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VwGH vom 14.06.2017, Ra 2017/18/0001

VwGH vom 14.06.2017, Ra 2017/18/0001

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des A M in W, vertreten durch Dr. Philipp Baubin, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Platz 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. I406 2136670- 1/4E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein marokkanischer Staatsangehöriger, beantragte am internationalen Schutz in Österreich. Als Fluchtgrund brachte er zusammengefasst vor, aufgrund von Streitigkeiten mit einem anderen Clan von diesem bei den Behörden denunziert worden zu sein. Er habe sich auch politisch für seine Volksgruppe (Berber) engagiert und an mehreren Demonstrationen teilgenommen. Zuletzt habe er am selbst eine Demonstration organisiert, bei welcher Demonstranten von der Polizei festgenommen worden seien. Er selbst sei geflohen, weil er von Verwandten im Staatsdienst erfahren habe, dass sein Leben aufgrund seines Engagements in Gefahr sei.

2 Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) und stellte fest, dass die Abschiebung nach Marokko gemäß § 46 FPG zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gesetzt. Begründend führte das BFA aus, dass das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers insbesondere aufgrund von Widersprüchen zwischen Erstbefragung und Einvernahme vor dem BFA unglaubwürdig sei.

3 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), in der er sich substantiiert gegen die vom BFA aufgezeigten angeblichen Widersprüche wendete und versuchte diese aufzuklären. Er beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig. Das BVwG schloss sich den Erwägungen des BFA "vollinhaltlich" an und wiederholte in seinem Erkenntnis die vom BFA aufgezeigten Widersprüche zwischen dem Vorbringen bei der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA. Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung wurde unter Berufung auf § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterlassen.

5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die unter anderem einen Verstoß gegen die Verhandlungspflicht geltend macht.

6 Das BFA nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision ist zulässig und begründet.

8 Das BVwG hat die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung unterlassen, obwohl der Revisionswerber die Beweiswürdigung des BFA in seiner Beschwerde konkret und substantiiert bekämpft hatte (vgl. Seiten 2 bis 4 der Beschwerde). Aufgrund dessen lagen die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seit dem Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0017, 0018, nicht vor.

9 Hinzu kommt, dass sich das BVwG den Erwägungen des BFA zum vermeintlich widersprüchlichen Vorbringen des Revisionswerbers in der Einvernahme im Vergleich zur Erstbefragung angeschlossen hat. Dabei ist nicht zu erkennen, dass die in der aktuellen Rechtsprechung der Höchstgerichte des öffentlichen Rechts bereits aufgezeigten Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung, die sich nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, in die Erwägungen eingeflossen wären (vgl. ; ; ). Auf dem Boden des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist es zwar weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zu späteren Angaben einzubeziehen, es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (vgl. , mwN). Da die Begründung der erstinstanzlichen Beweiswürdigung somit nicht mängelfrei erfolgte, durfte das BVwG sie auch nicht ohne weiteres übernehmen und die so gewonnenen Feststellungen ohne mündliche Verhandlung seiner Entscheidung zugrunde legen.

10 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

11 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am