VwGH vom 30.08.2017, Ra 2017/18/0155
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W136 1209106- 3/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: D M), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte ist staatenlos und stammt aus Syrien. Er reiste im Oktober 1998 nach Österreich ein und beantragte Asyl. Nach einem mehrjährigen Asylverfahren wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Asylantrag mit Bescheid vom gemäß § 7 in Verbindung mit § 13 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab. Gleichzeitig erklärte es die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten nach Syrien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für nicht zulässig und erteilte dem Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum . Über Antrag des Mitbeteiligten wurde seine Aufenthaltsberechtigung in der Folge mehrfach, zuletzt mit Bescheid vom bis , verlängert.
2 Mit Schreiben vom (beim BFA eingelangt am ) beantragte der Mitbeteiligte eine neuerliche Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung.
3 Mit Bescheid vom sprach das BFA aus, dass dem Mitbeteiligten der mit Bescheid vom zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) von Amts wegen aberkannt werde (Spruchpunkt I.). Unter einem wurde sein Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom abgewiesen (Spruchpunkt II.), es wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten nach Syrien gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig sei (Spruchpunkt III.) und es wurde ihm kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt IV.).
4 Begründend führte das BFA aus, der Strafregisterauszug des Mitbeteiligten weise elf Verurteilungen auf. Zuletzt sei er am vom Landesgericht Salzburg wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG sowie wegen des Vergehens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 3 erster Fall SMG zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe im Ausmaß von 22 Monaten verurteilt worden. Dem Urteil sei zugrunde gelegen, dass der Mitbeteiligte einerseits Suchtgift (Substitol-Kapseln und Kokain) zum Eigengebrauch besessen habe und andererseits Suchtgift in zahlreichen Angriffen über einen langen Deliktszeitraum, nämlich zwischen Dezember 2013 und November 2015, in einer die Grenzmenge 13-fach übersteigenden Menge in Form von zumindest 935 Stück Substitol 200 mg-Kapseln und zwei Gramm Kokain anderen Personen in Gewinnabsicht überlassen habe.
5 Die zehn Vorverurteilungen des Mitbeteiligten hätten Suchtgifthandel in einer großen Menge (2002), Überlassung von Suchtgift bzw. Suchtgiftbesitz (2002), Suchtgiftbesitz und Diebstahl (2003), Suchtgifthandel in einer großen Menge und Suchtgiftbesitz (2005), (teilweise gewerbsmäßige) Überlassung von Suchtgift und Suchtgiftbesitz (2006), Diebstahl (2007), gefährliche Drohung, Einbruchdiebstahl, dauernde Sachentziehung und Urkundenunterdrückung (2008), Suchtgifthandel und -besitz (2009), Nötigung und falsche Beweisaussage vor Gericht (2009) sowie gewerbsmäßigen Einbruchdiebstahl und Nötigung (2009) betroffen.
6 Im Folgenden führte das BFA aus, der Mitbeteiligte sei seit dem Jahr 1999 heroinabhängig und er sei ab dem Jahr 2002 laufend und in kurzen Abständen strafrechtlich verurteilt worden. Das Übel der Haft habe er erstmals im Jahr 2005 verspürt, er habe sich aber trotzdem nicht von seinem bisherigen Lebenswandel losgesagt, sondern sei wiederholt straffällig geworden und habe anderen Personen in Gewinn- und Erwerbsabsicht Suchtgift überlassen. Zuletzt habe er bis eine Haftstrafe verbüßt, sich aber dennoch nach kurzer Zeit, nämlich ab Dezember 2013, wieder als Drogenhändler verdingt. Aus diesem Grund sei ihm der subsidiäre Schutz gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 abzuerkennen. Bei diesem Aberkennungsgrund komme es - anders als nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 - nicht darauf an, ob der Mitbeteiligte wegen eines Verbrechens oder Vergehens verurteilt worden sei, sondern darauf, ob er wegen der von ihm begangenen Straftaten im Zusammenhalt mit einer Prognose seines zukünftigen Verhaltens eine Gefahr für die Allgemeinheit des Landes darstelle. Der Mitbeteiligte sei zwar zuletzt nicht wegen eines Verbrechens, sondern wegen eines Vergehens verurteilt worden, dies jedoch lediglich aufgrund des Umstandes, dass das Landesgericht Salzburg ihm die Privilegierung des § 28a Abs. 3 SMG, nämlich die eigene Suchtgiftabhängigkeit und eine damit im Zusammenhang stehende Beschaffungskriminalität, zugestanden habe.
