VwGH vom 31.05.2012, 2010/09/0019

VwGH vom 31.05.2012, 2010/09/0019

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des PM in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS- 07/AV/3/9931/2008, betreffend Versagung der Wiederaufnahme eines Verwaltungsstrafverfahrens in einer Angelegenheit betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (weitere Parteien: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Bundesministerin für Finanzen), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom wurden über den Beschwerdeführer vier Geldstrafen in der Höhe von je S 20.000,-- und je 2,5 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, weil er gegen § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a iVm § 3 Abs. 1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) verstoßen habe, indem er vier ausländische Arbeitskräfte ohne Beschäftigungsbewilligung, gültige Arbeitserlaubnis oder gültigen Befreiungsschein beschäftigt habe. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde zunächst vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom abgelehnt und nach Abtretung vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Zl. 2000/09/0073, abgewiesen.

In der Folge erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), in der er eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK geltend machte. Mit Urteil vom wurde die Rechtssache aus der Liste der offenen Fälle gestrichen, da eine gütliche Einigung zwischen dem Beschwerdeführer und der Republik Österreich, die sich zu einer Zahlung von EUR 6.500,-- verpflichtet hatte, erzielt worden war (EGMR vom , Fall M v. Austria Nr. 3, Appl. 38.412/04).

In seinem Urteil führt der EGMR insbesondere Folgendes aus (Übersetzung durch den Verfassungsgerichtshof):

"Der Gerichtshof nimmt die zwischen den Parteien erreichte gütliche Einigung zur Kenntnis und ist davon überzeugt, dass die Einigung auf Grundlage der Achtung der Menschenrechte, wie sie in der Konvention und den Protokollen festgelegt sind, erfolgt ist. Dem Gerichtshof sind keine öffentlichen Interessen ersichtlich, die eine Fortsetzung der Prüfung der Beschwerde erfordern (Art37 Abs 1 EMRK). Angesichts der oben getroffenen Ausführungen ist es angebracht, die Rechtssache aus der Liste der anhängigen Fälle zu streichen."

Am beantragte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG mit der Begründung, es sei nunmehr die dem letztinstanzlichen Bescheid zugrunde gelegte Vorfrage von dem zuständigen Gericht anders entschieden worden. In der gütlichen Einigung zwischen dem Beschwerdeführer und der Republik Österreich sei anerkannt worden, dass der Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein Verfahren innerhalb angemessener Frist nach Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt worden sei. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes hätte die Verwaltungsstrafbehörde die überlange Verfahrensdauer und Grundrechtsverletzung als Milderungsgrund berücksichtigen müssen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers ab. In der Begründung wird ausgeführt:

"Entgegen dem Antragsvorbringen war die Frage einer überlangen Verfahrensdauer keine Vorfrage, die der Unabhängige Verwaltungssenat Wien bei seiner Entscheidung zu beurteilen hatte, und hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über diese Frage auch nicht als zuständiges Gericht entschieden.

Vielmehr hat der Gerichtshof lediglich entschieden, auf Grund des zwischen dem Antragsteller und der Republik Österreich geschlossenen Vergleichs, den bei ihm anhängigen Fall aus der Liste der offenen Verfahren zu streichen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gerichtlicher Vergleich jedoch kein Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 69 Abs Z 3 AVG (vgl. , mit weiteren Judikaturhinweisen)."

Dagegen erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welche von diesem mit Erkenntnis vom , B 385/09, abgewiesen wurde. Der Verfassungsgerichtshof führte zur Begründung insbesondere Folgendes aus:

"2.3. Wird eine Beschwerde vom EGMR für zulässig erklärt, setzt der Gerichtshof die Prüfung der Beschwerde fort; er unternimmt aber gleichzeitig den Versuch, eine gütliche Einigung zu erzielen (Art 38 Abs 1 lit b EMRK). Kommt eine solche zustande, bestätigen die Parteien deren Inhalt in einer Erklärung. Der Gerichtshof genehmigt das Ergebnis erst nach einer Prüfung, ob die Einigung auf der Grundlage der Achtung der konventionsrechtlich anerkannten Menschenrechte getroffen wurde; in diesem Fall streicht er die Rechtssache mit Urteil aus dem Register (Art 39 EMRK). Inhalt einer gütlichen Einigung ist in der Regel wie im vorliegenden Fall die Zuerkennung einer bestimmten Geldsumme, ohne dass der betreffende Staat formell das Eingeständnis einer Konventionsverletzung abgibt. Die Streichung auf Grund einer erfolgten gütlichen Einigung beendet den Rechtsstreit zwischen den Parteien wie jedes andere Urteil. Es gibt allerdings weder eine obsiegende, noch eine unterlegene Partei. Zur behaupteten Konventionsverletzung wird im Urteil nicht Stellung genommen (Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention2, 1999, § 12 Rz 220; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 2009, § 13 Rz 56).

