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VwGH vom 01.03.2018, Ra 2017/19/0494

VwGH vom 01.03.2018, Ra 2017/19/0494

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des F A in W, vertreten durch Dr. Christian Marth, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Fleischmarkt 1/Top 9, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. I416 2168756- 1/7E, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde gemäß § 16 BFA-VG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom , womit der von ihm gestellte Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen wurde sowie weitere von Amts wegen zu tätigende Aussprüche - u.a. die Erlassung einer Rückkehrentscheidung - erfolgten, gemäß § 16 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) zurück.

2 In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, es sei versucht worden, dem Revisionswerber den angefochtenen Bescheid am zuzustellen. Da er an seiner "Meldeadresse" nicht angetroffen worden sei, sei die Postsendung beim Postamt 1053 Wien hinterlegt worden. Der Beginn der Abholfrist sei mit festgelegt worden.

3 Der Revisionswerber habe gegen den Bescheid der Behörde Beschwerde erhoben. Diese habe er am dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl per Telefax übermittelt.

4 In seiner rechtlichen Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass gemäß § 16 Abs. 1 BFA-VG (idF BGBl. I Nr. 24/2016) die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in den Fällen des § 3 Abs. 2 Z 2, 4 und 7 BFA-VG zwei Wochen betrage, sofern nichts anderes bestimmt sei. Dies gelte auch in den Fällen des § 3 Abs. 2 Z 1 BFA-VG, sofern die Entscheidung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden sei. § 7 Abs. 4 erster Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sei, sofern es sich bei dem Fremden im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht um einen unbegleiteten Minderjährigen handle, diesfalls nicht anwendbar.

5 Aus den Feststellungen ergebe sich, dass die im gegenständlichen Fall geltende zweiwöchige Beschwerdefrist des § 16 Abs. 1 BFA-VG mit Ablauf des geendet habe. Die am eingebrachte Beschwerde sei verspätet.

6 Der Revisionswerber habe zwar auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , womit das Verfahren zur Prüfung der Verfassungskonformität des § 16 Abs. 1 BFA-VG eingeleitet worden sei, hingewiesen und gebeten, das Ergebnis des Gesetzesprüfungsverfahrens abzuwarten. Jedoch handle es sich im gegenständlichen Fall nicht um den Anlassfall des Gesetzesprüfungsverfahrens. Die vom Verfassungsgerichtshof von Amts wegen in Prüfung gezogene Norm gehöre im Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung dem Rechtsbestand an. Im Weiteren legte das Verwaltungsgericht noch dar, weshalb es davon ausgehe, dass die in § 16 Abs. 1 BFA-VG (in der genannten Fassung) festgelegte Verkürzung der Beschwerdefrist auf zwei Wochen nicht verfassungswidrig sei.

7 Die Erhebung einer Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig, was es lediglich mit der Verneinung der in dieser Bestimmung enthaltenen Tatbestände begründete.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit - auf das Wesentliche zusammengefasst - geltend, dass der Verfassungsgerichtshof die vom Bundesverwaltungsgericht angewendete Norm aufgehoben habe. Er habe zudem ausgesprochen, dass diese Norm nicht mehr anzuwenden sei.

10 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt. 11 Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G 134/2017 ua., folgende Aussprüche getätigt:

"I. Die Wortfolge ,2, 4 und' sowie der Satz ‚Dies gilt auch in den Fällen des § 3 Abs. 2 Z 1, sofern die Entscheidung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist.' in § 16 Abs. 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 24/2016, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in

Kraft.

III. Die aufgehobenen Bestimmungen sind nicht mehr

anzuwenden."

12 Diese Aussprüche wurden vom Bundeskanzler am mit BGBl. I Nr. 140/2017 kundgemacht.

13 Aus Art. 140 Abs. 7 B-VG ergibt sich, dass der Verfassungsgerichtshof aussprechen kann, dass ein von ihm aufgehobenes Gesetz - über den Anlassfall im engeren Sinn hinausgehend - auch auf frühere Sachverhalte nicht mehr anzuwenden ist. Der Verfassungsgerichtshof kann also der Aufhebung Rückwirkung beilegen. Die diesbezügliche Befugnis ist weder zeitlich noch personell begrenzt (vgl. , mwN).

14 Ein solcher Fall liegt hier vor (sh. den oben wiedergegebenen Spruchpunkt III. sowie Rn. 73 der Entscheidungsgründe des zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes).

15 Der Ausspruch, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind, bewirkte eine Erstreckung der Anlassfallwirkung (auch) auf sämtliche vom Verwaltungsgerichtshof noch nicht entschiedenen Fälle, sodass die Anwendung der als verfassungswidrig aufgehobenen gesetzlichen Bestimmung auch im vorliegenden Revisionsfall ausgeschlossen ist (vgl. ; , 2011/21/0056; , Ra 2015/21/0132, jeweils mwN).

16 § 16 Abs. 1 BFA-VG in der hier - infolge der mit rückwirkender Kraft ausgestatteten Aufhebung eines Teiles dieser Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof - anzuwendenden Fassung lautet:

"§ 16. (1) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes beträgt in den Fällen des § 3 Abs. 2 Z 7 zwei Wochen, sofern nichts anderes bestimmt ist. § 7 Abs. 4 erster Satz Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 ist, sofern es sich bei dem Fremden im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, diesfalls nicht anwendbar."

17 Ein Fall des § 3 Abs. 2 Z 7 BFA-VG - diese Bestimmung bezieht sich auf Verfahren nach dem Grundversorgungsgesetz - Bund 2005 - liegt hier unzweifelhaft nicht vor. Somit wird das gegenständliche Verfahren von § 16 Abs. 1 BFA-VG (idF der Kdm. BGBl. I Nr. 140/2017) nicht erfasst.

18 Mangels Geltung einer auf den gegenständlichen Fall vom VwGVG abweichenden Anordnung ist für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der gegenständlichen Beschwerde § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG heranzuziehen. Die danach vom Revisionswerber für deren Einbringung einzuhaltende Frist von vier Wochen endete - ausgehend von den unbestrittenen Feststellungen zu den Zustellvorgängen - mit Ablauf des . Die am vom Revisionswerber beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingebrachte Beschwerde stellt sich demnach als rechtzeitig erhoben dar.

19 Der angefochtene Beschluss ist somit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Er war aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

20 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

21 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und Z 5 VwGG abgesehen werden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017190494.L00

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