VwGH vom 25.05.2011, 2010/08/0189
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des Vereins "L" in B, vertreten durch Dr. Alice Epler, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Neubaugasse 3/10, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom , Zl. Ges- 180015/3-2010-Sax/Ws, betreffend Beitragsnachverrechnung und Beitragszuschlag nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei:
Oberösterreichische Gebietskrankenkasse in 4021 Linz, Gruberstraße 77), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem beschwerdeführenden Verein Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse (GKK) verpflichtete den beschwerdeführenden Verein mit Bescheid vom , für den Zeitraum vom bis allgemeine Beiträge in Höhe von EUR 326.845,-- und Sonderbeiträge in Höhe von EUR 10.746,79 zu entrichten. Außerdem wurde ein Beitragszuschlag in Höhe von EUR 70.010,-- vorgeschrieben. Die GKK führte begründend im Wesentlichen aus, im Zuge einer Sozialversicherungsprüfung für das Jahr 1999 sei festgestellt worden, dass unter anderem ChoristInnen, MusikerInnen sowie SolistInnen, die mit dem beschwerdeführenden Verein "Künstlerverträge" abgeschlossen hätten, nicht zur Pflichtversicherung gemeldet worden seien. Die GKK sei - im Gegensatz zum Dienstgeber - zum Schluss gekommen, dass es sich hiebei um persönlich und wirtschaftlich abhängige DienstnehmerInnen handle und diese daher der Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 ASVG unterlägen. Im selben Jahr seien vom beschwerdeführenden Verein mit SängerInnen, MusikerInnen sowie ChoristInnen auch Dienstverträge abgeschlossen worden, wobei diese Personen zur Pflichtversicherung angemeldet worden seien, es seien für diese Beschäftigten aber Beiträge in zu geringem Ausmaß mit der Kasse abgerechnet worden. Bei zwei Büroangestellten seien keine Sonderzahlungen mit der Kasse abgerechnet worden. Im Jänner 2004 sei für die Jahre 2000 bis 2002 eine weitere Prüfung begonnen worden. Dabei sei die GKK - wie auch für das Jahr 1999 - zum Ergebnis gekommen, dass Personen mit "Künstlerverträgen" - entgegen der Meinung des Dienstgebers - der Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 ASVG unterlägen. Bei der Gegenüberstellung der gemeldeten Beitragsgrundlagen mit den abgerechneten Beitragsnachweisungen sei festgestellt worden, dass im Beitragszeitraum September 2002 der beschwerdeführende Verein angemeldete DienstnehmerInnen irrtümlich doppelt abgerechnet habe.
Stellvertretend für die Personen mit "Künstlerverträgen" habe die GKK mit drei Bescheiden (28. und 29. September, sowie ) festgestellt, dass es sich um persönlich und wirtschaftlich abhängige DienstnehmerInnen handle, die der Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 ASVG unterlägen (vgl. hiezu die Erkenntnisse vom heutigen Tag, Zlen. 2010/08/0019, 0025, 0026).
Es seien daher die Beiträge für die 1999 angemeldeten Personen entsprechend den gebührenden Entgelten (samt Sonderzahlungen) berechnet worden. Weiters seien die Entgelte für die mit Künstlerverträgen beschäftigten Personen in den Jahren 1999 bis 2002 festgestellt und einer Beitragsnachverrechnung unterzogen worden. Schließlich seien die im Beitragszeitraum September 2002 doppelt verrechneten Beiträge rückverrechnet worden.
Dienstgeber sei der beschwerdeführende Verein. Da dieser die DienstnehmerInnen nicht zur Pflichtversicherung bzw. mit zu geringem Entgelt gemeldet habe, sei auch ein Beitragszuschlag zu verhängen.
