VwGH vom 14.03.2013, 2010/08/0241

VwGH vom 14.03.2013, 2010/08/0241

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Strohmayer und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des W I in P, vertreten durch Dr. Gerald Albrecht, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 10/12, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom , Zl. GS5-A-948/651-2010, betreffend Beitragszuschlag gemäß § 113 ASVG (mitbeteiligte Partei: Niederösterreichische Gebietskrankenkasse in 3100 St. Pölten, Kremser Landstraße 3), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer ein Beitragszuschlag von EUR 400,-- gemäß § 113 Abs. 1 iVm Abs. 2 ASVG vorgeschrieben.

Die belangte Behörde führte begründend im Wesentlichen aus, die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse habe mit Bescheid vom einen Beitragszuschlag in Höhe von EUR 1.800,-- vorgeschrieben, weil im Rahmen der am erfolgten Betretung durch Organe des Finanzamtes festgestellt worden sei, dass für zwei Versicherte (LD und BS) die Anmeldung nicht vor Arbeitsantritt erstattet worden sei.

Der Beschwerdeführer habe gegen diesen Bescheid Einspruch erhoben und geltend gemacht, BS sei eine Freundin der Familie; sie habe die Bügelarbeiten aus Gefälligkeit ohne Entgelt verrichtet; gelegentlich erhalte BS Benzingeld. Da weder der Beschwerdeführer noch seine Lebensgefährtin anwesend gewesen seien, habe BS überraschend ihren Neffen LD mitgebracht, weil am Wochenende zuvor der Beschwerdeführer mit BS besprochen habe, dass "im Haus noch einiges zu erledigen sei".

Die belangte Behörde setzte fort, das Vorbringen des Beschwerdeführers, BS sei sowohl mit dem Beschwerdeführer als auch mit dessen Lebensgefährtin befreundet, sei "absolut glaubwürdig", weil (abgesehen von den vorgelegten, ebenfalls glaubwürdigen eidesstaatlichen Erklärungen) BS bereits im von ihr am - anlässlich der Kontrolle - ausgefüllten Personenblatt angegeben habe, für ihre Freundin zu bügeln. Es stehe nicht fest, dass der Beschwerdeführer ein Entgelt an BS bezahlt habe. Nach dem Vorbringen und den eidesstattlichen Erklärungen wäre eher davon auszugehen, dass die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers Entgelt bezahlt habe, weil diese Arbeiten vor allem zu ihren Gunsten bzw. für sie durchgeführt worden seien. Selbst wenn man annehmen würde, dass das vom Beschwerdeführer erwähnte Benzingeld Entgelt darstellen würde, stehe nicht fest, dass der Beschwerdeführer als Dienstgeber anzusehen wäre. Es könnte sich nämlich auch um die Zahlung eines Dritten iSd § 49 Abs. 1 ASVG handeln, was an der Dienstgebereigenschaft nichts ändern würde. Dass BS zu beiden Lebensgefährten ein Vertragsverhältnis habe, sei ausgesprochen unwahrscheinlich. Dass BS im Personenblatt auch den Beschwerdeführer erwähnt habe, sei hiefür nicht ausreichend; dazu hätte es zumindest einer Befragung der BS bedurft, welche allerdings nicht stattgefunden habe.

Selbst wenn ein Vertragsverhältnis zwischen BS und dem Beschwerdeführer vorläge, wäre weiter zu prüfen gewesen, ob nicht ein freier Dienstvertrag vorläge, welcher bei Privatpersonen in Dienstgeberfunktion nicht zur Sozialversicherungspflicht führe. BS habe über einen Schlüssel für die Liegenschaft verfügt, sodass sie jederzeit Zutritt zum Haus des Beschwerdeführers gehabt habe. Damit könne aber nicht von Weisungen über die Arbeitszeit ausgegangen werden. Auch könnten keine Weisungen über den Arbeitsort bzw. Arbeitsplatz angenommen werden.

Zu erörtern sei auch, ob die Vorgangsweise der Organe des Finanzamtes beim Betreten des Hauses des Beschwerdeführers sowie der Anfertigung von Fotos der Bügelwäsche und der Bügelgeräte zulässig gewesen sei.

Der BS betreffende Teil der Beitragsvorschreibung sei sohin aufzuheben gewesen.

Hinsichtlich der Tätigkeit von LD kämen diese Ausführungen ebenfalls in Betracht, doch habe sich sein Fall von dem seiner Tante BS unterschieden, weil er Bauarbeiten durchgeführt habe.

