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VwGH vom 28.02.2014, 2012/16/0101

VwGH vom 28.02.2014, 2012/16/0101

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2012/16/0102 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma, die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des Mag. S in W, vertreten durch Dr. Christoph Jeannee, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Bösendorferstraße 5/8, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom , Zl. ABK - 211/10, betreffend Haftung für Kommunalsteuer samt Nebenansprüchen, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid zog die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 6a des Kommunalsteuergesetzes 1993 zur Haftung für Kommunalsteuer samt Nebenansprüchen der R GmbH in näher angeführter Höhe für den Zeitraum Jänner 2004 bis November 2007 heran.

Der Beschwerdeführer sei im Zeitraum vom bis Geschäftsführer der R GmbH gewesen. Über das Vermögen der R GmbH sei mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom der Konkurs eröffnet worden, der mit Beschluss dieses Gerichtes vom nach Schlussverteilung aufgehoben worden sei.

Die Pflichtverletzung des Beschwerdeführers ergebe sich aus der Missachtung der Vorschriften über den Zeitpunkt der Entrichtung der Kommunalsteuer für jeden Monat bis längstens zum

15. des darauffolgenden Monats.

Der Beschwerdeführer habe sein Verschulden an der Pflichtverletzung bestritten und vorgebracht, er sei nur von Juni 2007 bis Jänner 2008 Geschäftsführer gewesen. Bei seinem Amtsantritt und während seiner Verantwortungszeit seien keine Steuerschulden bekannt gewesen. Nach seinem Kenntnisstand habe die R GmbH für das Jahr 2007 ihre Kommunalsteuerpflicht voll erfüllt. Er habe beim Verlassen des Unternehmens die Agenden ordnungsgemäß seinem Nachfolger übergeben. Eine Verantwortung für mögliche Kommunalsteuerrückstände außerhalb seiner Amtszeit lehne er ab. Während seiner Geschäftsführerfunktion habe es keine Schlechterstellung des Gläubigers Magistrat gegeben. Er habe seine Sorgfaltspflicht nicht verletzt, weil er alle ihm zur Verfügung gestandenen Unterlagen wie Saldenlisten und Jahresabschlüsse der Vorjahre und eine durch den Einstieg eines Investors durchgeführte Due Diligence ausgiebig geprüft habe und daraus keine offenen Zahlungen an den Magistrat der Stadt Wien ersichtlich gewesen seien. Bei seinem Amtsantritt habe er sich bei seinem Vorgänger über etwaige Zahlungsrückstände erkundigt, was verneint und durch die Vorlage der Buchhaltungsunterlagen untermauert worden sei. Sowohl die "gegenständlichen" umqualifizierten freien Dienstverträge als auch der Geschäftsführervertrag mit seinem Vorgänger seien zum Zeitpunkt seines Amtsantrittes schon längst beendet gewesen, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sei, die tatsächlich gelebten Verhältnisse mit den Vertragsinhalten zu vergleichen und die richtige Einordnung dieser Vertragsverhältnisse zu überprüfen. Alle notwendigen Berechnungen seien von der Steuerberatungskanzlei durchgeführt worden. Die Höhe der Haftungsbeträge bestreite der Beschwerdeführer nicht.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, ein Geschäftsführer müsse sich bei Übernahme seiner Funktion auch darüber unterrichten, ob und in welchem Ausmaß die Gesellschaft bisher ihren steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen sei, und es obliege ihm, auch die vor seiner Bestellung fällig gewordenen, aber noch nicht abgestatteten Abgabenschuldigkeiten aus den vorhandenen Mitteln zu entrichten. Es wäre daher bei Übernahme der Geschäftsführerfunktion Pflicht des Beschwerdeführers gewesen, nicht nur zu prüfen, ob und inwieweit Rückstände an sich bestehen, sondern auch, ob die Buchhaltung tatsächlich korrekt und den gesetzlichen Vorschriften entsprechend geführt worden sei.