Gegen diesen Bescheid erhob der beschwerdeführende Verein Einspruch. Er wandte ein, nach den abgeschlossenen Verträgen lägen keine Dienstverhältnisse vor, insbesondere bestehe bei den Auftragnehmern ein Unternehmerrisiko und ein uneingeschränktes Vertretungsrecht, welches die persönliche Arbeitsverpflichtung und damit ein Dienstverhältnis ausschließe. Diese Verträge repräsentierten den Parteiwillen der vertragschließenden Personen, der von der Gebietskrankenkasse zu berücksichtigen sei. Die Befragungen der Künstler hätten ergeben, dass die vertraglichen Vereinbarungen auch tatsächlich gelebt würden; es gebe keine Hinweise darauf, dass es sich um Scheinvereinbarungen handle. Die von der Gebietskrankenkasse - stellvertretend für sämtliche Künstlerinnen - ausgewählten drei Personen seien nicht für sämtliche Künstlerinnen repräsentativ.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch als unbegründet ab. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der beschwerdeführende Verein beschäftige jedes Jahr in den Sommermonaten für die im Rahmen der Sommerfestspiele B aufgeführten Operetten bzw. Konzerte eine Reihe von Musikern, Solisten und Choristen. Das Festival genieße internationalen Ruf und zähle zu Österreichs bedeutendsten Festivals. Bis zum Jahr 1998 seien die Beitragsnachverrechnungen vom beschwerdeführenden Verein ausdrücklich anerkannt worden; ab dem Jahr 1999 seien diese Beitragsnachverrechnungen hingegen nicht mehr zur Kenntnis genommen worden. Stellvertretend für jede Gruppe (Solisten, Choristen und Musiker) der gemeinsam auftretenden Künstler habe die GKK je einen Bescheid erlassen, mit welchem die Versicherungspflicht festgestellt worden sei.
Hinsichtlich der Solisten seien drei Personen eingehend niederschriftlich (von der GKK) einvernommen worden. Der beschwerdeführende Verein habe gleichzeitig einerseits Sänger als Dienstnehmer gemeldet und mit anderen Sängern - welche teilweise mit den Dienstnehmern gemeinsam aufgetreten seien - sogenannte "Künstlerverträge" geschlossen. Die jeweils gewählte Kategorie des Vertrages sei anhand der überprüften Kriterien der Beschäftigungen nicht nachvollziehbar. Es sei davon auszugehen, dass alle Solisten unabhängig von den Vertragstexten sozialversicherungsrechtlich gleich einzustufen seien. Dabei sei zu berücksichtigen, dass ein geregelter Theaterbetrieb in einem Festival mit internationalem Ruf mit einer de facto ständig wechselnden Besetzung der Rollen nicht vereinbar wäre. Auch Choristen seien einerseits mit Dienstvertrag, anderseits mit Künstlerverträgen (in die ein Vertretungsrecht aufgenommen sei) beschäftigt worden. Die Wahl der Vertragstypen sei nicht nachvollziehbar. Es seien vier Choristen (als repräsentativer Querschnitt) vernommen worden. Zur Gruppe der Musiker sei ebenfalls festzuhalten, dass der beschwerdeführende Verein Orchestermusiker einerseits mit Dienstvertrag und anderseits mit Künstlerverträgen (mit Vertretungsrecht) beschäftigt habe. Die Wahl der Vertragstypen sei wiederum nicht nachvollziehbar. Es seien insgesamt acht Musiker einvernommen worden.
Zu allen Künstlergruppen könne festgehalten werden, dass die Vereinbarung grundsätzlich auf eine persönliche Leistungserbringung ausgerichtet gewesen sei. Der beschwerdeführende Verein habe selbst eingeräumt, dass er nicht "irgendwelche" Künstler engagiere, sondern die Mitwirkenden selbst ausgesucht habe. Die Annahme einer gelebten generellen Vertretungsbefugnis sei unter diesen Umständen unseriös und hätte die erfolgreiche Durchführung der Produktion permanent gefährdet. Auch würde sich die Frage nach dem Sinn der aufwendigen, sich über mehrere Wochen erstreckenden und mitunter sechs Stunden pro Tag dauernden Proben stellen.
