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VwGH vom 05.04.2018, Ra 2017/19/0515

VwGH vom 05.04.2018, Ra 2017/19/0515

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des R W M in M, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W105 2115331- 2/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo), stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. In der Erstbefragung gab der Revisionswerber an, minderjährig zu sein. Die Bezirkshauptmannschaft Mödling (Jugendwohlfahrtsträger) erteilte der Caritas eine Obsorgevollmacht sowie eine Prozessvollmacht in Asylverfahren.

2 Das vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingeholte Sachverständigengutachten zur Altersfeststellung ergab ein Mindestalter des Revisionswerbers zum Untersuchungszeitpunkt am von 21 Jahren.

3 Am erteilte der Revisionswerber der Caritas eine Prozessvollmacht, die am einvernehmlich aufgelöst wurde.

4 Mit Erkenntnis vom wies das im Wege einer vom Revisionswerber erhobenen Säumnisbeschwerde zuständig gewordene Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Antrag auf internationalen Schutz

hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und

hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die DR Kongo zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Das Gericht erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis gerichtete außerordentliche Revision nach Vorlage der Verfahrensakten und Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

6 Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit seiner Revision unter anderem und zusammengefasst geltend, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hinsichtlich des Rechtsanspruchs auf Beigebung eines Rechtsberaters abgewichen. Er sei im Verfahren nicht über das Recht auf Beigebung eines Rechtsberaters informiert worden, folglich habe er dieses Recht nicht tatsächlich in Anspruch nehmen können und sei bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unvertreten gewesen. Es wäre die Pflicht des Bundesverwaltungsgerichtes gewesen, dafür Sorge zu tragen, dass der Revisionswerber dieses Recht auch tatsächlich in Anspruch nehmen könne.

7 Bereits mit diesem Vorbringen erweist sich die Revision im Ergebnis als zulässig. Sie ist auch begründet.

8 Die maßgeblichen Rechtsvorschriften des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) in der jeweils geltenden Fassung lauten:

"Beratende Unterstützung für Asylwerber im zugelassenen Verfahren vor dem Bundesamt

§ 50. (1) Im zugelassenen Verfahren vor dem Bundesamt kann eine beratende Unterstützung eingerichtet werden. Die dort tätigen Rechtsberater unterstützen und beraten kostenlos Asylwerber im zugelassenen Verfahren nach Maßgabe der faktischen Möglichkeiten, sowie bei der Beischaffung eines Dolmetschers und gegebenenfalls bei der Leistung von Rückkehrberatung. Auf eine beratende Unterstützung besteht kein Rechtsanspruch.

(2) Die Auswahl und Bestellung der Rechtsberater für die jeweilige Regionaldirektion obliegt dem Bundesminister für Inneres; in der Bestellung ist auch die Anzahl der zu leistenden Beratungsstunden zu bestimmen.

(3) Die Rechtsberatung hat nach Maßgabe der faktischen Möglichkeiten und nur in den Amtsstunden des Bundesamtes zu erfolgen.

(...)

Rechtsberatung vor dem Bundesverwaltungsgericht § 52. (1) Das Bundesamt hat den Fremden oder

Asylwerber bei Erlassung einer Entscheidung, ausgenommen Entscheidungen nach § 53 BFA-VG und §§ 76 bis 78 AVG, oder einer Aktenvorlage gemäß § 16 Abs. 2 VwGVG mittels Verfahrensanordnung darüber zu informieren, dass ihm kostenlos ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt wird. Zugleich hat das Bundesamt den bestellten Rechtsberater oder die betraute juristische Person davon in Kenntnis zu setzen.

(2) Rechtsberater unterstützen und beraten Fremde oder Asylwerber jedenfalls beim Einbringen einer Beschwerde und im Beschwerdeverfahren gemäß Abs. 1 vor dem Bundesverwaltungsgericht, sowie bei der Beischaffung eines Dolmetschers. Rechtsberater haben den Beratenen die Erfolgsaussicht ihrer Beschwerde darzulegen. Auf deren Ersuchen haben sie die betreffenden Fremden oder Asylwerber auch im Verfahren, einschließlich einer mündlichen Verhandlung, zu vertreten.

(...)"

9 Artikel 20 der Richtlinie 2013/32/EU vom zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrensrichtlinie), lautet:

"Unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung in Rechtsbehelfsverfahren

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in Rechtsbehelfsverfahren nach Kapitel V auf Antrag unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung gewährt wird. Diese umfasst zumindest die Vorbereitung der erforderlichen Verfahrensdokumente und die Teilnahme an der Verhandlung vor einem erstinstanzlichen Gericht im Namen des Antragstellers.