Zu dem vom Beschwerdeführer vorgelegten "Schlussbericht Financial and Tax Due Diligence" - es habe sich nicht um einen vollständigen Bericht in seiner Endfassung, sondern nur um einen seitenweisen Auszug eines Entwurfes mit dem Datum gehandelt - halte die belangte Behörde fest, dass dieser Berichtsentwurf im Punkt "Darstellung der allgemeinen steuerlichen Verhältnisse" ausführe, dass seit 2002 keine Betriebsprüfung/Außenprüfung stattgefunden habe. Auch beim vorgelegten "Legal Due Diligence Report über die rechtliche Prüfung der Unternehmensgruppe R" handle es sich nicht um einen vollständigen Bericht in seiner Endfassung, sondern nur um einen kleinen seitenweisen Auszug eines Entwurfes mit dem Datum . Aus den wenigen übermittelten Seiten, welche offensichtlich auszugsweise Dokumente aus dem gesamten Unternehmen (auch außerhalb Österreichs) auflisteten, könne für die im Haftungsverfahren zu beantwortenden Fragen nichts gewonnen werden. Der Vollständigkeit halber werde jedoch festgehalten, dass entgegen der Angabe des Beschwerdeführers bei den Dienstverträgen sehr wohl eine Beanstandung erfolgt sei, nämlich hinsichtlich der Vereinbarung einer Probezeit von drei Monaten, und dass der Hinweis auf die Gehaltseinstufung laut Kollektivvertrag offensichtlich lediglich ein Detail eines Musterdienstvertrages darstelle.

Es seien somit keine Umstände hervorgekommen, auf Grund derer der Beschwerdeführer hätte darauf vertrauen dürfen, dass die Kommunalsteuer korrekt berechnet und entrichtet worden wäre. Im Gegenteil, auf Grund der vorgelegten Unterlagen, aus denen eindeutig hervorgehe, dass seit 2002 bis September 2006 keine Betriebsprüfungen durchgeführt worden seien, hätte bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt der Beschwerdeführer jedenfalls weitere Nachforschungen betreffend die bisherige Erfüllung der Abgabenverpflichtungen durch die Gesellschaft betreiben müssen. Die bloße Einschau in Bilanzen und Saldenlisten, ob Rückstände bestünden, und die Einholung von Erkundigungen über die Gesellschaft im Allgemeinen seien keinesfalls ausreichend, um eine Haftung des Beschwerdeführers auszuschließen.

Weiters enthält der angefochtene Bescheid Ausführungen, wonach dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, die Gleichbehandlung der Gläubiger nachzuweisen, und Ausführungen zum Ermessen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer im Recht "auf Unterlassung der persönlichen Inanspruchnahme für Abgabenschulden der Primärschuldnerin" verletzt erachtet.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2013 die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.

Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen haben nach § 80 BAO alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Gemäß § 6a des Kommunalsteuergesetzes 1993 (KommStG) haften die in den §§ 80 ff der Bundesabgabenordnung bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Kommunalsteuer insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann, insbesondere im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO annehmen darf. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war. Für die Haftung nach § 6a KommStG gilt nichts anderes (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2011/16/0187).

Gemäß § 11 Abs. 2 KommStG ist die Kommunalsteuer vom Unternehmer für jeden Kalendermonat selbst zu berechnen und bis zum 15. des darauffolgenden Monates (Fälligkeitstag) an die Gemeinde zu entrichten.

Der Beschwerdeführer bestreitet das ihm angelastete Verschulden iSd § 6a KommStG. Er habe - wie im Verwaltungsverfahren vorgebracht - bei Übernahme der Geschäftsführerfunktion die Bilanzen, Saldenlisten und den Due-Diligence-Report geprüft, aus denen kein Rückstand ersichtlich gewesen sei. Auch weitere Erkundigungen und Informationseinholung bei seinem Vorgeschäftsführer hätten keine Anhaltspunkte für Abgabenrückstände geboten. Die Fälligkeitszeitpunkte der in Rede stehenden Kommunalsteuer lägen durchwegs vor seiner Geschäftsführertätigkeit. Die Qualifikation ehemaliger Beschäftigungsverhältnisse, die bei Übernahme der Geschäftsführerfunktion bereits beendet gewesen seien, sei erst nach Ende seiner Geschäftsführertätigkeit im Rahmen einer Prüfung durch das Finanzamt geändert worden.

