VwGH 06.06.2012, 2010/08/0195
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Für die Bemessung der allgemeinen Beiträge iSd § 44 iVm § 49 Abs. 1 ASVG ist nicht lediglich das im Beitragszeitraum an die pflichtversicherten Dienstnehmer tatsächlich gezahlte Entgelt maßgebend, sondern, wenn es das tatsächlich gezahlte Entgelt übersteigt, jenes Entgelt, auf dessen Bezahlung bei Fälligkeit des Beitrages ein Rechtsanspruch des pflichtversicherten Dienstnehmers bestand. Welcher Entgeltanspruch besteht, ist nach zivilrechtlichen (arbeitsrechtlichen) Grundsätzen zu beurteilen. In jenen Fällen, in denen kollektivvertragliche Vereinbarungen in Betracht kommen, bildet zumindest das dem pflichtversicherten Dienstnehmer nach diesen Regelungen zustehende Entgelt die Beitragsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge. Dies unabhängig davon, ob der Dienstnehmer das ihm zustehende Entgelt vom Dienstgeber fordert bzw. ob ihm das zustehende Entgelt tatsächlich bezahlt wird (Hinweis: E , 2001/08/0225). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2008/08/0052 E RS 1 |
Norm | ASVG §49 Abs1; |
RS 2 | Den Parteien eines Dienstvertrages steht es grundsätzlich frei, im Rahmen eines Vergleiches auf sämtliche, allenfalls über die Vergleichssummen hinausgehenden Ansprüche der Streitteile zu verzichten und im Rahmen einer "Generalklausel" sämtliche zwischen den Parteien wechselseitig (allenfalls) bestehenden Ansprüche als bereinigt und verglichen anzusehen. Die Wirksamkeit einer derartigen Vereinbarung vorausgesetzt, bleibt kein Raum, Entgeltbestandteile, auf die verzichtet wurde, beitragsrechtlich zu berücksichtigen, weil die Anwendung des Anspruchsprinzips einen tatsächlich (noch) bestehenden Anspruch voraussetzt (Hinweis: E , 96/08/0022, E , 97/08/0073 und - für den Fall eines außergerichtlichen Vergleichs - E , 2005/08/0044). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des J F in B, vertreten durch Hasch & Partner Anwaltsgesellschaft mbH in 4020 Linz, Landstraße 47, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom , Zl. Ges-180346/1-2010-Bb/Ws, betreffend Beitragsnachverrechung nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei:
Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom wurde der Beschwerdeführer verpflichtet, für die auf der Beitragsrechnung vom angeführten Dienstnehmer und Zeiträume an allgemeinen Beiträgen EUR 5.542,20, an Sonderbeiträgen EUR 885,21, an Beiträgen zur Mitarbeitervorsorge EUR 138,75 sowie einen Beitragszuschlag in Höhe von EUR 908,-- zu entrichten.
Nach einem zwischen dem Dienstnehmer M M. und dem Beschwerdeführer vor dem Landesgericht W als Arbeits- und Sozialgericht geschlossenen Vergleich sei der während des Arbeitsverhältnisses lediglich als Hilfsarbeiter entlohnte M M. tatsächlich als Facharbeiter tätig gewesen. Die der Differenz zwischen dem Hilfsarbeiterlohn und dem kollektivvertraglichen Facharbeiterlohn für den Zeitraum vom bis zum entsprechenden allgemeinen Beiträge, Sonderbeiträge und Beiträge zur Mitarbeitervorsorge seien nachzuverrechnen. Der verglichene Geldbetrag von EUR 4.200,-- sei an M M. ausbezahlt worden. Dem Dienstnehmer Heinrich Z. habe für den Zeitraum vom bis laut Kollektivvertrag eine Montagezulage gebührt. Die allgemeinen Beiträge und Sonderbeiträge betreffend den ausbezahlten Vergleichsbetrag und die Montagezulage seien nachzuverrechnen. Der Beschwerdeführer habe Dienstnehmer mit zu niedrigem Entgelt bei der Kasse gemeldet. Die Voraussetzungen für die Verhängung eines Beitragszuschlages seien gegeben.
In dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch brachte der Beschwerdeführer vor, die erhöhte Einstufung des M M. für den Zeitraum vom bis zum habe bereits im Zuge des Vergleichs vom Berücksichtigung gefunden. Alle Forderungen des Dienstnehmers seien durch den Vergleich berichtigt worden, in dem festgehalten
worden sei, dass "mit diesem Vergleich ... sämtliche, zwischen den
Parteien bestandene Ansprüche bereinigt und verglichen" seien. Überdies sei M M. tatsächlich nur als Helfer tätig gewesen. Er habe die Tätigkeit eines Facharbeiters als Hufschmied, nämlich die Beschlagung des Pferdes, nie ausgeübt.
Der Beschwerdeführer stellte folgende Anträge:
"Im Zuge des Einspruches ist die vorgenommene Beitragserhöhung für den Dienstnehmer M M. hinsichtlich des Zeitraumes bis zu stornieren, wodurch dem Beitragskonto ein Betrag von EUR 3.825,58 gutzuschreiben ist. Die Gutschrift bewirkt, dass der bisher vorgeschriebene Beitragszuschlag in Höhe von EUR 908,00 um EUR 529,00 auf EUR 379,00 zu reduzieren ist."
(Die in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltene, am beim Landesgericht W als Arbeits- und Sozialgericht eingebrachte Mahnklage des M M. gegen den Beschwerdeführer stützte sich auf folgendes Vorbringen:
"Der Kläger war vom bis als Hufschmied beim Beklagten beschäftigt. Der Kläger verfügt über eine entsprechende Berufsausbildung und war daher als Facharbeiter einzustufen. Der kollektivvertragliche Mindest-Lohnanspruch des Klägers beläuft sich auf Euro 9,57 brutto bei 38,5 Wochenstunden. Auf das Dienstverhältnis ist der Kollektivvertrag für die Arbeiter des eisen- und metallverarbeitenden Gewerbes anzuwenden. Am erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall und befindet sich seither im Krankenstand. Am wurde der Kläger vom Beklagten gekündigt, das Arbeitsverhältnis endet daher am . Der Krankenstand aufgrund des Arbeitsunfalles dauerte bis zum Ende des Dienstverhältnisses an. Der Kläger erhielt für den Zeitraum ab zwar Abrechnungen vom Beklagten, diese Abrechnungen entsprechen jedoch nicht den dem Kläger tatsächlich zustehenden Ansprüchen. Insgesamt beläuft sich der Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung für den Zeitraum 16.2. bis auf brutto Euro 2.978,02, bezahlt wurde hierauf vom Beklagten lediglich ein Betrag von netto Euro 991,98. Die dem Kläger zustehenden Ansprüche auf anteilige Sonderzahlungen für das Jahr 2007 entsprechend einem Betrag von brutto Euro 891,66 und auf Urlaubsersatzleistung im Ausmaß von 61,3 Arbeitstagen offenen Urlaubs zum Zeitpunkt des Dienstvertragsendes entsprechend einem Betrag von brutto Euro 5.186,16 wurden vom Beklagten weder berechnet noch ausbezahlt. Insgesamt belaufen sich die klägerischen Ansprüche daher auf brutto Euro 9.055,84, von welchem Betrag die Netto-Zahlung des Beklagten von Euro 991,98 in Abzug zu bringen ist, sodass der Kläger beantragt, den Beklagten zur Bezahlung von brutto Euro 9.055,84 abzüglich netto Euro 991,98 zuzüglich Zinsen und Kosten zu verurteilen."
Der in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltene, am vor dem Landesgericht W als Arbeits- und Sozialgericht zwischen dem Beschwerdeführer und M M. geschlossene Vergleich hat folgenden Wortlaut:
"Vergleich
1.) Der Kläger war im Rahmen des zum Beklagten bestandenen Dienstverhältnisses als Facharbeiter tätig.
