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VwGH vom 12.09.2012, 2010/08/0254

VwGH vom 12.09.2012, 2010/08/0254

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der Wiener Gebietskrankenkasse in Wien, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30/3, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 40 - SR 8549/10, betreffend Beitragszuschlag nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei: F GmbH in Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse vom wurde der mitbeteiligten Partei ein Beitragszuschlag im Sinne des § 111 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG in der Höhe von EUR 400,-- vorgeschrieben. Begründend wurde ausgeführt, dass im Zuge einer Überprüfung am um 10:35 Uhr durch Prüforgane festgestellt worden sei, dass für A.K. keine Anmeldung zur Pflichtversicherung vor Arbeitsantritt erstattet worden sei. Es liege eine erstmalige verspätete Anmeldung mit unbedeutenden Folgen vor, weshalb von der Verhängung des Teilbetrags für die gesonderte Bearbeitung abgesehen und der Teilbetrag für den Prüfeinsatz auf EUR 400,-- herabgesetzt werde.

In ihrem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch vom führte die mitbeteiligte Partei (im Wesentlichen) aus, am sei A.K., eine ehemalige Mitarbeiterin, aufgrund des Ausfalls von anderem Personal telefonisch gebeten worden, kurzfristig für wenige Stunden (über Mittag) als Aufsichtsperson (nicht Kassierin) einzuspringen. Nach Eintreffen in der Spielhalle und einer entsprechenden Unterweisung seien von A.K. die persönlichen Daten aufgenommen bzw. überprüft worden, um die "Aviso-Anmeldung" (gemeint: Mindestangaben-Anmeldung) bei der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse vorzunehmen. Während die kaufmännische Geschäftsführung die Anmeldung vorgenommen habe, wobei hiezu angemerkt werde, dass aufgrund ständiger Überlastung der Leitungen mehrere Versuche notwendig gewesen seien, sei A.K. in die Örtlichkeit eingewiesen worden bzw. habe sich in der Spielhalle aufgehalten. Es werde daher strikt verneint, dass die neue Dienstnehmerin (im Zeitpunkt der Betretung) bereits ihre Arbeit aufgenommen habe. Die Mindestangaben-Anmeldung sei um 10:52 Uhr und daher rechtzeitig vor Einsatz der Arbeitnehmerin erfolgt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch Folge gegeben und ausgesprochen, dass die mitbeteiligte Partei nicht verpflichtet sei, einen Beitragszuschlag von EUR 400,-- zu entrichten.

Nach Darlegung des Verwaltungsgeschehens und Wiedergabe der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen führte die belangte Behörde begründend aus, dass im vorliegenden Fall die Mindestangaben-Anmeldung für A.K. von der mitbeteiligten Partei nachweislich 17 Minuten nach der Überprüfung des Betriebes durch die Prüforgane erstattet worden sei. Die mitbeteiligte Partei habe glaubhaft vorgebracht, dass A.K. vor Erstattung der Mindestangaben-Anmeldung ihre Tätigkeit noch nicht aufgenommen habe, sondern sich lediglich in den Betriebsräumlichkeiten aufgehalten habe. Da die mitbeteiligte Partei außerdem nach Mitteilung der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse bisher ihre Meldeverpflichtungen "mit wenigen Ausnahmen anstandslos" erfüllt habe, sei ausnahmsweise von der Vorschreibung eines Beitragszuschlags abzusehen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Gemäß § 33 Abs. 1 ASVG in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2007 (SRÄG 2007), BGBl. I Nr. 31/2007, haben Dienstgeber jede von ihnen beschäftigte, nach diesem Bundesgesetz in der Krankenversicherung pflichtversicherte Person (Vollversicherte und Teilversicherte) vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden und binnen sieben Tagen nach dem Ende der Pflichtversicherung abzumelden.

Gemäß § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG handelt ordnungswidrig, wer als Dienstgeber entgegen den Vorschriften dieses Bundesgesetzes Meldungen oder Anzeigen nicht oder falsch oder nicht rechtzeitig erstattet.

