VwGH vom 24.03.2009, 2005/09/0174

VwGH vom 24.03.2009, 2005/09/0174

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Jantschgi, über die Beschwerde der BMR in Wien, vertreten durch Dr. Armin Kaufmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Ertlgasse 4/11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS- 07/A/54/3215/2004/5, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Aufforderung zur Rechtfertigung des Magistrats der Stadt Wien vom wurde der Beschwerdeführerin zur Last gelegt, als persönlich haftende Gesellschafterin und somit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ einer KEG zu verantworten zu haben, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin vom bis zum zwei namentlich genannte türkische Staatsbürger ohne die nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz erforderlichen Papiere beschäftigt habe und daher Verwaltungsübertretungen nach § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a iVm § 3 Abs. 1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes begangen zu haben.

Diese Aufforderung zur Rechtfertigung wurde mit RSa-Schreiben an die Adresse der von der Beschwerdeführerin vertretenen KEG in 1020 Wien gesandt; nach der Aktenlage wurde eine Hinterlegungsanzeige am bei der Abgabestelle hinterlassen und das Schriftstück am hinterlegt, es wurde nicht behoben und am an den Magistrat der Stadt Wien retourniert.

Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom wurde gegen die Beschwerdeführerin wegen der beiden gegen sie erhobenen Vorwürfe zwei Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 1.900,-- und zwei Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils einer Woche und vier Tagen und vier Stunden verhängt. Dieser Bescheid wurde an die Beschwerdeführerin mittels RSb-Schreibens an die Adresse der von ihr vertretenen KEG gesandt. Nach dem bei der Behörde erster Instanz eingelangten Rückschein fand ein Zustellversuch am statt, wurde eine Verständigung über die Hinterlegung in das Hausbrieffach eingelegt und das Schriftstück beim Postamt xxxx Wien hinterlegt, als Beginn der Abholfrist ist der vermerkt.

Mit am per Telefax an die Behörde erster Instanz gesendetem Schreiben erhob die Beschwerdeführerin gegen das Straferkenntnis vom Berufung.

Mit Schreiben vom hielt die belangte Behörde der Beschwerdeführerin vor, dass die zweiwöchige Rechtsmittelfrist am geendet habe und die am 9. April versendete Berufung verspätet eingebracht worden sei. Der Beschwerdeführerin werde Gelegenheit gegeben, binnen zweier Wochen dazu schriftlich Stellung zu nehmen. Dieses Schreiben wurde per RSb-Brief an die Adresse der von der Beschwerdeführerin vertretenen KEG gesandt, und zwar am . Das Schreiben wurde von der Post am an die belangte Behörde mit dem Bemerken retourniert, dass der Empfänger verzogen sei, es langte am bei der belangten Behörde ein.

Die belangte Behörde unternahm einen neuerlichen Versuch, der Beschwerdeführerin die Verspätung ihrer Berufung vorzuhalten und sandte diesen Vorhalt an die Beschwerdeführerin nach Einholung einer Auskunft beim Zentralen Melderegister nunmehr an eine Wohnsitzadresse der Beschwerdeführerin in 1100 Wien. Nach einem Zustellversuch wurde dieses Schriftstück nach Hinterlassung einer Hinterlegungsanzeige im Hausbrieffach beim Postamt 1107 hinterlegt. Es wurde als nicht behoben von der Post an die belangte Behörde retourniert, wo es am einlangte.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 63 Abs. 5 AVG die Berufung der Beschwerdeführerin als verspätet zurückgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass der angefochtene Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom laut Zustellnachweis der Post nach einem Zustellversuch am an die Adresse der von der Beschwerdeführerin vertretenen KEG am gemäß § 17 Abs. 1 Zustellgesetz beim zuständigen Postamt hinterlegt und ab dem zur Abholung bereitgehalten worden sei. Die Rechtsmittelfrist habe daher am begonnen und am geendet. Die mit dem datierte Berufung sei jedoch trotz richtiger und vollständiger Rechtsmittelbelehrung erst am 9. April per Fax bei der Behörde erster Instanz eingebracht worden. Die Beschwerdeführerin sei mit Schreiben der belangten Behörde vom von der offensichtlichen Verspätung ihres Rechtsmittels in Kenntnis gesetzt worden und ihr Gelegenheit gegeben worden, hiezu binnen angemessener Frist Stellung zu nehmen. Dieses Schriftstück sei nach einem Zustellversuch am an der Adresse der Beschwerdeführerin in 1100 Wien am selben Tag beim zuständigen Postamt 1100 hinterlegt und ab dem zur Abholung bereitgehalten worden. Die Beschwerdeführerin habe zu diesem Vorhalt der Verspätung trotz ausgewiesener Zustellung (Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 1 ZustellG) nicht Stellung genommen.