Die Künstler hätten nach einseitig vom beschwerdeführenden Verein festgelegten Proben- und Spielplänen tätig werden müssen. Die Künstler hätten sich zu im Vertrag gattungsmäßig umschriebenen Leistungen im Rahmen eines als "Spielsaison" abgesteckten Zeitraumes verpflichtet. Die Künstler hätten nicht die Darbietung eines von ihnen zusammengestellten Programms vereinbart, sondern die Mitwirkung an den vom beschwerdeführenden Verein für die Spielsaison geplanten Aktivitäten. Es lägen somit befristete Dauerschuldverhältnisse vor.
Die Künstler hätten in organisatorischer Eingliederung in den Betrieb des beschwerdeführenden Vereins mitgewirkt. Diese Einordnung sei über die bei derartigen Produktionen stets notwendige und rein sachlich bedingte Zusammenarbeit der einzelnen Mitwirkenden in Bindung an Weisungen der Regisseure, des Chordirektors und des Dirigenten in Bezug auf Probenzeiten, Probenanzahl, szenische Abfolgen, Art der Wiedergabe des einstudierten Werkes hinausgegangen. Die jeweils länger andauernden persönlichen Arbeitsleistungen in Verbindung mit der festgestellten Bindung an eine weitergehende Anwesenheitsverpflichtung (vor Beginn der jeweiligen Proben), aber auch an eine Pausenregelung, somit an Weisungen, die das arbeitsbezogene Verhalten betreffen, bewirkten ein Überwiegen der Merkmale persönlicher Abhängigkeit. Es sei mit dem Wesen eines Dienstvertrages vereinbar, dass derjenige, der eine Leistung übernehme, sich die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten bereits vor Antritt der Dienstleistung aneigne. Der Umstand, dass die Künstler schon vor den Proben "studiert" sein müssten, spreche daher nicht gegen eine persönliche Abhängigkeit. Ohne Bedeutung für den Bestand eines sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses sei die Art der Entgeltleistung, nämlich die Auszahlung eines Pauschalentgeltes nach Abschluss der jeweiligen Arbeitsleistungen.
Bezüglich Arbeitsort und Arbeitszeit zeigten sämtliche Bestimmungen der Verträge, dass die Künstler ihre Arbeitszeit nach den einseitig vom beschwerdeführenden Verein festgesetzten Zeitplänen zur Verfügung zu stellen hätten. Ab der Unterzeichnung der Verträge seien die Künstler verpflichtet gewesen, sich an die in der Folge vom Einspruchswerber einseitig festgelegten Probenpläne bzw. die mündlich erteilten Probentermine zu halten. Die Künstler seien somit in den Betrieb des Veranstalters zeitlich und örtlich eingebunden gewesen. Sie seien an eine weitgehende Anwesenheitsverpflichtung gebunden gewesen. Zusammenfassend ergebe sich, dass die Künstler vom beschwerdeführenden Verein vorgegebene Ordnungsvorschriften über ihre tägliche Arbeitszeit und ihren Arbeitsort einzuhalten gehabt hätten.
Zur Vertretungsbefugnis seien die vertraglichen Regelungen den Aussagen über die tatsächliche Ausgestaltung der Beschäftigungen und den objektiven Anforderungen der Unternehmensorganisation gegenüber zu stellen. Die Aussagen der einvernommenen Künstler zeigten überwiegend, dass es abgesehen von Krankheit und Unfällen nur in Einzelfällen - vor allem bei Überschneidungen mit anderen wichtigen beruflichen Terminen - zu Vertretungen durch außenstehende Personen gekommen sei; bei den Choristen auch durch andere Chormitglieder (Rollentausch), wobei solche Vertretungen stets im Vorhinein mit dem Chorleiter bzw. dem Orchestersprecher abgesprochen worden seien. Der Umstand, dass unbestritten für jede Operettenproduktion mehrere Tage und täglich mehrere Stunden geprobt worden sei, zeige, dass es die betrieblichen Anforderungen der Operettenfestspiele notwendig gemacht hätten, dass zumindest der überwiegende Teil des Chors bzw. Orchesters durch die unmittelbar vorangegangenen Proben auf die konkrete Vorstellung vorbereitet gewesen sei und allenfalls einzelne außenstehende Vertreter eingesprungen seien. Aufgrund dieser Organisation sei es offensichtlich, dass hinsichtlich der Solisten umso mehr ein beliebiges Vertretungsrecht ausgeschlossen sei. Die Organisationsstruktur entspreche nicht einer generellen Vertretungsbefugnis.