Objektiv handle es sich bei den vom Mitbeteiligten seit mittlerweile 18 Jahren in Österreich begangenen Straftaten um besonders verwerfliche Delikte, da durch Suchtgifthandel ein großer Personenkreis und insbesondere Kinder und Jugendliche ganz erheblich gefährdet würden. Auch könne für den Mitbeteiligten keine günstige Prognose in Bezug auf sein zukünftiges Verhalten gestellt werden. Er sei in einem Zeitraum von 18 Jahren weder in der Lage gewesen, sich von der Suchtgiftabhängigkeit zu lösen, noch ein Leben außerhalb der Illegalität zu führen. Das lasse keinen anderen Schluss zu, als dass er weiterhin Suchtgift konsumieren und diesen Konsum durch Strafdelikte finanzieren werde. Der lange Deliktszeitraum und der immer wieder sehr rasche Rückfall zeuge von einer starken kriminellen Energie und einem völligen Mangel an Verbundenheit mit der Rechtsordnung der Republik Österreich, vor allem jedoch von einer besonderen Gleichgültigkeit gegenüber der psychischen und physischen Gesundheit von Personen, denen Suchtmittel überlassen worden sei. Die Kumulierung von Straftaten, die exorbitante Rückfallsneigung sowie die Verwerflichkeit seiner Handlungen führten unzweifelhaft zu der Erkenntnis, dass der Mitbeteiligte eine Gefahr für die Allgemeinheit iSd § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 darstelle. Die somit vorzunehmende Aberkennung des subsidiären Schutzes (Spruchpunkt I.) führe auch dazu, dass sein Verlängerungsantrag bezüglich der befristeten Aufenthaltsberechtigung abzuweisen sei (Spruchpunkt II.). Da die Lage in Syrien eine Abschiebung des Mitbeteiligten - aus Gründen des Art. 2 und 3 EMRK - nicht zulasse, sei eine entsprechende Feststellung nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 zu treffen gewesen (Spruchpunkt III.); der Aufenthalt des Mitbeteiligten im Bundesgebiet sei jedoch nur solange geduldet, als die Abschiebung weiterhin unzulässig sei. Die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 lägen im Übrigen nicht vor (Spruchpunkt IV.).
7 Über Beschwerde des Mitbeteiligten hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Bescheid des BFA mit dem angefochtenen Erkenntnis auf und erteilte dem Mitbeteiligten gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum . Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
8 In der Begründung der Entscheidung führte das BVwG aus, der Verfassungsgerichtshof habe zu § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ausgesprochen, dass mit der Regelung eindeutig nicht beabsichtigt gewesen sei, den subsidiären Schutz wegen Straftaten abzuerkennen, die vor seiner Zuerkennung begangen worden seien (Hinweis auf ). Das BFA habe die Aberkennung des subsidiären Schutzes damit begründet, dass der Mitbeteiligte im Hinblick auf seine insgesamt elf Verurteilungen wegen Suchtmittel- sowie Beschaffungskriminalität eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Da jedoch zehn von elf dieser Verurteilungen bereits vor Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten erfolgt seien, sei es dem BFA unter Beachtung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verwehrt gewesen, den Schutzstatus unter Heranziehung dieser Verurteilungen abzuerkennen. Der angefochtene Bescheid sei deshalb zu beheben und die Aufenthaltsberechtigung zu verlängern gewesen.
9 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das BVwG damit, dass seine Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche noch eine solche Rechtsprechung fehle. Gleichzeitig verwies es auf die zitierte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision. Zur Zulässigkeit und in der Sache wird darin ausgeführt, dass sich das vom BVwG zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes auf den Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 bezogen habe, der fallbezogen aber nicht herangezogen worden sei. Das BFA habe die Aberkennung vielmehr auf § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 gestützt. Zu diesem Aberkennungstatbestand habe auch der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken gehabt, Verurteilungen, die vor der Zuerkennung des Status bzw. vor der letzten Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung erfolgt waren, zu berücksichtigen (Hinweis auf ). Aufgrund der Ähnlichkeit der Bestimmung mit den §§ 53 und 67 FPG scheine die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einschlägig, wonach die Frage der Gefahr für die Allgemeinheit in Form einer Gefährdungsprognose zu lösen sei, bei der auch strafgerichtliche Verurteilungen, die vor der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung erfolgt seien, herangezogen werden dürften. Von dieser vergleichbaren Judikatur weiche die angefochtene Entscheidung ab. Im Übrigen fehle einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob vor der Zuerkennung des subsidiären Schutzes erfolgte Verurteilungen des Fremden für eine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 berücksichtigt werden dürften.
11 Weitere Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung erblickt die Amtsrevision darin, ob im Falle der Aberkennung des subsidiären Schutzes über einen noch anhängigen Verlängerungsantrag nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 und über die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 entschieden werden müsse.
