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VwGH vom 14.11.2012, 2010/08/0165

VwGH vom 14.11.2012, 2010/08/0165

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und den Hofrat MMag. Maislinger als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des I Ö in Wien, vertreten durch Mag. Ulrich Seamus Hiob, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Lazarettgasse 29/12, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS- 06/V/42/4696/2010-1, betreffend Wiederaufnahme eines Verwaltungsstrafverfahrens gemäß § 111 ASVG (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom war der Beschwerdeführer schuldig erkannt worden, er habe es als unbeschränkt haftender Gesellschafter und somit als zur Vertretung nach außen Berufener der K KG zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Dienstgeberin ihrer Verpflichtung, jede von ihr beschäftigte, nach dem ASVG in der Krankenversicherung pflichtversicherte Person vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden, insoferne nicht nachgekommen sei, als S und C in Wien beim Reinigen von Kraftfahrzeugen und bei der Durchführung kleinerer Reparaturen betreten worden seien, "ohne die Anzeige rechtzeitig beim zuständigen Krankenversicherungsträger erstattet zu haben". Er habe hiedurch die Rechtsvorschriften des § 33 iVm § 111 ASVG verletzt; über ihn wurden zwei Geldstrafen von jeweils EUR 1.540,--

verhängt. Gemäß § 9 Abs. 7 VStG wurde ausgesprochen, dass die K KG für die über den Beschwerdeführer verhängten Geldstrafen und Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand hafte.

Der Beschwerdeführer erhob gegen das Straferkenntnis "Einspruch". S und C seien Gesellschafter der M OG; diese sei zur Ausübung des Gewerbes "Wartung und Pflege von Kraftfahrzeugen unter Ausschluss der dem Kraftfahrzeugtechniker und jeder anderen einem Befähigungsnachweis unterliegenden Tätigkeit vorbehaltenem Gewerbe (Servicestation)" berechtigt. Die K KG habe der M OG Aufträge zum Reinigen von Fahrzeugen erteilt.

Die belangte Behörde gab dieser Berufung - nach Durchführung einer Berufungsverhandlung, zu welcher der Beschwerdeführer unentschuldigt nicht erschienen war - mit Bescheid vom keine Folge. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

Mit Schriftsatz vom beantragte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des Verfahrens. Es habe zu keiner Zeit zwischen der K KG und den Gesellschaftern der M OG ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis bestanden. Die M OG sei in der Folge gelöscht worden; die Gesellschafter der M OG (S und C) seien für den Beschwerdeführer für das erstinstanzliche Verfahren und das Berufungsverfahren nicht mehr greifbar und daher als Entlastungszeugen nicht verfügbar gewesen. Durch die Beauftragung einer Detektei habe der Beschwerdeführer nunmehr S ausfindig machen können. S habe am eine eidesstättige Erklärung dahin abgegeben, dass zum damaligen Zeitpunkt keine über die Geschäftsbeziehung hinausgehende Verbindung zur K KG und zu keiner Zeit ein Beschäftigungsverhältnis bestanden habe. Es handle sich dabei um ein Beweismittel, welches im Verfahren ohne Verschulden des Beschwerdeführers nicht geltend gemacht habe werden können. Mit dem Schriftsatz legte der Beschwerdeführer (u.a.) diese eidesstättige Erklärung vor.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens ab.

Begründend führte die belangte Behörde nach Darlegung des Verfahrensganges aus, der Beschwerdeführer stütze seinen Wiederaufnahmeantrag auf eine eidesstättige Erklärung des S vom , worin dieser bestätige, zum damaligen Zeitpunkt keine über die Geschäftsbeziehung hinausgehende Verbindung zur K KG gehabt zu haben; zu keiner Zeit habe ein Beschäftigungsverhältnis bestanden. Bei dieser Erklärung handle es sich infolge ihrer Abgabe am nicht um eine neu hervorgekommene Tatsache oder ein neu hervorgekommenes Beweismittel, sondern vielmehr um ein neu entstandenes Beweismittel. Die eidesstättige Erklärung ermögliche somit nicht die Wiederaufnahme des Verwaltungsstrafverfahrens.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet und beantragt die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass es sich bei dem Beweismittel eines Zeugen um ein bereits zur Entscheidung der Behörde erster Instanz vorhandenes und um ein zum damaligen Zeitpunkt prinzipiell präsentes Beweismittel handle, dies aber abhängig davon, ob der Zeuge zu einer behördlichen Einvernahme zur Verfügung stehe. Aufgrund der persönlichen Abwesenheit des Zeugen sei das Beweismittel aber ohne Verschulden des Beschwerdeführers nicht zur Verfügung gestanden; die nachträgliche Verwertung des Beweismittels sei erst durch Ausforschung des Zeugen nachträglich möglich geworden. Bei der mit dem Wiederaufnahmeantrag vorgelegten eidesstättigen Erklärung handle es sich um eine schriftlich niedergelegte Zeugenaussage, die aufgrund des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens in Form der zeugenschaftlichen Einvernahme nicht mehr nachgeholt werden könne. Darüber hinaus erscheine es im Sinne des Artikels 6 EMRK als Verstoß gegen ein faires Verfahren, wenn jene Behörde über die Wiederaufnahme zu entscheiden habe, welche die Entscheidung in letzter Instanz erlassen habe. Im Sinne eines fairen Verfahrens wäre es indiziert, die Entscheidung über eine Wiederaufnahme einer übergeordneten Instanz aus Gründen der Objektivität zu übertragen, ansonsten zu erwarten wäre, dass die Behörde erster Instanz nicht objektiv eine eigene Entscheidung zu revidieren habe.