2.) Der Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters EUR 4.200,-- netto (Entgeltfortzahlung und anteilige Sonderzahlungen laut Klage, Rest: Urlaubsersatzleistung) zu bezahlen sowie an Kosten EUR 1.925,47 (darin EUR 229,86 an USt und EUR 546,30 an anteiliger Pauschalgebühr) zu ersetzen.
3.) Für den Fall des Zahlungsverzuges gelten arbeitsrechtliche Verzugszinsen.
4.) Mit diesem Vergleich sind sämtliche zwischen den Parteien bestandene Ansprüche bereinigt und verglichen.")
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Einspruch teilweise Folge gegeben und den zu entrichtenden Gesamtbetrag - unter Berücksichtigung der dreijährigen Verjährungsfrist - auf EUR 5.460,03 reduziert.
Der gerichtliche Vergleich habe lediglich den Zeitraum vom 16. Februar bis zum sowie Urlaubsersatzleistungen, nicht aber die Differenz zwischen "Facharbeiter und Hilfsarbeiter im Zeitraum bis " umfasst. Aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Dienstvertrag gehe hervor, dass die Einstellung als Helfer erfolgt sei. Deshalb erscheine es "eigentlich grundsätzlich nicht unbedingt glaubwürdig", dass M M. von Anbeginn an als Facharbeiter eingestellt gewesen sein soll. Dem widerspreche nunmehr aber der gerichtliche Vergleich, der auch dahin ausgelegt werden könne, dass der Beschwerdeführer im Rahmen des ausgehandelten Gesamtpakets dieser Formulierung zugestimmt habe, "dies aber dann nicht getan hätte, wenn ihm die nunmehr zu klärenden Folgen klar gewesen wären". Im Rahmen von Einstellungen von Arbeitnehmern könne durchaus vereinbart werden, dass kein Facharbeiter benötigt werde, aber eine Stelle als Helfer angeboten werde. Im Nachhinein zu behaupten, er (M M.) hätte immer als Fachkraft gehandelt und gearbeitet erscheine "etwas billig". Ein Dienstgeber könnte nie einen besser qualifizierten Mitarbeiter für eine minder qualifizierte Tätigkeit aufnehmen, wenn er befürchten müsste, dass im Nachhinein die höhere Qualifikation als Entgeltkriterium heranzuziehen sei. Aus diesem Grunde sei zwar - auf Grund des Vergleiches - eine Nachverrechnung durchzuführen, jedoch - auf Grund der Tatsache, dass dem Beschwerdeführer hinsichtlich eines Erkennenmüssens der Qualifikation des Dienstnehmers kein Vorwurf gemacht werden könne - nur unter Berücksichtigung der dreijährigen Verjährungsfrist. Da der Prüfbeginn mit angesetzt worden sei, sei eine tatsächliche Nachverrechnung erst ab Mai 2005 durchzuführen. Durch diese Vorgangsweise verringere sich der gesamte Nachzahlungsbetrag von EUR 7.474,16 auf EUR 5.460,03 (allgemeine Beiträge EUR 4.159,39, Sonderbeiträge EUR 727,42, Mitarbeitervorsorge EUR 82,78 und Beitragszuschlag EUR 490,44).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerde bringt vor, die Gehaltsansprüche des M M. seien nach zivilrechtlichen Grundsätzen anhand des Arbeitsvertrags und des anzuwendenden Kollektivvertrags zu beurteilen. Der Kollektivvertrag sehe einen Verfall von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis vor. Überdies könne auf arbeitsrechtliche Ansprüche unter bestimmten Voraussetzungen wirksam verzichtet werden. In dem Vergleich sei festgehalten worden, dass sämtliche gegenseitigen Ansprüche bereinigt und verglichen wären.
Dies führt die Beschwerde zum Erfolg.