(2) Die Mitgliedstaaten können auch in den erstinstanzlichen Verfahren nach Kapitel III unentgeltliche Rechtsberatung und/ oder -vertretung gewähren. In diesem Fall findet Artikel 19 keine Anwendung.

(...)"

10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt dem Asylwerber im Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vor dem Hintergrund des § 52 BFA-VG ein Rechtsanspruch auf Teilnahme des Rechtsberaters an der mündlichen Verhandlung zu, sofern er diesen darum ersucht hat. Auf Grund der aus dem rechtsstaatlichen Prinzip und den einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften resultierenden Verfahrensgarantien ist es auch Sache des Verwaltungsgerichtes dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater tatsächlich in Anspruch genommen werden kann (; , Ro 2016/18/0001).

11 Im Unterschied dazu hat der Asylwerber vor der Verwaltungsbehörde (§ 50 BFA-VG) keinen Rechtsanspruch auf eine solche Leistung.

12 Vorliegend erhob der Revisionswerber, nachdem das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl über seinen Antrag auf internationalen Schutz nicht entschieden hatte, Säumnisbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG. Damit ging die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag auf das Bundesverwaltungsgericht über. Den vorgelegten Verfahrensakten ist nicht zu entnehmen, dass der Revisionswerber im Zuge der Aktenvorlage nach § 16 Abs. 2 VwGVG seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl mittels Verfahrensanordnung informiert worden wäre, dass ihm kostenlos ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt werde. Eine solche Verfahrensanordnung ist auch nicht an einen Rechtsberater oder an eine juristische Person im Sinn des § 49 BFA-VG ergangen. Der Revisionswerber war im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht unvertreten.

13 Durch den Zuständigkeitsübergang entscheidet das Verwaltungsgericht funktionell erstinstanzlich. Damit stellt sich die Frage, ob die Vorschriften zur beratenden Unterstützung für Asylwerber bzw. der Rechtsberatung sich nach denjenigen für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (§ 50 BFA-VG) oder nach denjenigen für das Bundesverwaltungsgericht (§ 52 BFA-VG) richten, weil sich der Asylwerber gerade in keinem Rechtsmittelverfahren befindet.

14 Die für das Bundesverwaltungsgericht geltende Regelung des § 52 BFA-VG fußt unionsrechtlich auf Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU vom zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrensrichtlinie), wonach die Mitgliedstaaten im Rechtsmittelverfahren sicherzustellen haben, dass einem Asylwerber auf Antrag unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung gewährt wird, welche zumindest die Vorbereitung der erforderlichen Verfahrensdokumente und die Teilnahme an der Verhandlung vor einem erstinstanzlichen Gericht im Namen des Antragstellers umfasst (vgl. dazu ; , Ra 2016/19/0016, mWN).

15 Vor dem Hintergrund des durch den im Wege der Säumnisbeschwerde erfolgten Zuständigkeitsüberganges auf das Verwaltungsgericht, des damit einhergehenden erstinstanzlichen Verfahrens und des Verlustes einer Rechtsmittelinstanz, sowie aufgrund der aus unionsrechtlichen Vorschriften resultierenden Verfahrensgarantien, ergibt sich, dass der höhere Rechtsschutz, nämlich der Rechtsanspruch auf Rechtsberatung im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht im Sinn des § 52 BFA-VG, gewährleistet sein soll. Dass § 52 BFA-VG auch Säumnisbeschwerdeverfahren erfasst, zeigt überdies der in Abs. 1 leg. cit. enthaltene Verweis auf Aktenvorlagen nach § 16 Abs. 2 VwGVG.

16 Das Bundesverwaltungsgericht wäre daher verpflichtet gewesen, dafür Sorge zu tragen, dass der Revisionswerber sein Recht auf Rechtsberatung auch tatsächlich wahrnehmen kann, zumal solches auch aufgrund des Vermerks in der Fußzeile der Säumnisbeschwerde nicht evident und zudem dem Gericht anhand der Akten bekannt war, dass der Revisionswerber nicht (mehr) vertreten war.

17 Indem das Bundesverwaltungsgericht dies unterließ, ohne dem Revisionswerber die gesetzlich vorgesehene Unterstützung durch den Rechtsberater zu ermöglichen, belastete es das Verfahren mit einem Verfahrensmangel.

18 Ausgehend vom Vorbringen in der Revision lässt sich auch nicht von vornherein ausschließen, dass bei unterstützender Teilnahme des Rechtsberaters an der Verhandlung zusätzliches Vorbringen erstattet worden wäre, mit dem sich das Bundesverwaltungsgericht hätte auseinander setzen müssen und das unter Umständen zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte führen können.

19 Das angefochtene Erkenntnis war daher infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben. Vor diesem Hintergrund war auf das übrige Revisionsvorbringen nicht näher einzugehen.

20 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017190515.L00
Schlagworte:
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

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