Die belangte Behörde fordert diesem bereits im Verwaltungsverfahren erstatten Vorbringen gegenüber, dass der Geschäftsführer sich bei Übernahme seiner Funktion auch darüber unterrichten müsse, ob und in welchem Ausmaß die Gesellschaft bisher den steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen sei, und nicht nur zu prüfen habe, ob und welche Rückstände bestünden, sondern auch, ob die Buchhaltung tatsächlich korrekt und den gesetzlichen Vorschriften entsprechend geführt wurde.

Tatsächlich hat sich ein Geschäftsführer nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei Übernahme seiner Funktion auch darüber zu unterrichten, ob und in welchem Ausmaß die von ihm nunmehr vertretene GesmbH bisher ihren steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen ist, weil die Pflicht der GesmbH zur Abgabenentrichtung erst mit deren Abstattung endet. Die GesmbH bleibt verpflichtet, Abgabenschuldigkeiten, mit deren Abfuhr oder Einzahlung sie in Rückstand geraten ist, zu erfüllen, und zur Erfüllung dieser Verpflichtung ist der Geschäftsführer der GesmbH verhalten (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , 2005/13/0085, vom , 2007/13/0005 bis 0007, und vom , 2012/16/0100). Der Geschäftsführer hat sich demnach darüber zu unterrichten, welchen Stand das Abgabenkonto der Gesellschaft im Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsführerfunktion hat, und die Pflicht, die Beträge eines allfälligen Rückstandes, wie er am Abgabenkonto ausgewiesen (verbucht) ist, zu entrichten.

Allerdings hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren dargelegt, wodurch er dieser ihm von der Rechtsprechung auferlegten Verpflichtung nachgekommen sei. Die belangte Behörde fordert demgegenüber im angefochtenen Bescheid, er hätte bei Übernahme der Geschäftsführerfunktion nicht nur zu prüfen gehabt, ob und inwieweit Rückstände an sich bestünden (wie es von der erwähnten hg. Rechtsprechung gefordert wird), sondern auch, ob die Buchhaltung tatsächlich korrekt und den gesetzlichen Vorschriften entsprechend geführt worden sei. Damit überspannt die belangte Behörde nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes die dem Geschäftsführer zumutbare Prüfungspflicht. Gibt es keine Hinweise, aus denen der Geschäftsführer schließen könnte, dass die Steuererklärungen oder (bei Selbstbemessungsabgaben) die Selbstberechnungen der zu entrichtenden Abgaben unrichtig gewesen seien, hat ein Geschäftsführer bei Übernahme seiner Geschäftsführerfunktion nicht auch noch die Pflicht, (etwa innerhalb des Verjährungszeitraumes) die gesamte Buchhaltung - wie es die belangte Behörde fordert - und das gesamte Rechenwerk sowie die Aufzeichnungen nachzuprüfen.

Dass dem Beschwerdeführer solche Hinweise vorgelegen wären, stellt die belangte Behörde nicht fest. Die belangte Behörde erwähnt eine Aussage im "Legal Due-Diligence-Report über die rechtliche Prüfung der Unternehmensgruppe R" mit dem Datum , wonach bei den Dienstverträgen eine Beanstandung hinsichtlich der Vereinbarung einer Probezeit von drei Monaten und der Hinweis auf die Gehaltseinstufung laut Kollektivvertrag enthalten habe. Dies stellt jedoch keinen Hinweis auf die erst nach Ende der Geschäftsführerfunktion des Beschwerdeführers durch das Finanzamt entdeckte falsche Qualifikation der Dienstverhältnisse dar.

Wurde aber der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden erst nach Ende seiner Geschäftsführerfunktion - im Beschwerdefall im Haftungsverfahren - mit diesem Umstand konfrontiert, scheidet eine Haftung des Beschwerdeführers insoweit aus (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , 2007/13/0047).

Der angefochtene Bescheid war daher mit seinem insoweit unteilbaren Spruch zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der im Beschwerdefall noch anzuwendenden VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am