Den Verwaltungsakten sei nicht zu entnehmen, wie ausgedehnt die von LD ausgeführten Bauarbeiten "Stemmen" gewesen seien. Es sei aber davon auszugehen, dass sie an dieser Stelle insgesamt ausgedehnt genug gewesen seien, dass sie von außen (von außerhalb des Grundstücks) erkennbar gewesen seien, wodurch sich ein Anhaltspunkt für die Organe des Finanzamtes ergeben haben dürfte, das Grundstück im Sinne einer "auswärtigen Arbeitsstelle" iSd § 26 Abs. 2 AuslBG zu betreten.

Bezüglich der Tätigkeit des LD widerspreche das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe diesen vor Beginn der Tätigkeit nicht einmal gekannt und auch mit BS nicht besprochen, dass sie ihn für diese Tätigkeiten mitnehmen solle, der Lebenserfahrung. Ein Arbeiter, der nicht eingewiesen worden sei, fange nicht einfach irgendwo zu stemmen an, weil er sonst Angst hätte, mehr Schaden als Nutzen anzurichten. Diese Einweisung habe - mangels Bauleiters oder Baupoliers - nur vom Beschwerdeführer im Vorhinein erfolgen können. Die belangte Behörde halte das - zum Teil schlüssige - Vorbringen des Beschwerdeführers, auch bei den Stemmarbeiten des LD handle es sich um einen - über BS laufenden - Freundschaftsdienst, nicht für völlig wirklichkeitsfremd, doch aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers, er habe LD vor Beginn dieser Arbeiten gar nicht gekannt, nicht für ausreichend glaubwürdig, um sie der Entscheidung zu Grunde zu legen.

Aufgrund der erstmalig verspäteten Anmeldung eines Dienstnehmers durch den Beschwerdeführer und der nur sehr kurzen Tätigkeit sei von unbedeutenden Folgen auszugehen. Richtig sei auch der Hinweis des Beschwerdeführers, dass es sich um nicht besonders ausgedehnte Arbeiten in einem Privathaus gehandelt habe, weshalb der Teilbetrag für den Prüfeinsatz auf EUR 400,-- herabzusetzen gewesen sei; der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung habe zu entfallen.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verfahrens vor der belangten Behörde vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat ebenfalls eine Gegenschrift erstattet und beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Gemäß § 33 Abs. 1 ASVG haben die Dienstgeber jede von ihnen beschäftigte, nach diesem Bundesgesetz in der Krankenversicherung pflichtversicherte Person (Vollversicherte und Teilversicherte) vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden und binnen sieben Tagen nach dem Ende der Pflichtversicherung abzumelden. Nach § 33 Abs. 2 ASVG gilt Abs. 2 leg.cit. für die nur in der Unfall- und Pensionsversicherung sowie für die nur in der Unfallversicherung nach § 7 Z 3 lit. a ASVG Pflichtversicherten mit der Maßgabe, dass die Meldungen beim Träger der Krankenversicherung, der beim Bestehen einer Krankenversicherung nach diesem Bundesgesetz für sie sachlich und örtlich zuständig wäre, zu erstatten sind.

Der Dienstgeber kann die Anmeldeverpflichtung gemäß § 33 Abs. 1a ASVG so erfüllen, dass er in zwei Schritten meldet, und zwar vor Arbeitsantritt die Dienstgeberkontonummer, die Namen und Versicherungsnummern bzw. Geburtsdaten der beschäftigten Personen sowie Ort und Tag der Beschäftigungsaufnahme (Mindestangaben Anmeldung, Z 1) und die noch fehlenden Angaben innerhalb von sieben Tagen ab Beginn der Pflichtversicherung (vollständige Anmeldung, Z 2).

Nach § 113 Abs. 1 ASVG kann ein Beitragszuschlag vorgeschrieben werden, wenn die Anmeldung zur Pflichtversicherung nicht vor Arbeitsantritt erstattet wurde. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung setzt sich der Beitragszuschlag nach einer unmittelbaren Betretung aus zwei Teilbeträgen zusammen, mit denen die Kosten für die gesonderte Bearbeitung und für den Prüfeinsatz pauschal abgegolten werden. Der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung beläuft sich auf EUR 500,-- je nicht vor Arbeitsantritt angemeldeter Person; der Teilbetrag für den Prüfeinsatz beläuft sich auf EUR 800,--. Bei erstmaliger verspäteter Anmeldung mit unbedeutenden Folgen kann der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung entfallen und der Teilbetrag für den Prüfeinsatz bis auf EUR 400,-- herabgesetzt werden. In besonders berücksichtigungswürdigen Fällen kann auch der Teilbetrag für den Prüfeinsatz entfallen.

