VwGH vom 22.02.2012, 2010/08/0223
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des K H in Wien, vertreten durch Dr. Georg Braunegg, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Elisabethstraße 15, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. LGSW/Abt. 3-AlV, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe gemäß § 49 Abs. 2 AlVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice P (in der Folge: AMS) vom wurde der Bezug der Notstandshilfe des Beschwerdeführers für den Zeitraum bis gemäß § 49 AlVG eingestellt und dies damit begründet, dass der Beschwerdeführer den vorgeschriebenen Kontrollmeldetermin am nicht eingehalten und sich erst wieder am beim AMS gemeldet habe.
In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er im Bezug eines Pensionsvorschusses stehe und daher nicht angenommen werden könne, er habe dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden. Das AMS habe es verabsäumt, mit ihm nach dem verbindliche Kontrolltermine zu vereinbaren; ebenso seien seine "freiwillig durchgeführten Besuche" (wie z.B. am ) auf seiner Meldekarte nicht vermerkt worden. Darüber hinaus sei er am 22. und krank gewesen und habe nicht ausgehen können; er habe auch seinen Hausarzt nicht aufsuchen können, da auch dies seinen Gesundheitszustand verschlimmert hätte. Dazu beantragte er seine Einvernahme sowie in weiterer Folge in seiner Stellungnahme vom die Zeugeneinvernahme seiner Mutter.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid.
In ihrer Bescheidbegründung führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und neben Zitierung der maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer im laufenden Notstandshilfebezug gestanden sei ("erst zu einem späteren Zeitpunkt" sei eine Leistungsumstellung auf Pensionsvorschuss erfolgt) und am seinen Kontrollmeldetermin nicht wahrgenommen habe; dieser Termin sei ihm mit postalisch und nachweislich mit Rechtsbelehrung vorgeschrieben worden (der diesbezügliche Rückschein befinde sich im Akt). Der Beschwerdeführer habe diesen Termin ohne triftigen Grund nicht wahrgenommen und erst wieder am beim AMS vorgesprochen.
Dem Berufungseinwand einer Erkrankung zum Kontrollmeldetermin hielt die belangte Behörde entgegen, dass der Beschwerdeführer in seiner Niederschrift beim AMS am nicht angegeben habe, krank gewesen zu sein; er habe lediglich erklärt, dass sich der Termin mit einem Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt (in der Folge: PVA) gekreuzt habe. Ein Arztbesuch habe laut seinen Angaben nicht stattgefunden und es habe daher auch keine Bestätigung vorgelegt werden können. Er habe sich zu diesem Vorhalt im Berufungsverfahren dahingehend geäußert, dass eine Zeugenladung seiner Mutter beantragt worden sei, da sie über die Erkrankung informiert sei. Die belangte Behörde erachtete die Ladung der Mutter "nicht als zielführend", da sich "die Berufungsbehörde diesbezüglich auf objektive und fachkundige Bestätigungen bzw. Unterlagen stützen müsste"; es werde "daher vom Vorliegen einer Schutzbehauptung" ausgegangen, weil der Beschwerdeführer bei der ersten und "zeitnächsten Niederschrift" keine Erkrankung erwähnt habe und keine ärztliche Bestätigung vorhanden sei. Laut einer Texteintragung der Infozone vom habe er zwar angegeben, krank gewesen zu sein, jedoch am 22. Jänner als Grund für die Nichtwahrnehmung des Termins angeführt, dass er ein Schreiben der PVA erhalten hätte. Da seine Angaben somit widersprüchlich und nicht belegt seien, habe darin kein triftiger Grund (gemeint: für die Versäumung des Kontrolltermins) erblickt werden können.