12 Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13 Die Revision ist zulässig und begründet.
14 Das BVwG begründete die Unzulässigkeit der Revision damit, dass es mit seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abweiche. Es vermochte jedoch an keiner Stelle seines Erkenntnisses einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu zitieren, weil eine solche zur maßgeblichen Rechtsfrage fehlt. Wenn das BVwG zum Beleg seiner Rechtsansicht auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes verweist, ist klarzustellen, dass Art. 133 Abs. 4 B-VG die Zulässigkeit der Revision an fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber des Verfassungsgerichtshofes, knüpft. Der Amtsrevision ist daher zuzustimmen, dass die Revision - entgegen dem Ausspruch des BVwG - zulässig ist.
15 In der Sache ist zunächst festzuhalten, dass der Mitbeteiligte seinen Asylantrag im Anwendungsbereich des Asylgesetzes 1997 gestellt hat, das den Status des subsidiär Schutzberechtigten iSd § 2 Abs. 1 Z 16 AsylG 2005 in dieser Form noch nicht kannte. Da dem Mitbeteiligten aber nach dem eine befristete Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1997 zugekommen ist bzw. zuerkannt wurde, galt ihm nach der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 6 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten als zuerkannt, sodass sich die Rechtsfrage stellt, ob ihm dieser Status nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 abzuerkennen war.
16 § 9 AsylG 2005, der seine hier maßgebliche Fassung durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 - FrÄG 2009, BGBl. I Nr 122/2009, erhalten hat und in dieser Fassung am in Kraft getreten ist, lautet:
"Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär
Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des
subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr
vorliegen;
2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem
anderen Staat hat oder
3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt
hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn
1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;
2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für
die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines
Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.
In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.
(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen."
17 Nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 hat eine Aberkennung des subsidiären Schutzes bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Abs. 1 leg. cit. zu erfolgen, wenn der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. Entsprechende Vorschriften sehen auch Art. 19 Abs. 3 lit. a iVm Art. 17 Abs. 1 lit. d der Richtline 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vor, die mit der zitierten nationalen Regelung umgesetzt worden sind.
18 Ob der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, erfordert eine Gefährdungsprognose, wie sie in ähnlicher Weise auch in anderen asyl- und fremdenrechtlichen Vorschriften zugrunde gelegt ist (vgl. etwa § 6 Abs. 1 Z 3 und § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005;§§ 53 und 66 Abs. 1 FPG). Dabei ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der Fremde stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Strafgerichtliche Verurteilungen des Fremden sind daraufhin zu überprüfen, inwieweit sich daraus nach der Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich ziehen lässt.
19 Der Verfassungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom , U 1907/19 (VfSlg. 19591), aus, dass eine Gefahr für die Sicherheit und Allgemeinheit eines Landes nur dann gegeben sei, wenn die Existenz oder territoriale Integrität eines Staates gefährdet sei oder wenn besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße (z.B. Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Drogenhandel, bewaffneter Raub) vorlägen. Zur Begründung verwies er darauf, dass § 9 Abs. 2 (Z 2) AsylG 2005 in Umsetzung der Statusrichtlinie ergangen sei und daher richtlinienkonform interpretiert werden müsse. Gemäß Art. 17 Abs. 1 der Statusrichtlinie seien Personen vom Genuss des subsidiären Schutzes auszuschließen, die Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit (lit. a) bzw. schwere Straftaten (lit. b) begangen hätten oder sich Handlungen zuschulden kommen ließen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen (lit. c). Angesichts der schweren Natur dieser Ausschlussbzw. Aberkennungstatbestände könne nach dem Grundsatz der richtlinienkonformen Interpretation Art. 17 Abs. 1 lit. d leg. cit. (Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit eines Landes) nur dahingehend verstanden werden, dass zur Verwirklichung dieser Bestimmung zumindest die Begehung einer Straftat von vergleichbarer Schwere wie die in lit. a - c der Statusrichtlinie genannten Handlungen vorliegen müsse. Diese Sicht werde auch dadurch bestätigt, dass die Statusrichtlinie selbst bzw. die Materialien zur Statusrichtlinie auf die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) Bezug nehmen würden und sich aus der zu den einschlägigen Bestimmungen der GFK ergangenen Judikatur bzw. Literatur ergebe, dass eine "Gefahr für die Sicherheit oder für die Allgemeinheit eines Landes" nur dann gegeben sei, wenn die Existenz oder territoriale Integrität eines Staates gefährdet sei oder wenn besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße (z.B. Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Drogenhandel, bewaffneter Raub) vorlägen.