Gemäß § 113 Abs. 1 Z 1 ASVG in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung des SRÄG 2007, BGBl. I Nr. 31/2007, können den in § 111 Abs. 1 ASVG genannten Personen Beitragszuschläge vorgeschrieben werden, wenn die Anmeldung zur Pflichtversicherung nicht vor Arbeitsantritt erstattet wurde. Gemäß § 113 Abs. 2 ASVG setzt sich der Beitragszuschlag in diesem Fall nach einer unmittelbaren Betretung im Sinne des § 111a ASVG aus zwei Teilbeträgen zusammen, mit denen die Kosten für die gesonderte Bearbeitung und für den Prüfeinsatz pauschal abgegolten werden. Der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung beläuft sich auf EUR 500.-- je nicht vor Arbeitsantritt angemeldeter Person; der Teilbetrag für den Prüfeinsatz beläuft sich auf EUR 800,--. Bei erstmaliger verspäteter Anmeldung mit unbedeutenden Folgen kann der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung entfallen und der Teilbetrag für den Prüfeinsatz bis auf EUR 400,-- herabgesetzt werden. In besonders berücksichtigungswürdigen Fällen kann auch der Teilbetrag für den Prüfeinsatz entfallen.

2. Im Beschwerdefall war A.K. unstrittig am bei der mitbeteiligten Partei als Dienstnehmerin im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG beschäftigt. Strittig ist jedoch, ob A.K. ihre Tätigkeit zum Zeitpunkt der Betretung um 10:35 Uhr - zu dem unstrittig noch keine Meldung vorlag - bereits aufgenommen hatte. Die belangte Behörde verneint dies im angefochtenen Bescheid mit der Begründung, die mitbeteiligte Partei habe glaubhaft vorgebracht, dass A.K. ihre Tätigkeit vor Erstattung der Mindestangaben-Anmeldung (um 10:52 Uhr) noch nicht aufgenommen gehabt, sondern sich lediglich in den Betriebsräumlichkeiten aufgehalten habe.

Die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse wendet sich gegen diese Feststellung und verweist auf das im Verwaltungsakt befindliche Personenblatt des Finanzamtes Wien, dem entnommen werden könne, dass A.K. von den Prüforganen dabei angetroffen worden sei, wie sie von Kindern Geld für Süßigkeiten kassiert habe. Die mitbeteiligte Partei behaupte zudem, dass A.K. überhaupt nicht als Kassierin tätig geworden sei, obwohl sie in der am von der mitbeteiligten Partei erstatteten Meldung als Kassierin gemeldet worden sei. Da im gegenständlichen Verfahren sich widersprechende Beweisergebnisse aktenkundig seien, hätte die belangte Behörde im Rahmen der freien Beweiswürdigung begründen müssen, warum sie die widersprechenden Beweise, die von den Kontrollorganen protokolliert worden seien, bei den Sachverhaltsfeststellungen nicht verwertet habe bzw. für unglaubwürdig halte.

3. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht, dass der in der Begründung des Bescheids niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d.h. sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/08/0233, mwN).

Liegen einander widersprechende Beweisergebnisse vor, muss die Behörde in der Begründung des Bescheids, soll diese dem Gesetz entsprechen, im Einzelnen Stellung nehmen und schlüssig darlegen, was sie dazu veranlasst hat, dem einen mehr Vertrauen entgegenzubringen als dem anderen. Bei Divergenzen in den Beweisergebnissen hat die Behörde zu beurteilen, ob - unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens - zufolge dieser Divergenzen eine Tatsache nicht als erwiesen oder auf Grund der größeren inneren Wahrscheinlichkeit eines Teils der Beweisergebnisse gegenüber anderen doch als erwiesen anzunehmen ist, wobei bei Tatsachenkomplexen die Art und der Stellenwert dieser Divergenzen entscheidend ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/12/0012, mwN).

In ihrer Einspruchsvorlage vom hat die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse - zum Einspruchsvorbringen Stellung nehmend - darauf hingewiesen, dass A.K. am um 10:35 Uhr bei Kassiertätigkeiten an der Betriebsstätte der mitbeteiligten Partei durch die Prüforgane angetroffen worden sei. Diese Darstellung wird durch das im Verwaltungsakt enthaltene, sowohl von A.K. als auch von einem Prüforgan des Finanzamtes Wien unterzeichnete "Personenblatt" untermauert, nach welchem A.K. angegeben habe, am seit 9 Uhr als Kassierin beschäftigt zu sein.

Dennoch ist die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid dem Vorbringen der mitbeteiligten Partei gefolgt, ohne sich mit den widersprechenden Beweisergebnissen oder dem Vorbringen der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse auseinanderzusetzen. Damit entspricht die Beweiswürdigung nicht den Anforderungen des § 45 Abs. 2 AVG.

4. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
SAAAE-75401