VwGH vom 09.09.2013, 2012/17/0025

VwGH vom 09.09.2013, 2012/17/0025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner und Dr. Leonhartsberger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fries, über die Beschwerde des WJ in Wien, vertreten durch Dr. Thomas Ebner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 10/9, gegen die Datenschutzkommission wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit des Datenschutzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Gemäß § 42 Abs. 4 letzter Satz VwGG iVm § 71 Abs. 1 AVG wird der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Wahrnehmung des Parteiengehörs zurückgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung von Schriftsatzaufwand für die Äußerung zur Gegenschrift wird abgewiesen.

Begründung

Mit Administrativbeschwerde vom an die belangte Behörde machte der Beschwerdeführer die Verletzung des Rechts "auf Schutz seiner bei den Magistratsabteilungen 40 und 62 (des Magistrats der Stadt Wien) automationsunterstützt verwalteten Daten" geltend. Ein näher bezeichneter Organwalter der Magistratsabteilung (kurz: MA) 40 habe ihm aus den Verwaltungsakten zugängliche, "(automationsunterstützte) geschützte" Daten an Dritte, nämlich an eine näher bezeichnete Richterin, weitergegeben. In den der Beschwerde angeschlossenen Beilagen ist auszugsweise aus den beiden Schreiben des Beamten vom an die genannte Richterin zitiert.

Der Magistrat der Stadt Wien nahm dazu mit Schriftsatz vom Stellung und zitierte darin auszugsweise aus E-Mails, welche der Beschwerdeführer selbst an die in seiner Beschwerde genannte Richterin gesendet habe. Außer Streit gestellt werde, dass der näher bezeichnete Mitarbeiter am zwei E-Mails an die zuständige Familienrichterin gerichtet habe, welche den in der Beschwerde zitierten Inhalt aufwiesen.

Die belangte Behörde räumte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom unter Anschluss der Stellungnahme des Magistrats der Stadt Wien vom Parteiengehör ein und gewährte ihm für eine allfällige Äußerung eine Frist von zwei Wochen, welche ungenutzt verstrich.

Per E-Mail vom stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Äußerung und gab gleichzeitig eine Stellungnahme ab, welcher er den vollständigen E-Mailverkehr des Beamten der MA 40 an die genannte Familienrichterin (inklusive diesem angeschlossenen E-Mails des Beschwerdeführers an die Magistratsabteilungen 40 und 62) anfügte.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde die Administrativbeschwerde vom wegen Verletzung im Recht auf Geheimhaltung infolge Übermittlung von E-Mails an das BG Innere Stadt Wien - ohne auf die Stellungnahme des Beschwerdeführers vom einzugehen - abgewiesen. Dieser mit Beschwerde bekämpfte Bescheid wurde mit hg. Erkenntnis des heutigen Tages zur Zl. 2011/17/0297 infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Mit der vorliegenden Säumnisbeschwerde vom macht der Beschwerdeführer geltend, die belangte Behörde habe über seinen bei der belangten Behörde am eingebrachten Wiedereinsetzungsantrag nicht entschieden.

Die belangte Behörde erstattete unter Hinweis darauf, dass die Verwaltungsakten bereits zum Beschwerdeverfahren zur hg. Zl. 2011/17/0297 vorgelegt worden seien, eine Gegenschrift, in der das Vorliegen der Verletzung der Entscheidungspflicht bestritten und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit der Säumnisbeschwerde:

Die Anrufbarkeit des Verwaltungsgerichtshofes gegen die behauptete Säumnis der belangten Behörde ergibt sich aus § 40 Abs. 2 DSG (vgl. zur inhaltlich gleichen Vorgängerregelung des § 37 Abs. 3 DSG den hg. Beschluss vom , Zl. 98/12/0072).

Die Zulässigkeit einer Beschwerde gemäß Art. 132 B-VG setzt voraus, dass jene Behörde, der Säumnis zur Last gelegt wird, verpflichtet war, über den betreffenden Antrag zu entscheiden, und tatsächlich nicht entschieden hat.

Da der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde die Entscheidung über einen von ihm eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrte, war die belangte Behörde jedenfalls verpflichtet, darüber mit Bescheid zu entscheiden (vgl. dazu Walter/Thienel , Verwaltungsverfahrensgesetze I2, Anm. 16) zu § 71 AVG). Die Erfüllung dieser Verpflichtung kann auch in einer Zurückweisung wegen Unzulässigkeit bestehen (vgl. z. B. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 93/12/0198, und vom , Zl. 2005/13/0064).

Dafür, dass der Antrag des Beschwerdeführers vom auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Äußerung - wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift vermeint - nur "hilfsweise" und für den Fall gestellt worden sei, dass die versäumte Stellungnahme zu spät eintreffen würde, um die Sachentscheidung zu beeinflussen, bietet dieser (der Säumnisbeschwerde in Ablichtung beigefügte) Antrag keinen Anhaltspunkt. Ist aber der Inhalt eines Ansuchens eindeutig, darf die Behörde diesen nicht umdeuten (vgl. zur Auslegung von Anbringen Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 37ff zu § 13 AVG).