2. Gemäß § 4 Abs. 2 ASVG ist Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; dazu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen. Gemäß § 4 Abs. 4 ASVG stehen den Dienstnehmern Personen gleich, die sich auf Grund freier Dienstverträge auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zur Erbringung von Dienstleistungen für Dienstgeber iSd § 4 Abs. 4 Z 1 und 2 ASVG verpflichten, wenn sie aus dieser Tätigkeit ein Entgelt beziehen, die Dienstleistungen im Wesentlichen persönlich erbringen sowie über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügen und wenn keiner der Ausnahmetatbestände des § 4 Abs. 4 lit. a bis d ASVG vorliegt (insbesondere die Pflichtversicherung auf Grund dieser Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 GSVG,§ 2 Abs. 1 BSVG oder § 2 Abs. 1 und 2 FSVG).

3. Der Beschwerdeführer macht geltend, mangels erfolgter Feststellung im angefochtenen Bescheid darüber, ob die durchgeführte Tätigkeit entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt sei und mangels Klärung, ob diese Tätigkeit für BS oder für den Beschwerdeführer erfolgt sei, erweise sich der Beitragszuschlag als rechtswidrig. Es lägen auch keine Beweisergebnisse einer entgeltlichen Leistung für den Beschwerdeführer vor. Dass LD nicht bei Stemmarbeiten an der Wand im Keller des Hauses des Beschwerdeführers betreten worden sei, ergebe sich aus dem Personenblatt der BS, in welchem die einschreitende Beamtin ausgeführt habe, dass im Zeitpunkt der Betretung BS mit dem Neffen aus dem Haus gekommen sei. Dafür, dass die Baumaßnahmen von außen (von außerhalb des Grundstücks) erkennbar gewesen seien, fehlten entsprechende Beweisergebnisse und darauf gestützte Feststellungen. Die belangte Behörde hätte hiezu ergänzende Einvernahmen der einschreitenden Beamten, aber auch der BS und des LD durchführen müssen. Es sei nicht widerlegt worden, dass LD über Auftrag der BS unentgeltliche Dienste im Haus des Beschwerdeführers durchgeführt habe. Der Beschwerdeführer habe sich stets dahin verantwortet, dass nicht er, sondern BS ihren Neffen LD in die durchzuführenden Arbeiten (Abtransportieren von Schutt, aber keine Stemmarbeiten) eingewiesen habe.

4. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht, dass der in der Begründung des Bescheids niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d. h. sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/08/0252, mwN).

Der Beschwerdeführer hatte bereits im Einspruch umfangreiches Vorbringen zum persönlichen Verhältnis zwischen ihm bzw. seiner Lebensgefährtin und BS erstattet. Die belangte Behörde hielt dieses Vorbringen für "absolut glaubwürdig". Das weitere im Einspruch enthaltene Vorbringen, der Beschwerdeführer habe am Wochenende vor der Prüfung durch Organe des Finanzamtes mit Frau BS lediglich darüber gesprochen, dass "im Haus noch einiges zu erledigen sei", wobei BS offensichtlich - ohne den Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin zu informieren - beschlossen habe, ihm eine Freude zu machen und ohne sein Wissen ihren Neffen mitgenommen habe, um hier zu helfen, hielt die belangte Behörde hingegen "nicht für ausreichend glaubwürdig".

Der Beschwerdeführer hat - soweit ersichtlich (die Akten der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse wurden nicht vorgelegt) - im gesamten Verfahren jeweils den Standpunkt eingenommen, er habe von der Tätigkeit des LD kein Wissen gehabt und diesen auch nicht - etwa im Wege Dritter - mit der Erbringung von Leistungen beauftragt.

Die Behörde darf sich nur in Fällen, die nicht weiter strittig sind, mit schriftlichen Stellungnahmen als Beweismittel begnügen. Wo - wie hier - insoweit widersprechende Beweisergebnisse vorliegen, als der Darlegung des Beschwerdeführers nur schriftliche Stellungnahmen gegenüberstehen und der Beschwerdeführer seine Darstellung auch während des gesamten Verfahrens nicht geändert hat, in Fällen also, in denen der Glaubwürdigkeit von Personen für die Beweiswürdigung besondere Bedeutung zukommt, ist es im Interesse der Erforschung der materiellen Wahrheit erforderlich, die handelnden Personen (im vorliegenden Fall also insbesondere BS, LD und den Beschwerdeführer) förmlich als Zeugen oder Parteien niederschriftlich zu vernehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/08/0139, mwN).

5. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren ("Gebühren für Beschwerde") war im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) abzuweisen.

Wien, am