2. Gemäß dem nach § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Nach § 69 Abs. 2 AVG ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Gemäß § 69 Abs. 4 AVG steht die Entscheidung über die Wiederaufnahme der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn jedoch in der betreffenden Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, diesem.

3. Dass ein "neu entstandenes" Beweismittel wie die spätere Erklärung eines (potentiellen) Zeugen ganz allgemein ungeeignet sei, gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG zur Wiederaufnahme des Verfahrens zu führen, trifft zwar nicht zu, zumal dies schon der Gesetzeswortlaut vor allem für den Fall nicht ausschließt, dass dabei bisher unbekannt gebliebene Tatsachen hervorkommen (vgl. hiezu näher das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/09/0159, mwN).

4. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde den Antrag auf Wiederaufnahme jedoch im Ergebnis zutreffend abgewiesen:

Wird eine Wiederaufnahme auf in neu aufgefundenen (oder - wie hier - neu entstandenen) Urkunden enthaltene Zeugenaussagen gestützt, so stellt (wie der Beschwerdeführer an sich zutreffend ausführt) diese Aussage (also dieser Zeugenbeweis) das "neue Beweismittel" dar (vgl. , mwN).

Im Verwaltungsstrafverfahren, dessen Wiederaufnahme begehrt wird, wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, dass S und C ohne fristgerechte Anmeldung für die K KG als abhängig Beschäftigte tätig waren. Dem Beschwerdeführer musste damit auch im Verwaltungsstrafverfahren bekannt sein, dass diese Personen (S und C) als Zeugen zum Thema des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung in Frage kommen würden. Der Beschwerdeführer hätte im Verwaltungsstrafverfahren, dessen Wiederaufnahme er beantragt, ausreichend Gelegenheit gehabt, die Einvernahme dieser Personen als Zeugen zu beantragen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/08/0194).

Dass die Zeugen für den Beschwerdeführer "nicht mehr greifbar" gewesen seien, dem Beschwerdeführer also die Anschrift der Zeugen nicht bekannt war (wobei er aber weder im Antrag auf Wiederaufnahme noch nunmehr in der Beschwerde angibt, wo der Zeuge damals oder nunmehr aufhältig sei), stellt keinen Wiederaufnahmegrund dar. Der Beschwerdeführer wäre trotz Unkenntnis der Adresse nicht gehindert gewesen, die Einvernahme des Zeugen bereits im Verwaltungsstrafverfahren zu beantragen, wobei es dann Aufgabe der belangten (oder der erstinstanzlichen) Behörde gewesen wäre, den gegenwärtigen Aufenthaltsort des Zeugen auszuforschen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 1199/79, mwN).

5. Aus welchem Grunde der Umstand, dass die Entscheidung über den Antrag auf Wiederaufnahme durch jene Behörde, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat (bzw. durch den unabhängigen Verwaltungssenat), zu erfolgen hat, dem Artikel 6 EMRK widersprechen solle, wird in der Beschwerde nicht näher dargelegt und ist auch nicht ersichtlich (vgl. im Übrigen die Entscheidung EGMR vom , Schelling, Nr. 46128/07). Eine dem unabhängigen Verwaltungssenat "übergeordnete Instanz", welche nach Meinung des Beschwerdeführers aus Gründen der Objektivität über Anträge auf Wiederaufnahme entscheiden solle, besteht nicht. Die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates ist aber - wie hier vorliegend - ohnehin durch Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts bekämpfbar. Im Übrigen bildet selbst der Umstand, dass ein Organwalter, der an der Erlassung des Bescheides in letzter Instanz mitgewirkt hat, auch über die Wiederaufnahme entscheidet, für sich allein noch keinen Grund, die Unbefangenheit dieser Person in Zweifel zu ziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/03/0369, mwN). Es ist auch in keiner Weise ersichtlich, dass die in letzter Instanz entscheidende Behörde (der unabhängige Verwaltungssenat) - bei Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes - gehindert wäre, die von ihr getroffene Entscheidung zu "revidieren".

6. Die belangte Behörde hat damit im Ergebnis zutreffend das Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes verneint, sodass die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am