VwGH vom 30.08.2017, Ra 2017/18/0181

VwGH vom 30.08.2017, Ra 2017/18/0181

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. L519 2118117- 1/25E, betreffend eine Asylangelegenheit (Mitbeteiligter: S M, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte ist iranischer Staatsangehöriger und stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er sei zum christlichen Glauben konvertiert und legte hierzu eine Bescheinigung der Persischen Christengemeinde Wien über seine Taufe am vor. Bei einer Rückkehr würde er von der iranischen Regierung verfolgt und getötet werden.

2 Der in weiterer Folge am wegen Verletzung der Entscheidungspflicht erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom statt.

3 Am beauftragte das BVwG das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit der Durchführung einer mittelbaren Beweisaufnahme und Erhebungen gemäß § 55 AVG. Dem BFA wurde unter anderem eine detaillierte Einvernahme des Mitbeteiligten sowie die Einvernahme des Pastors und Leiters der Persischen Christengemeinde Wien als Zeuge über die Glaubensausübung des Mitbeteiligten aufgetragen.

4 Am langten die Ermittlungsergebnisse beim BVwG ein. Der Pastor führte in seiner Einvernahme vor dem BFA am insbesondere aus, der Mitbeteiligte sei bis zu seiner Taufe regelmäßig in der Gemeinde erschienen und habe danach einige Zeit Bassgitarre in der Lobpreisgruppe gespielt. Mit Ausnahme eines Besuchs am sei der Mitbeteiligte jedoch seit mindestens einem Jahr nicht mehr erschienen. Nach seiner Ansicht praktiziere der Mitbeteiligte den christlichen Glauben nicht. Der Pastor gab auch an, er fühle sich durch die vorgegaukelte Glaubensausübung einiger Asylwerber betrogen, die nach einem positiven Asylbescheid ihren Glauben nicht mehr so ausübten, wie sie es in ihren Asylgründen angegeben hätten. Auch vom Mitbeteiligten gebe es keine "Glaubensausübung".

5 Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am gab das BVwG dem Antrag auf internationalen Schutz des Mitbeteiligten mit Erkenntnis vom statt und erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten zu. Begründet wurde dies vor allem damit, dass der Mitbeteiligte im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubwürdig seine Konversion zum Christentum dargelegt habe. Im Falle der Rückkehr in den Iran würde der Mitbeteiligte versuchen, andere zu seinem Glauben zu bekehren und hätte daher mit Verfolgung zu rechnen.

6 In der dagegen erhobenen Amtsrevision brachte das revisionswerbende BFA im Wesentlichen vor, das BVwG weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, indem es seine Entscheidung mit einem wesentlichen Begründungsmangel belastet habe, weil es auf die Ergebnisse der aufgetragenen mittelbaren Beweisaufnahme nicht eingegangen sei, obwohl diese eine Scheinkonversion des Mitbeteiligten nahelegten. Im Übrigen fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob eine mittelbare Beweisaufnahme und Erhebungen nach § 55 Abs. 1 AVG im Säumnisbeschwerdeverfahren zulässig seien. Die Revisionswerberin bezweifle das, weil der Gesetzgeber nicht ohne Grund erst durch die Novelle BGBl. I Nr. 24/2016 mit § 19 Abs. 6 AsylG 2005 eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen habe, die es dem BVwG in einem Verfahren wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG erlaube, das BFA mit der Einvernahme des Asylwerbers zu beauftragen.

7 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er beantragte, der Revision nicht Folge zu geben. Begründet wurde dies vor allem damit, dass gemäß § 25 Abs. 6 und 7 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) in einer Verhandlung die zur Entscheidung notwendigen Beweise aufzunehmen seien und bei der Fällung des Erkenntnisses nur auf das in der Verhandlung Vorgekommene Rücksicht zu nehmen sei. Es gebe keinen rechtlichen Grund, dass das BVwG die vom BFA vorgenommenen Einvernahmen hätte berücksichtigen müssen.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und begründet.

10 Zu Recht macht die Revision geltend, dass das BVwG von den höchstgerichtlichen Leitlinien zur Begründungspflicht gerichtlicher Entscheidungen (vgl. etwa , mwN) abgewichen ist, indem es dem Mitbeteiligten in Bezug auf die vorgebrachte Gefährdung infolge Konversion Glauben schenkte, dabei aber nur seine Einvernahme in der mündlichen Verhandlung berücksichtigte und sämtliche anderen aktenkundigen Beweisergebnisse (insbesondere die im Auftrag des BVwG vom BFA durchgeführte Einvernahme des Pastors, der ihn getauft hatte), die zu einem anderen Ergebnis führen hätten können, mit Stillschweigen überging. Schon dieser wesentliche Verfahrensmangel muss zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses führen.

11 Bei diesem Ergebnis braucht auf die weitere von der Amtsrevision aufgeworfene Rechtsfrage, ob das BVwG vor Inkrafttreten des § 19 Abs. 6 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016 am im Säumnisbeschwerdeverfahren überhaupt berechtigt war, das BFA um mittelbare Beweisaufnahmen zu ersuchen, nicht weiter behandelt werden. Keinesfalls durfte es nämlich die - allenfalls auch ohne gesetzliche Deckung erlangten - Beweisergebnisse ignorieren und bei der Begründung seiner Entscheidung außer Acht lassen.

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus den obigen Erwägungen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, sodass auf das übrige Revisionsvorbringen nicht einzugehen war.

Wien, am