Für die Bemessung der allgemeinen Beiträge iSd § 44 iVm § 49 Abs. 1 ASVG ist nicht lediglich das in den jeweiligen Beitragszeiträumen an die pflichtversicherten Dienstnehmer tatsächlich gezahlte Entgelt maßgebend, sondern, wenn es das tatsächlich gezahlte Entgelt übersteigt, jenes Entgelt, auf dessen Bezahlung bei Fälligkeit des Beitrages ein Rechtsanspruch des pflichtversicherten Dienstnehmers bestand. Welcher Entgeltanspruch besteht, ist nach zivilrechtlichen (arbeitsrechtlichen) Grundsätzen zu beurteilen. In jenen Fällen, in denen kollektivvertragliche Vereinbarungen in Betracht kommen, bildet zumindest das dem pflichtversicherten Dienstnehmer nach diesen Regelungen zustehende Entgelt die Beitragsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge. Dies unabhängig davon, ob der Dienstnehmer das ihm zustehende Entgelt vom Dienstgeber fordert bzw. ob ihm das zustehende Entgelt tatsächlich bezahlt wird (vgl. aus der insoweit ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/08/0225, mwN).
Gemäß § 49 Abs. 6 ASVG in der hier anwendbaren Fassung BGBl. I Nr. 140/2002 sind Versicherungsträger und die Verwaltungsbehörden an rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte, in denen Entgeltansprüche des Dienstnehmers (Lehrlings) festgestellt werden, gebunden. Diese Bindung tritt nicht ein, wenn der gerichtlichen Entscheidung kein streitiges Verfahren vorangegangen ist oder ein Anerkenntnisurteil oder ein gerichtlicher Vergleich geschlossen wurde.
Da das Verfahren nicht ergeben hat, dass der zwischen dem Beschwerdeführer und M M. geschlossene gerichtliche Vergleich unwirksam, ein Scheingeschäft oder aus sonstigen Gründen nichtig wäre, ist dieser - zwar nicht wie eine rechtskräftige Entscheidung, jedoch - wie jede andere gültige privatautonome Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitsnehmer der Beitragsverrechnung zu Grunde zu legen.
Den Parteien eines Dienstvertrages steht es nämlich grundsätzlich frei, im Rahmen eines Vergleiches auf sämtliche, allenfalls über die Vergleichssummen hinausgehenden Ansprüche der Streitteile zu verzichten und - wie das im vorliegenden Fall geschehen ist - im Rahmen einer "Generalklausel" sämtliche zwischen den Parteien wechselseitig (allenfalls) bestehenden Ansprüche als bereinigt und verglichen anzusehen. Die Wirksamkeit einer derartigen Vereinbarung vorausgesetzt bleibt kein Raum, Entgeltbestandteile auf die verzichtet wurde, beitragsrechtlich zu berücksichtigen, weil die Anwendung des Anspruchsprinzips einen tatsächlich (noch) bestehenden Anspruch voraussetzt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 96/08/0022, vom , Zl. 97/08/0073 und - für den Fall eines außergerichtlichen Vergleichs - vom , Zl. 2005/08/0044). Daran ändert der Umstand nichts, dass in dem - nicht der Rechtskraft fähigen und daher keine Bindungswirkung auslösenden - Vergleich ein Einvernehmen über das Faktum bekundet wurde, dass M M. im Rahmen des Dienstverhältnisses als Facharbeiter tätig gewesen sein soll (wozu noch kommt, dass die belangte Behörde dies ohnehin für unglaubwürdig hält).
Der angefochtene Bescheid - der in seinem Spruch überdies nicht auf die in Ansehung der Einspruchsanträge bereits eingetretene Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Bescheides Bedacht genommen hat - war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Ein Ersatz für Eingabengebühren war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) nicht zuzusprechen. Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Entgelt Begriff Anspruchslohn Kollektivvertrag |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2012:2010080195.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
OAAAE-75129