Da ein Zustellmangel oder eine Ortsabwesenheit, welche eine rechtzeitige Kenntnisnahme des Zustellvorgangs hätte hindern können, von der Beschwerdeführerin nicht eingewendet worden sei und auf Grund der Aktenlage auch sonst nichts für die Annahme solcher Umstände spreche, sei von der ordnungsgemäßen Zustellung des angefochtenen Straferkenntnisses auszugehen. Die verspätet eingebrachte Berufung sei daher zurückzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin bestreitet die Feststellungen der belangten Behörde nicht, dass der Bescheid der Behörde erster Instanz nach einem Zustellversuch am ab dem beim zuständigen Postamt 1020 Wien zur Abholung bereitgehalten wurde und dass sie erst nach Ablauf der Berufungsfrist am per Telefax Berufung erhoben hat.

Eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erblickt die Beschwerdeführerin aber darin, dass die Zustellung des Bescheides der Behörde erster Instanz nicht zu eigenen Handen bewirkt worden sei. Es wären besonders wichtige Gründe im Sinne des § 22 AVG für eine solche eigenhändige Zustellung vorgelegen gewesen.

Zu dieser Problematik hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2003/09/0088, wie folgt ausgeführt:

"Im Verwaltungsstrafgesetz (VStG) wird für Straferkenntnisse - anders als etwa für Strafverfügungen (vgl. § 48 Abs. 2 leg. cit.) oder Ladungsbescheide (vgl. § 41 Abs. 3 leg. cit.) - keine besondere Art der Zustellung angeordnet. Auch § 46 VStG schreibt keine Zustellung des Straferkenntnisses zu eigenen Handen vor. Nach dem zufolge § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren geltenden § 22 zweiter Satz AVG ist aber bei Vorliegen besonders wichtiger Gründe oder wenn es (wie in § 19 Abs. 3 AVG etwa für Ladungsbescheide) gesetzlich vorgesehen ist, die Zustellung zu eigenen Handen des Empfängers zu bewirken.

Der Umstand, dass es sich um ein Straferkenntnis handelt, stellt für sich allein nach der hg. Rechtsprechung noch keinen zwingenden Grund für die Annahme besonders wichtiger Gründe im Sinne des § 22 zweiter Satz AVG für eine Zustellung zu eigenen Handen dar. Jedoch hat der Verwaltungsgerichtshof das Vorliegen solcher wichtiger Gründe dann als gegeben erachtet, wenn die mit dem Bescheid verbundenen Rechtsfolgen im Vergleich mit anderen Bescheiden in ihrer Bedeutung und Gewichtigkeit über dem Durchschnitt liegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/02/0201, m.w.N.). Dies sei etwa dann der Fall, wenn eine Geldstrafe - offensichtlich im Hinblick auf die drohende Ersatzfreiheitsstrafe - von Vornherein uneinbringlich erscheint (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/09/0266, m.w.N.).

Für die Bewirkung einer Zustellung eines Strafbescheides zu eigenen Handen liegt nach der hg. Rechtsprechung auch dann ein besonders wichtiger Grund im Sinne des § 22 zweiter Satz AVG i. V.m. § 24 VStG vor, wenn der Beschuldigte einer an ihn ergangenen Ladung nicht Folge geleistet und vor Erlassung des Straferkenntnisses nicht einvernommen worden ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 84/07/0292, und vom , Zl. 2001/03/0210).

...

