VwGH vom 21.11.2012, 2012/16/0093

VwGH vom 21.11.2012, 2012/16/0093

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des T in G, vertreten durch die Kocher Bucher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom , Zl. RV/0387- G/11, betreffend Versagung von Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer und seine Ehegattin sind türkische Staatsangehörige und die Eltern der am geborenen D.

Am hatte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe für dieses Kind - rückwirkend ab - eingebracht, den die belangte Behörde mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid aus folgenden Erwägungen abwies:

"Die nunmehrige Gattin des Berufungswerbers (die Eheschließung erfolgte am in Graz) ist türkische Staatsangehörige und hat am einen Asylantrag eingebracht, welcher vom Bundesasylamt mit Bescheid vom zurückgewiesen worden ist.

Fristgerecht wurde gegen diesen Bescheid eine Beschwerde eingebracht. Dieser Beschwerde wurde hinsichtlich der Ausweisung die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Das Asylverfahren für das Kind (geb. am ) wurde ebenfalls gemäß § 38 … AVG … bis zur Entscheidung des Beschwerdeverfahrens der Mutter beim Asylgerichtshof ausgesetzt.

Gemäß § 2 Abs. 1 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 - FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für in dieser Bestimmung festgelegte Voraussetzungen erfüllende Kinder Anspruch auf Familienbeihilfe.

Gemäß § 3 Abs. 1 FLAG 1967 in der ab geltenden Fassung BGBl. I Nr. 100/2005 haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. 1 Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Nach § 3 Abs. 2 leg. cit. besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtmäßig in Österreich aufhalten,

§ 3 Abs. 3 leg. cit. besagt: Abweichend von Abs. 1 haben Personen, denen Asyl nach dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, gewährt wurde, Anspruch auf Familienbeihilfe. Anspruch besteht auch für Kinder, denen nach dem Asylgesetz 2005 Asyl gewährt wurde.

Schließlich wurde mit Wirksamkeit ab der zitierten Bestimmung ein Absatz 4 und 5 (idF BGBl. I Nr. 168/2006) angefügt, wonach außerdem solche Personen, denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten nach dem Asylgesetz 2005 zuerkannt wurde, Anspruch auf Familienbeihilfe haben, sofern sie keine Leistungen aus der Grundversorgung erhalten und unselbständig oder selbständig erwerbstätig sind. Anspruch besteht auch für Kinder, denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten nach dem Asylgesetz 2005 zuerkannt wurde.

In den §§ 8 und 9 NAG sind alle Aufenthaltstitel aufgezählt, die bei Erfüllung aller anderen Voraussetzungen zu einem Bezug von Familienbeihilfe berechtigen. Nach dem eindeutigen Wortlaut der zitierten gesetzlichen Regelung des § 3 FLAG ist es seit erforderlich, dass sowohl der anspruchsberechtigte Elternteil als auch das anspruchsvermittelnde Kind über einen dieser Aufenthaltstitel verfügt.

Liegen aufrechte Aufenthaltstitel vor, ist die Voraussetzung des rechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich nach Abs. 1 und Abs. 2 für Anspruchswerber und Kind erfüllt und der Anspruch auf FB ist nur mehr nach den allgemeinen Voraussetzungen, die auch für österreichische Staatsbürger gelten, zu beurteilen.

Da die Gattin des Berufungswerbers und ihre Tochter türkische Staatsbürger und seit Asylwerber sind, sind jedenfalls die Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes anzuwenden und ist der Aufenthalt in Österreich erst ab Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtmäßig."

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer u.a. in seinem Recht auf Gewährung von Familienbeihilfe verletzt; er begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beschwerde sieht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides zusammengefasst darin, die belangte Behörde habe den Beschluss des Assoziationsrates Nr. 3/80 vom , der die Unanwendbarkeit des § 3 Abs. 2 FLAG zur Folge habe, verkannt.

Schon mit diesem Vorbringen ist die Beschwerde im Recht.

Gestützt auf Art. 39 des Protokolls vom zum Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der (damaligen) Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom erließ der durch das Abkommen geschaffene Assoziationsrat am den Beschluss Nr. 3/80 - ARB 3/80. Nach seinem Art. 1 hat für die Anwendung dieses Beschlusses der Ausdruck Familienbeihilfen die Bedeutung, wie er in Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates definiert ist. Weiters bezeichnet der Ausdruck "Arbeitnehmer" u.a. jede Person, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist.

Der ARB 3/80 gilt nach seinem Art. 2 für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, und die türkische Staatsangehörige sind, und für die Familienangehörigen dieser Arbeitnehmer, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen.

Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 lautet:

"Art. 3 Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die dieser Beschluss gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staats, soweit dieser Beschluss nichts anderes bestimmt."

Art. 4 Abs. 1 ARB 3/80 lautet:

"(1) Dieser Beschluss gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

...

h) Familienleistungen."

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2009/16/0179 (mwN), ausgeführt hat, kommt Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten zu; er ist somit unmittelbar anwendbar. Für den persönlichen Anwendungsbereich des ARB 3/80 ist es ohne Belang, ob der türkische Staatsangehörige als Wanderarbeitnehmer nach Österreich eingereist ist oder aus anderen Gründen. Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 verdrängt insoweit § 3 Abs. 1 FLAG und stellt die dort genannten Personen österreichischen Staatsbürgern gleich. Dass die Ehefrau des Beschwerdeführers Asylwerberin sein mag, ist im Beschwerdefall völlig unerheblich. Dass der Beschwerdeführer selbst Asylwerber wäre, hat die belangte Behörde nicht festgestellt, würde im Beschwerdefall aber nichts daran ändern, dass für den in Österreich als Arbeitnehmer beschäftigten Beschwerdeführer die Bestimmungen des ARB 3/80 gelten, wobei der Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 auch § 3 Abs. 2 FLAG verdrängt.

Da die belangte Behörde im vorliegenden Beschwerdefall die Maßgeblichkeit des Beschlusses des Assoziationsrates vom , Nr. 3/80, verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb dieser - unter Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am