VwGH vom 15.05.2013, 2010/08/0233
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten sowie den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterin, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des E O in T, vertreten durch Mag. Michael Kadlicz, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Domplatz 16, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom , Zl. LGS NÖ/RAG/05661/2010, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer steht seit in Notstandshilfebezug.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom , mit dem der Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe für die Zeit vom 1. Juli bis ausgesprochen wurde, abgewiesen.
Die belangte Behörde ging davon aus, dem Beschwerdeführer sei am von der regionalen Geschäftsstelle N eine Beschäftigung als Maschinenarbeiter bei der F GesmbH (im folgenden F) in Neunkirchen, mit einer Entlohnung im Rahmen des anzuwendenden Kollektivvertrages und möglichen Arbeitsantritt am zugewiesen worden.
Seitens des potentiellen Dienstgebers seien Praxis als Maschinenarbeiter verlangt und hervorragende Deutschkenntnisse vorausgesetzt worden, um Arbeitsanweisungen richtig verstehen zu können.
Der Beschwerdeführer habe ein Vorstellungsgespräch bei der F absolviert. Laut Rückmeldung des potentiellen Dienstgebers sei es auf Grund des Verhaltens des Beschwerdeführers zu keiner Einstellung gekommen, weil dieser mit seiner Frau zum Vorstellungsgespräch erschienen sei und auch den Bewerbungsbogen mit seiner Ehegattin ausgefüllt habe. Der Beschwerdeführer sei daher am niederschriftlich zum Nichtzustandekommens des Beschäftigungsverhältnisses befragt worden und habe angegeben, dass er gegen die zugewiesene Beschäftigung keine Einwendungen erhebe. Mit den Angaben des potentiellen Dienstgebers konfrontiert, habe er ausgeführt, dass es richtig sei, dass er mit seiner Gattin beim Termin bei der Firma F gewesen sei. Er mache alles mit seiner Gattin, diese gehe überall hin mit. Er habe einen Bewerbungsbogen zum Ausfüllen bekommen. Es habe gar kein Bewerbungsgespräch mit irgendjemanden gegeben.
Weiters führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer über hervorragende Deutschkenntnisse verfüge. Der Umstand - nämlich hervorragende Deutschkenntnisse als Voraussetzung für die Besetzung der offenen Stelle - sei dem Beschwerdeführer auch bekannt gewesen. Durch sein Verhalten habe beim potentiellen Dienstgeber der Eindruck entstehen müssen, dass der Beschwerdeführer über keine hervorragenden Deutschkenntnisse verfüge.
Rechtlich erachtete die belangte Behörde unter Heranziehung des § 10 Abs. 1 AlVG und bezugnehmend auf den zuvor - zusammengefasst wiedergegebenen - festgestellten Sachverhalt, dass es unüblich sei, mit dem Ehepartner zu einem Vorstellungsgespräch zu erscheinen, noch dazu wenn kein Bedarf - wie dolmetschen - an der Begleitung bestehe. Auch der - in der Berufung erwähnte - anschließende Arzttermin rechtfertige und begründe die Mitnahme der Ehefrau nicht. Der Beschwerdeführer habe damit seine Arbeitswilligkeit in Zweifel gestellt. Sein Verhalten sei daher auch kausal für die Nichteinstellung. Zumindest dolus eventualis (bedingter Vorsatz) liege vor.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer u.a. bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen.
Nach § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG verliert u.a. eine arbeitslose Person, die sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Diese Bestimmungen sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zugrunde liegenden Gesetzeszwecks, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung einer ihm zumutbaren Beschäftigung in den Arbeitsmarkt einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. z.B. das Erkenntnis vom , Zl. 2006/08/0157, mwN).
Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte, zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten (und daher unverzüglich zu entfaltenden) aktiven Handelns des Arbeitslosen, andererseits (und deshalb) aber auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, dass Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen - abgesehen vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen - somit auf zwei Wege verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wege vereitelt werden:
Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln als gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassung der Vereinbarung eines Vorstellungstermins oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potentiellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung z.B. das Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0315, mwN).
Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG sinngemäß auf die Notstandshilfe anzuwenden.
Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten als Vereitelung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommens des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz auf dolus eventualis genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/08/0227, mwN).
Die belangte Behörde hat die Vereitelungshandlung des Beschwerdeführers darin erblickt, dass er anlässlich des terminisierten Vorstellungsgespräches seine Ehegattin mitgenommen hat und diese ihm beim Ausfüllen des Bewerbungsbogens behilflich gewesen ist. Damit habe beim potentiellen Dienstgeber der Eindruck entstehen müssen, dass der Beschwerdeführer über keine hervorragenden Deutschkenntnisse verfüge.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe davon ausgehen können, da er zu einem Vorstellungsgespräch geladen worden sei, dass ein persönliches Gespräch mit dem potentiellen Dienstgeber stattfinden werde, sodass ein Zweifel über die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers niemals hätten auftreten können. Kausal für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses sei sohin nicht, dass der Beschwerdeführer seine Ehegattin zum Vorstellungsgespräch mitgenommen habe, sondern dass der potentielle Dienstgeber es unterlassen habe, in einem persönlichen Vorstellungsgespräch die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers zu überprüfen. Weiters müsse sich der notwendige Vorsatz als Voraussetzung für eine Vereitelung im Sinn des § 10 Abs. 1 AlVG auf die Vereitelung des Zustandekommens des Beschäftigungsverhältnisses beziehen. Tatsächlich hätte der Beschwerdeführer zumindest erkannt haben müssen, dass die Begleitung durch seine Ehefrau zum Vorstellungsgespräch und das Ausfüllen des Bewerbungsbogens in deren Anwesenheit geeignet sein könne, das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern und dass er dies in Kauf genommen und sich damit abgefunden habe. Diesbezüglich lägen auch keine Feststellungen der belangten Behörde vor.
Mit dieser Argumentation führt die Beschwerde zum Erfolg:
Die von der Behörde getroffenen Feststellungen zum Verhalten des Beschwerdeführers stützen tatsächlich die in der Folge vorgenommene rechtliche Beurteilung der Behörde nicht. Insbesondere lässt die Begleitung durch die Ehegattin nicht zwingend den Schluss zu, der Arbeitsuchende wäre der deutschen Sprache nicht oder nicht ausreichend mächtig. Es wäre für den potentiellen Dienstgeber im Rahmen eines persönlichen Gespräches leicht möglich gewesen, die für die ausgeschriebene Stelle notwendigen Deutschkenntnisse zu überprüfen. Nach den Feststellungen der belangten Behörde im Zusammenhalt mit den Behauptungen des Beschwerdeführers fand ein Vorstellungsgespräch nicht statt. Aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers konnte die Behörde nicht ohne weitere Anhaltspunkte darauf schließen, dass er den Dienstantritt damit vereiteln wollte. Die unreflektierte Beobachtung der Mitnahme der Ehegattin zum Vorstellungstermin sowie das gemeinsame Ausfüllen des Bewerbungsbogens ohne Hinterfragung der zugrundeliegenden Umstände führen für sich allein genommen - mangels Kausalität - nicht zu der von der belangten Behörde vorgenommenen Beurteilung einer Vereitelung im Sinne des § 10 AlVG. Des weiteren fehlen Feststellungen zum Vorsatz des Beschwerdeführers gänzlich.
Der angefochtene Bescheid war daher mit der Rechtswidrigkeit des Inhalts behaftet und gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da die Umsatzsteuer in diesen Pauschalsätzen bereits berücksichtigt ist.
Wien, am
Fundstelle(n):
UAAAE-75302