Zum Vorbringen eines bestehenden Pensionsvorschussbezuges verwies die belangte Behörde zunächst auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2006/08/0278, worin ausgeführt wurde, dass § 49 AlVG nicht vorsehe, dass Beziehern von vorschussweisen Leistungen Kontrollmeldungen nicht vorgeschrieben werden dürften. Die Antragstellung auf Gewährung eines Pensionsvorschusses mache einen während des Leistungsbezuges vorgeschriebenen Kontrollmeldetermin nicht hinfällig bzw. es sei dem AMS auch nach erfolgter Antragstellung nicht untersagt, neue Kontrollmeldetermine vorzuschreiben. Darüber hinaus habe - so die belangte Behörde weiter - die Vorschreibung des Kontrollmeldetermins am 23. Dezember auch der Abklärung der Frage dienen sollen, ob bzw. mit welchem Datum der Beschwerdeführer eine gültige Pensionsbeantragung vorgenommen habe (so habe der Beschwerdeführer diesbezüglich gegenüber dem AMS erklärt, ein selbstgeschriebenes Schreiben an die PVA geschickt bzw. bei dieser die Einrechnungsformalitäten für die Berufsunfähigkeitspension erledigt zu haben; demgegenüber hätten die telefonischen Erhebungen des AMS bei der PVA laut Texteintragung vom ergeben, dass immer noch keine entsprechenden Unterlagen vom Beschwerdeführer vorgelegt worden seien). Aus einem Ende Dezember 2009 dem AMS übermittelten Bescheid der PVA gehe hervor, dass der Beschwerdeführer im Oktober 2009 ein formloses Schreiben an die PVA geschickt und den ihm darauf übermittelten Antrag der PVA niemals ausgefüllt retourniert habe, weshalb sein "Antrag" abgelehnt worden sei. Dazu habe der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren dahingehend Stellung genommen, dass ihm mit von der PVA lediglich der Auftrag zur Verbesserung der Einreichunterlagen erteilt worden sei. Damit sei aus seinem eigenen Vorbringen ersichtlich, dass zum 23. Dezember die(se) Antragstellung noch nicht abgeschlossen gewesen sei; jedoch sei die Vorschreibung zum Kontrollmeldetermin auch mit laufendem Verfahren und Pensionsvorschussbezug rechtmäßig gewesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
1. Gemäß § 47 Abs. 2 AlVG ist Personen, die Kontrollmeldungen einzuhalten haben, von der regionalen Geschäftsstelle eine Meldekarte auszustellen, in der insbesondere die Zahl, die Zeit und der Ort der einzuhaltenden Kontrollmeldungen zu bestätigen sind.
§ 49 AlVG lautet:
"Kontrollmeldungen
§ 49. (1) Zur Sicherung des Anspruches auf den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe hat sich der Arbeitslose wöchentlich mindestens einmal bei der nach seinem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle unter Vorweisung der Meldekarte persönlich zu melden. Je nach der Situation auf dem Arbeitsmarkt kann die regionale Geschäftsstelle die Einhaltung von Kontrollmeldungen gänzlich nachsehen, die Zahl der einzuhaltenden Kontrollmeldungen herabsetzen oder öftere Kontrollmeldungen vorschreiben. Die regionale Geschäftsstelle kann auch öftere Kontrollmeldungen vorschreiben, wenn der begründete Verdacht besteht, dass das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe nicht gebührt. Die näheren Bestimmungen über die Kontrollmeldungen trifft die Landesgeschäftsstelle. Die Landesgeschäftsstelle kann auch andere Stellen als Meldestellen bezeichnen.
(2) Ein Arbeitsloser, der trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine Kontrollmeldung unterlässt, ohne sich mit triftigen Gründen zu entschuldigen, verliert vom Tage der versäumten Kontrollmeldung an bis zur Geltendmachung des Fortbezuges den Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Liegen zwischen dem Tag der versäumten Kontrollmeldung und der Geltendmachung mehr als 62 Tage, so erhält er für den übersteigenden Zeitraum kein Arbeitslosengeld bzw. keine Notstandshilfe. Der Zeitraum des Anspruchsverlustes verkürzt sich um die Tage einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung, die er in diesem Zeitraum ausgeübt hat. Ist die Frage strittig, ob ein triftiger Grund für die Unterlassung der Kontrollmeldung vorliegt, so ist der Regionalbeirat anzuhören."
Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Die freie Beweiswürdigung bezieht sich auf die bereits vorliegenden Ergebnisse eines Ermittlungsverfahrens; es ist nicht zulässig, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorwegzunehmen (vgl. dazu Walter/Thienel , Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 229 zu § 45 AVG). Beweisanträge dürfen nur abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist (vgl. auch dazu Walter/Thienel , a. a.O., E 106 zu § 39 AVG).
Im Sinne des Grundsatzes der Unbeschränktheit und Gleichwertigkeit der Beweismittel kommt gemäß § 46 AVG als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes geeignet und nach der Lage des Falles zweckdienlich ist (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/08/0023, mwN).
Nach § 60 AVG, der gemäß § 67 AVG für Berufungsbescheide gilt, sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (§§ 37 ff AVG), die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), Seite 1044 wiedergegebene ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).
2. Der Beschwerdeführer hat im Berufungsverfahren vorgebracht, dass er am 22. und krank und nicht ausgehfähig gewesen sei und (deshalb) auch seinen Hausarzt nicht aufsuchen habe können, und dazu (neben seiner auch) die Einvernahme seiner Mutter als Zeugin beantragt. Die belangte Behörde hat die Unterlassung der Einvernahme der beantragten Zeugin allein damit begründet, dass deren Ladung "nicht zielführend" sei, weil sich "die Berufungsbehörde diesbezüglich auf objektive und fachkundige Bestätigungen bzw. Unterlagen stützen müsste".
Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Gleichwertigkeit der Beweismittel iSd aufgezeigten ständigen hg. Judikatur und dem (weiteren) Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er während dieser zweitägigen Erkrankung seinen Hausarzt nicht aufsuchen habe können, kommt aber diese Zeugeneinvernahme als taugliches Beweismittel für die Feststellung des Sachverhaltes in Betracht, da die behauptete Erkrankung einen triftigen Grund für die Versäumung des Kontrollmeldetermins darstellen würde. Abgesehen davon erweist sich auch die beweiswürdigende Argumentation der belangten Behörde zum Vorbringen des Beschwerdeführers bereits als nicht schlüssig, wenn diese im Weiteren dessen Darstellung der Erkrankung als Schutzbehauptung qualifiziert und einerseits damit begründet, dass er bei "der ersten und zeitnächsten Niederschrift keine Erkrankung erwähnt habe", andererseits aber einräumt, dass er laut einer Texteintragung der Infozone bereits am Tag der Wiedermeldung (am ) die Erkrankung angegeben habe.
Damit kommt der Beschwerde schon Berechtigung zu, soweit darin die Unterlassung der Einvernahme der beantragten Zeugin gerügt und eine mangelhafte Bescheidbegründung geltend gemacht wird, zumal nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften hinsichtlich des Beweisthemas der behaupteten Verhinderung am Erscheinen zum Kontrollmeldetermin zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gekommen wäre.
Selbst für den Fall, dass sich im fortgesetzten Verfahren herausstellen sollte, dass der Beschwerdeführer dem Kontrolltermin vom aus Krankheitsgründen fernbleiben musste, wird die belangte Behörde jedoch zu prüfen haben, aus welchen Gründen der Beschwerdeführer sich nicht zumindest innerhalb einer Woche nach dem Ende seiner Erkrankung (§ 49 Abs. 1 erster Satz AlVG) bzw. zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach den Weihnachtsfeiertagen, sondern erst am (also außerhalb der Einwochenfrist des § 49 Abs. 1 erster Satz AlVG) wieder bei der regionalen Geschäftsstelle gemeldet hat. Soweit für diese Verzögerung kein triftiger Grund vorliegt, hätte sich der Beschwerdeführer ab diesem Zeitpunkt bis zu seiner Wiedermeldung am der Möglichkeit der Vermittlung einer Beschäftigung durch die regionale Geschäftsstelle entzogen und wäre daher insoweit nicht verfügbar gewesen.
3. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über die Kosten im verzeichneten Umfang gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am