Die vertraglichen Regelungen zum Honorar würden zeigen, dass die Künstler zwar ein Unternehmerwagnis zu tragen gehabt hätten, entsprechende unternehmerische Dispositionsmöglichkeiten könnten aus den Verträgen aber nicht abgeleitet werden, sodass dies die Dienstnehmereigenschaft nicht ausschließe.
Die Künstler seien im Rahmen ihrer Beschäftigungen auch weisungsgebunden und kontrollunterworfen; sie unterstünden den künstlerischen und zeitlichen Dispositionen des Regisseurs bzw. Dirigenten. Durch ihre Qualifikationen hätten die Künstler im Wesentlichen gewusst, wie sie sich auf Proben vorzubereiten hätten. Der beschwerdeführende Verein habe sich jedoch die Möglichkeit vorbehalten, das Arbeitsverhalten sämtlicher Künstler unmittelbar und mittelbar zu kontrollieren und bei Bedarf in das Arbeitsverhalten und in den Arbeitsablauf im Sinne der objektiven Anforderungen einzugreifen.
Zusammenfassend würden daher die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen. Sämtliche Künstler seien demnach persönlich abhängig beschäftigt.
In den drei Bescheiden, mit denen die Versicherungspflicht dreier Künstler festgestellt worden sei, sei immer wieder auf niederschriftliche Aussagen auch anderer einvernommener Künstler verwiesen worden. Die vom beschwerdeführenden Verein verwendeten Vertragsmuster seien jeweils sehr ähnlich. Trotz der Ausgabe unterschiedlicher Vertragstexte habe sich die tatsächliche Ausgestaltung der Tätigkeit nicht geändert. Schließlich sei zu beachten, dass es sich beim Operettenfestival um eine Gesamtproduktion großteils gemeinsam auftretender Künstler handle, die eine objektive Anforderung an die Unternehmensorganisation stelle. Es sei daher ausreichend, dass beispielhaft pro Künstlergruppe ein Bescheid über die Versicherungspflicht erlassen worden sei.
Gegen die Höhe der Beitragspflicht seien keine Einwendungen erhoben worden.
Zum Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung sei auszuführen, dass von der GKK insgesamt 15 Künstler einvernommen worden seien; dies stelle einen repräsentativen Querschnitt dar. In den drei rechtskräftigen Pflichtversicherungsbescheiden sei zur Untermauerung immer wieder auf mit anderen Künstlern aufgenommene Niederschriften verwiesen worden. Die belangte Behörde sei nicht verpflichtet, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde hat ihrer Beurteilung das Bestehen der Versicherungspflicht aller vom Bescheid erfassten Künstler zu Grunde gelegt; dies unter der Annahme, dass ihnen kein generelles Vertretungsrecht eingeräumt worden sei. Jene Bescheide, mit welchen eine Versicherungspflicht nach dem ASVG und AlVG ausgesprochen wurde, wurden aber zumindest hinsichtlich einiger Dienstnehmer aufgehoben (vgl. die hg. Erkenntnisse vom heutigen Tage, Zlen. 2010/08/0025 und 0026; auf die Begründung dieser Erkenntnisse wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen). Da deren Beiträge in der von der belangten Behörde ausgesprochenen Gesamtsumme enthalten sind, war der angefochtene Bescheid schon deshalb zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Von der vom beschwerdeführenden Verein beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Wien, am
Fundstelle(n):
EAAAE-75102