VwGH vom 26.01.2012, 2008/07/0036
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Beck, Dr. Hinterwirth, Dr. Enzenhofer und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pühringer, über die Beschwerde der A Baugesellschaft m.b.H. in Wien, vertreten durch Dr. Wolfgang List, Rechtsanwalt in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1, gegen den Bescheid des Gemeinderats der Landeshauptstadt Graz vom , Zl. 079846/2004 - 12, betreffend Devolution i. A. Ausnahme vom Andienungszwang nach § 6 Abs. 3 StAWG (weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Stadt Graz hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schriftsatz vom stellte die Beschwerdeführerin den Antrag auf eine Entbindung von der kommunalen Andienungspflicht gemäß § 6 Abs. 3 des Steiermärkischen Abfallwirtschaftsgesetzes (kurz: StAWG), LGBl. Nr. 65/2004.
Mit Schreiben der erstinstanzlichen Behörde vom wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, binnen 14 Tagen ein Abfallwirtschaftskonzept für die gesamte Anlage oder für jede einzelne auf der Liegenschaft betriebene Anlage vorzulegen, nachweislich bekannt zu geben wie viele Mitarbeiter in den einzelnen Betrieben beschäftigt sind, und auszuführen, aus welchen Gründen die Anforderungen hinsichtlich der Sammellogistik durch die Wirtschaftsbetriebe der Stadt Graz nicht ausreichend erfüllt sein sollen. Hierauf brachte die Beschwerdeführerin am einen neuerlichen Antrag auf Entbindung vom Andienungszwang gemäß § 6 Abs. 3 StAWG ein und legte unter einem ein Abfallwirtschaftskonzept für die gesamte Liegenschaft sowie eine Liste der im (dort u.a. befindlichen) Hotel angestellten Mitarbeiter vor.
In weiterer Folge holte die erstinstanzliche Behörde am eine Stellungnahme der Grazer Wirtschaftsbetriebe - Geschäftsbereich Abfall ein.
Die Stellungnahme der Grazer Wirtschaftsbetriebe vom wurde der Beschwerdeführerin im Zuge des Parteiengehörs mit der Aufforderung übermittelt, hiezu bis zum Stellung zu nehmen.
Die Beschwerdeführerin ließ diese Frist untätig verstreichen; von der erstinstanzlichen Behörde wurden keine weiteren Verfahrensschritte gesetzt.
Die beschwerdeführende Partei brachte daraufhin mit Schriftsatz vom einen Devolutionsantrag bei der belangten Behörde ein und brachte im Wesentlichen vor, dass die erstinstanzliche Behörde ihre Entscheidungspflicht verletzt habe, und daher nunmehr die belangte Behörde eine inhaltliche Entscheidung über die beantragte Entbindung vom Andienungszwang zu treffen habe.
Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde den Devolutionsantrag zurück, und begründete dies damit, dass der Devolutionsantrag aufgrund der §§ 33a Abs. 1, 67b Abs. 1 des Statutes der Landeshauptstadt Graz LGBl. Nr. 130/1967 i.d.F. der Novelle LGBl. Nr. 91/2002 zunächst an die Berufungskommission der Stadt Graz zu richten gewesen wäre.
Mit Schriftsatz vom brachte die Beschwerdeführerin nunmehr einen Devolutionsantrag bei der Berufungskommission der Stadt Graz ein und begehrte von dieser eine inhaltliche Entscheidung.
In weiterer Folge wurde von der Berufungskommission der Stadt Graz kein Bescheid erlassen.
Mit Schriftsatz vom brachte die Beschwerdeführerin einen weiteren Devolutionsantrag bei der belangten Behörde ein und führte aus, dass die Berufungskommission ihrer Entscheidungspflicht binnen der von § 73 Abs. 1 AVG normierten Frist nicht nachgekommen sei und daher ihre Entscheidungspflicht verletzt habe. Der Gemeinderat der Stadt Graz als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde gegenüber der Berufungskommission der Stadt Graz möge daher nunmehr eine inhaltliche Entscheidung treffen, und über die von der Beschwerdeführerin beantragte Entbindung vom Anbindungszwang gemäß StAWG entscheiden.
Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde den Devolutionsantrag ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Verzögerung nicht auf einem überwiegenden Verschulden der Behörde beruhe.
Die erstinstanzliche Behörde habe fristgerecht binnen 4 Wochen nach Stellung des ersten Antrages ein Verbesserungsverfahren eingeleitet, und habe der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom die Möglichkeit eingeräumt, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens bis Stellung zu nehmen.
Auf dieses Schreiben habe die Beschwerdeführerin nicht reagiert. Daher sei das Verbesserungsverfahren beendet worden, wobei die Beschwerdeführerin ihrer Mitwirkungspflicht gemäß § 39 AVG nicht nachgekommen sei.
Die im Devolutionsweg angerufene Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz habe deswegen keine Entscheidung getroffen, weil der zuständige rechtskundige Bearbeiter am in Pension gegangen sei, und daher der Antrag nicht habe erledigt werden können.
Bei der Prüfung des Verschuldens der Behörde sei insbesondere darauf Bedacht zu nehmen, ob es die Unterbehörde in rechtswidriger Weise unterlassen habe unverzüglich, jedenfalls aber innerhalb der als Maßstab angenommenen Frist von vier Wochen, Mängelbehebungsaufträge zu erteilen. Dies sei fristgerecht erfolgt. Weiters habe die Beschwerdeführerin ihre Mitwirkung an der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts eingestellt, weswegen im Rahmen der gebotenen Abwägung des Verschuldens der Partei gegenüber jenem der Behörde nicht von einem überwiegenden Verschulden der Behörde auszugehen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die Beschwerdeführerin führt darin - soweit für die gegenständliche Entscheidung relevant - aus, dass die Entbindung vom Andienungszwang gemäß § 6 Abs. 3 StAWG in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde falle und die Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz ihre Entscheidungspflicht verletzt habe. Daher sei die Anrufung des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde zulässig, weil dieser durch Ausübung seines Aufsichts- und Weisungsrechtes den Inhalt der unterbliebenen Entscheidung bestimmen hätte können.
Weiters bringt die Beschwerdeführerin vor, dass die belangte Behörde den Begriff des "Verschuldens" in § 73 Abs. 2 AVG nicht objektiv verwendet und fälschlicherweise der Beschwerdeführerin ein überwiegendes Verschulden an der Verzögerung der Sachentscheidung angelastet habe. Zwischen der Antragstellung und der Entscheidung der belangten Behörde liege ein Zeitraum von mehr als 2 1/2 Jahren. Als Begründung für die Nichtentscheidung der Berufungskommission werde die Pensionierung des zuständigen Bearbeiters ins Treffen geführt. Hieraus sei abzuleiten, dass die zuständigen Behörden an einer Sachentscheidung nicht interessiert gewesen seien. Für die Beurteilung der Säumnis müsse sich die belangte Behörde auch das Verhalten übergeordneter bzw. untergeordneter Behörden zurechnen lassen.
Außerdem lasse sich aus dem bloßen ungenützten Verstreichen einer Stellungnahmefrist durch die Beschwerdeführerin keine Beendigung des Verfahrens ableiten.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 73 Abs. 1 erster Satz AVG hat die Behörde über einen Antrag einer Partei ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber binnen 6 Monaten ab dessen Einlagen über diesen zu entscheiden.
§ 73 Abs. 2 AVG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 lautet:
"Wird der Bescheid nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen, so geht auf schriftlichen Antrag der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, wenn aber gegen den Bescheid Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat erhoben werden könnte, auf diesen über (Devolutionsantrag). Der Devolutionsantrag ist bei der Oberbehörde (beim unabhängigen Verwaltungssenat) einzubringen. Er ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist."