Auch aus dem Verweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/21/0611, ist für den Standpunkt der belangten Behörde, es habe zum Zeitpunkt der Einbringung der gegenständlichen Säumnisbeschwerde keine Entscheidungspflicht (mehr) bestanden, nichts zu gewinnen. Anders als in dem der zitierten Entscheidung zu Grunde liegenden Verfahren, in dem die Entscheidungspflicht der Behörde noch vor Erlassung der Enderledigung (wegen Abschiebung des dortigen Beschwerdeführers in einen anderen Staat) wegfiel, kam es verfahrensgegenständlich - in Erfüllung der bestehenden Entscheidungspflicht - zur bescheidmäßigen Erledigung der Hauptsache. Diese bewirkt jedoch nicht den Untergang der Entscheidungspflicht hinsichtlich des Wiedereinsetzungsverfahrens. Eine solche Sichtweise würde dem Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung seinen Anwendungsbereich entziehen, ist diese doch regelmäßig darauf gerichtet, die in der Hauptsache (bereits) erlassenen Bescheide wieder zu beseitigen, was eine Entscheidungspflicht über den Wiedereinsetzungsantrag auch nach Erledigung der Hauptsache voraussetzt.

Das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses des Beschwerdeführers ist schon auf Grund der Verletzung des subjektiven Rechtes des Beschwerdeführers auf fristgerechte Entscheidung über seinen Wiedereinsetzungsantrag anzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/12/0128). Die Beschwerde ist daher auch unter diesem Aspekt zulässig.

Die belangte Behörde hat weder innerhalb der sechsmonatigen Frist zur Entscheidung (s. § 27 Abs. 1 VwGG) noch innerhalb der ihr gesetzten dreimonatigen Nachfrist die begehrte Entscheidung erlassen, sodass die Befugnis zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers von der belangten Behörde auf den Verwaltungsgerichtshof übergegangen ist.

2. Zum Wiedereinsetzungsantrag:

§ 71 Abs. 1 AVG lautet:

"Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei."

Demnach setzt die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Sinne der vorerwähnten Gesetzesstelle voraus, dass der Wiedereinsetzungswerber durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erlitten hat. Die entscheidende Rechtsfrage ist verfahrensgegenständlich, ob der Beschwerdeführer durch die Versäumung der Stellungnahmefrist einen (durch den Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuhelfenden) Rechtsnachteil erlitten hat. In der Regel liegt ein solcher darin, dass die Säumnis zur Folge hat, dass die Partei eine zur Wahrung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen mögliche Prozesshandlung nicht mehr vornehmen kann (vgl. Walter/Thienel , Verwaltungsverfahrensgesetze I2, Anm. 6) zu § 71 AVG).

Das Vorliegen eines Rechtsnachteils ist zu verneinen. Der Beschwerdeführer hat zwar die ihm förmlich im Wege des Parteiengehörs eingeräumte Frist zur Erstattung einer Stellungnahme versäumt, er hat jedoch noch vor Erlassung des verfahrensabschließenden Bescheides (am ) per E-Mail vom eine Stellungnahme erstattet, die die belangte Behörde berücksichtigen hätte müssen (vgl. z. B. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 89/09/0058, und vom , Zl. 2000/12/0239). Die Unterlassung der Einbeziehung der verspäteten Stellungnahme kann - wie auch in der Gegenschrift zutreffend ausgeführt ist - im Rechtsmittelweg bzw. vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts gegen den die Verwaltungssache erledigenden Bescheid geltend gemacht werden (was in der hg. Beschwerde zur Zl. 2011/17/0297 auch erfolgt ist).

Damit ist aber das Vorliegen eines durch die Fristversäumung erlittenen Rechtsnachteils zu verneinen, sodass der Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig zurückzuweisen war (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/09/0176). Auf den auf der Stattgebung der Säumnisbeschwerde im Sinne einer Bewilligung der Wiedereinsetzung aufbauenden Beschwerdeantrag war daher nicht mehr einzugehen.

Hinsichtlich des in seiner Äußerung zur Gegenschrift vom gestellten Antrages des Beschwerdeführers auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist auszuführen, dass bei einer Säumnisbeschwerde der Partei kein Antragsrecht auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof zusteht. Auch ist über die Frage der Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde keine mündliche Verhandlung im Sinne des § 39 VwGG durchzuführen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hatte daher zu unterbleiben (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/12/0004, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof sieht keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, sein Verhandlungsantrag erstrecke sich im Lichte des Art. 6 EMRK auch auf seinen Kostenersatzantrag, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom , Nr. 7401/04 (Hofbauer Nr. 2/Österreich), und vom , Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlicher Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit den Verfahren betreffend "ziemlich technische" Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtigte. Beim Kostenersatzanspruch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren handelt es sich - ebenso wie bei der Frage der Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrages - um eine rein rechtliche Frage. Art. 6 EMRK steht daher dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/05/0068).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz in der beantragten Höhe gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Für die Äußerung zur Gegenschrift der belangten Behörde besteht kein Anspruch auf Ersatz von Schriftsatzaufwand, weshalb das diesbezügliche Kostenersatzbegehren abzuweisen war (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/07/0266, mwN).

Wien, am