Eigenhändige Zustellungen sind nach dem VStG für Beschuldigten-Ladungsbescheide (§ 41 Abs. 3 VStG) und für die Aufforderung zur Rechtfertigung als Beschuldigter (§ 42 Abs. 2 VStG) dann angeordnet, wenn - nach Androhung - das Strafverfahren ohne Anhörung des Beschuldigten durchgeführt werden soll. Desgleichen ordnet das Gesetz die eigenhändige Zustellung von Strafverfügungen an (§ 48 Abs. 2 VStG), also gleichfalls in einer Konstellation, in der eine Bestrafung nach dem Gesetz zulässig ist, obwohl der Beschuldigte noch nicht zur Sache gehört wurde. Die erwähnten ausdrücklichen gesetzlichen Anordnungen lassen in ihrem Zusammenhang das Prinzip erkennen, dass ein Verwaltungsstrafverfahren überhaupt nur dann ohne Anhörung der Partei durchgeführt werden darf, wenn dies unter Zustellung zu eigenen Handen vorher angedroht worden ist und dass eine Zustellung zu eigenen Handen auch dann geboten ist, wenn die Bestrafung nach dem Gesetz ausnahmsweise ohne vorherige Anhörung des Beschuldigten und ohne Androhung dieser Rechtsfolge zulässig ist.

Es muss demzufolge aber die Unterlassung der Zustellung zu eigenen Handen bei einem Straferkenntnis rechtswidrig sein, wenn dieses ergangen ist, ohne dass dem Beschuldigten zuvor eine Androhung der Unterlassung seiner Anhörung in zumindest einer der beiden im Gesetz genannten Varianten (§ 41 Abs. 3 oder § 42 Abs. 2 VStG) nach § 21 ZustG zu eigenen Handen zugestellt wurde und der Beschuldigte auch in der Folge nicht zur Sache gehört worden ist (vgl. die bereits angeführten hg. Erkenntnisse vom , Zl. 84/07/0292, und vom , Zl. 2001/03/0210, m.w.N.).

Man würde dem Gesetzgeber angesichts der erwähnten gesetzlichen Anordnungen einen Wertungswiderspruch unterstellen, würde man die Zustellung eines Straferkenntnisses, welches ohne die sonstigen Förmlichkeiten des Verfahrens und ohne Anhörung des Beschuldigten erlassen sowie - anders als dies im Falle der Zustellung einer Strafverfügung ausdrücklich gesetzlich angeordnet ist - nur nach § 13 iVm § 16 ZustG zugestellt wurde, als rechtmäßig beurteilen."

Diese Grundsätze sind auch für die Beurteilung des vorliegenden Falles von Bedeutung: Hier wurde zwar die Zustellung der Aufforderung zur Rechtfertigung vom von der Behörde erster Instanz an die Beschwerdeführerin zu eigenen Handen verfügt. Das beim Postamt hinterlegte Schreiben wurde jedoch von der Beschwerdeführerin nicht behoben und an die Behörde erster Instanz retourniert. Die Behörde erster Instanz und auch die belangte Behörde, deren Verspätungsvorhalt erst an die Wohnadresse der Beschwerdeführerin zugestellt werden konnte, mussten daher erhebliche Zweifel daran haben, ob eine Zustellung der Aufforderung zur Rechtfertigung an die Beschwerdeführerin wirksam erfolgt war. Die Beschwerdeführerin bringt insofern vor, dass der Zusteller keinen Grund zur Annahme gehabt habe, dass sie sich regelmäßig im Sinne des § 17 Abs. 1 ZustellG an der Adresse der von ihr damals vertretenen KG aufgehalten habe. Diese Frage und die davon abhängige Frage, ob eine Zustellung der Aufforderung zur Rechtfertigung an die Beschwerdeführerin wirksam erfolgte, wurde jedoch weder von der Behörde erster Instanz noch von der belangten Behörde aufgeklärt. Bei dieser Sachlage stellt sich die Konstellation des vorliegenden Falles ähnlich wie jene des dem zitierten hg. Erkenntnis zu Grunde liegenden Sachverhaltes dar:

Auch im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführerin ein Straferkenntnis der Behörde erster Instanz nicht zu eigenen Handen zugestellt und es blieb im Verfahren ungeklärt, ob der Beschwerdeführerin zuvor eine wirksame Möglichkeit der Anhörung gegeben worden ist. Daher sprechen triftige Gründe dafür, dass auch im vorliegenden Fall das Straferkenntnis der Behörde erster Instanz der Beschwerdeführerin zu eigenen Handen zuzustellen gewesen wäre.

Dies hat die belangte Behörde, die sich mit dieser Frage nicht befasst hat, verkannt, und weil nicht auszuschließen ist, dass die Beschwerdeführerin die Berufungsfrist im Fall der Zustellung des Straferkenntnisses der Behörde erster Instanz zu eigenen Handen nicht versäumt hätte, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am