§ 6 Abs. 3 StAWG LGBl. Nr. 65/2004 i.d.F. der Novelle LGBl. Nr. 56/2006 lautet:
"Die Andienungspflichtigen, welche nicht private Haushalte sind und gemäß § 10 AWG verpflichtet sind ein Abfallwirtschaftskonzept zu erstellen, können unter Vorlage dieses Abfallwirtschaftskonzeptes von der Andienungspflicht entbunden werden, wenn von der Gemeinde die besonderen Anforderungen hinsichtlich der Sammellogistik oder vom Abfallwirtschaftsverband die besonderen Anforderungen an die Abfallbehandlung nicht erfüllt werden können. Über einen diesbezüglichen Antrag hat die Gemeinde mit Bescheid abzusprechen. Dem Abfallwirtschaftsverband kommt in diesem Verfahren Parteistellung zu. Sollten sich nach Bescheiderlassung die Voraussetzungen für die Entbindung der Andienungspflicht ändern, hat die Gemeinde von Amts wegen ein Bescheidverfahren einzuleiten. Änderungen des Abfallwirtschaftskonzeptes sind der Gemeinde unaufgefordert zu übermitteln."
Gemäß § 21 StAWG fallen Angelegenheiten, welche gemäß dem StAWG von der Gemeinde zu erledigen sind in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde.
Bereits das Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass die belangte Behörde fälschlicherweise von keinem überwiegenden Verschulden der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz (in der Folge Berufungskommission) ausgegangen sei und der Devolutionsantrag daher zu Unrecht abgewiesen worden sei, führt die Beschwerde zum Erfolg.
Die im Devolutionsweg angerufene Berufungskommission hat im gesamten ihr zur Verfügung stehenden Zeitraum von sechs Monaten keine einzige Verfahrenshandlung gesetzt. Der diesbezüglichen Rechtsansicht der belangten Behörde, wonach die Verzögerung auf die Pensionierung des zuständigen Bearbeiters zurückzuführen sei und daher die Berufungskommission kein überwiegendes Verschulden an der Verzögerung träfe, kann nicht beigepflichtet werden.
Nach § 73 Abs. 2 AVG in der Fassung der AVG-Novelle 1998, BGBl. I Nr. 158/1998, genügt ein "überwiegendes Verschulden" der Behörde an der Verzögerung; es ist somit - gegebenenfalls - das Verschulden der Partei an der Verzögerung gegen jenes der Behörde abzuwägen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/10/0153).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff des Verschuldens der Behörde nach § 73 Abs. 2 AVG nicht im Sinne eines Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern "objektiv" zu verstehen, als ein solches "Verschulden" dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/05/0145).
Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ein überwiegendes Verschulden der Behörde darin angenommen, dass diese die für eine zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet (vgl. dazu zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/05/0306).
Die Behörden haben dafür Sorge zu tragen, dass durch organisatorische Vorkehrungen eine rasche Entscheidung möglich ist (vgl. Thienel/Schulev-Steindl , Verwaltungsverfahrensrecht5, S. 343).
Diese Organisationspflicht hat die Behörde verletzt, indem sie nicht dafür Vorsorge getroffen hat, dass trotz der Pensionierung des zuständigen Bearbeiters ein anderer Bearbeiter mit der Behandlung des Antrags der Beschwerdeführerin befasst wurde.
Allein aus der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin die Möglichkeit zur Stellungnahme zu den bisherigen Verfahrensergebnissen im Mai 2006 nicht genützt hat, kann der Verwaltungsgerichtshof - auch nach Durchführung der gebotenen Verschuldensabwägung - kein Verhalten der Beschwerdeführerin ableiten, das ein überwiegendes Verschulden der Berufungskommission ausschließen würde.
Dadurch, dass die belangte Behörde aber fälschlicherweise von keinem überwiegenden Verschulden der Berufungskommission ausgegangen ist, hat sie ihre Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Es erübrigt sich daher auch, auf das weitere Beschwerdevorbringen näher einzugehen.
Der Ausspruch über den Kostenersatz beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl II Nr. 455/2008.
Wien, am