Mitbeteiligten vorgelegten "Gerüstdienstpläne" und eine " besondere vertragliche Vereinbarung" sowie andererseits auf die Zeugenaussagen der Arbeitnehmerin P.
Die belangte Behörde verkennt jedoch, dass diese Argumente gegenständlich nicht geeignet sind, die Annahme der Richtigkeit der Eintragungen in den Stechkarten zu widerlegen und dass ihr Rechtsstandpunkt mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes im Widerspruch steht. In dem im angefochtenen Bescheid zitierten Erkenntnis vom , Zl. 92/18/0097, hat der Verwaltungsgerichtshof nämlich ausgesprochen, das Bestehen eines Stechuhr-Kontrollsystems impliziere, dass damit, also mit den auf den Stempelkarten aufscheinenden, das Eintreffen im Betrieb einerseits und das Verlassen des Betriebes andererseits markierenden Zeitangaben, der Beginn und das Ende der Arbeitszeit festgehalten, somit die tatsächliche Arbeitszeit gemessen wird. Sofern keine besondere vertragliche Vereinbarung besteht, ist das Betätigen der Stechuhr die jeweils erste und letzte tägliche "Arbeitshandlung".
Die Annahme der belangten Behörde, im Beschwerdefall bestünde im Sinne des zitierten Erkenntnisses eine " besondere vertragliche Vereinbarung", auf Grund derer die in den Stechkarten verzeichneten Arbeitszeiten nicht maßgeblich seien, vermag den angefochtenen Bescheid schon deshalb nicht zu tragen, weil die belangte Behörde weder Feststellungen zum konkreten Inhalt dieser Vereinbarung (insbesondere darüber, auf welche andere Weise als durch die Stechkarten die in Anspruch genommenen Pausen der Mitarbeiter dokumentiert werden sollen) noch über deren Vertragsparteien getroffen hat.
Aber auch mit dem Hinweis auf die vom Mitbeteiligten vorgelegten Dienstpläne ("Gerüstdienstpläne") lässt sich die Richtigkeit der in den Stechkarten verzeichneten Arbeitszeiten nicht widerlegen. Die - im Vorhinein erstellten - Dienstpläne sind schon grundsätzlich nicht geeignet, die tatsächlich geleisteten (und daher erst im Nachhinein feststellbaren) Arbeitszeiten und Ruhepausen zu dokumentieren (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/19/0457 mwN).
Schließlich hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die Meinung vertreten, die Richtigkeit der in der Stechkarte wiedergegebenen Arbeitszeit der Arbeitnehmerin P. betreffend den (Spruchpunkt 3. des Straferkenntnisses) stehe mit Aussage der Arbeitnehmerin P. in der Berufungsverhandlung im Widerspruch, und ist von den Angaben der Zeugin ausgegangen. Diese Sachverhaltsannahme hält zunächst schon der Schlüssigkeitsprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht stand, weil die Zeugin P. in Bezug auf den Tatvorwurf unter Spruchpunkt 3. ausgesagt hat, sie habe diesbezüglich keine Erinnerung mehr. Abgesehen davon kann bei Bestehen eines Stechuhr-Kontrollsystems einem Gegenbeweis, etwa in Form eines Zeugen, nur dann entsprechendes Gewicht zukommen, wenn, wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis Zl. 92/18/0097 unter Verweis auf sein Erkenntnis vom , Zl. 88/08/0005, dargelegt hat, im konkreten Betrieb neben dem Stechuhr-Kontrollsystem ein weiteres Kontrollsystem besteht, aus dem sich die tatsächlichen Arbeitszeiten ergeben. Dies ist gegenständlich aber nicht der Fall.
Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die belangte Behörde dem angefochtenen Bescheid zu Unrecht andere als die durch das Stechuhr-Kontrollsystem dokumentierten Arbeitszeiten zu Grunde gelegt hat. Für das fortzusetzende Verfahren ist darauf hinzuweisen, dass es nach der hg. Rechtsprechung dem Arbeitgeber im Rahmen seiner erhöhten Mitwirkungspflicht zukommt, gegebenenfalls - detailliert - darzutun, aus welchen Gründen, in welchen Punkten und in welchem Ausmaß die Aufzeichnungen über die Arbeitszeiten seiner Arbeitnehmer unrichtig sind (vgl. etwa die Erkenntnisse vom , Zl. 91/19/0329, und vom , Zl. 91/19/0134).
Der angefochtene Bescheid erweist sich nach dem Gesagten als inhaltlich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am