20 Eine ausdrückliche Aussage dazu, ob bei der Aberkennung des subsidiären Schutzes nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 auch Straftaten berücksichtigt werden können, die vor der Zuerkennung des Status begangen worden sind, findet sich in diesem Erkenntnis, anders als das BFA vermeint, nicht. Eine nähere Behandlung dieser Rechtsfrage war fallbezogen auch nicht erforderlich, weil der Verfassungsgerichtshof zu dem Ergebnis gelangte, dass die dem Fremden vorgeworfenen Vermögensdelikte jedenfalls nicht die erforderliche Schwere erreichten, um eine Aberkennung des Schutzstatus zu rechtfertigen.
21 Auch der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seiner Rechtsprechung erkannt, dass nur ein Flüchtling, der wegen einer "besonders schweren Straftat" rechtskräftig verurteilt wurde, als eine "Gefahr für die Allgemeinheit eines Mitgliedstaats" angesehen werden könne (, H.T. gegen Land Baden-Württemberg, ECLI:EU:C:2015:413).
22 Ausgehend davon schließt sich der Verwaltungsgerichtshof den zitierten rechtlichen Erwägungen an, wonach ein Fremder jedenfalls dann eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 darstellt, wenn sich diese aufgrund besonders qualifizierter strafrechtlicher Verstöße prognostizieren lässt. Als derartige Verstöße kommen insbesondere qualifizierte Formen der Suchtgiftdelinquenz (wie sie beispielsweise in § 28a SMG unter Strafe gestellt werden) in Betracht, zumal an der Verhinderung des Suchtgifthandels ein besonderes öffentliches Interesse besteht (vgl. dazu etwa , mwN).
Im vorliegenden Fall hat der Mitbeteiligte zwar nicht ausschließlich, aber auch Straftaten begangen, die als besonders qualifiziert im Sinne des bisher Gesagten anzusehen sind. Mit der Frage, ob sie eine negative Gefährdungsprognose nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 rechtfertigen, hat sich das BVwG aber nicht auseinander gesetzt. Selbst unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des BVwG, es hätten sämtliche Straftaten des Mitbeteiligten vor der Zuerkennung des subsidiären Schutzes außer Betracht zu bleiben, könnte das angefochtene Erkenntnis keinen Bestand haben, weil das BVwG nicht dargelegt hat, aus welchem Grund die Verurteilung des Mitbeteiligten wegen Straftaten, die er nach der Zuerkennung des subsidiären Schutzes begangen hat, keinen Rückschluss auf seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit zulässt.
23 Ungeachtet dessen zeigt die Amtsrevision aber zu Recht auf, dass das BVwG mit seiner Entscheidung die rechtlichen Unterschiede in Bezug auf die Aberkennungstatbestände des § 9 Abs. 2 Z 2 und § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 außer Acht gelassen hat und deshalb zu rechtlich falschen Schlüssen gelangt ist.
24 § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 sieht die Aberkennung bereits dann vor, wenn der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist. Eine Gefährdungsprognose hat in diesem Fall nicht stattzufinden. Im Zusammenhang mit dieser Norm erkannte der Verfassungsgerichtshof in dem vom BVwG zitierten Erkenntnis vom , U 1769/10 (VfSlg. 19283), dass eine Aberkennung nur wegen Verbrechen im Sinne des § 17 StGB erfolgen könne, die nach Zuerkennung des subsidiären Schutzes begangen worden seien.
25 § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 erfordert im Unterschied dazu jedoch eine Gefährdungsprognose im Sinne des bisher Gesagten (vgl. Rz 18). Dabei wäre es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen der Zuerkennungsentscheidung zwar nicht zulässig, die Aberkennung nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) nicht geändert hat. Soweit aber neue Sachverhaltselemente hinzutreten, die für die Gefährdungsprognose nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 von Bedeutung sein können, hat die Behörde eine neue Beurteilung des Gesamtverhaltens des Fremden vorzunehmen und nachvollziehbar darzulegen, warum sie davon ausgeht, dass der subsidiär Schutzberechtigte nun eine Gefahr für die Allgemeinheit (oder für die Sicherheit des Staates) darstellt. Dabei ist es ihr nicht verwehrt, auch vor der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. vor Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung begangene Straftaten in ihre Gesamtbeurteilung einfließen zu lassen.
26 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich aus diesen Gründen - vorrangig - als inhaltlich rechtswidrig. Auf die weiteren, von der Amtsrevision nur obiter aufgeworfenen Rechtsfragen braucht bei diesem Ergebnis nicht eingegangen zu werden.
27 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Wien, am
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Schlagworte: | Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 |
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