Wesentlich ist, dass die gütliche Einigung auf der Grundlage der Achtung der Menschenrechte, wie sie in der Konvention und den Protokollen anerkannt sind, erreicht werden muss (Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention3, 2009, Art 38 Rz 8). Erfordert es die Achtung der in der Konvention anerkannten Menschenrechte, so setzt der EGMR die Prüfung einer Beschwerde fort. Ist dies nicht der Fall, ist davon auszugehen, dass die behauptete, allenfalls erfolgte Konventionsverletzung mit einer gütlichen Einigung abgegolten ist und keine weiteren Ansprüche, die sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergeben hätten können, bestehen.

Allfällige Ansprüche der Partei, welche eine Konventionsverletzung behauptet, sind mit der Übernahme einer Zahlungsverpflichtung durch die Republik Österreich im Rahmen der gütlichen Einigung erledigt. Dies ergibt sich auch aus der in Art 44 EMRK festgelegten Endgültigkeit der Urteile des EGMR.

2.4. Nach Art 46 EMRK sind die Vertragsstaaten in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, verpflichtet, das endgültige Urteil des EGMR zu befolgen. Es obliegt nach ständiger Rechtsprechung des EGMR dem betroffenen Staat, die Mittel zu wählen, die in seiner innerstaatlichen Rechtsordnung heranzuziehen sind, um den Verpflichtungen gemäß Art 46 EMRK nachzukommen. Ein verfassungsrechtliches Gebot, wonach in jedem Fall einer vom EGMR festgestellten Konventionsverletzung das Verfahren innerstaatlich wiederaufzunehmen ist, kann aus der EMRK nicht abgeleitet werden (VfSlg. 16.747/2002). Dies gilt in der hier vorliegenden Rechtssache umso mehr, als im Urteil nicht einmal eine Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR erfolgt ist.

Der belangten Behörde kann weder denkunmögliche Gesetzesanwendung noch willkürliches Verhalten wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage vorgeworfen werden, wenn sie davon ausgeht, dass kein Wiederaufnahmegrund iSd § 69 Abs 1 Z 3 AVG vorliegt und der Wiederaufnahmeantrag daher abzuweisen ist. Die Behörde hat sich ausführlich und in nachvollziehbarer Weise mit dem Antragsvorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Ob dabei die Auslegung des § 69 Abs 1 Z 3 AVG in jeder Hinsicht rechtsrichtig ist, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen."

Die Beschwerde wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , B 385/09-8, abgetreten und der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage darüber erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof teilt die vom Verfassungsgerichtshof zur Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Verfahrens angestellten Erwägungen.

Der Beschwerdeführer meint auch in seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten ergänzten Beschwerde, dass die Republik Österreich hinsichtlich der ihr vorgeworfenen Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK durch ein überlanges Verfahren im supranationalen Verfahren vor dem EGMR submittiert habe und dass nur deswegen eine Verletzung durch den EGMR unterblieben sei. Es sei ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, dass im Rahmen des Strafausspruches eine überlange Verfahrensdauer als Milderungsgrund zu berücksichtigen sei. Daher wäre dem Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Verfahrens ähnlich wie gemäß §§ 363a bis 363c StPO im strafgerichtlichen Verfahren auch im Bereich des VStG Folge zu geben gewesen.

Mit diesem Hinweis verkennt der Beschwerdeführer, dass die von ihm angeführten Bestimmung des § 363a Abs. 1 StPO eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens nur für den Fall vorsieht, dass "in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eine Verletzung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 218/1958, oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichtes festgestellt" wird. Im vorliegenden Fall liegt jedoch nur ein Vergleich zwischen dem Beschwerdeführer und der Republik Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vor und keine Feststellung einer Verletzung einer der Bestimmungen der EMRK, sodass schon aus diesem Grunde eine - analoge - Wiederaufnahme gemäß § 363a StPO nicht in Frage kommt. Dabei braucht nicht beurteilt zu werden, ob es Fälle geben kann, in welchen eine Heranziehung der §§ 363a ff StPO im Bereich des Verwaltungsstrafverfahrens bei Vorliegen einer Feststellung einer Verletzung einer Bestimmung der EMRK durch den EGMR geboten wäre (vgl. zur Wiederaufnahme in einem solchen Zusammenhang auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/09/0172).

Mit dem vom Beschwerdeführer mit der Republik Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geschlossenen Vergleich und mit der mit der Entscheidung des EGMR vom erfolgten Streichung der Beschwerde des Beschwerdeführers von der Liste der Beschwerdefälle des EGMR ist weder eine neue Tatsache oder ein neues Beweismittel im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG hervorgekommen noch wurde im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG damit über eine Vorfrage entschieden.

Der Verfassungsgerichtshof hebt zutreffend hervor, dass alle aus einer behaupteten Verletzung der EMRK abgeleiteten Ansprüche des Beschwerdeführers mit der Übernahme der Zahlungsverpflichtung durch die Republik Österreich im Rahmen der gütlichen Einigung erledigt sind, daher kann der Beschwerdeführer dem in Erfüllung des Vergleiches eine Geldsumme - auch aus Budgetmitteln des Verwaltungsgerichtshofes - ausgezahlt worden ist, auch keinen weiteren Anspruch auf nachträgliche Strafmilderung, auf den sein Antrag auf Wiederaufnahme des Verwaltungsstrafverfahrens letztlich abzielt, geltend machen.

Nach dem Gesagten war die Beschwerde daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am